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32 Jahre gibt es schon Das Schwarze Auge und genau so lange gibt es die Regionen Andergast und Nostria, die dieser Tage mit Die Streitenden Königreiche erstmals eine eigene Regionalspielhilfe nur für sich bekommen haben. Grund genug, sich einmal anzuschauen, wie diese raufenden Reiche im Laufe der letzten Jahrzehnte dargestellt wurden. Am Anfang steht eine kleine Überraschung, denn so richtig zerstritten waren die beiden zunächst nicht. Und auch keine richtigen Reiche. Aber lest selbst…

1 – Es war waldig (1984)

Unsere Geschichte beginnt im Jahr 1984, als Das Schwarze Auge gerade frisch auf dem Markt war und die Massen nach vorgefertigten Abenteuern gierten, um direkt mit ihren jungen Helden loszulegen. Der Wald ohne Wiederkehr war eines von acht Kaufabenteuern, die im ersten Jahr erschienen und führte die Helden nach Nostria an der aventurischen Westküste. Dort beauftragte König Kasimir sie, ein altes Familiendokument aus den Händen seines Bruders Wendolyn zu bergen, der im Auftrag des Königs über Andergast herrschte, das damals nur eine Burg mitten im Wald war.

Wer dieser Tage durch die neue Spielhilfe Die Streitenden Königreiche blättert, dem werden hier einige Ungereimtheiten auffallen: Andergast ist kein eigenständiges Reich, sondern nur eine Burg, die zudem auch noch abgebrannt ist, wie sich bei Ankunft der Helden herausstellt. Auch von einem uralten Zwist zwischen zwei Reichen ist nicht die Rede.

Diese Vorgaben gab es damals schlicht noch nicht. Altmeister Werner Fuchs schrieb einfach ein interessantes Abenteuer rund um einen der wenigen Orte, die auf der ersten Aventurienkarte bereits einen Namen trugen. Denn wo man heute über zu wenige weiße Flecken meckert, gab es damals nur wenige bunte Flecken, kleine Inseln inmitten unbeschriebener Landschaften.

Doch während die Helden in den Trümmern von Andergast den Schwarzmagier Murgol besiegten und sich ihre wohlverdienten Abenteuerpunkte gutschrieben, arbeiteten die Autoren im Hintergrund fleißig weiter an der Beschreibung Aventuriens. So kam es, dass 1985, als sich gerade die Asche in den Ruinen von Andergast gelegt hatte, die Burg als stolze Stadt und mächtiges Königreich wiederauferstand. Und rückwirkend begann ein uralter Streit zwischen zwei Nachbarn.

2 – Es war ruhig (1985 – 1988)

Das Schwarze Auge hatte sich phänomenal verkauft und die Scharen neuer Spieler erwarteten mehr: mehr Regeln, mehr Heldentypen, mehr Zauber, mehr Gold, mehr Informationen zu Aventurien, dem Kontinent, auf dem sie ihre Helden zum Leben erweckten. So erschien 1985 bereits das Abenteuer-Ausbau-Spiel, welches das Basis-Spiel aus dem Vorjahr ergänzte. Unter anderem lag auch ein Heft dabei, das sich auf über 60 Seiten voll und ganz Aventurien und seinen Bewohnern widmete.

Hier wurden Nostria und Andergast als ewig verfeindete Reiche beschrieben. Den Grund kannte niemand mehr, wodurch der Konflikt durchaus als nüchterne Kriegskritik funktioniert hätte. Doch anstatt diese Atmosphäre mit traumatisierten Veteranen, sinnlosen Gefechten und Opfern, sowie verblendeten Kriegsherren zu füttern, machten skurrile Hofschranzen, dümmlich boshafte Bauern und ein aus heutiger Sicht viel zu großes Augenzwinkern den endlosen Krieg zu einer quälend langen Pöbelei zwischen besoffenen Halbstarken, der zwanghaft ein Quäntchen Humor abgerungen werden sollte.

In offiziellen Abenteuern wurde dies ohnehin nicht aufgegriffen. Andergast und Nostria blieben einige Jahre weiterhin größtenteils unbeschriebene Flecken, in die sich selten ein gestandener Held verirrte. Und wenn doch, so war es meist nur eine seltsame Anekdote am Rand seiner Reise.

3 – Es war albern (1989 – 1992)

Nachdem die Abenteuerautoren um die Region einige Jahre einen Bogen gemacht hatten, gab es auf einmal wieder Lebenszeichen aus Nostria und Andergast. Während das Mittelreich langsam erwachsen wurde, eine Verschwörung am Kaiserhof und mehr als 1000 Oger zu verkraften hatte, waren die zerstrittenen Nachbarn irgendwie nicht so richtig weitergekommen. Selbst ein weiterer Krieg, der in der Zwischenzeit ausgefochten worden war, hatte nicht dagegen geholfen, als zänkische Kindsköpfe dargestellt zu werden. Ganz im Gegenteil wurde der ewige Krieg ohne stichfesten Grund damals als bitterkomische Randnotiz an der Peripherie des Metaplots gezeichnet.

Die Bewohner waren irgendwie verschroben, größtenteils stockdumm, überzeichnet aggressiv und dadurch leider nur halbwegs lustig. Dies zeigte sich bereits im Solo-Abenteuer Liebliche Prinzessin Yasmina, einem unerträglich lang gestreckten Fantasy-Gag, dessen Pointe darin besteht, dass die gerettete Prinzessin dick und pickelig ist.

Gehaltvoller war da schon Das Große Donnersturmrennen von Hadmar von Wieser, der es sich aber nicht verkneifen konnte, die Nostrier und Andergaster als kauzige und misstrauische Provinzler darzustellen, deren Kriegstreiberei immer für einen flachen Witz gut war.

4 – Es war witzig (1993 – 2000)

Die losen Fäden des etwas verqueren Humors, mit dem die Nostrier und Andergaster dargestellt wurden, griff schließlich Karl-Heinz Witzko auf, der dem Setting die wahrscheinlich erste sympathische Figur bescherte: Prinz Ingvalion Kasparbald Kasmyrins Abenteuer, die ihn sogar bis ins ferne Maraskan führten, waren herrlich schräge Geschichten. Nostria war zwar immer noch voll von völlig überzeichneten Adligen und Generälen, erinnerte dabei an eine Karikatur des alten Preußens, bewahrte sich dabei aber durchaus einen gewissen Charme.

Abenteuer fanden dort zwar immer noch keine statt, aber immerhin gab es ein paar ordentliche Romane, die den Hintergrund vertieften und die Region interessant machten. Kasparbald brachte dem Leser bei, dass man den endlosen Krieg nur mit einem Augenzwinkern überstehen konnte und die zugekniffenen Bombasten am nostrischen Königshof nicht zu ernst nehmen durfte. Trotzdem suchte er sein Glück in der Flucht aus seiner starren Heimat und erlebte seine Abenteuer außer Landes. So verhielt es sich auch mit den Abenteuern, die in Nostria und Andergast spielten: Es gab keine. Zwar erhielt die Region immer mal wieder etwas schärfere Konturen, aber ein Ort für ruhmreiche Abenteuer schien sie nicht zu sein. Immerhin konnten die Helden in einem kleinen Szenario aus dem Aventurischen Boten einen Thronräuber in Andergast enttarnen, woraufhin ein angeheirateter liberaler Horasier zum König wurde. Ansonsten blieben die Reiche von größeren Änderungen verschont. Dies sollte sich erst nach den Neunzigern ändern.

4 – Es war ernst (2001 – 2005)

Mit dem neuen Jahrtausend kam für DSA auch eine neue Regeledition. Und Andergast kam zu der Ehre, dass dort das erste reguläre Kaufabenteuer nach neuen Regeln stattfand. Im Bann des Eichenkönigs war bewusst für Einsteiger konzipiert, welche die neue Basis-Box so langsam ausgereizt hatten. Auch für DSA-Veteranen gab es genug zu tun, denn das Abenteuer bot viel Abwechslung, um die neuen Regeln einmal grundlegend zu testen. Den Rahmen bot eine klassische Erzählung, die in der Stadt Andergast begann und dann tief in die weiten Wälder Thuraniens führte, wo einem Freiherrn in Not beigestanden werden musste. Um das Stadtleben und die Reise ansprechend zu gestalten, beinhaltete das Abenteuer eine solide Beschreibung des Königreiches, grobe Regeln zum Kräuter sammeln und eine brauchbare Wetter-Tabelle, die ich auch heute noch gerne verwende. Kein Wunder also, dass das Abenteuer vielen Spielern in guter Erinnerung geblieben ist und weiterhin als eines der am besten gelungenen Einsteigerabenteuer gilt.

Zu dieser Zeit wurden auch die Rufe nach einem „graueren“ Aventurien lauter. Ein Aventurien, in dem am Ende kein Held in strahlender Rüstung erscheint und alle rettet. Ein Andergast, in dem der liberale König mit dem hinterwäldlerischen Adel aneinandergerät und seine beiden Söhne früh an Boron verliert. Ein Nostria, in dem die Blaue Keuche hunderte Bewohner der Hauptstadt und auch die gesamte Königsfamilie dahinrafft.

Nostria mischte sich zudem in den Konflikt zwischen Horasiern und Thorwalern ein, Gefechte mit dem Nachbarn in Osten flammten wieder auf und der kauzige Humor verschwand auf wundersame Art und Weise aus dem Königreich am Meer der Sieben Winde. So gestaltete sich auch die erste Regionalbeschreibung, die Andergast und Nostria spendiert bekamen: Unter dem Westwind mussten sie sich mit den Thorwalern und Gjalskerländern teilen, aber immerhin bleiben ein paar Seiten für die Streitenden Königreiche über. Sie wurden dort als bitterarme Länder dargestellt, dünn besiedelt und mit einer uralten und geheimnisvollen Wildnis abseits der wenigen Städte. Autoritäre Adlige, die ausgehungerte aber stolze Bauern in den nicht enden wollenden Krieg führten, ersetzten die grotesk überzeichneten Bombasten, Freiherrn und Woiwoden der früheren Jahre.

5 – Es war einsteigerfreundlich (2006 – 2012)

Im Jahre 2006 erschien eine überarbeitete Version des DSA-Basisregelwerks, das sich vor allem an Einsteiger richten sollte. Dementsprechend fand sich darin die kurze Beschreibung einer besonders einsteigerfreundlichen Region: Die Streitenden Königreiche Nostria und Andergast. Im Wesentlichen wurde die Beschreibung aus Unter dem Westwind übernommen, aber der Aspekt, dass die beiden Länder sich besonders gut für neue Spieler eignen würden, wurde ausdrücklich hervorgehoben. Hier konnten Junghelden sich austoben, bevor es in die weite Welt ging. Wenn hier ominöse Schwarzmagier, wilde Goblins oder randalierende Raubritter für Unruhe sorgten und Helden diese bösen Buben vertrieben, hatte das auf den aventurischen Metaplot, der vornehmlich im fernen Gareth verwaltet wird, keine Auswirkungen. So fand auch eines der besten DSA-Computerspiele der letzten Jahre in Andergast statt. Satinavs Ketten präsentierte das Land einer breiten Masse als gemütliches Königreich, das aber voll von verborgener Magie war. Der Held war kein ausgefeilt gebastelter Krieger, sondern ein einfacher Vogelfänger mit leicht magischer Begabung. Durchaus charmant also und bis zum letzten Frame spannend.

Die Autoren begleiteten die Region auch mit ebenso gemütlichen Einsteiger-Abenteuern wie Der Fluch von Dragenstein, in denen lokale Ereignisse spannend inszeniert wurden. So hätte es wohl ewig weiter gehen können, aber das Schicksal (also die DSA-Redaktion) hatte Größeres mit den Streitenden Königreichen vor.

6 – Es war dramatisch (2013 – 2015)

Irgendwann entschied man sich dazu, wieder ein bisschen mehr Pfeffer in die Streitenden Königreiche zu streuen. Nachdem der Bann der Einsteigerregion mehrere Jahre jegliche Entwicklung im Metaplot fernhielt, kam wieder Bewegung in das Machtgefüge des Landes.

In Andergast wurden die kommenden Ereignisse erst einmal nur nebulös, aber dafür bis zum Abwinken angedeutet. Wer möchte, kann die ganze Geschichte im noch recht frischen Roman Mehrer der Macht nachlesen. Im Aventurischen Boten kam sie jedenfalls etwas sehr trocken und lückenhaft herüber.

In Nostria probten ein paar Niederadlige den Aufstand und das Königreich stand kurz am Rande eines ausgewachsenen Bürgerkriegs. Alles, was Nostria in den vergangenen fünfzehn Jahren an Metaplot aufgestaut hatte (Thorwal besetzt Kendrar, Graf Albio von Salza will mehr Unabhängigkeit, die Königin ist sich nicht sicher ob es sicher ist usw.) wurde hochgespült und im Aventurischen Boten mit dramatischen Artikeln begleitet, in denen Nostria stets nur einen Schritt vom Untergang entfernt schien. Doch nun, nun ist alles wieder ruhig. Fürs erste zumindest.

7 – Es ist immer noch da (2016 – ? ? ? )

Die Streitenden Königreiche durften schließlich die erste Regionalspielhilfe zur fünften Regeledition von DSA stellen. Nach all dem Drama gibt es wieder einen festen Status Quo, vor dessen Hintergrund die Spieler nun sogar spannende Abenteuer erleben können: Es gibt Intrigen hinter den Kulissen, uralte Geheimnisse und natürlich immer noch die traditionelle Feindschaft, die inzwischen sogar einen mythologischen Überbau spendiert bekommen hat.

Nostria und Andergast erfüllen heutzutage für DSA also gleich mehrere Rollen. Sie sind die ewige Einsteigerregion, die vermutlich von Portalen in die Niederhöllen und städtezerstörenden Erdbeben verschont bleiben wird. Sie sind ein Relikt aus der Anfangszeit von DSA, in dem bisweilen noch irrsinniger Charme und verschrobener Humor aufblitzt. Sie sind inzwischen auch vielseitiger geworden und ein kleiner Kosmos für sich. Ein Ort, an dem die Ritter ihre erbarmenswerten Bauern wahrscheinlich auch dann noch in die Schlacht gegen Goblins, Orks, Räuber oder die verhassten Nachbarn führen werden, wenn die Horasier die erste Dampflok von Kuslik nach Vinsalt fahren lassen und der letzte Kaiser in Gareth zurücktritt, um freie Wahlen zu ermöglichen.

Komm in die Streitenden Königreiche, denn hier sind Eichelbier und Salzarele billig, die Sagen um den verschollenen Prinzen Kasparbald wunderbar blumig und tapfere Helden am Ende des Tages die wohlverdienten Gewinner.

Artikelbilder: Ulisses Spiele
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

 

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