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Rollenspieler können ein sehr elitäres Völkchen sein. Die meisten, die ein paar Jahre Erfahrung gesammelt haben, wissen sehr genau, wie richtiges Rollenspiel funktioniert. Natürlich so, wie sie es selbst spielen, denn wäre das nicht richtig, würden sie es ja nicht betreiben. Und je länger sie dabei sind, desto vehementer verteidigen sie ihre Art des Spiels.

Vampire Live Spieler sind meist als einige der größten Diven verschrien. Da sie im Spiel viel gegeneinander intrigieren, wird angenommen, dass sie das auch außerhalb des Spiels machen, meist wenn es um die Frage geht, wer denn jetzt das richtige“ Vampire Live spielt.

Anders ist nicht schlechter oder besser

Hast du schon Geschichten von anderen Vampire Live Spielern oder Gruppen gehört und warst überzeugt, dass sie den Sinn des Spiels überhaupt nicht verstanden haben? Während du selbst einen großartigen und tiefgründigen Charakter spielst, sind andere oberflächlich oder bespielen halbgare Plots, die der Tragweite des Spiels nicht gerecht werden.

Es muss nicht gleich ganz so extrem sein, aber irgendwann schleicht sich dieses Gefühl doch einmal ein. Die verschiedenen Gruppen und Spielstile im Vampire machen es leicht, in ein sehr einfaches Schwarz-Weiß-Denken zu rutschen. Man selbst weiß, wie es richtig laufen sollte, und wer das nicht so sieht, ist eben kein guter Vampire Spieler. Handelt es sich um andere Gruppen, kann man sich einfach aus dem Weg gehen. Unterscheiden sich die Ansichten innerhalb einer Gruppe oder Chronik, ist das meist nicht mehr möglich.

In allen Fällen hilft nur ein gesundes Maß an Gelassenheit und Respekt. Denn Vampire Live soll insbesondere eines: allen Beteiligten Spaß machen. Mit dieser Prämisse im Kopf fällt es deutlich leichter, einmal Fünfe gerade sein zu lassen und das Spiel anderer Gruppen nicht als schlechter, sondern einfach nur als anders zu sehen.

Innerhalb der eigenen Gruppe hilft nur, sich regelmäßig über das auszutauschen, was der Kern des Spiels der Gruppe sein soll, und zu akzeptieren, dass verschiedene Wege zum Ziel führen können – oder die Gruppe zu verlassen, wenn dies absolut nicht möglich ist.

Die Auswahl ist gigantisch – Nutze sie!

Zum Glück gibt es in Deutschland zumindest in den größeren Städten meist mehrere Vampire Live Gruppen, so dass dir die Qual der Wahl bleibt. Es werden die verschiedensten Settings und Spielstile umgesetzt: von Vampire Live im Mittelalter zum Vampire Live in der Neuzeit, von plotlastigem Spiel bis hin zu sehr freiem Spiel ohne Plots.

Statt dich über eine Gruppe zu ärgern, deren Spiel dir nicht zusagt, kannst du dir Spieler suchen, mit denen du eher auf einer Wellenlänge bist. Das gilt insbesondere auch für Einsteiger, die gerade erst mit diesem Hobby angefangen haben: Lasst euch nicht von einer einzigen Gruppe erzählen, wie das einzig wahre Vampire Live funktioniert, sondern hört in euch hinein. Wenn es euch keinen Spaß macht, sucht euch eine Gruppe, in der ihr glücklicher werdet. Richtiges Vampire Live zeichnet sich dadurch aus, dass alle Beteiligten es gerne spielen. Nicht mehr und nicht weniger.

Ein Blick über den Tellerrand zu anderen Gruppen kann sogar dazu führen, das eigene Spiel zu bereichern. Denn auch, wenn dir das Spiel einer anderen Gruppe nicht gefällt, wirst du dort wahrscheinlich Elemente finden, mit denen du doch Spaß haben kannst. Nutze dies!

Verschiedene Settings

Noch ehe es um verschiedene Spielstile geht, kann man schon nach Settings unterscheiden. Vor welchem Hintergrund spielt eine Gruppe, welche Spielrealität wird genutzt? Denn Vampire sind nicht gleich Vampire.

