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Über 11.000 Unterstützer und mehr als 1.3 Millionen USD: Das macht 7th Sea: Second Edition zum bestfinanzierten Crowdfunding-Projekt im Tischrollenspielbereich. Die an das irdische 17te Jahrhundert angelehnte Welt, die nach Worten der Entwickler auf ein „cineastisches Erzählsystem“ setzt, vollgepackt mit Intrigen, Duellen, Geheimbünden, Monstern und natürlich Piraten, konnte also eine Menge Rollenspieler begeistern. Grund genug, einen Blick zurück auf die erfolgreiche Schwarmfinanzierung zu werfen und zu schauen, wohin das Schiff noch segeln könnte.

Das Schiff im Trockendock: So lief die Finanzierung

Dass das Mantel-und-Degen-Szenario so viel Geld einsammeln konnte, liegt nicht nur an der professionellen Präsentation des Projektes. Die erste Ausgabe der 7ten See, die auch in deutscher Sprache erschien, konnte schon 1999 eine treue Mannschaft für das Markenschiff anheuern. Außerdem ist John Wick, der Erfinder und Macher hinter dem System, in der amerikanischen Szene wahrlich kein Unbekannter. Er hat an zahlreichen Rollenspielbänden mitgewirkt und das ebenfalls von ihm erdachte Legend of the Five Rings ist auch im deutschen Raum wohlbekannt. Außerdem hat er sechs weitere erfolgreiche, wenn auch kleinere Systeme via Kickstarter finanziert.

Die Pirate-Editon
Die Pirate-Editon

Die Basis für den großen Erfolg war also gegeben, doch dass das Fundingziel von 30.000 USD, mit dem nur das Grundregelwerk finanziert werden sollte, innerhalb von sieben Minuten erreicht wurde, ist dennoch ziemlich außergewöhnlich. Bei steigender Summe reichten die Entwickler stetig neue Stretchgoals verschiedenen Inhalts nach. Von Spielkartendecks, einem Spielleiterschirm und Seemannsliedern zur Untermalung des Settings bis zu Romanen und einem zukünftigen Brettspiel; stets hing die nächste Karotte vor der Nase der eifrigen Community.

Hierbei dürften vor allem die elf weiteren Quellenbücher, die die Spielwelt mit neuen Kontinenten deutlich über den Rahmen der ersten Edition hinaus erweitern, großen Reiz versprüht haben. Und das, obwohl für die meisten erreichten Ziele extra gezahlt werden sollte oder diese nicht, wie zum Beispiel das Brettspiel, in den Rahmen der Kampagne integriert waren. Die Summen, die für die Backer-Tiers verlangt wurden, waren im Verhältnis zu anderen Schwarmfinanzierungen im Tischrollenspielbereich fast schon zu hoch.

7th Sea - die zweite Edition
7th Sea – die zweite Edition

Um eine physische Ausgabe des fertigen Buches in Händen zu halten, wurden immerhin 60 USD veranschlagt, wobei die freigeschalteten Stretchgoal-Bücher nur als PDF enthalten waren. Um alle zwölf Bücher in der Standardausgabe zu bekommen, wurden sogar 500 USD fällig, den Versand jeweils nicht mit eingerechnet.

Große Verbreitung wurde durch ein geschicktes Achievement-System erreicht, das die Backer für fleißiges Teilen in den Social-Media-Kanälen mit einer kleineren Version von Stretchgoals belohnte. Doch genug des Rückblicks auf die erfolgreiche Finanzierung: Wurden die großen Versprechungen bisher eingehalten?

 

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Das Schiff läuft aus: Was wurde bisher geleistet?

JohnWickPresents hat alle für die Unterstützer wichtigen Aspekte regelmäßig per Email kommuniziert. Die 39 Bücher der ersten Edition als PDF, die in den Backer-Tiers ab 40 USD enthalten waren, wurden innerhalb eines Monats geliefert. Das Grundregelwerk ist früh als Preview-Version zugänglich gemacht worden und das Buch wurde schon Anfang August verschifft, womit das ursprüngliche Erscheinungsdatum um circa zwei Monate geschlagen wurde. Den Produktionskalender kann jeder einsehen und somit sind Verschiebungen oder Veränderungen stets transparent. Das letzte, nicht geknackte Etappenziel, die sogenannte Explorer Society, eine Plattform, auf der selbstgeschriebene Abenteuer für das System veröffentlicht werden können, ist mit den zusätzlichen Einnahmen durch Verkäufe nach der Kampagne nachträglich noch erreicht worden.

Als Unterstützer lässt sich jedenfalls nicht über mangelnde Transparenz oder verzögerte Termine klagen. Ganz im Gegenteil: Die bisherige Kommunikation ist für ein Crowdfunding-Projekt absolut vorbildlich und die vorfristgerechte Lieferung wirklich eine schöne Sache. Das ist ein guter Anfang, der für die Zukunft des Systems hoffen lässt. Aber es ist bisher auch nur ein Bruchteil der versprochenen Produkte geliefert worden und so vielversprechend dieses Projekt bisher wirkt, bis zur letzten geplanten Veröffentlichung ist es noch über ein Jahr hin. Viel Zeit, in der noch einige Versprechungen gehalten werden müssen.

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Ein Blick an den Horizont: Wohin weht der Wind?

Doch wie sieht es jetzt konkret mit der Marke 7th Sea für die Zukunft aus? Was ist über die offensichtlichen Bücher und kleineren Zugaben hinaus geplant? Da wäre das angekündigte Brettspiel War of the Cross, welches das thematische Pendant zum Dreißigjährigen Krieg auf den Spieltisch bringen soll. Dazu gab es bisher keine offizielle Verlautbarung und auch im Produktionskalender findet sich hierzu nichts. Laut dem Stretchgoal-Text wird es wohl eine eigene Schwarmfinanzierung Ende dieses Jahres geben. Aktuell gibt es auch keine neuen Informationen zu dem cineastischen Trailer, der ebenfalls als Etappenziel in der Kampagne freigeschaltet wurde. Damit sollen Film- oder Serienproduzenten von einer Leinwandversion der Mantel-und-Degen-Welt überzeugt werden. 

Um Brettspiel und Film ist es ruhig – nicht so im Bereich der Videospiele! Momentan läuft das Funding für Voyage of Fortune´s Star – a 7th Sea cRPG. Dieses Projekt kann aber ganz offensichtlich nicht von dem großen Erfolg der Tischrollenspiel-Kampagne profitieren. Steward Wieck, Co-Gründer von White Wolf und maßgeblich an der Entwicklung der World of Darkness beteiligt, wirbt hier als Kopf von Nocturnal Media um die Gunst der Fans. Seltsam genug, dass hier nicht ein Team erfahrener Videospielprogrammierer beauftragt wurde. Der technische Aspekt soll von Fuel.Tech ausgeführt werden, einem Technikentwickler, aber eben keinem wirklichen Videospielstudio. Die schlechte Präsentation tut ihr Übriges: Neben relativ standardisiert wirkenden Aussagen steht Videomaterial aus dem Spiel, das noch in der allerfrühesten Konzeptphase steckt. Nur auf der Welle reiten reicht nicht, man muss auch selbst überzeugen. Obwohl der Kampagne nur noch wenige Tage verbleiben, sind von den gewünschten 200.000 USD nicht die Hälfte gefundet worden. Schade eigentlich, ein storygetriebenes Rollenspiel auf dem Bildschirm zu erleben, kommt selten genug vor, aber bei dieser wenig überzeugenden Aufmachung ist ein Scheitern mehr als verständlich. Es bleibt also nur zu hoffen, dass die anderen Satelliten-Produkte, die nicht vom Kern-Team des Tischrollenspiels entwickelt werden, dieses Schicksal nicht teilen.

Diejenigen unter euch, die lieber auf Deutsch lesen, können sich bald auf eine Übersetzung freuen, die bei Pegasus Spiele erscheinen soll. Anfang November könnt ihr im Ersteindruck erfahren, was wir vom Grundregelwerk halten.

7te See wird bei Pegasus auf Deutsch erscheinen - das Banner zeigt es deutlich
7te See wird bei Pegasus auf Deutsch erscheinen – das Banner zeigt es deutlich

Artikelbilder: John Wick Presents

Über den Autor

nick-randackNick Randack ist bei Tischrollenspielen mit erzählerischem Tiefgang und starker Hintergrundwelt schnell Feuer und Flamme. Das Regelkonstrukt des System sieht er mehr als notwendiges Übel für ein erfolgreiches Zusammenspiel, denn als wirkliche Bereicherung. Bei der Auswahl der Spielwelten ist er prinzipiell offen, wobei zu abstruse und schillernde Realitäten ihn eher schrecken und bodennahe und am besten an echter Mythologie angelehnte Kosmen seinen mentalen Geschmacksorganen munden.

 

 

3 Kommentare

  1. Man darf gespannt sein, wie 7te See 2te Edition auf Deutsch laufen wird. Das Regelwerk selbst ist mittlerweile in Gebrauch und die Stimmen dazu sind „gemischt“. Selbst namhafte Designer wie Rob Donoghue (Fate, Cortex+ Heroic), die 7th Sea viel Wohlwollen entgegen bringen, sind vom Regeldesign nicht vollends überzeugt.
    Insgesamt kann man sagen, dass 7th Sea 2nd im Verhältnis von intersubjektiven Stärken und Schwächen mit der 1.Version vergleichbar ist. Das kann – in einem Markt, auf dem sich Spieldesign in Bezug auf „Design-Qualität“ weiterentwickelt hat – ein Nachteil sein. Versteht mich nicht falsch: John Wick hat großartige Regelideen, Design-Einfälle und ist generell – was kreative Einfälle betrifft genial veranlagt. Das Problem ist allerdings, dass gerade seine großen Systeme selten ein stimmiges Gesamtbild abgeben (im Sinn von „die Einzeldesigns passen gut zueinander“).

    Es wird sich jedenfalls zeigen, ob 7th Sea „nur“ ein Phänomen der Kickstarter-Sphäre bleibt oder darüber hinaus Relevanz erlangen kann.

    • Das wird es mit ziemlicher Sicherheit nicht. John Wick hat die Fans der ersten Edition enttäuscht und viele davon schon verloren. Die Zielgruppe des Remakes ist viel zu klein, als das es nennenswerte Bedeutung bekommen könnte. Wer im Moment ein Produkt macht, dass von der sowieso schon kleinen Gruppe der Rollenspieler nur einen Teil anzusprechen, der ist zum Scheitern verurteilt – naja, zumindest für alles nach der Kickstarter Kampagne, denn das Geld hat er ja nun schon.

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