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Mit über 1.000 Ausstellern, von denen 40% aus Deutschland und die restlichen 60% aus den anderen 50 vertretenen Staaten stammen, ist die Spiel 2016 vermutlich der beste Querschnitt, den man über die Brettspielebranche aktuell bilden kann. Damit kann man die Trends und Entwicklungen dort auch als solide Grundlage nehmen, um die generellen Trends und Strömungen auf dem Markt zu beobachten. Genau das habe ich in diesem Artikel vor. Grundlage für die verwendeten Prozentwerte im weiteren Verlauf des Artikels ist die Liste der Neuerscheinungen bei Boardgamegeek, die es in besser durchsuchbarer und damit analysierbarer Form gibt.

Konsolidierung und Fragmentierung

Asmodee ist ein Verlag, der vielen Spielern bis vor ein paar Jahren überhaupt nicht bekannt war. Aber das hat sich mittlerweile vermutlich geändert, denn ein Verlag nach dem anderen wurde von den Franzosen geschluckt (Days of Wonder, Fantasy Flight Games) oder es wurden interessante Spielerechte eingekauft (zum Beispiel internationale Rechte an Die Siedler von Catan). Auf nordamerikanischem Boden waren die Franzosen damit der größte Brettspieleverleger. Auf Platz zwei steht die kanadische Firma F2Z Entertainment, die aus Filosofia und Z-Man Games hervorgegangen ist und im letzten Jahr mit Plaid Hat Games interessante Titel wie Winter der Toten und Maus und Mystik aufgekauft hatte.

asmodeelogoSeit Juli dieses Jahres war bereits bekannt, dass diese beiden größten Spieler auf dem nordamerikanischen Markt in Übernahmeverhandlungen standen. Asmodee wollte die stärkste Konkurrenz schlucken. Auch wenn es bisher keine weiteren offiziellen Meldungen zu diesen Verhandlungen gibt, so war es doch bezeichnend, dass auf der Spiel die Helfer am Stand von Z-Man Games T-Shirts von Asmodee trugen. Es kann also durchaus davon ausgegangen werden, dass die Verhandlungen sich einem einvernehmlichen Ende zu nähern scheinen.

Damit geht die Konsolidierung auf dem internationalen Brettspielemarkt unvermindert weiter. Wenn die Nummer 1 die Nummer 2 schluckt, entsteht ein Riese, an dem man kaum noch vorbeikommt.

Was diese Entwicklung für Deutschland für Folgen haben wird, ist aktuell noch nicht abzusehen. Aber auch hierzulande baut Asmodee seit einiger Zeit starke Partnerschaften auf. So unter anderem mit dem Heidelberger Spieleverlag, mit dem der Vertrieb zusammengelegt wurde.

Auf der anderen Seite des Marktes, bei den Klein- und Kleinstverlagen, sprechen die vielen Stände in den neuen Hallen 4, 6 und 7 der Spiel 2016 ebenfalls eine deutliche Sprache: Immer mehr Verlage, von denen noch nie zuvor jemand etwas gehört hat, und die mit einem oder zwei Spielen auf der Messe erscheinen, scheinen aus dem Boden zu sprießen. Der deutliche Anstieg der Aussteller von 911 auf 1021, ein Wachstum um satte 12%, bestätigt diesen Eindruck.

Kickstarter

Kickstarter an allen Fronten
Kickstarter an allen Fronten

Aber warum ist das so? Wo kommen all diese kleinen Verlage her? Die Antwort ist eine Firma, die dieses Jahr sogar mit einem eigenen Stand auf der Spiel vertreten war: Kickstarter!

Wenn man sich die Neuheitenliste anschaut, sieht man, dass etwa 3% der angekündigten Spiele noch gar nicht fertig sind und erst noch ein Kickstarter folgt, um die Spiele überhaupt zu finanzieren. Weitere 4% sind ebenfalls nur Previews von Spielen, die später im Jahr oder zu Beginn des nächsten Jahres erscheinen sollen und wo das Interesse auf der Spiel vermutlich als Indikator für die zu bestellenden Stückzahlen dient. Eine erhebliche Menge an Spielen, die es vor ein paar Jahren vermutlich niemals gegeben hätte. Aber dank Kickstarter können nun mehr Entwickler ihre Visionen realisieren, ohne dabei durch die teils rigorosen Filter der Verlage gehen zu müssen.