Am bekanntesten sind dabei die Hintergründe der World of Darkness, die mit mehr oder weniger großen Anpassungen in den meisten Vampire Gruppen genutzt werden.

Vampire – The Masquerade

Nachdem Kain den Brudermord begangen hatte, wurde er von Gott bestraft zum ersten Vampir der Welt. Von ihm leitet sich der Begriff Kainit ab. Kain erschuf Kinder, die wiederum Kinder schufen, die wiederum Kinder schufen… und so weiter. Es entstanden 13 Blutlinien oder Clans, die jeweils eigene Stärken, Schwächen und Kräfte haben. Einige dieser Clans haben sich zu Sekten zusammengeschlossen: der Camarilla, welche durch die Maskerade die Existenz von Kainiten vor den Menschen geheim halten will, und dem Sabbat, welcher die Camarilla und die Maskerade zerstören wollen. Ein paar Clans sind unabhängig davon geblieben, und einige Kainiten haben sich der Gruppierung der Anarchen angeschlossen. In der Camarilla gibt es sechs absolute Gesetze, die Traditionen, welche das Zusammenleben der Kainiten sichern sollen.

Sehr prägend für jeden Charakter ist der Clan, in den er hineingeschaffen wurde. Dieser definiert sehr absolut seine Stärken und Schwächen und ist immer ein relevanter Faktor für den Charakter.

Meistens wird die Camarilla bespielt. Die Clans, die sich darin zusammenschlossen, bieten viel Raum für Konflikte und intensives Spiel. Allerdings gibt es auch einige Gruppen, die den erbitterten Feind der Camarilla bespielen: den Sabbat.

Dieser Hintergrund wurde sehr ausführlich beschrieben. Das spart jede Menge Arbeit, da man auf bestehende Hintergründe zurückgreifen kann und ggf. nur noch kleine Anpassungen vornehmen muss.

Vampire Requiem

Ebenfalls in der Welt der Dunkelheit angesiedelt, ist Requiem der Nachfolger von Masquerade. Am Hintergrund hat sich einiges geändert: Von wem die Kainiten abstammen ist nicht bekannt, es gibt nicht den Mythos um Kain. Die Zahl der Clans ist auf fünf geschrumpft, denen jedoch eine Vielzahl verschiedener Blutlinien entspringt. Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist allerdings bei Weitem nicht so ausschlaggebend wie die Zugehörigkeit zu einem der Bünde. Diese Bünde sind keine weltweit organisierten Sekten wie die Camarilla oder der Sabbat in Masquerade, sondern eher religiöse oder politische Gruppierungen.

Ein großer Vorteil ist, dass die Strukturen nicht so fix sind wie bei Masquerade, sondern deutlich freier und für die eigene Gruppe passend definiert werden können.

Wie auch Masquerade bietet dieses Setting den Vorteil eines ausführlich beschriebenen Hintergrundes.

Vampire Dark Ages

Hier finden sich (fast) dieselben Clans wie auch bei Masquerade. Allerdings spielt Dark Ages, wie der Name schon nahelegt, nicht in der Jetztzeit, sondern im finsteren Mittelalter. Dies gibt den Vorteil, einerseits die in Masquerade beschriebenen Clans mit ihrer starken Individualität nutzen zu können, und gleichzeitig noch nicht durch die fixen Bündnisse der in der Neuzeit herrschenden Sekten gebunden zu sein.

Als Nachteil kann man anführen, dass Dark Ages mehr geschichtliches Wissen voraussetzt als ein Setting in der modernen Welt, und auch die Suche nach stimmungsvollen Locations ist nicht unbedingt einfach.

Einfach nur Vampire

Letzten Endes ist ein solcher Hintergrund nicht nötig, um einen Vampir zu spielen. Die Unterteilung in Clans, Häuser oder Sekten ist ein Gerüst, aber keine zwingende Voraussetzung. Auch ohne das Konzept von Blutlinien und Clans können Vampire existieren. Denk an die Bücher von Anne Rice: Dort sind die Vampire einfach Vampire, ohne familienspezifische Merkmale.

Der Vorteil eines solchen Settings ist die absolute Freiheit, alles selbst gestalten und definieren zu können. Das ist gleichzeitig aber auch der Nachteil, denn dies macht wesentlich mehr Arbeit als bloß Anpassungen an einem bestehenden Hintergrund vorzunehmen. Auch muss der Basiskonflikt, wie in den oben aufgeführten Settings bereits verankert sind, erst erschaffen werden, um ein lebhaftes Spiel zu generieren.

Verschiedene Spielstile

Als wären die verschiedenen Settings nicht schon genug, gibt es innerhalb jedes Settings auch verschiedenste Spielstile. Du willst lieber gemeinsam mit deinen Mitspielern einem Plot folgen, statt plotlos nur deine eigene Agenda zu verfolgen? Du willst nicht den Alltag deines Charakters spielen, sondern dich auf die wirklich krassen Momente konzentrieren? All das ist, je nach Gruppe, machbar.

Plots oder kein Plot

Plots haben den Vorteil, dass sie unglaublich vielseitig sind und höchstens durch die Grenzen der Kreativität der Spielleitung beschränkt werden. Von dem Kampf der Camarilla gegen den Sabbat, einem uralten Konflikt zweier alter Kainiten, der auf dem Rücken der jungen Vampire ausgetragen wird, bis hin zur Einbindung der anderen Elemente der World of Darkness wie Geistern, Werwölfen und menschlichen Jägern ist alles möglich.

Plots haben den Nachteil, dass sie mitunter wie in einem Computerspiel einen Verlauf vorgeben, dem gefolgt werden muss. Die Charaktere werden von Station zu Station geführt, lösen ein Problem und gehen weiter zur nächsten Station. Es bleibt nicht immer genug Raum, die eigenen Agenden auszuarbeiten und zu verfolgen; schlimmstenfalls muss man zum Wohle des Plots auf eigene Konflikte verzichten.

Vampir-Alltag oder besondere Augenblicke?

Beide Ansätze sind möglich und haben jeweils ihre Berechtigung: Einerseits das „normale“ Vampire Live mit mehr oder weniger regelmäßigen Treffen, auf denen ein Plot bespielt oder die eigene Agenda verfolgt wird, oder einzelne besondere Treffen, die sich jeweils auf die krassesten Momente des Lebens des Charakters beziehen.

In der ersten Variante wird ein Ausschnitt aus der Existenz des Charakters bespielt. Dazu gehören auch spannungstechnische Durststrecken, in denen er gerade kein Drama durchlebt, sondern eine eher etwas ruhigere Zeit. Soweit man bei Vampiren von Realismus sprechen kann, ist dies dahingehend realer, da es der tatsächlichen Existenz entspricht: Die Ewigkeit geht mitunter auch mit Langeweile einher, und jeder Vampir muss Mittel und Wege finden, diese Zeiten mit etwas zu füllen, das seine Existenz lebenswert macht.

Auf der anderen Seite ist es ebenso verständlich, die wirklich dramatischen Ereignisse aus der Existenz des Charakters bespielen zu wollen. Der Fokus liegt dann nicht mehr auf einem Abschnitt der vampirischen Existenz, sondern auf den Highlights seines ganzen Lebens, von der Erschaffung bis zum bitteren Ende. Dies ermöglicht, einen intensiven Lebenslauf zu bespielen, mit allen Höhen und Tiefen, der durch den Wegfall langweiliger normaler Treffen sehr viel schillernder und intensiver sein kann.

Regeln mit und ohne Ansagen

Übernatürliche Kräfte ohne Ansagen im LARP darzustellen ist beinahe unmöglich. Da Vampire in den Settings der World of Darkness sehr viele übernatürliche Kräfte unterschiedlicher Stärken haben, kommt man um Offplay-Ansagen im Spiel fast nicht herum.

Der Vorteil dieser Ansagen ist, dass sie klar und eindeutig angeben, was der Anwender einer Kraft erwartet. Zahlen sind eindeutig, und niemand kann sich herausreden, dass die 5 Punkte Schaden eher wie 2 Punkte Schaden ausgespielt waren und ihn deshalb nicht so sehr verletzen.

Auf der anderen Seite reißen solche Aussagen auch jedes Mal ein Offplay-Loch in das Spielgeschehen. Ein intensiver Flirt zweier Charaktere kann durch die Ansage „Charisma 4, Du verliebst Dich jetzt in mich“ ziemlich kaputt gemacht werden.

Ansagenlose Regelwerke sind einfacher gestrickt und weisen weniger Detailtiefe auf, ermöglichen dafür allerdings einen kontinuierlicheren Spielablauf und mehr Freiraum beim schauspielerischen Darstellen der Disziplin.

Fazit

Es gibt nicht das eine wahre Vampire Live. Es gibt viele verschiedene Settings und zahllose unterschiedliche Spielstile. Sie alle haben ihre Berechtigung, denn sie alle haben Spieler, die Spaß an ihnen haben.

Allerdings hat auch jedes Setting und jeder Spielstil seine Gegner, die ihn für falsch oder oberflächlich halten. Wirklich etwas gewinnen kann mit einem solchen Streit allerdings niemand etwas. Du wirst sehr wahrscheinlich niemanden dazu bringen, dein Vampire Live zu spielen, indem du ihnen erklärst, weshalb ihr Spiel nicht gut ist.

Stürze dich also nicht in einen Streit, der dir nichts bringt, außer dich zu frustrieren und deine Zeit zu fressen. Freue dich, dass dein Hobby so vielseitig ist, und schaue über den Tellerrand, um durch andere Spielweisen immer wieder etwas Neues zu finden, das auch dein Spiel bereichert.

Wenn du ein Einsteiger bist, lasse dich von den vielen verschiedenen Settings und Spielweisen nicht einschüchtern. Es sind alles Möglichkeiten, keine absoluten Wahrheiten. Probiere so lange verschiedene Gruppen und Stile aus, bis du die gefunden hast, mit denen du glücklich wirst. Denn das ist die einzige Regel, die gutes und richtiges Vampire Live ausmacht: Es muss allen Beteiligten Spaß machen.

Artikelbild: robynmac | fotolia

 

3 Kommentare

  1. Schöner Blogpost!

    Was mir erneut auffällt, und nur am Rande etwas mit dem Thema zu tun hat: Es ist erstaunlich, dass – wie sich im obigen Blogpost zeigt – ein riesiges Marketingversagen und falsche Antizipationen bis heute nachwirken. Vampire: Requiem spielt nämlich nicht in „der“ World of Darkness, sondern in einer anderen World of Darkness. Es ist auch kein „Nachfolger“, wie es damals oft missverstanden wurde, also das „Zeitalter nach Gehenna“, sondern ein komplett anderes Universum. Demnach können die Clans auch nicht auf 5 „geschrumpft“ sein, sondern es gibt bei Requiem einfach nur 5 Clans. ;)
    Masquerade und Requiem sind zwei völlig unterschiedliche Settings, die so viel miteinander zu tun haben, wie Anne Rice‘ „Chronik der Vampire“ und „Masquerade“. Vieles ähnlich, vieles gleich, trotzdem komplett eigenständig.
    Das wurde damals hierzulande von Feder & Schwert versaubeutelt, die Requiem als „Fortsetzung“ beworben haben. In Ländern, wo man das nicht gemacht hat, wurde Requiem ein Erfolg. Das Setting existiert bis heute und wird regelmäßig mit Material versorgt und hat 2014 sogar ne Neuauflage bekommen, in dem der in „Requiem for Rome“ begonnene Metaplot für das Setting („Strix Chronicles“) weiter gesponnen wurde. Im deutschsprachigen Raum war nach wenigen Bänden Schluss.
    Wie gesagt, hat nicht wirklich was mit dem Thema zu tun, ist mir aber aufgefallen, dass das, was Feder&Schwert damals in die Spielerhirne gepumpt hat, bis heute überlebt hat. ^^

    • Da hat Du natürlich Recht und ich entschuldige mich für den Fehler. Da sieht man mal, was Marketing alles anrichten kann :D

      Vielen Dank für das Lob und die Aufklärung :)

    • Dafür muss man sich doch nicht entschuldigen. Im Gegenteil, ich finde es sehr erhellend, wie krass das damals verbockt wurde. ;) Hat mich auf ne Idee für einen eigenen Blogpost gebracht, den ich mal zu Requiem verfassen werde. Danke dafür! :)

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