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Tabletop ist aus vielerlei Hinsicht ein einschüchterndes Hobby, vor allem aber aufgrund von Zeit, Komplexität und nicht zuletzt des Geldes wegen. Und doch hört man in Foren und Gesprächen immer wieder, dass es auf viele eine Faszination ausübt, welche allerdings nur selten erkundet wird. Nach Jahren des Bewunderns aus der Ferne habe ich mich nun entschlossen, mich dem Phänomen Tabletop anzunehmen und zudem dem Einen oder Anderen näher zu bringen, was an diesem Hobby so fesselnd ist und was einen als Anfänger erwartet. Angefangen damit, was mich zu diesem Zeitvertreib bewegt hat.

Warum eigentlich Tabletop?

Wenn ich an Tabletop denke, ist das erste Bild, was ich vor mir sehe, eine Armee von beeindruckender Größe, die atemberaubend detailgetreu und liebevoll bemalt wurde. Mein zweiter Gedanke ist der immense Zeitaufwand und die Unmenge an Geld, die in diese Streitmacht geflossen sein muss. Der zweite Gedanke ist es, der in vielen Foren, Videokommentaren oder auch in Gesprächen Widerklang findet. Er führt dazu, dass eine Menge potenzieller Spieler abgeschreckt werden und sich beispielsweise eher den digitalen Alternativen der Strategiespiele zuwenden.

Dies war bei mir genauso, bis ich eines schönen Tages durch die Innenstadt streifte und mich, wie schon so oft zuvor, vor dem Schaufenster des lokalen Games Workshop-Ladens wiederfand. Dort bewunderte ich die neusten Ergebnisse der Zeitaufopferung und des Herzblutes mir unbekannter Künstler. Durch das Aussterben der Comic- und Spielläden gibt es nicht mehr viele Orte, an denen man Gleichgesinnte treffen kann, um seiner Leidenschaft nachzugehen. Der Games Workshop jedoch ist eine der wenigen Oasen des Nerdtums, in denen dieses Teilen einer Leidenschaft noch von Angesicht zu Angesicht stattfinden kann. Das ist der Grund, warum es mich immer wieder an die Schaufenster zog und auch dazu trieb, an diesem Tag das erste Mal den Laden zu betreten.

Zu diesem Zeitpunkt wurde dort auf der hauseigenen Platte eine Schlacht ausgetragen. Ein weiterer Tisch wurde von anderen Spielern als Maltisch in Beschlag genommen. All dies inmitten von Wänden, welche über und über mit Regalen voller Figuren, bemalt oder in Verpackung, vollgestellt waren. Die damit einhergehenden Preisschilder ließen erahnen, welchen Wert die Miniaturen auf der Spielplatte alleine finanziell haben mussten.

Etwas verloren angesichts der Reizüberflutung fand ich mich neben der Spielplatte wieder, um mir die laufende Schlacht anzusehen. Dort fand ich zwei dieser beeindruckenden und liebevoll bemalten Armeen vor. Die Armeen und das Schlachtfeld ergaben gemeinsam ein Bild, das man, so wie es dastand, hätte ausstellen können. Die Figuren waren derart detailreich bemalt, dass es einem fast den Mut nahm, sich jemals selbst daran zu versuchen. Doch was ich vor allem realisierte war, dass ich nichts von dem verstand, was vor sich ging. Es wurden Maßbänder hervorgezogen und Entfernungen gemessen, Plastikschablonen über Figuren gelegt und jede Menge Würfel geworfen. Was mir in meinen ersten Gedanken an Tabletop offensichtlich entgangen war, waren die strategische Tiefe und Komplexität, die mit jeder Figur und der Zusammensetzung einer Armee einhergehen.

Nach einigen Minuten des sprachlosen Staunens wurde ich von einem Mitarbeiter angesprochen und zu einem Testspiel eingeladen. Ich war zwar unsicher, aber meine Neugier war entfacht. Das Testspiel war ein kurzes 15-minütiges Szenario, das mir einen Einblick in die Spielweise gab und erklärte, warum die Spieler von zuvor mit Maßbändern und Plastikschablonen hantiert hatten. Ein Angebot, das die meisten Hobbyläden anbieten, und das sehr empfehlenswert ist, um ein erstes Spielgefühl zu erhalten. Offensichtlich war mein steigendes Interesse auch dem Verkäufer aufgefallen, denn ich wurde daraufhin eingeladen, eine Figur zu bemalen, die ich auch behalten dürfte. Ich habe mich nie als Person gesehen, die ihre Armee fein säuberlich bemalt, hauptsächlich, weil ich mich nicht als geduldig und ruhig genug für die Arbeit gesehen habe, dennoch stimmte ich zu. Zu meiner Verwunderung war ich sehr bald vollkommen im Bemalen meiner ersten Figur versunken. Das gemeinsame Malen mit den Stammspielern und Mitarbeitern führte zu Gesprächen, die einem schnell einige Tricks beim Malen eröffneten und das angenehme Gefühl hervorriefen, aufgenommen zu werden. Als Neuling wurde ich mit offenen Armen empfangen und willkommen geheißen, ihre Leidenschaft zu teilen.

 Das Ergebnis meiner ersten Figur war nicht zu verachten, und ich verstand sofort viel besser, warum so viel Zeit in das Gestalten der Figuren fließt. Nach etwa einer Stunde verließ ich den Laden wieder, zusammen mit meiner ersten Figur und einem viel besseren Verständnis dafür, was dieses Hobby so begeisternd macht. Zusätzlich hat das gemeinsame Malen klargestellt, dass keines der Kunstwerke, die in den Schaufenstern standen, von irgendwelchen Genies aus dem Handgelenk geschüttelt wurden, sondern das Ergebnis von viel Übung sind. Daher sollte man sich bewusst machen, dass die ersten eigenen Figuren im Vergleich wahrscheinlich aussehen werden, als wären sie in einen Farbtopf gefallen. Doch das erste Ziel sollte sein, die Figuren so zu bemalen, dass sie einem selbst gefallen, und nicht zu erwarten, dass sie sich mit den Meistern messen können. Zudem stellte ich fest, dass sich nach diesem Nachmittag ein Funke der Begeisterung bei mir eingenistet hatte. Doch was genau ist es, das diesen Funken zu einer kleinen Flamme hat aufsteigen lassen, die mich dazu brachte, dieses völlig unbekannte Terrain zu betreten?

Handfeste Ergebnisse

Nach 20 Jahren Videospiel-Erfahrung blicke ich gerne auf die Abenteuer zurück, die ich in den virtuellen Welten erlebt habe. Doch was nach der investierten Zeit übrig bleibt, ist meist nur eine CD im Schrank oder gar ein Titel in einer Liste, wohingegen Tabletop einen mit seinen Figuren zurücklässt. Nun könnte man mich altmodisch schimpfen, aber ich bevorzuge es durchaus, etwas Materielles in der Hand zu halten. Selbstverständlich fließt für viele Spieler viel Zeit in das Bemalen der Figuren, und auch ich sehe mich in diesem Teil des Hobbys versinken. Die investierte Zeit und Arbeit bringt ein Resultat hervor, das einen auch außerhalb der Schlachtfelder mit Stolz erfüllt und durch das direkte Ergebnis der eigenen Arbeit schlicht befriedigend wirkt. Aber auch auf dem Spieltisch sollte man die so verwendete Zeit nicht unterschätzen, denn die eigene Armee spiegelt den Spieler wider. Neben der Auswahl und der Zusammenstellung seines Heeres, ist es wohl einer der größten Verbindungspunkte, seine Armee einzukleiden. Generische Soldaten über ein Schlachtfeld zu schicken genügt vollkommen, um einen Kampf zu spielen, aber ich bin der festen Überzeugung, ein Heer zu kommandieren, das gemeinsam in den eigenen Farben aufmarschiert, erhebt die Spiele von Kämpfen zu wahren Schlachten. Und seien wir ehrlich, es streichelt das Ego nur umso mehr, wenn man seinen Gegner nicht nur besiegt, sondern auch so verdammt gut dabei aussieht.

Schieße, wenn du das Weiße in ihren Augen siehst

Ich habe es immer bevorzugt, meinem Gegenspieler in Spielen von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen. Es gibt Spielen einen persönlichen Aspekt und erlaubt solchen, eine gemeinsame Erfahrung zu werden. Anerkennung für einen guten Spielzug zu erhalten ist so viel mehr wert, wenn es sich dabei nicht nur um eine Textzeile im Chat handelt. Genauso ist es erfüllender, einer Person als Spieler gegenüberzustehen und ihr zu gratulieren, wie fachgerecht sie einen gerade in Hosentaschengröße gefaltet hat. Zudem erleichtert es einem nach der Schlacht, ein Feedback zu erhalten, denn seien wir ehrlich, selbst wenn man gewinnt, man hätte es besser machen können. Und wer kann besser helfen, sich zu verbessern, als die Person, die gerade gegen einen gespielt hat? Wie in jedem anderen Lernprozess auch ist dies umso wichtiger und effektiver, wenn der Gegner als Sieger hervorgeht. Allerdings erlaubt einem die direkte Interaktion mit dem Gegner nicht nur ein fröhliches Miteinander und gegenseitige Hilfe.

Es eröffnet auch eine neue Strategieebene. Neben allen Möglichkeiten, die einem ein Regelwerk darlegt, ist der Einfluss, welchen man durch einen überlegten Dialog oder eine bestimmte Aussage auf seinen Mitspieler ausüben kann, nicht zu unterschätzen. Durch einen laut ausgesprochenen Gedanken kann man sein Gegenüber dazu bringen, die Offensive zu ergreifen, um den vermeintlichen Fehler zu bestrafen, und ihn so in eine Falle locken. Genauso kann man durch überzeugend gespielten Hochmut einen Angriff der Opposition hinauszögern und sich so die nötige Zeit erkaufen, eine tatsächliche Gefahr darzustellen.

Zusammenfassend kann man den Erfolg von Tabletopspielen nicht zuletzt daran festmachen, wie viele verschiedene Leidenschaften hier angesprochen und zusammengeführt werden. Es gibt Künstler, die ihre Miniaturen zu eigenständigen Charakteren erheben, es gibt die Spieler, die ihre Armeen bis auf den letzten Mann aufeinander abgestimmt haben, und es gibt Generäle, die für jeden Verlauf einer Schlacht eine Strategie bereitgelegt haben. Aber vor allem gibt es alles dazwischen. In der direkten Interaktion fällt die Offenheit der Spieler auf, und man merkt, dass sie einen für ihr Hobby begeistern wollen. Dies ist der Tatsache zu verdanken, dass jeder Spieler durch seine Individualität neue Impulse und Facetten in diese lebendige Leidenschaft einfließen lässt. All dies entfacht ein wahres Feuerwerk an unerwarteten, lustigen und herausfordernden Situationen für den gewillten Spieler. Und genau deshalb habe ich vor, ein solcher zu werden.

Vorbereitung ist alles

Nun ist der Beschluss, ein Tabletopspieler zu werden, eine Sache, eine ganze andere allerdings zu wissen, wie man anfängt. Der erste Schritt sollte sein, sich zu entscheiden, welches System man bespielen will. Hierbei gibt es eine mannigfaltige Auswahl an Möglichkeiten für jedes erdenkliche Genre. Um sicherzugehen, was man spielen möchte, empfiehlt es sich auch, die Möglichkeit wahrzunehmen, ein Testspiel zu spielen. Diese werden in vielen Läden, welche das jeweilige System verkaufen, angeboten. Sollte sich kein Laden finden, in dem man das gewünschte System ausprobieren kann, gibt es noch eine weitere Alternative: Tabletop-Clubs. Wenn man sich noch nicht sicher ist, welches System man spielen möchte, ist es keine schlechte Idee, zu schauen, welche Clubs in der Nähe sind und welche Systeme dort gespielt werden. Um wirklich das Meiste aus diesem Hobby herauszuholen braucht man Mitspieler, und davon am besten genug, um Abwechslung zu haben.

Clubs sind die beste Methode, um Mitspieler zu finden, und ermöglichen oft auch, das gewünschte System mit den dortigen Spielern anzutesten. Daher sollte neben der Frage, welches System einen am meisten interessiert, der Fokus darauf liegen, welche Systeme im lokalen Umfeld bespielt werden. Nachdem man sich nun für das System entschieden hat, ist die nächste Frage, welche Fraktion man spielen will. Hier ist es eine gute Idee, sich von Verkäufern beraten zu lassen oder sich die Meinung anderer Spieler einzuholen. Aber der wichtigste Punkt ist, dass man selbst mit seinen Miniaturen glücklich ist. Wenn einem also keine der Informationen aus dem Laden oder von Spielern weiterhelfen, empfiehlt es sich, die Fraktion zu wählen, die einem zumindest optisch am ehesten anspricht. Viele Systeme bieten zu ihren jeweiligen Fraktionen Starterboxen an, mit denen man beginnen kann, sein Heer aufzubauen. Schlussendlich sollte ein kleines Werkzeugsortiment vorhanden sein, um die Figuren zusammenbauen zu können.

Ein Cutter und ein Skalpell sind nötig, um Modelle zu säubern und Gussgrate zu entfernen. Hier gilt es zu beachten, dass, je schärfer das genutzte Werkzeug ist, umso sicherer die Arbeit damit ist. Je schärfer eine Klinge ist, umso weniger Kraftaufwand ist nötig, um mit ihr zu arbeiten, so hat man eine sicherere Kontrolle über das Messer. Dazu kommt noch der richtige Kleber für die Modelle. Plastik- oder Sekundenkleber eignen sich gut für die meisten Modelle, wobei man bei Zinnfiguren auf einen speziellen Zinnkleber zurückgreifen sollte. Eine Erleichterung der Arbeit bietet auch eine Schneidezange, um Modellteile aus dem Gussrahmen zu entfernen, und Sandpapier, um Gussreste abzuschmirgeln. Damit hat man alles, was man braucht, um seine Figuren zumindest spielfertig zusammenzubauen und seine erste kleine Schlachttruppe in den Kampf zu führen. Diesen Weg in ein neues Hobby werde ich in dieser Artikel-Serie dokumentieren.

Auf diese Weise will ich die Einstiegshürde für potenzielle Neulinge etwas senken, Tabletop-Veteranen an ihre Anfänge erinnern oder schlicht unterhalten. Ich werde mit dem Spielsystem Warmachine beginnen, einem System, das mit vergleichsweise wenigen Figuren gespielt werden kann und als sehr ausgeglichen innerhalb seiner zahlreichen Fraktionen gilt, was faire Spiele unterstützt. Die geringere Anzahl der zum Spielen benötigen Figuren erleichtert nicht nur das Erlernen der strategischen Übersicht über seine Schlachtgruppe, sondern lässt auch die Einstiegskosten sinken. Zudem hat Privateer Press das neue Regelwerk MK3 veröffentlicht, was einen guten Zeitpunkt darstellt, in das System einzutauchen. Schlussendlich handelt es sich bei Warmachine um ein weit verbreitetes System, was auch die Mitspielersuche vereinfacht.

Meine erste Battlebox der Cryx-Fraktion ist bereits vorbestellt, und sobald sie mich erreicht, werde ich vorstellen, was diese für einen Neuling bereithält.

Fotografie: Roger Lewin
Gezeigte Miniaturen: Privateer Press

Über den Redakteur

YanickBild_tnYanick Pips ist Mitte 20 und seit Anbeginn seiner Zeitrechnung von Phantastik begeistert. Er spielt seit Jahren Dungeons & Dragons, hat eine viel zu große Videospiele-Sammlung und stürzt sich kopfüber ins LARP und auf Tabletop. Das ist auch der Bereich, in dem er als Redakteur die Teilzeithelden unterstützt.

 

 

 

 

 

 

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