Auf der einen Seite sicherlich eine gute Entwicklung, da so durchaus kreative Produkte entstehen können, die sonst nie eine Chance gehabt hätten. Auf der anderen Seite sorgt es aber auch dafür, dass eine Unmenge an mittelmäßigen Spielen den Markt überschwemmt und es immer schwerer wird, die wirklich guten zu finden.

Preis- und Qualitätsentwicklung

Ein weiterer Faktor, der mir dieses Jahr auf der Spiel aufgefallen ist, sind die erheblich gestiegenen Preise für Brettspiele. Wo vor ein paar Jahren der Standardpreis für ein Brettspiel im Bereich 30-40 EUR lag, ist die Norm heute eher im Bereich 50 EUR, mit nicht wenigen Produkten, die 80-100 EUR oder sogar mehr kosten.

Natürlich gibt es dafür auch höherwertige Komponenten und in vielen Fällen Miniaturen in den Spielen. Aber so schön diese auch sein mögen, so wünscht man sich doch manches Mal, dass die Spiele etwas günstiger wären und dafür mit normalen Figuren auskommen würden. Die Spiele, die auf einfachere Komponenten setzen, tun das meist deshalb, weil sie so unglaublich viele Komponenten enthalten, dass sie auch mit diesen einfacheren Versionen noch erstaunlich hochpreisig sind.

Digitalisierung

Spiele, die Brettspiel und App verbinden, werden immer wieder versucht. Einen wirklich großen Erfolg konnte aber bisher keiner dieser Versuche für sich vermelden. Dennoch bleibt es ein stetes Thema und auch dieses Jahr gab es wieder ein paar interessante Projekte in dieser Hinsicht zu beobachten. Am Vielversprechendsten davon wirkte meiner Ansicht nach das aktuelle Kickstarter-Projekt Rising 5, bei dem eine Handyapp den oder die Spieler mit Rätseln und Hinweisen versorgt, die diese brauchen, um das Spiel gewinnen zu können. Aber ob sich diese Kombination aus digitaler und analoger Spielerei in naher Zukunft durchsetzen wird ist weiterhin unwahrscheinlich. Gerade für kleine Auflagen von Spielen wäre die notwendige Entwicklung von Apps auf verschiedenen Plattformen zu aufwändig.

Escape Rooms

Exit von Kosmos
Exit von Kosmos

Bereits seit einiger Zeit erfreuen sich so genannte Escape Rooms (siehe auch diesen Artikel des Kollegen Michael Engelhardt) großer Beliebtheit. Und um den entsprechenden Spaß auch ohne Verlassen des eigenen Hauses zu ermöglichen, gibt es solche nun auch als Brettspiele zu kaufen. Die Idee, aus diesem Trend Kapital zu schlagen, war dabei so offensichtlich, dass nicht nur ein Verlag auf sie gekommen ist, sondern derer gleich 3:

  • Kosmos hatte mit Exit – Die Grabkammer des Pharao / Exit – Die verlassene Hütte / Exit – Das geheime Labor direkt drei verschiedene Puzzle im Angebot
  • Noris Spieles Escape Room: Das Spiel enthielt vier verschiedene Rätselszenarien sowie einen Dekoder, mit dem man kostengünstigere Erweiterungen ebenfalls spielen konnte
  • HCM Kinzel bot mit Escape the Room: Das Geheimnis der Sternwarte einen weiteren Vertreter dieses Genres an

 

Kosmos und Noris hatten sogar Escape Rooms auf der Messe selbst aufgebaut. Dazu gab es noch die Firma Mystery Rooms, die unter anderem transportable Puzzleräume vermietet und einen solchen auf der Messe ausgestellt hatte.

Wie sehr dieser Trend sich in den nächsten Jahren fortsetzen wird, wird sich zeigen. Er ist aber auch Teil eines größeren Trends: Wegwerfspiele. Wie schon das erfolgreichste Spiel des letzten Jahres – Pandemic Legacy – sind auch zumindest ein Teil der Escape Room Spiele so gestaltet, dass sie nur ein einziges Mal vollständig gespielt werden können. Nicht nur, weil man dann ja bereits die Lösung kennt, sondern auch, weil ein Teil des Spielmaterials zerstört werden muss, um an die endgültige Lösung zu kommen. Man kann also nicht einmal das Spiel an Freunde weiterverschenken.

Aufbrechen der Grenzen

Bereits seit einiger Zeit lässt sich eine Entwicklung auf dem Spielemarkt beobachten, die dieses Jahr ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hat: Das Aufbrechen der Grenzen zwischen den Kategorien Eurogame und Ameritrash. Spiele wie Bloodrage aus dem vergangenen Jahr haben gezeigt, dass der Markt nun bereit ist für Spiele mit sauberen, klaren und durchaus auch komplexen Mechanismen, die aber dennoch thematisch stimmig sind und auch durchaus starke Konfliktelemente beinhalten dürfen. Dieses Jahr waren mit Scythe, Terraforming Mars, Cry Havoc, Inis und weiteren Spielen direkt eine ganze Reihe von Vertretern derartiger Spiele zu bestaunen und zu erleben. Dafür nahm die Menge der reinen trockenen Eurogames erheblich ab. Eine Entwicklung, die ich sehr begrüße, denn irgendwann ist der Durst nach reinen Ressourcenverwaltungsspielen dann doch gestillt, beziehungsweise die existierenden Vertreter dieser Kategorie so gut geworden, dass weitere Iterationen derselben Prinzipien überflüssig erscheinen.

Kooperative und Solospiele

Ebenfalls ungebrochen ist weiterhin das Wachstum in der Kategorie der kooperativen Spiele. Etwas über 20% der Neuerscheinungen waren kooperative Spiele, oder verfügten über einen kooperativ oder solo spielbaren Modus. Ein erheblicher Anteil, der zumindest meinem Gefühl nach deutlich über entsprechenden Zahlen vergangener Jahre liegt.

Sind euch noch Trends oder Entwicklungen aufgefallen, die wir hier nicht behandelt haben? Dann schreibt sie in die Kommentare.

Fotografie: Roger Lewin, Logos wie genannt.

 

3 Kommentare

  1. Zwei Dinge vorweg:
    1. Ich freue mich über sehr über die Artikel von der Spiel, finde das schnelle Tempo bemerkenswert und lese grundsätzlich gerne Holgers Artikel.
    2. Im Absatz „Konsolidierung…“ hat sich der Fehlerteufel eingeschlichen. Da sind ungewohnt viele Schreibfehler drin.

    Ansonsten teile ich Holgers Beobachtung. Wobei ich sie um drei Dinge ergänzen möchte:
    a) Ich glaube, kein neuer Trend (ich war die letzten Jahre nicht auf der Spiel), aber für mich auffällig, war die Zielgruppe der Spiele. Der ganz wesentliche Teil richtet sich ganz klar an ein erwachsenes Publikum (durch Thematik, Mechanismen und Komplexität und die genannte Preisgestaltung), ein kleinerer Teil an kleinere Kinder und eine nennenswerte Produktpalette, die sich direkt an Jugendliche richtet, habe ich nicht wahrgenommen.
    b) Ich finde die Themenüberschneidungen schon enorm. Fast jeder großer Verlag dürfte dieses Jahr etwas mit Wikinger, Kelten oder Schotten veröffentlicht haben (im weitesten Sinne „Barbaren“) und jeder zweite Verlag irgendwas mit Piraten. Dazu aber, da setzt sich eine Entwicklung der vergangenen Jahre fort, sind wieder viele Spiele mit einem Lovecraft-Hintergrund erschienen (vor allem natürlich Villen des Wahnsinns 2 Edt. und Pandemie – Schreckensherrschaft des Cthulhu, aber auch diverse kleinere Spiele sind mir über den Weg gelaufen). Relativ wenig fand ich hingegen andere zeitliche Epochen vertreten (z.B. das Mittelalter aber auch Western, von Eggertspiele mal abgesehen).

    Das sind nur rein subjektive Wahrnehmungen nach einem Tag Messebesuch und nach Durchsicht der Spieleveröffentlichungen.

    Darüberhinaus: Mit X-Com gibt es zumindest einen in meiner Wahrnehmung bisher guten und halbwegs erfolgreichen Verteter App-basierender Spiele. Ansonsten halte ich das allerdings auch eher für eine Fehlentwicklung (und hoffe derweil, dass ich Golem Arcana loswerde ;-)).

    • Hallo Mathias,

      Danke, derartiges Lob liest man gerne. Um die Tippfehler werde ich mich gleich mal kümmern.

      Was die thematischen Überschneidungen angeht hast du völlig recht und diesen Punkt wollte ich eigentlich auch im Artikel haben, habe ihn dann aber wohl irgendwie vergessen. Wikinger, Zwerge und Cthulhu waren die drei großen Themen, die überall zu finden waren. Insbesondere bei letzterem setzt dabei zumindest bei mir eine gehörige Müdigkeit ein, was das Thema angeht. Aber dank Public Domain kann das halt auch jeder nutzen und die Fangemeinde ist groß.

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