Geschätzte Lesezeit: 11 Minuten

ds9Als NBC am 8. September 1966 die erste Folge der Science-Fiction-Serie Star Trek ausstrahlte, ahnte wohl noch niemand, dass 50 Jahre später jenes Franchise, neben dem jüngeren Star Wars, das weltweit bedeutendste im Science-Fiction-Bereich sein und noch immer von Millionen geliebt werden würde. Vier weitere Serien folgten, so dass Star Trek heute auf 703 Fernsehfolgen zurückblicken kann. Hinzu kommt eine zweistellige Anzahl Kinofilme, sowie hunderte Comics und Romane.

Dabei sah es anfangs gar nicht so gut aus. Der erste Pilotfilm von 1964 wurde vom Sender abgelehnt und später aus Kostengründen in einer anderen Episode wiederverwertet. Bereits zum Ende der ersten Staffel drohte die Absetzung aufgrund schlechter Quoten – ein Schicksal, das zwar durch Proteste engagierter und namhafter Fans verhindert werden konnte, die Serie aber letztlich nach der dritten Staffel doch noch traf. Die Reise hätte hier bereits endgültig ihr Ende gefunden haben können, wie es vielen Fernsehserien damals wie heute ergeht. Doch es kam anders, zum Glück, wie man heute sagen muss, und auch zu Recht, denn Star Trek punktet am stärksten dort, wo andere versagen, und überzeugt sowohl Nerds als auch den Massenmarkt mit einer harmonischen, vielleicht einzigartigen Symbiose aus Charakteren, Story, Welt, Technik und Vision.

Charaktere

Als ikonischste Figur steht noch heute Mr. Spock wie kaum ein anderer für Star Trek. Die Assoziation ging sogar so weit, dass Darsteller Leonard Nimoy ein Buch mit dem Titel „Ich bin nicht Spock“ verfasste, gefolgt von „Ich bin Spock“. Dabei war gerade Spock umstritten und hätte es fast nicht auf den Bildschirm geschafft. Seine spitzen Ohren und Augenbrauen könnten Zuschauer an den Teufel denken lassen, so die Befürchtung. Und überhaupt, wieso sollte ein Außerirdischer mit den Menschen auf deren Raumschiff zusammenarbeiten? Denn zur damaligen Zeit sah man Außerirdische noch grundsätzlich als die Aggressoren, gegen die sich die arme Menschheit wehren musste. Star Trek brach hier, wie auch an anderen Stellen, mit den Konventionen, und glücklicherweise konnte Schöpfer Gene Roddenberry sich hier durchsetzen.

Viel markanter waren aber Spocks Wesenszüge. Als (Halb-)Vulkanier war er der Logik verschrieben und ließ diese sein Handeln leiten, weswegen er nicht nur kühl, rational und intelligent wirkte, sondern zuweilen auch arrogant oder überheblich. Doch gerade diese Eigenheiten ließen ihn auch zur Ikone unzähliger Nerds werden – der Nerds, die selbst rational und belesen waren, dafür aber eher unsportlich und abseits der Beliebtheit. Spock verkörperte wesentliche Züge von ihnen, wurde geliebt und begeisterte Zuschauer für Logik und Wissenschaft. Hinzu kamen Charakterhintergrund, ein menschlicher Anteil, Gefühle. Spock war wie jeder weitere Charakter, trotz seiner vordergründigen Rolle, mehr als das: eine Figur mit Stärken und Schwächen, mit Wiedererkennungswert und alles andere als eindimensional.

Generell zeichnen sich die Figuren der Star Trek-Welt auch durch ihre Nachvollziehbarkeit aus. Auch die Feinde erhalten früher oder später Hintergrund und Tiefe, so dass sie aus ihrer jeweiligen Perspektive verständlich handeln. Dasselbe gilt für wiederkehrende Nebencharaktere, deren Auftauchen zuweilen zu den Höhepunkten einer Staffel zählen: einzigartige Figuren, ohne Perfektion, mit Eigenarten, aber gerade dadurch nahbar.

