Geschätzte Lesezeit: 10 Minuten

Was haben White Wolf und die World of Darkness (WoD) mit den Sex Pistols zu tun? Welche Spuren hat die WoD unserer Kultur hinterlassen? Welche Rolle spielte Anne Rice und warum wurde es plötzlich „cool“ ein Nerd zu sein? Kevin Lee, der Kreativ-Direktor der Firma Lucky Day, hatte vor dem Anruf von White Wolf noch nie etwas über Rollenspiele gehört. In diesem Interview nimmt er uns mit auf seine Reise in die Welt der Dunkelheit und zeigt uns seine ganz besondere Sicht auf die Szene. Das Interview wurde aufgezeichnet und anschließend aus dem Englischen übersetzt.

Die Vorstellungsrunde

Teilzeithelden: Bitte stell dich doch den Leuten einmal vor:

Kevin:  Mein Name ist Kevin Lee, ich bin ein Produzent und Kreativ-Direktor für die Firma Lucky Day. Lucky Day hat ihren Sitz in Schweden, Malmö – das ist an der Westküste. Zusätzlich haben wir ein kleines Büro in London.

Teilzeithelden: Auf welche Art von Filmen habt ihr euch spezialisiert?

Kevin: Unser Fokus liegt auf einer großen Bandbreite an Stilen. Ich komme aus dem digitalen Film. So war ich für zehn Jahre der kreative Kopf für den Bereich Film bei einer großen Agentur für Kommunikation. Lucky Days hat schon immer fürs Fernsehen produziert. Wir haben z.B. Kochsendungen gemacht, wir machen aber auch Werbung. So produzieren wir z.B. für BBC-Livestyle und das geht dann um die Welt. Wir machen noch viel im der Bereich der Postproduktion für andere Firmen. Vor anderthalb Jahren wurde ich, wegen meiner Erfahrung in den digitalen Medien, mit an Bord geholt. Ich habe Filme und Geschichten für Marken produziert, kleine Dokumentarfilme – all solche Sachen.

Teilzeithelden:  Wie war deine Reaktion als plötzlich White Wolf eine Anfrage stellte? „Hallo, wir verkaufen Rollenspielbücher und wir wollen einen Dokumentarfilm über unsere Firma …“

Kevin: So einfach war das gar nicht. Ich hatte ein paar Projekte mit Paradox Interactive. Wir haben einen Film gedreht, in dem wir zeigten, wie Spiele unsere Art Städte zu bauen verändern. Wir haben mit den Vereinten Nationen (U.N.) zusammengearbeitet und mit dem Erfinder vom Minecraft. Die U.N. und Minecraft haben gemeinsam eine Initiative gegründet. Diese heißt „Block on Block“. In diesem Projekt geht es darum, wie Dritte-Welt-Länder Minecraft nutzen können, um Gemeinden und Kommunen zu zeigen, wie sie ihre eigenen Einkaufszentren (Citycenter) und Gemeindehäuser designen können.

Teilzeithelden: Davon habe ich noch nie etwas gehört.

Kevin: Genau deshalb haben wir beschlossen, einen Dokumentarfilm darüber zu drehen. Ich glaube, dass der Film im Oktober veröffentlicht wird. Er wird „My Open Playground“ heißen. Auf der anderen Seite hat Paradox Interactive ein Spiel namens „Cities and Skylines“. Auf dieses Spiel sind wir auch im Dokumentarfilm näher eingegangen, als Beispiel für ein weiteres Werkzeug, mit dem man den Leuten zeigen kann, wie sie ihre eigenen Städte erschaffen können. Die Frage war: Wie bekommen wir Menschen dazu, dieses Spiel zu spielen, um dann ihre Ideen einmal Städteplanern und Architekten zu präsentieren. So soll auch der Einwohner mit entscheiden können, wie seine Stadt aussehen wird. Darüber haben wir dann mitbekommen, dass Paradox Interactive White Wolf gekauft hat. Wir wurden gefragt, ob wir ein Angebot – einen Pitch – über eine Dokumentation einreichen wollen. Ich hatte ja keine Ahnung von White Wolf, also habe ich mit der Recherche angefangen.

Der Beginn einer Reise in die Welt der Dunkelheit

Teilzeithelden: Also hast du dir all die Bücher gekauft…?

Kevin: Das habe ich nicht gemacht, ich habe sehr viel online recherchiert. Angefangen habe ich mit der Geschichte von White Wolf.

Teilzeithelden: Gab es da viel zu finden?

Kevin: Ich habe beim White-Wolf Wiki angefangen. Von dort habe ich mich nach Wikipedia  durchgeklickt. Mein nächstes Stichwort war dann „World of Darkness. So habe ich ein paar Blogs über die WoD gefunden, ein paar Zeitungsartikel – das war mein Anfang.

Teilzeithelden: Was hat dir denn das, was die Fangemeinde geschrieben hat, über das Spiel verraten?

Kevin: Ich habe herausgefunden, dass das Spiel bei seinem Erscheinen bahnbrechend und sehr bekannt war. Ich habe zu diesem Punkt noch immer nicht verstanden, dass es sich dabei um ein Rollenspiel handelt. Das konnte ich einfach nicht verstehen.

Teilzeithelden: Du kanntest aber Rollenspiele?

Nicht einfach nur ein Spiel, eine eigene Kultur

Kevin: Ich hatte bis dahin noch nie etwas über Rollenspiele gehört. So war die Einarbeitung in das Thema auch für mich selbst eine Entdeckungsreise. Je tiefer und tiefer ich mich da hineinarbeitete, desto mehr merkte ich, dass es sich dabei nicht einfach nur um ein Spiel handelt – sondern um eine eigene Kultur.

Darum unterschied sich mein Vorschlag auch von White Wolfs ursprünglicher Idee. Sie wollten einen Film über die Geschichte von White Wolf. Ich schlug vor, mehrere parallele Geschichten zu produzieren: Über die Entwicklung der WoD, zusammen mit der Entwicklung von White Wolf, zusammen mit der Entwicklung des Monsters, zusammen mit der Entwicklung seitens der Spieler. Die Entwicklung, die geschieht, wenn du spielst, zusammen mit der Entwicklung der Mode, der Kultur, der Kunst, von Filmen und welchen Einfluss White Wolf und die World of Darkness darauf hatten.

Teilzeithelden: Es erscheint mir so dass du eine Vision von dem Projekt hattest, die White Wolf selber noch nicht hatte.

Kevin Lee
Kevin Lee

Kevin:  Lass mich das so sagen, für Paradox Interactive war der Kauf von White Wolf etwas ganz Neues. Ich glaube Paradox Interactive hatte keine Ahnung von dem was sie da gekauft hatten. Sie hatten meiner Meinung nach noch nicht vollumfänglich realisiert, was alles mit den Produkten mitkommt. Jemand hat mir in einem der Interviews gesagt, die Gründung von White Wolf wäre wie die Gründung einer Garagenband gewesen. Dann hat diese Garagenband versucht, eine Tournee zu machen und wurde größer und hatte eine Fanbasis, die ihnen gefolgt ist. Es gab schwere Zeiten, sie haben aber auch gut gefeiert. Dann hat der Frontsänger die Band verlassen. Es war ähnlich wie bei Van Halen – manchen Fans ist es egal, anderen überhaupt nicht. Es gab firmenpolitische Beweggründe hinter all dem.

Teilzeithelden: Die Fanbasis hat sich gespalten?

Kevin;  Genau. Neue Leute kamen mit an Bord und entschieden, dass Vampire: Die Maskerade ein Ende haben muss und dass es an der Zeit wäre für eine Neue Welt der Dunkelheit (nWoD) und Requiem. Und so kam es zu dieser großen Enttäuschung bei Vampire: Die Maskerade, es gab viele Menschen die sich mit diesem Spiel identifiziert hatten und diese Verbindung wurde nun abgeschnitten.

Und plötzlich ist man selbst das Monster …

Teilzeithelden: Die Neue Welt der Dunkelheit hatte nie eine wirkliche Chance in Europa. Es scheint, als ob White Wolf die Idee direkt vor die Wand gefahren hat. Viele Spieler mit denen ich gesprochen habe, haben mir gesagt: Das ist eine nette Idee, aber das ist nicht „meine“ WoD, ich möchte meine alte WoD behalten.

Die Welt besteht aus 1% Originalität und 99% Karaoke

Kevin:  Das Interessante daran ist, dass, als wir Drehaufnahmen in Amerika gemacht haben und als ich mit den amerikanischen Fans gesprochen habe, ich gemerkt habe, dass diese Vampire: Requiem ebenfalls sehr gemocht haben. Mir ist etwas bewusst geworden: Mein Ziel als Geschichtenerzähler ist, alles ein wenig so zu machen, wie es Vampire: Die Maskerade gemacht hat. Jeder Leser hat eine andere Perspektive auf das, worum es überhaupt in dieser Geschichte geht und was ein Monster ist. Meine Idee für den Film ist, dass ich dir keine „Wahrheit“ über das was passierte, über die Entwicklung von White Wolf, die Entwicklung der WoD zeigen werde. Ich gebe dir Perspektiven, verschiedene Wahrheiten, von denen du dir dann eine aussuchen kannst. Was passiert ist, warum es passiert ist und wie es die Kultur und die Gesellschaft verändert hat. Es gibt hier keine absoluten Wahrheiten. Eine Frage ist z.B.: Ist die World of Darkness eine originäre Idee?

Teilzeithelden: Eine originäre Idee? Warum sollte es keine sein?

Kevin: Das ist die Frage. Manche Menschen sagen, dass White Wolf zum Beispiel Elemente von Anne Rice und Lost Boys genommen hat und dass sich das WoD-Universum aus diesen Ideen heraus entwickelte.

