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Erdenstern ist in der Rollenspielszene nicht unbekannt. Mit dem Schwerpunkt auf Konzeptalben für Rollenspielmusik hat sich die Hamburger Formation einen Namen gemacht. Im letzten Album widmete sich Erdenstern einer fantastischen Unterwasserwelt. Jetzt geht es wieder an Land und Erdenstern beweist einmal mehr ein gutes Gespür für die Rollenspielszene. Urban Fantasy erfreut sich einer wachsenden Beliebtheit und ist eigentlich nicht mehr wegzudenken. Naheliegend also das Setting in einem Album aufzugreifen. The Urban Files ist, anders als das Album Annwn, keine rein selbst erdachte Geschichte, sondern inspiriert von keinem geringeren Setting als den Dresden Files um den Detektiv Harry Dresden. Als Bonus-Material wurde dann auch das Album für Käufer der deutschen Übersetzung von Prometheus vorab zum Download angeboten.

The Urban Files – Dunkle Gassen und finstere Gestalten

Harry Dresden ist Detektiv in Chicago, aber kein normaler Detektiv. Harry Dresden ist Magier. Basierend auf der Buchserie erschien bereits 2010 das gleichnamige Rollenspiel, beruhend auf dem beliebten FATE-System. In einer alternativen Welt, auch das Dresdenverse genannt, ermittelt Harry Dresden in einem düsteren Chicago, das gut einem Film Noir entsprungen sein könnte. In einem fragilen Frieden zwischen Dämonen, Magiern und der Kirche untersucht der Magier-Detektiv allerlei Grenzfälle die Akte X oder Fringe entsprungen sein könnten.

So ergibt sich eine explosive Mischung aus Shadowrun, Akte X und Dick Tracey. Die Mischung schreit nach einem passenden Soundtrack und Erdenstern hat sich der Herausforderung gestellt.

Tracks

Introduction

Was für eine Eröffnung des Albums. Das Intro ist genau das, was es sein soll. Es eröffnet dem Zuhörer die Tür zu einer Geschichte. Man hat fast den Eindruck ein Serienintro zu hören. Der Titel beginnt ruhig und etwas mysteriös und steigert sich dann konstant zu einem großen Finale.

Beyond The Windy City

Der erste Track greift die erzeugte Stimmung aus dem Intro nahtlos auf. Trompeten und E-Gitarren erzeugen eine interessante Mischung aus Moderne und 50er Jahre-Flair. Fast schon etwas treibend führt uns der Titel durch windige Gassen Chicagos. Gelegentliche Polizeisirenen unterstreichen das Gefühl eines pulsierenden und gefährlichen Nachtlebens.

Supernatural Crime Scene

Schwermut und Tragik vermittelt uns der erste Tatort. Das Thema, welches sich durchgängig durch das Konzeptalbum zieht, wird hier plötzlich bedrückend, vielleicht sogar erdrückend. Im ersten und letzten Drittel sorgen ein tiefer Chor und flüsternde Stimmen für eine bedrohliche Stimmung, die nahezu greifbar ist.

Investigation in Twilight

Die Ermittlung führt den Zuhörer nun ins Zwielicht der Stadt. Wieder gelingt die Mischung aus Moderne und früheren Zeiten. Die Stadt pulsiert, das wird dem Hörer erneut deutlich gemacht. Und so steigert sich dieser Track in Höhen, um dann wieder mit ein paar ruhigen Passagen eine kurze Verschnaufpause zu erlauben.

The Pub

Wäre der letzte Gast an der Theke ein Musikstück, dann wäre es The Pub. Man hört quasi den Barkeeper die Theke wischen und die Bedienung die Stühle auf die Tische stellen. Doch der letzte Gast will nicht gehen, und nippt gedankenverloren an seinem Glas ohne wirklich zu trinken. Ein tolles Stück für ruhige Szenen in einer Bar.

Preparation

Der Track beginnt vielversprechend, ein Glockenschlag, eine quietschende Schaukel und düsterer bedrohlicher Männergesang baut eine Stimmung mit Gänsehaut auf. Leider driftet der Titel dann ein bisschen in die Beliebigkeit ab und plätschert vor sich hin. Das können auch kurze Passagen mit dem Gruselfaktor vom Beginn nicht retten. Erst am Ende bekommt er die Kurve. Die mittleren zwei Minuten hätte man aber weg lassen können und damit einen der besten Titel des Albums gehabt. So ist es leider eines der schwächsten Stücke.

Fool Moon 

Vollmond entschädigt aber für eine schwache Vorbereitung. Bass-Gitarren und treibendes Schlagzeug erzeugen eine Stimmung, die uns durch die Nacht hetzt und immer wieder panisch umsehen lässt.

An Old Friend

Als Ausgleich zu einer schweißtreibenden Vollmondnacht treffen wir auf einen alten Freund. Dieses Stück ist ruhig und widmet sich voll und ganz dem Hauptthema des Albums. Gedanklich streift man durch die dunkle Nacht, allein mit sich und seinen erdrückenden Gedanken.

Let’s Go Get’Em 

Der Titelname fordert einen zur Jagd auf. Das gelingt aber auch dem Track. Beginnend mit antreibenden Bässen machen wir uns auf den Täter zu verfolgen. Unterbrochen werden wir von kleinen Abschnitten, in denen wir schleichen müssen. Spontan fallen Szenen aus James Bond oder der Bourne Identität ein. Ein guter Titel für verdeckte Verfolgungen.

Demigods and Archangels 

Halbgötter und Erzengel. Hier wird Epik in großen Stil im Titel angekündigt. Doch der Hörer wird zunächst enttäuscht, beginnt der Titel erst sehr ruhig. Aber die Ruhe ist trügerisch, ist vielmehr eine Tür, die sich leise öffnet. Nach einer Minute kündigen sich dann die Heerscharen mit bedrohlichen Gesängen an. Begleitet von Pauken, Posaunen und Geigen marschieren die Heere auf.

Femme Fatale 

Jeder guter Film Noir braucht auch eine Femme Fatale, die den Helden immer wieder in schwere Bedrängnis und Gewissensbisse bringt. Musikalisch in unsere Femme Fatale sehr zurückhaltend, fast schon unauffällig. Für eine ruhige Szene zum Durchatmen ein schöner Track. Für mehr leider nicht.

Underground

Als seien die Straßen Chicagos nicht schon düster genug, führt uns Erdenstern auch noch in den Untergrund dieser zerrissenen Stadt. Schmutzig, stinkend und undurchsichtig. Kurzum, kein Platz, an dem man gerne verweilt. Auch dieser Track ist wieder ruhig, erschafft aber eine passende und nicht aufdringliche Stimmung für die verschiedensten Szenen, die ohne Action auskommen.

The Council

The Council hat ein bisschen was von Robert Langdon, der zielstrebig zum Konklave eilt. Damit bricht der Track ein bisschen mit dem bisherigen Stil, das stört jedoch nicht, sondern verhindert, dass sich das Album zu sehr wiederholt. Er baut zudem eine schöne Dramatik zu Ende hin auf.

Hunting The Beast

Nachdem sich der Hörer nun drei Titel lang ein bisschen Ausruhen durfte, geht es erneut auf die Jagd. Hunting The Beast greift hier sehr schön den Stil des letzten Track auf. Erdenstern gelingt hier mitten im Album ein spannender Wechsel des Grundthemas. Choräle und schnelle Schlagzeuge geben dem Stück eine großartige Dynamik. Man möchte eigentlich in sein Auto springen und jemand verfolgen, ganz egal wen.

The Twilight Club 

Wir sind eindeutig zurück in den Gassen Chicagos. Etwas überraschend, denn der erneute Themenwechsel hat sich nicht angekündigt. Über das ganze Stück hinweg bleibt der Track sehr ruhig, ohne monoton zu werden.

Temptation

Ein mythischer, ebenfalls ruhiger Track, der die Spieler zur Ruhe kommen lässt, um Gedanken zur sortieren oder Beweise zu sichten. Solide, aber nicht spektakulär.

Afraid Of The Dark

Angst im Dunkeln sollte man bei Urban Fantasy nicht haben. Erneut ist der Hörer der Gejagte. Doch diesmal rennt er nicht durch die dunklen Gassen. Vielmehr versteckt er sich einem Lagerhaus. Posaunen und ein Fagott erschaffen einen guten Eindruck erdrückender Dunkelheit und die Angst, die einen dabei befällt; immer wieder unterbrochen von ganz leisen Passagen, in denen man nur das Atmen des Gejagten hört. Jäh führt es in einem Rennen zum nächsten, vermeintlich sicheren, Versteck.

On These Streets

Das Album bleibt seinem Stil treu und wir kehren nach einigen hektischen Momenten auf die Straße zurück und ziehen den Kragen noch etwas tiefer ins Gesicht. Eine schöne Variation der „Straßen-Tracks“, so wird das einerlei, welches bei sich wiederholenden Themen droht, verhindert.

Chicago Downtown Creatures

Offensichtlich lieben Chicagos Kreaturen den Mambo. Zum ersten Mal wird auch gute Laune in einem der Musikstücke erzeugt. Man beginnt unweigerlich ein bisschen zu wippen. Mit seinen flotten Rhythmen und manchmal etwas mysteriösen Einschlägen hat The Urban Files seinen eigenen Cantina-Song. Vielseitig einsetzbar, ist dies ein mitreißender Track, der sogar am Ende gelungen das Hauptthema aufgreift.

Manifestation

Wir nähern uns dem Ende, und was auch immer uns in den Ermittlungen beschäftigt hat, beginnt sich in greifbarer Nähe zu manifestieren. Langsam baut sich dieses Stück auf, als setze sich etwas oder jemand Stück für Stück zusammen, untermalt von Geräuschen, die nicht zuzuordnen sind: Schreie, Tiere oder nur der Wind? Ziemlich genau nach der Hälfte nimmt der Track an Fahrt auf und steigert sich in einem dramaturgisch gelungenen Höhepunkt. Es ist Zeit sich dem letzten Kampf zu stellen.

A Final Straw

Der bereits angekündigte Kampf beginnt auch sogleich. Gleich dem Griff nach dem letzten Strohhalm, begibt sich der Hörer in die entscheidende Situation. Ob Kampf, Entschärfen der magischen Bombe oder Vordringen in die tiefste Hölle. Dieser Track bedient eine Vielzahl möglicher Höhepunkte eines ganzen Spieleabends und orientiert sich wieder eher an Hunting The Beast

The Urban Files 

Jede Serie, jeder Film hat seinen Abspann und die passende Musik. Das Titelgebende Stück des Albums ist genau das: ein Abschluss; und ein runder noch dazu. Wer einen Cliffhanger oder eine abschließende Szene plant, dürfte mit diesem Track sehr glücklich werden.

Verwendbarkeit im Rollenspiel oder LARP

Nur wenige der Tracks scheinen für LARPs geeignet. Am ehestens trifft das noch auf Chicago Downtown Creatures oder The Pub zu, dabei aber mehr als Hintergrundmusik für Bars einsetzbar.

Anders sieht das bei Rollenspielen aus. Hier werden Urban Fantasy-Liebhaber rundherum bedient.

Gerade wer an Urban Fantasy weniger actionslastige Abende schätzt, und für den Ermittlung, Mysterien und Ambiente im Mittelpunkt stehen, wird die Tracks zu schätzen wissen.

Aber wie bei allen Konzeptalben erzählt auch The Urban Files eine Geschichte. Man sollte die Tracks gezielt einsetzen und nicht nur durchlaufen lassen. Auch wenn dies im Vergleich zu vielen anderen Alben, und besonders Filmmusik, hier wesentlich besser klappt, wäre es dennoch, oder zumindest fast, eine Verschwendung dieses großartigen Albums. Geeignet scheint es jedoch wegen der starken 40er/50er-Jahre Einschläge auch eher für, in diese spezielle Zeit passende, Settings.

Preis-/Leistungsverhältnis

Für 15,99 Euro, als CD, erhält man 22 Titel und deutlich über eine Stunde Musik. Das entspricht dem üblichen Rahmen vergleichbarer Alben.

Erscheinungsbild/Umfang

the-urban-filesErdenstern ist wohl einer der letzten CD-Fans, erschienen doch die letzten Alben allesamt noch als Silberling. Das vorliegende Album gab es zum Erscheinungsdatum noch nicht mal als Download bei Erdenstern selbst. Digital erhielten es nur die Teilnehmer der Kickstarter-Kampagne für die deutsche Übersetzung der Dresden Files. Im Laufe des Jahres kann aber das Album auch als Download erwartet werden. Das Booklet ist grafisch ausgesprochen gelungen und erinnert ein wenig an Max Payne. In den Bildern selbst sind nette Verweise auf die Dresden Files verarbeitet. Wie von Erdenstern gewohnt, ist auch diesmal eine kleine Geschichte zur Einstimmung im Booklet zu finden, und jeder Track mit ein paar Schlagwörtern zu seiner Stimmung versehen.

Die harten Fakten:

  • Komponist: Erdenstern
  • Erscheinungsjahr: 2016
  • Format: CD
  • Spieldauer: 1h 20m
  • ASIN: –
  • Preis: 15,99 EUR
  • Bezugsquelle: Erdenstern-Shop

 

Fazit

Das musikalische Vorbild von Erdenstern konnte man erneut ganz deutlich heraushören, vielleicht deutlicher als je zuvor. Unverkennbar sind die Anleihen an Hans Zimmer, sei es das immer wiederkehrende Hauptthema, dem Schwerpunkt auf schwere Orchesterklänge oder die Fähigkeit auch ohne Film eine Geschichte zu erzählen. In manchen Punkten übertreffen sie sogar ihr Vorbild, haben sie doch den Mut das Schema mal aufzubrechen. Wo bei Hans Zimmer die Gefahr droht, dass die Wiederholung zur Eintönigkeit führt, erlaubt sich Erdenstern mehr Varianz.

Erdenstern wollte ein Album schaffen, das die Dresden Files in Musik verwandelt. Dies ist ihnen, mit ganz wenigen Schwächen, außerordentlich gelungen. Vermutlich hat ein Konzeptalbum selten so präzise das inspirierende Setting getroffen. Wer die Dresden Files liebt, wird bei diesem Album leuchtende Augen bekommen.

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Artikelbilder: Erdenstern
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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