Typisch für Star Trek ist dabei auch stets das Herausstellen der Eigenheiten eines Charakters, ohne diese jedoch zu nutzen, um Charaktere an den Rand zu stellen. Stattdessen integriert Star Trek jede noch so exotische Figur eines Schiffes gleichberechtigt in die Crew. Als Beispiele seien der Androide Data und der Kommunikationsoffizier Uhura genannt. Bei ersterem wird auch explizit in einer Folge die Frage behandelt, ob dieser als Objekt oder als Lebewesen anzusehen ist. Uhura dagegen war in den 60er-Jahren eine umstrittene Figur: eine schwarze Frau – im Amerika der damaligen Zeit durchaus prekär. Befördert wurde diese Problematik noch durch eine Kuss-Szene (der ersten jemals im US-Fernsehen gezeigten zwischen weißen und farbigen Menschen), die in einigen Bundesstaaten nicht ausgestrahlt wurde. Bis auf einzelne Ausnahmen, wie jene Folge über die Frage, wie Leben definiert wird, stehen Charaktermerkmale jedoch nicht im Vordergrund. Der wahre Star der Serien ist auch zugleich das, was die Charaktere lebendiger macht: die Story.

Story

Eine der Paradedisziplinen, die insbesondere die drei mittleren Serien der 90er-Jahre hervorragend umsetzen, ist das Erzählen von Geschichten. Zu einer Zeit, als fast jede Folge noch für sich stand, und man nur rund 45 Minuten Zeit hatte, gelang es den Star Trek-Serien trotz dieser knappen Zeitgrenze packende, emotionale, intelligente oder nachdenkliche Geschichten zu erzählen.

enterprise-nx-01Dabei muss es nicht um actionreiche Schlachten, epische Schicksale oder das große Ganze gehen. Zwar gibt es auch solche Folgen, doch ebenso gut können kleine, unscheinbare, emotionale Geschichten erzählt werden. Wer Star Trek nicht schaut, weil er mit typischer Science-Fiction voller Raumschiffe, Laser, Action und „Technik-BlaBla“ nichts anfangen kann, verpasst etwas. Und zwar eben nicht das Genannte, sondern Storys, die sich um Charaktere drehen. Die berührend sein können. Die Figuren entwickeln. Die eine Geschichte erzählen, die trotz kurzer Zeit mehr Inhalt und Handlung als viele Kinofilme enthält.

Eine meiner Lieblingsfolgen wäre da zum Beispiel „Das Zeitportal“ der sechsten Staffel Deep Space Nine. Ein kleines Mädchen, die Tochter des Chefingenieurs, fällt durch ein Zeitportal. Es gelingt, sie mittels Beamer wieder in ihre Zeit zu holen – aber man hat nicht so ganz den richtigen Zeitpunkt getroffen. Für sie sind zehn Jahre vergangen, in denen sie alleine in der Wildnis gelebt hat. Die Episode fokussiert sich fast ausschließlich auf die Familie und deren Bemühungen, wieder eine Beziehung zu ihrer Tochter aufzubauen und diese in die zivilisierte Gesellschaft zu integrieren, was nach zwischenzeitlichen, kleinen Erfolgen letztlich doch scheitert. In einer einzelnen Episode wird abseits von typischer Science-Fiction eine emotionale Geschichte gezeigt, die berührt und den Charakteren Tiefe verleiht. Das ist für mich etwas, das Star Trek von anderen Serien trennt: der Fokus auf Geschichten, und die Ruhe, sich für diese Zeit zu nehmen, statt ein bombastisches Ereignis nach dem anderen durch den Weltall zu hetzen.

gen_start_110396_publicitypictures_rentalretail_p_40175Auf der anderen Seite gibt es aber natürlich auch die großen, epischen Ereignisse – nur eben wohl dosiert, was jenen Storys dafür umso mehr Bedeutung verleiht. Große Ereignisse müssen nicht schon wenige Folgen später überboten werden, und sie kommen nicht aus dem Nichts, sondern sind gerne von langer Hand vorbereitet und laufen auf ein großartiges Finale zu. So wird die epische Schlacht gegen die Borg erst 35 Folgen (rund 1,5 Staffeln) nach deren ersten Auftauchen in Das nächste Jahrhundert stattfinden, und noch Jahre später wird Bezug genommen auf das große Ereignis, wie beispielsweise im Kinofilm Der erste Kontakt. Doch auch hier finden nicht einfach Materialschlachten statt, sondern finden sich Charakterentwicklung und Persönlichkeit – und viele große Ereignisse werden nicht einmal direkt gezeigt, sondern tauchen eher am Rande auf. In einem so großen Universum wäre es schließlich auch absurd, dass ein einzelnes Raumschiff an allem beteiligt ist.