Teilzeithelden:  Naja, man muss ja das Rad nicht immer neu erfinden …

Kevin: Malcolm McLaren  von den Sex Pistols hat einmal gesagt: „Die Welt besteht aus 1% Originalität und 99% Karaoke.“ Mein Job hier ist es also herauszufinden, ob dies etwas so Besonderes, so Originelles war. Ob es diesen Welleneffekt in anderen Kulturen, in anderen Gedanken, in Kleidung / Fashion, Musik usw. gegeben hat.

Teilzeithelden:  Von deinem jetzigen Wissenstand ausgehend, was ist deine persönliche Meinung dazu?

Kevin: Meine persönliche Meinung ist: Ja, es ist eine originäre Idee. Weil Mark Rein-Hagen die Sichtweise, wie man Rollenspiele spielt, verändert hat. Dass du plötzlich das Monster bist – das hat vor ihm noch nie jemand gemacht. Das war etwas Neues.

Teilzeithelden:  Damals gab es Dungeons and Dragons, wo die Helden die Monster töteten und plötzlich spielt man selber das Monster.

Kevin: Genau, und wenn man diesen Ansatz mit Moral und Ethik füllt: Bin ich gut, bin ich böse und spielt das überhaupt eine Rolle? Dann erarbeitet man diese Aspekte auch noch parallel in die wahre Weltgeschichte ein, dann war das was Neues. Das macht das Spiel, meiner Meinung nach, zu einer originären Idee. Aber meine Meinung spielt keine Rolle, ich möchte die Meinung der Fans, der Autoren so gut wie es geht darstellen. Sie erzählen die Geschichte und das versuchen wir zu transportieren.

Teilzeithelden: Du hast eben Anne Rice erwähnt, hast du sie auch interviewt?

Kevin: Wir werden Anne Rice im November interviewen. Sie und andere sind auf unserer Liste – wir haben eine lange Liste von Berühmtheiten …

Teilzeithelden: Möchtest du uns ein oder zwei der Namen verraten?

Kevin: Wir versuchen Alan Ball (Produzent und Drehbuchautor von True Blood zu bekommen. Wir versuchen Kiefer Sutherland zu interviewen und wir haben gute Chancen den Autor der Underworld– Trilogie, zu treffen. Was sehr spannend werden wird, da White Wolf der Meinung ist, dass das Underworld-Franchise zu viele Ideen von der WoD übernommen hat.

Die Dokumentation – wann, wo, wie?

Teilzeithelden:  Wann kommt denn der Film heraus und habt ihr eine Idee wie lang der Film werden soll?

Kevin:  Das wissen wir noch nicht. Das Ziel ist, zwischen März und April 2017 den Film zu präsentieren. Ende November wollen wir die Dreharbeiten beenden und in die Postproduktion eintreten, so dass wir drei bis vier Monate haben, den Film zusammenzuschneiden. Es soll eine Dokumentarserie werden, die insgesamt ungefähr zwei Stunden lang sein soll. Wie wir das zusammenschneiden, müssen wir noch besprechen. Viermal 30 Minuten, dreimal 45 Minuten, mal gucken. Das hängt auch viel davon ab, wie alles aufgeteilt werden soll. Wir wollen jedoch den Trailer schon vor Weihnachten fertig haben.

Anm. des Autors: Die Produktionskoordinatorin Emma Creed hat mir allerdings verraten, dass es wohl eher erst Anfang nächsten Jahres etwas mit dem Trailer wird.

Teilzeithelden:  Wollt ihr in die Osterverkäufe?

Kevin: Das ist eine Möglichkeit, oder wir starten mit den Spiele-Conventions durch. Da gibt es doch das eine Treffen in Berlin, glaube ich? Da könnte die Premiere sein…

Anm. des Autors: Emma Creed hat mir bestätigt, dass die Premiere in Berlin sein wird

Artikelbilder: Lucky Day

 

3 Kommentare

  1. Naja, vor Vampire Die Maskerade gab es zumindest schon NightLife, wo man im GRW Vampire, Werwölfe, Geister, Daemonen usw spielen konnte und sollte….ganz so neu war die Idee von Mark also nicht…aber es hatte einfach mehr Stil und ein imho besseres System!

  2. Neu ?
    Embraced – Clan der Vampire ….
    ein Rollenspiel aus 92 das jetzt allso 25 jahre ALT ist
    Berichtet ihr hier auch noch über Dosen Raviolli?

    • Hallo Alter Schwede,
      sobald eine Dose Ravioli so nachhaltig die moderne Popkultur verändert hat, wie dieses Spiel,
      würde ich auch einen Beitrag über eine Dose Teigware mit Füllung, schreiben.
      Auch wenn das Spiel 92 das erste mal gedruckt wurde, so hat es sich doch über die
      Jahre stehts weiterentwickelt.
      Die Dose Ravioli hat also regelmäßig eine neue Rezeptur bekommen ;-)
      Auch geht es nicht um Embraced – Clan der Vampire, sondern um eine Dokumentation über White Wolf.
      LG Karsten

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein