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Einen Betrüger oder Hochstapler darzustellen ist schon im Tischrollenspiel eine Herausforderung. Wird ein solcher Charakter im LARP nicht mit Bedacht gespielt, läuft der Spieler im besten Fall Gefahr, zum „blinden Fleck“ zu werden, im schlimmsten Fall zerstört er das Spielgefüge.

Ebenfalls erschienen in der Serie „Stereotypen im LARP“:

Stereotypen bieten im Rollenspiel und besonders im LARP gute Anhaltspunkte zur Erschaffung neuer Charaktere. Die Vorteile liegen dabei auf der Hand: Einerseits kann der Spieler sich an einem Erwartungskonstrukt orientieren, zum anderen können die Mitspieler anhand von Auftreten und Optik auf einen Stereotypen schließen und wissen direkt, mit wem sie es ganz grundsätzlich zu tun haben. Stereotypen können also helfen, die kurze Zeit, die wir auf einem LARP miteinander verbringen, besser zu nutzen und gleichzeitig die Immersion zu erleichtern.

Mit unserer neuen Serie zu Stereotypen im LARP stellen wir nach und nach verschiedene Charakterkonzepte vor und beleuchten ihre unterschiedlichen Facetten. Den Auftakt machen wir mit einem herausforderndem Konzept: Dem Hochstapler.

Hochstapler sind attraktive Figuren aus Film und Literatur. Sie kontrollieren die Bühne, auf der sie operieren, sie haben stets ein Ass im Ärmel, um das Blatt zu wenden, und sie sind gewandte Lügner, die sich aus jeder Situation herauszureden vermögen. Aber sind Hochstapler und Betrüger geeignete LARP-Charaktere, die das Spiel befördern? Mit dem Mut zum Versagen schon.

Mundus vult decipi

Sebastian Brants Narrenschyff - Common License
Sebastian Brants Narrenschyff – Common License

Das Wort „Stapler“ stammt vermutlich aus der Gaunersprache Rotwelsch und meint einen Bettler. Ein Hoch-Bettler ist also jemand, der sich als vornehmer ausgibt als er eigentlich ist, oft mit der Absicht, daraus einen Vorteil zu schlagen oder jemanden zu hintergehen. Den wirklich guten Hochstaplern gelingt das über einen sehr langen Zeitraum, oft, indem sie die Bedürfnisse ihrer Opfer erahnen und ausnutzen.

Sebastian Brandt schrieb in seinem Narrenschiff schon 1494 „Mundus vult decipi, ergo decipiatur.“ – „Die Welt will betrogen sein, darum sei sie betrogen.“ Durch diesen Satz wird impliziert, dass der Betrogene Teil des Lügengespinstes wird, dass er Ungereimtheiten unterbewusst ignoriert und widersprüchliches Verhalten verteidigt. Oft wird sogar behauptet, dass der Glaube an die Lüge dem Opfer Linderung verschafft oder hilft, ein Trauma zu bewältigen.

Ein destruktives Konzept?

Natürlich dient eine solche Rechtfertigung meist ausschließlich der Beruhigung des eigenen Gewissens, denn dem Opfer wird Schaden zugefügt, und sei es nur durch den Vertrauensbruch. Hochstapler lügen, betrügen, nutzen aus und verschwinden ungesehen mit der Beute.

Das macht sie zu potentiell destruktiven Figuren, die das Spielgeschehen aus der Balance bringen können. Wer im Spiel betrügt, muss damit rechnen, dass sich Spieler betrogen fühlen, wer in Form seines Charakters jemanden ausnutzt und hintergeht, verletzt vielleicht wirklich Gefühle.

Stattet man die eigene Figur aber mit einer guten Motivation aus, kann man sie auf der Grundlage des ruchlosen Hintergrundes schnell sympathisch gestalten.

Drama, Baby!

Wer im Rollenspiel auf maximales Drama setzt, möchte als Spieler oder Spielerin eines Hochstaplers natürlich gar nicht damit durchkommen. Die meisten Spieler schätzen es zudem, persönlich angespielt zu werden, und was kann persönlicher werden, als die eigene Enttarnung? Ein LARP, auf dem man seine Geheimnisse nicht offenbaren muss, ist eine verschwendete Gelegenheit.

Auf vielen LARPs spielt man meist nicht, um zu gewinnen (in diesem Fall heißt gewinnen „ungeschoren und unentdeckt mit seiner doppelten Identität davonkommen“), sondern um anderen Spielern Spielangebote zu machen und gemeinsam ein unvergessliches Wochenende zu erleben.

Das Eulenspiegel-Syndrom

Eulenspiegel als Prototyp - Common Licence
Eulenspiegel als Prototyp – Common Licence

Um die Identifikation mit Hochstaplern herbeizuführen, werden diese in der Literatur meist mit einer sympathisch machenden Motivation ausgestattet. Die klassischen Motivationen sind Rache an einem „echten“ Schurken etwa, Läuterung durch Liebe oder die zwangsweise Verpflichtung durch eine Gesetzesbehörde, wie etwa bei dem Kunstdieb und Fälscher Neal Caffrey in der Fernsehserie White Collar. Alternativ wird der Figur ein kindlicher Charme beigegeben, der das Handeln entschuldigen soll.

Verzeihen können wir den Betrug auch dann gern, wenn er einem größeren Ganzen dient. Till Eulenspiegel ist dafür bekannt, dass er die Menschen betrügt, um ihnen, quasi wie durch einen Spiegel, den eigenen Selbstbetrug vor Augen zu führen. Templeton „Face“ Peck aus der Fernsehserie A-Team hilft mit seiner Hochstapelei als Con Man, Verbrechen aufzuklären.

Dadurch, dass die Gegner, denen das Unrecht zugefügt wird, noch schlimmer als unser Hochstapler sind, wird sein Handeln in dem Kontext abgemildert. Der charmante Schurke gewinnt an Identifikationspotential.

Hochstapelnde Vorbilder

Viele Hochstapler und Betrüger aus Fernsehserien, Film und Literatur sind für ihre Tricks oder Maschen berühmt geworden. Gemeinsam haben sie drei Dinge: Sie sind gutaussehend, sie wissen sich in der Gesellschaft zu bewegen und sie sind selten um ein Wort verlegen.

All diese Spielarten lassen sich als Tisch- oder LARP-Charakterkonzept umsetzen, bedürfen aber der Anpassung, je nachdem, wie stark das System auf Spieler-gegen-Spieler-Konzepte setzt oder ob böse Figuren zugelassen sind.

Con Man/Woman

Con Men oder Women sind professionelle Betrüger, die gelernt haben, ihre Opfer systematisch einzulullen, um sie dann auszunehmen wie eine Weihnachtsgans. In diese Reihe fallen Johnny Hooker aus dem Film Der Clou mit Robert Redford als Hochstapler, Templeton „Face“ Peck aus der Fernsehserie Das A-Team, sowie Sophie Devereaux aus Leverage. Auch Remington Steele aus der gleichnamigen Fernsehserie ist ein geläuterter Schurke, der nun, motiviert durch die Liebe zu einer Frau, seine Betrügereien in den Dienst des Guten stellt.

Einen geläuterten Con Man oder eine Con Woman zu spielen birgt einen ganz eigenen Reiz, kann man doch den steten Grenzgang zwischen dieser Läuterung und der Kriminalität darstellen.

Der Spion

Weiblicher Prototyp des Hochstapler - Mata Hari - Common Licence
Weiblicher Prototyp des Hochstapler – Mata Hari – Common Licence

Spione haben gemein, dass sie ihre Hochstapeleien in den Dienst eines (oder mehrerer) Staaten stellen. Vorbilder für Hochstaplerinnen zu finden, ist gar nicht so einfach; umso schöner, dass es eine sehr berühmte Spionin gibt.

Mata Hari (der Künstlername der niederländischen Tänzerin Margaretha Geertruida Zelle) muss als eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Spionagegeschichte gelten. Die Lügen um ihre Identität gingen so weit, dass sie lieber der Hinrichtung als Doppelagentin entgegensah, als in Bedeutungslosigkeit zu versinken.

Spione sind recht moderne Konzepte und passen am besten in Settings ab der Napoleonischen Ära bis hinein in Steampunk-, Jetztzeit- oder Science-Fiction-LARPs. Aber auch in Fantasy-Universen tauchen sie auf. Ihr Vorteil: sie haben eine klare „Entschuldigung“ für ihr Handeln, nämlich die Treue zu ihrem Land oder ihrem Herrscher.

 

Der unschuldige Verführer

Lebenshungrig, bereit für Abenteuer aller Art und gewillt, sich durch nichts – auch nicht durch den Makel einer bürgerlichen Geburt – aufhalten zu lassen, zieht Thomas Manns Felix Krull durch Europa. Seine Liebes- und Lebenseskapaden, in denen er mit dem „schönen Schein“ bis in höchste Schichten aufsteigt, werden dadurch gemildert, dass er keiner Menschenseele ein Haar krümmen möchte. Er nimmt Geschenke an, wirkt aber nie gierig oder übervorteilend.

Ein solcher Charakter ähnelt einem hochstapelnden Gigolo oder einer solchen Mätresse. Man spiegelt etwas vor, um Zugang zu Abenteuern und Annehmlichkeiten zu erhalten, gibt aber immer eine Gegenleistung. In DSA passt das zum Beispiel gut in die Rahja-Kirche; im fantastischen oder historischen Kontext könnten sich eine Gräfin oder ein Herzog eine Mätresse oder einen Liebhaber halten, ohne zu wissen, dass er oder sie sein Leben in einer Bäckerei begonnen hat.

Der Verführer oder die Verführerin handeln aus eigenem Antrieb und haben in der Regel nichts Übles im Sinn – wenn man mal davon absieht, dass sie die Geschenke und das Geld gerne annehmen.

Der Betrüger

Pilot ohne Flugerfahrung - Leonardo di Caprio - Dreamworks
Pilot ohne Flugerfahrung – Leonardo di Caprio in Catch me if you can – Dreamworks

Ein Betrüger spiegelt falsche Tatsachen vor, in diesem Fall seine Identität oder seine beruflichen oder religiösen Hintergründe. Graf Cagliostro (tatsächlich kein Graf, sondern Giuseppe Balsamo, Sohn eines Bankrotteurs) zeichnete sich dadurch aus, dass er eine ägyptische Freimaurerloge erfand, die auch Frauen aufnahm. Er ging bei der russischen Kaiserin Katharina II. ein und aus, bevor er enttarnt wurde. Das hielt ihn nicht davon ab, als Groß-Kophta eine Loge in Warschau und später Paris aufzubauen und in Straßburg als Lehrer des Okkulten gefeiert zu werden.

Auch der Armenier aus Schillers Geisterseher fällt in diese Kategorie; er inszeniert Geisterbegegnungen, um einen Prinzen über den Weg des Aberglaubens zum Katholizismus zu bekehren (eine damals übliche Annahme von Protestanten).

Der Betrüger ist interessant zu spielen, weil selbst dann, wenn er ertappt worden ist, noch eine weitere Ebene des Betruges offenbaren kann. Er muss nicht einmal sonderlich subtil sein, denn wenn er enttarnt wird, sind eher seine Opfer die Dummen, dafür, dass sie an seinen Humbug geglaubt haben.

Die Cross-Dresserin

Barbra Streisand tat es in Yentl, Arya Stark tut es in Game of Thrones – eine Frau, die sich als Mann ausgibt, hat oft mehr Chancen zu überleben, sich zu bilden oder einfach sie selbst zu sein.

Solche Figuren sind natürlich reizvoll, aber sehr schwer darzustellen, kann man doch nicht auf den ersten Blick erkennen, ob das nicht einfach ein Teil der Rolle ist (eine Spielerin spielt einen Mann) oder Absicht (die Spielerin spielt eine weibliche Figur, die einen Mann spielt).

Diese Mehrfach-Ebenen sind im LARP schwer zu lesen und bedürfen oft der Outtime-Klärung. Daher wird dieses Charakter-Konzept deutlicher, wenn man die Attribute des Geschlechts, als das man sich verkleidet, so hanebüchen übertreibt, dass die Fälschung selbsterklärend ist.

Die Cross-Dresserin ist eine der harmlosesten Hochstaplerinnen, handelt sie doch üblicherweise nicht, um jemandem zu schaden, sondern um sich selbst Hindernisse aus dem Weg zu räumen.

Der Mörder

Matt Damon als der talentierte Mr. Ripley - Paramount Pictures
Matt Damon als der talentierte Mr. Ripley – Paramount Pictures

Das destruktivste Portrait eines Hochstaplers stellt sicherlich Patricia Highsmith’s Der talentierte Mr. Ripley dar. Der nimmt die Großzügigkeit eines Millionenerben an und bringt ihn um die Ecke, nur um dann seinen Platz an- und seine Identität einzunehmen. Natürlich ist der Reichtum eines anderen schnell errungen, aber schwer zu erhalten, bedarf es doch nur einer einzigen Person, die weiß, wie der Erbe tatsächlich aussieht …

Ein mörderischer Hochstapler ist im Rollenspiel denkbar, wenn man sehr düstere Charakterkonzepte gestattet, oder wenn der Charakter seit der Tat eine nachvollziehbare Läuterung durchgemacht hat. Schließlich benötigt der Mörder eine Begründung, mit anderen zusammen arbeiten zu können (immerhin könnten ihn andere Spieler enttarnen), und die anderen Spieler sollten ebenso Gründe für eine Kooperation nach einer möglichen Enttarnung haben, damit der Spieler in diesem Fall nicht völlig isoliert wird.

Hochstapler im Spiel

Für ein gutes Spiel benötigt der Hochstapler ein Netzwerk aus Helfern und Informanten. Sei es, dass eine Geisterszene inszeniert werden soll, Informationen über andere Spieler eingeholt oder eine „Falle“ bzw. ein „Honigtopf“ aufgestellt werden sollen – solche komplexen Situationen sind schwer allein aufzubauen.

… am Spieltisch

In einem Pen&Paper-Rollenspiel ist die Anzahl der Spieler in der Regel überschaubar, der Kontakt zum Spielleiter unmittelbar. So kann dieser in seinen Szenenbeschreibungen subtil bestimmte Elemente (Orte, Gegenstände, Personen) hervorheben und die Aufmerksamkeit der Spieler darauf lenken. Besonders aber sieht der Spielleiter, ob diese Form der Steuerung Erfolg hat, oder ob die Gruppe weitere Hinweise benötigt, um z.B. den Mord oder die Intrige aufzuklären.

Jede Figur kann hier eine Hauptrolle spielen beziehungsweise ein „Spotlight“ vom Spielleiter erhalten. So auch der Hochstapler, der wegen seiner im Charakter angelegten Heimlichtuerei viel mit dem Spielleiter kommunizieren muss.

Für eine Figur, die so darauf angewiesen ist, das „Spielfeld“ unter Kontrolle zu halten, wie der Hochstapler, ist der direkte Draht zum Spielleiter essentiell. Informationen über NSC oder Organisationen lassen sich leicht einholen, Zeiträume, in denen man beobachten oder Fallen aufstellen (lassen) kann, können gerafft werden.

… im LARP

Im LARP ist der direkte Draht zur Spielleitung oft nicht gegeben. Soll die Hochstapelei nicht als purer Flavour-Hintergrund dienen, muss der Spieler jedoch Zugang zu Informationen erhalten. Möglichkeiten, das Kontakt-Netzwerk im Hintergrund zu simulieren, das der Hochstapler benötigt, gibt es viele, sie müssen nur bedient werden. Das „NSC-Telefon“, mit dem Freunde, Informanten und Helfer angerufen werden können (sogar ein Telegraph wurde schon eingesetzt), ein Bettler-NSC oder eine Hausmagd ansprechbar im Spiel, die Informationen sammeln oder vermitteln kann, oder als weniger subtiles Element eine anspielbare SL – das alles sind Techniken, mit denen der Hochstapler seinem Handwerk nachgehen kann.

Das darf natürlich nicht darin münden, dass der Hochstapler von der SL sämtliche Hintergrundinformationen auf dem Silbertablett serviert bekommt oder im Stundentakt andere Spieler aufs Kreuz legen kann. Ein Zuviel an „Spotlight“ kann leicht das Spielgefüge aus der Balance bringen, zu wenig macht den Hochstapler als Rolle uninteressant.

Doppeltes Spiel

Im Liverollenspiel wirkt eine regelrechte Flut präsentierter Informationen auf den Spieler ein. Diese auszufiltern und zu bewerten kostet Zeit, besonders, da auf den wenigsten Liverollenspielen jeder einzelne Spieler 24 Stunden lang von einer SL betreut werden kann. Auf einem LARP ist die Steuerung von Spielern (oder ihre Versorgung mit Informationen) wesentlich schwieriger als am Tisch.

Zu dieser Fülle an Informationen kommen auch noch die anderen Spieler, die alle ihre Geheimnisse mitbringen, die vielleicht etwas mit dem Plot der Spielleitung zu tun haben – oder eben auch nicht. All das will in Windeseile bewertet werden, und natürlich geschehen da Fehlschlüsse. Selbst wichtigste Informationen gehen den Spielern durch die Lappen, wenn sie nicht überdeutlich kommuniziert werden (daher die „Regel der Drei“ von Lars Schiele und Momo Evers im leider vergriffenen Buch „Liverollenspiel: Das Handbuch für Spieler, Organisatoren und Interessierte“, das ich sehr empfehlen möchte: Bringe essentielle Informationen immer dreimal auf unterschiedlichen Wegen über unterschiedliche Charaktere ins Spiel).

NSC oder die vielerorts üblichen GSC (gescriptete Spielercharaktere) haben im Gegensatz zu Spielern bereits einen unfairen Informationsvorschuss: sie wissen, worauf die SL hinaus will, was für ein Spiel stattfinden soll, kennen vielleicht sogar einen Teil oder alle Szenen, die stattfinden sollen. NSC, die unreguliert auf Spieler losgelassen werden und „gegen“ sie spielen, werden also immer „gewinnen“, da sie im Liverollenspiel doch von Anfang an mit einer ganz anderen Sicherheit navigieren können.

… mit doppeltem Boden

Bei einem Hochstapler-Charakter wird das Lesen von Charakteren und Zusammenhängen sogar noch schwieriger. Er (oder sie) muss den anderen Spielern nicht nur ein Charakterkonzept vermitteln, sondern auch noch die Tatsache, dass es ein gefälschtes Konzept ist. Denn im Liverollenspiel spielen ja alle Spieler (und NSC) Rollen – dass da noch jemand eine weitere Ebene draufsetzt, quasi eine Rolle in der Rolle spielt, erschließt sich nicht intuitiv.

Eine nicht standesgemäße Kleidung zum Beispiel könnte auch einfach am Gewandungsbudget des Spielers oder seinem mangelnden Verständnis für historische Kleidung gescheitert sein. Die Frau mit dem angeklebten Bart könnte einfach eine Spielerin sein, die auch mal einen Mann darstellen möchte. Liverollenspiel lebt von der Abstraktionsfähigkeit der Spieler und der Tatsache, dass sie eben Feuerlöscher oder Jugendherbergsmobiliar ausblenden können. Spielt man den Hochstapler nicht sorgfältig, läuft man Gefahr, als „schlecht gewandeter“ oder „schlecht gespielter“ Adliger oder Praiosgeweihter ausgeblendet zu werden.

Praxistipps

Die Herausforderung besteht darin, einerseits die falsche Persönlichkeit (die man zunächst präsentiert) auf der Anscheins-Ebene mit Namen, Ruf, eventuell sogar Dokumenten aufzubauen. Andererseits muss diese Figur gleichzeitig auf der Verhaltensebene wieder gebrochen werden. Die Figur sollte also nicht zu überzeugend in ihrer Anscheins-Rolle sein, sondern ihre wahre Herkunft noch manifest und greifbar zeigen.

Eine Magd, die sich als Gräfin vorstellt und in teure Gewänder kleidet, wird nicht zu befehlsgewohnt sein, ständig in der Nase bohren, auf den Boden spucken und Rollkutscherflüche um sich werfen müssen, damit deutlich wird, dass mit ihr etwas nicht stimmt. Gelingt das nicht, läuft die Spielerin Gefahr, dass man ihr einfach „schlechtes Spiel einer Adligen“ unterstellt. Sie „spielt“ die Gräfin ja im doppelten Sinne, und dieses doppelte Spiel zu markieren ist eine rollenspielerische Herausforderung.

Wer bei einem DSA-LARP (einem gut ausgearbeiteten Hintergrund mit ganz konkreten Verhaltensmustern) als Hochstapler einen Geweihten darstellen möchte, könnte die Gewänder und den Namen anpassen, aber das Verhalten eines Streuners oder Höflings beibehalten. Besonders, wenn religiöse Vorschriften gebrochen oder unterlassen werden, wird deutlich, dass mit dem Praiospriester oder der Hesindegeweihten etwas nicht stimmt.

Wichtig sind auch Kontraste. Ein Edler, der einen Grafen markiert, ist kein ausreichender Kontrast, um die verschiedenen Verhaltensmuster der Herkunft zu präsentieren. Ein schlecht erzogenes Straßenkind, das sich als Graf ausgibt, ist da einfacher darzustellen und von anderen „zu lesen“.

Auf diese Weise gibt man Mitspielern die Chance, den tatsächlichen Hintergrund des eigenen Charakters zu entschlüsseln und erzeugt Drama.

Nur ein schlechter Hochstapler ist ein guter Hochstapler?

Bedeutet das, dass man keinen guten Hochstapler im LARP spielen sollte? Das hängt natürlich ganz stark vom Spielkonzept und den eigenen Vorlieben ab. Dabei kann man die Hochstapler-Natur je nach schauspielerischer Begabung subtiler oder deutlicher zur Schau tragen, sich allen oder nur bestimmten Figuren offenbaren, je nachdem, wie offen man seine wahre Natur preisgeben möchte. Gut gemacht kann daraus ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel um die eigene Identität entbrennen.

Will man sich und seinen Mitspielern durch das Hochstapler-Konzept Spielspaß bereiten, können eigene „Fehler“ im Spielverhalten ihnen eine Chance zu geben, hinter die Kulissen zu schauen. Das stellt auch das Gleichgewicht und die Fairness zwischen dem Betrüger und den Betrogenen wieder her.

Ich verspreche, dass das Spielerlebnis dadurch für alle Beteiligten nur reicher und unvergesslicher werden wird.

Artikelbild: Wyvern, sonst wie ausgewiesen

Über die Autorin

Falkenhagen2Lena Falkenhagen studierte im echten Leben Germanistik und Anglistik an der Universität Hannover und arbeitet seitdem als freischaffende Autorin, Lektorin, Übersetzerin und Computerspiele-Designerin. Über das Rollenspiel DSA betrat sie bereits mit elf Jahren die Welt der Geschichten und verliebte sich tief ins Erzählen. Sie gehörte von 1994 bis 2011 der DSA-Redaktion an und schrieb neben vielen Abenteuerbänden und Hintergrundbüchern vier Romane für Aventurien.

Von ihren vier historischen Romanen beim Wilhelm Heyne Verlag wurde Die Lichtermagd mit dem DeLiA-Preis 2010 ausgezeichnet. Für Markus Heitz’ Justifiers-Romanserie (Space Fiction) wechselte sie mit Undercover in eine ferne, zukünftige Welt. Seit 2012 gestaltet sie Welt und Story des deutschen Computerspiels Drakensang Online. Auch wenn die Reise in der Phantastik begann, wechselt Lena heute fließend zwischen vielen Welten hin und her und fühlt sich in jeder gleichermaßen zuhause. So auch in der Wahlheimat Berlin.

 

 

10 Kommentare

  1. Ich würde gleichzeitig noch darauf hinweisen, dass man versuchen kann über Dokumente Hinweise zu geben. Im Gegensatz zu Spiel (denn da braucht man bei Betrüger UND Betrogenem gute und aufmerksame Spieler, die dem anderen Höchstleistungen zutrauen), kann man bei Dokumenten recht simpel dafür sorgen, dass eine Lücke im Lebenslauf offensichtlich wird.

    Wenn der Graf Viktor von Hohenstein immer pleite ist und deshalb ständig Kredite einfordert und dann noch eine Warnung vor einem Hochstapler z.B. in Form eines Steckbriefes eintrudelt, tja dann ist das erheblich „offensichtlicher“, als wenn der Graf schlechte Manieren hat. Denn es könnte ja sein, dass es sich bei dem Grafen um einen Adeligen mit schlechten Manieren handelt (sowas ist meiner Erfahrung sogar recht häufig).

    Generell bin ich der Meinung, dass jedes Geheimnis eines Charakters immer mindestens einen Mitwisser haben sollte. Das kann ein NSC, besser aber ein SC sein. Dadurch gerät mehr Schwung in die Sache und man muss sich nicht nur auf die Aufmerksamkeit der Mitspieler verlassen. Es gibt kaum etwas Frustrierenderes, wenn die eigenen sorgfältig gestreuten Hinweise von anderen Spielern ignoriert werden, weil die sich lieber über die umfzigste Angriffswelle der Feinde unterhalten. Mit einem Mitwisser über das eigene Geheimins kann man relativ gut steuern, wie schnell es ans Licht kommt.

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