Welt

gen_start_ep165Die Welt existiert nicht einfach nur auf dem Raumschiff oder der Raumstation der jeweiligen Serie. Stattdessen hat Star Trek eine lebendige Welt erschaffen, die viel größer als das ist, was konkret gezeigt wird, und die sich im Laufe der Zeit verändert. Ereignisse haben Konsequenzen, auch wenn die Hauptdarsteller nicht unbedingt selbst direkt davon betroffen sind. Beispielhaft hierfür ist der Krieg mit den Cardassianern. Dieser findet Erwähnung, Figuren haben zuweilen teilgenommen, und nach einem umstrittenen Friedensvertrag gründet sich eine Widerstandsgruppe, die weiter gegen die Cardassianer kämpft. Dies geschieht während der zweiten Serie, Das nächste Jahrhundert, aber gezeigt wird der Krieg nicht. Das Schiff hat nicht teilgenommen. Die Auswirkungen und Bezüge sind aber dennoch fortan anwesend. So spielt die dritte Serie, Deep Space Nine, auf einer Raumstation, die ursprünglich den Cardassianern gehörte, und häufig wird der unterschwellige Konflikt thematisiert, wie auch die Aktionen der Untergrundkämpfer. Diese wiederum sind der Anlass, wieso die Voyager in der gleichnamigen vierten Serie überhaupt in jene Situation kommt, welche sie ans andere Ende der Galaxie schleudert, zusammen mit den Widerstandskämpfern, die sie verfolgt hat. Doch das ursprüngliche Ereignis, der große Krieg, wird schlicht und einfach nicht gezeigt.

Dem Zuschauer wird so hervorragend vermittelt, dass die Geschichten in einer großen Welt spielen, die viel weitreichender ist, als die Ereignisse um eine einzelne Crew vermuten lassen. Auch wiederkehrende Figuren, Bezüge auf frühere Geschehnisse und Randdetails unterstützen diesen Eindruck. Das Gefühl, dass etwas fehlt, entsteht dabei jedoch nicht. Stattdessen nimmt man einfach wahr, dass jede Serie, jede Crew, nicht losgelöst existiert. Und gerade dieser enorme Hintergrundteil zeichnet Star Trek eben auch aus: eine nachvollziehbare Welt, die nicht starr, sondern lebendig ist, und in die man sich vertiefen und in der man sich verlieren kann. Keine andere Science-Fiction-Welt, außer Perry Rhodan, besitzt eine solche Tiefe, weder Star Wars noch Battlestar Galactica oder Babylon 5. Klingonische Wörterbücher, mehrere Rollenspielregelwerke und diverse Technik-Handbücher legen ein Zeugnis davon ab.

Technik

voy_077Gerade die Technik ist häufig ein Problem der Science-Fiction. Man kann zwar quasi alles machen, was man will, schließlich muss man es nicht erklären – ist ja Science-Fiction. Richtig reizvoll wird es hingegen erst dann, wenn zumindest ein Teil halbwegs erklärbar ist oder es theoretische Grundlagen gibt. Dabei darf sich eine Serie jedoch nicht zu sehr fokussieren, will sie den Massenmarkt nicht aus den Augen verlieren, und auch hier schafft Star Trek den Spagat. Im Zuge des Erfolgs begann man, die gezeigte Technik mit dem Kenntnisstand der Physik in Einklang zu beginnen und beschäftigte zu diesem Zweck sogar Wissenschaftler.

So ist beispielsweise der Warp-Antrieb technisch denkbar durch die Krümmung des Raums. Das Problem ist heute jedoch noch, dass unser Raumschiff ebenfalls gekrümmt würde. Andere Techniken sind dagegen heute schon Realität: Tragbare Computer, mobile Kommunikation oder Spracherkennung sind heute allgegenwärtig. In den 60er-Jahren waren sie jedoch noch Science-Fiction. Hier war Star Trek visionär.

Vision

sto-enterpriseDie eigentliche Vision ist jedoch eine andere. Abseits von Technik. Die wahre Philosophie und Vision ist die einer anderen, besseren Welt. Im Gegensatz zu anderen Science-Fiction-Serien geht es primär nicht um Krieg und Konflikt, sondern um Forschung, Entdeckung und Entwicklung. Nach Konflikten und einem Atomkrieg überwindet die Menschheit all jene Probleme, die unseren Planeten heutzutage quälen. Akzeptanz und Toleranz sind ebenso Teil der Welt, wie Geld keines mehr ist. Persönliche Entwicklung und das Beitragen zur Gesellschaft sind die Säulen dieser Welt. Hunger, Armut und Kriege sind überwunden. So ist die fiktive Historie ebenso politisch, wie es schon in den 60er-Jahren Figuren wie Spock oder Uhura waren. Und auch in den Episoden und Filmen wird immer wieder Politik und Gesellschaftskritik thematisiert, sei es beim Regime der Cardassianer gegenüber den unterlegenen Bajoranern, der Reise in die Zeit des kalten Krieges oder einer Alien-Rasse, die wie eine Parodie oder Überzeichnung einer kapitalistischen Gesellschaft wirkt.

Am anschaulichsten wird es jedoch auch wieder, wenn man ein kleines Beispiel nennt. Die Rolle des Captain Picard wird bekanntermaßen von Patrick Stewart gespielt, der schon damals in den 80er-Jahren nicht viele Haar auf dem Kopf trug. So meinte der Sender, jemand mit Glatze sei ungeeignet, da in dieser technologisch so fortgeschrittenen Welt doch niemand mehr eine Glatze haben müsse. Dies bestätigte Gene Roddenberry, aber viel wichtiger sei: In dieser Welt wäre es unbedeutend, ob jemand eine Glatze hat oder nicht.

Schlussgedanken

Ich erinnere mich daran, wie ich in den 80er-Jahren begeistert die Classic-Serie geschaut habe, und wie aufgeregt wir waren, als eine neue, moderne Serie angekündigt wurde. Als diese dann endlich lief, war es unglaublich. Als ich vor einigen Jahren die Serien noch einmal und chronologisch schaute, war es sogar noch besser. Diese Welt! Diese moralischen Fragen! Diese Denkanstöße! Diese Entwicklungen! Diese Emotionen! Und je mehr ich mich damit beschäftigt habe, umso mehr habe ich es geliebt. Trotz Logiklücken, Fehlern und Absurditäten habe ich hier die für mich bisher beste phantastische Welt gefunden, die lediglich dadurch getrübt wird, dass sie etwas aus der Mode gekommen ist. Die letzten drei Kinofilme sind mir da kein Trost, sondern vielmehr ein Ärgernis, wird hier doch eher Actionkino gezeigt, und all das, was Star Trek für mich ausmacht, ausgeblendet.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

PGlmcmFtZSBsb2FkaW5nPSJsYXp5IiBjbGFzcz0ieW91dHViZS1wbGF5ZXIiIHdpZHRoPSI2OTYiIGhlaWdodD0iMzkyIiBzcmM9Imh0dHBzOi8vd3d3LnlvdXR1YmUtbm9jb29raWUuY29tL2VtYmVkLzUtTzB6UGlXN1hBP3ZlcnNpb249MyYjMDM4O3JlbD0xJiMwMzg7c2hvd3NlYXJjaD0wJiMwMzg7c2hvd2luZm89MSYjMDM4O2l2X2xvYWRfcG9saWN5PTEmIzAzODtmcz0xJiMwMzg7aGw9ZGUtREUmIzAzODthdXRvaGlkZT0yJiMwMzg7d21vZGU9dHJhbnNwYXJlbnQiIGFsbG93ZnVsbHNjcmVlbj0idHJ1ZSIgc3R5bGU9ImJvcmRlcjowOyIgc2FuZGJveD0iYWxsb3ctc2NyaXB0cyBhbGxvdy1zYW1lLW9yaWdpbiBhbGxvdy1wb3B1cHMgYWxsb3ctcHJlc2VudGF0aW9uIGFsbG93LXBvcHVwcy10by1lc2NhcGUtc2FuZGJveCI+PC9pZnJhbWU+

Im Januar nächsten Jahres wird es dann endlich eine neue Serie geben, Discovery. Angesiedelt ist sie vor der Classic-Serie, was leider zunächst die Fortentwicklung der Geschichte verhindert. Aber irgendwann vielleicht …? Ich möchte wissen, was nach den letzten Ereignissen passiert. Trotz sehr guter Romane will ich wieder eine Serie, die mir eine bessere Zukunft zeigt, mir erzählt was noch geschieht im Star Trek-Universum und sich auch wieder die Zeit nimmt, Geschichten zu erzählen, Charaktere über Episoden und Jahre hinweg zu zeichnen und das einzigartige Gefühl schafft, das Star Trek auszeichnet. Auf dass dieser Dürre erneut eine erfolgreiche Ära folgt, die Marke noch weitere 50 Jahre – mindestens – fortlebt und uns weiter dorthin mitnimmt, wo noch nie zuvor ein Mensch gewesen ist.

Artikelbilder: Paramount Pictures

 

1 Kommentar

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein