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Ein Artikel von Michael Engelhardt, Alexander Jaensch und Laura Birnbaum

Unendliche Weiten und das Erkunden ferner Welten versprach der Titel des Mittelpunkt 2016, der diesmal von den Waldrittern organisiert wurde. Studierte man die Programmübersicht, hielt sich zwar der Anteil an Science-Fiction-Themen in Grenzen, aber umso mehr versuchte man, bekannte Grenzen zu überschreiten. So wurden viele Vorträge nicht nur in englischer Sprache gehalten, um auch internationales Publikum anzuziehen, sondern beschäftigten sich auch mit LARP-Szenen jenseits der deutschen Landschaft. Apropos internationales Publikum, tatsächlich haben sich nicht nur Teilnehmer aus dem deutschsprachigen Raum auf den Weg nach Hessen gemacht, sondern auch eine kleine Delegation aus Russland. Diese gab interessante Einblicke in die LARP-Szene Russlands, ganz abseits von verbreiteten Klischees.

Was gab es für spannende Vorträge, wer hat eigentlich den F.R.E.D. gewonnen, und wie extravagant war unser Redakteur Alexander diesmal wieder auf der traditionellen Party unterwegs?

“Captain auf der Brücke” – Ein kurzer Überblick

Die Jugendbildungsstätte DJO Poppenhausen in der Nähe von Fulda bot dieses Jahr die Location für den Mittelpunkt. Passend, ist der Herbergsvater doch selbst alter LARPer, und möchte die Location für die Zukunft auch als LARP-Gelände zur Verfügung stellen. Funktional und durchschnittlich für eine Jugendherberge, mit den klassischen Doppelstock-Betten und Badezimmern auf den Zimmern ausgestattet, war alles vorhanden, was man sich für eine Konferenz so wünschen konnte, abgesehen natürlich von etwas mehr Platz. Denn der hätte schon sein dürfen, wenn man sich neben den verschiedenen Vorträgen, Workshops und Mini-LARPs vielleicht ein wenig die Zeit damit vertreiben wollte, mit alten und neuen Bekannten zu diskutieren, philosophieren oder einfach nur zu plaudern. In den vergangenen Jahren war hierfür in den meist weitläufigen Locations genügend Platz, dieses Jahr war das alles ein wenig gedrängt. Die Organisatoren waren ansonsten sehr zuvorkommend, kompetent und unkompliziert. Man bekam schnell Antwort, und immer war einer der Waldritter, die dieses Jahr das erste Mal die Organisation des Mittelpunktes übernahmen, auffindbar. Auch das Essen war guter Standard und meist ausreichend vorhanden, und selbstverständlich wurde auch an die Vegetarier und Veganer gedacht. Doch die Essensausgabe wurde schnell hektisch und unübersichtlich, aufgrund des eben schon erwähnten leichten Platzmangels.

Das Programm des Mittelpunktes war, wie immer, äußerst vielseitig aufgestellt. Das fing mit einer lockeren Runde Aliens-mit-Nerfs-abballern an (Pluspunkt: Jeder Teilnehmer bekam beim Einchecken eine kleine Nerfgun mit dazu), und danach verteilte man sich über den Abend auf lockere Gespräche bei ein paar Bier oder Cola, verbrachte seine Zeit auf der Raumschiffbrücke der Artemis, oder in verschiedenen Mini-LARPs. Am Samstag gab es dann Workshops für gestresste Spielleitungen, zur schnellen Entwicklung von Mini-/Mikro-LARPs oder dem Basteln mit Thermoplasten, aber auch Vorträge zu der Zukunft des Utopion-Geländes, verschiedenen LARP-Projekten, weiteren Mini-LARPs, und natürlich der traditionellen F.R.E.D.-Verleihung inkl. anschließender Kostümparty. Es war für jeden etwas dabei, ob nun Neuling oder Alt-LARPer, ob High- oder Low-Budget-Ausstatter. Auch hier wurde klar, dass LARP vom Mitmachen lebt, denn alle Beiträge waren von Teilnehmern der Veranstaltung eingereicht und durchgeführt worden.

„Kurs Zwei Null Eins Sechs Komma Vier Sechs“ – Das Programm

Obwohl mit dem Thema des Mittelpunkt 2016 eine Richtung der Vorträge angedeutet war, konnten sich die Referenten fast frei austoben. So wurden auch noch spontan einige Programmpunkte hinzugenommen. Von praktischen Tipps zu LARP, über theoretische Gedanken und Konzepte wurde ein buntes Potpourri geboten, welches eine Entscheidung meist schwermachte. Wir haben es dennoch versucht und euch hier ein paar der Themen zusammengefasst.

Treffen der AG LARP-Forschung

Lange war es still um die Arbeitsgruppe des Deutschen Liverollenspiel-Verbandes. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit arbeitete dieser jedoch an der Vergrößerung ihrer Sammlung wissenschaftlicher Arbeiten zu den Themen LARP und Rollenspiel. Bisher gibt es eine Literaturliste nur auf Anfrage über den DLRV oder das Forum. Nach einiger Zeit der Pause nutzte die Arbeitsgruppe den Mittelpunkt für ein Treffen.

Im Fokus standen, neben einem gegenseitigen Kennenlernen der neuen und alten Mitglieder, aktuelle Themen der LARP-Forschung. Eine Mehrzahl der Teilnehmer sprach sich dabei für eine sichtbarere Öffentlichkeitsarbeit aus. Wer für Universität, Hochschule oder eigenmotivierte Forschung auf der Suche nach Literatur ist, kann sich jederzeit an die Arbeitsgruppe wenden, die entsprechende Publikationen vorhält und Kontakte zu anderen Forschenden vermitteln kann.

Alternate Reality Games against right-wing extremism

Daniel Steinbach von den Waldrittern berichtete in diesem Vortrag mittels einer Videodokumentation von dem von den Waldrittern bereits 21-mal durchgeführtem Alternate-Reality-Game Die Bewegung, in dem sie Teilnehmern eines Seminars zur Gewaltprävention vor Augen führen, mit welchen Methoden rechte Extremisten agieren und auf Mitgliederfang gehen. So erlebten die Seminarteilnehmer hautnah mit, wie es ist, in den Strudel aus vorgeschobener Heimatliebe, sozialem Engagement, aber auch Gewaltbereitschaft und Manipulation zu geraten, deckten auf eigene Faust die Geheimnisse und Verwicklungen auf und “brachen” schlussendlich gespielt in eine Behörde ein, um Beweise gegen die Rechts-Extremisten zu sammeln, und sie der Polizei zu übergeben.

Im Anschluss daran beantwortete Daniel Fragen, und erläuterte seine eigenen Erfahrungen, die er während der verschiedenen Durchläufe des Spiels gemacht hatte. Ein äußerst interessanter Beitrag, auch, wenn er einen zwiespältig zurücklässt, inwiefern Teilnehmer im Vorfeld über die Natur der Veranstaltung, an der sie teilnehmen, informiert werden sollten.

“What the f… ?“ – Über Emotionen in Rollenspielen und Bildungsprozessen

Dennis Lange von den Waldrittern hielt einen Vortrag über die Rolle von Emotionen in Rollenspielen und Bildungsprozessen. Der Vortrag konzentrierte sich auf die Grundlagen, wie Emotionen in Rollenspielen funktionieren, wo ihre Vorteile und Nachteile sind, und wie Orgas diese nutzen können und sollten, um ihre Ziele zu erreichen. Der Vortrag selbst nahm etwa die Hälfte der Zeit ein und war vor allem dazu gedacht, die Grundlagen zu erläutern und alle für die anschließende Diskussion auf ein ähnliches Niveau zu bringen.

Eben jene Diskussion war es dann auch, die für die meisten Teilnehmer deutlich gehaltvoller gewesen sein dürfte. Hier wurden verschiedene Fragestellungen aufgeworfen und diskutiert, von der Frage, wie ich Spieler dazu kriege, mehr Emotionen auf meinen Veranstaltungen zuzulassen, als auch bis hin dazu, wie kriege ich die Spielphilosophie, die ich habe und auf meinem Spiel erwarte, genügend an meine Spieler kommuniziert. Schnell wurde auch klar, dass reine Textform bei der Informationsweitergabe in heutiger Zeit recht überholt wirkt und ich daher Informationen, wenn ich sie an meine Teilnehmer vermitteln möchte, vielleicht auch in geeigneteren Formen darreichen muss. Hier kam den Teilnehmern die breite Vielfalt der anwesenden LARPer zugute, die einen großen Erfahrungsschatz aufweisen konnten, und so eine sehr gute und sich gegenseitig befruchtende Diskussion entfalten konnten.

Knall, Bumm, Peng – Waffenrecht und Feuerwerk im LARP

Kai Vaupel, Sicherheitstechniker und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Wuppertal,

gab den Teilnehmern einen spannenden Überblick zu einem Sorgenthema vieler LARPer, und besonders der Orgas: Waffenrecht. Genaugenommen erfüllen die meisten LARP-Waffen die Voraussetzung einer Anscheinswaffe oder gar einer echten Waffe (Armbrüste oder Bögen). Damit fallen sie genaugenommen unter das Waffenrecht. Die inzwischen sehr beliebten Kanonen für Belagerungen stehen sogar unter dem Kriegswaffenkontrollgesetz, und mit Feuerwerk wird noch eine weitere Baustelle eröffnet. Dank seines technischen Hintergrundes und intensiver Auseinandersetzung, auch mit einem Juristen, mit diesem komplexen Thema, konnte Kai Vaupel doch einige Lösungswege aufzeigen. Zum Beispiel lassen sich Probleme aus dem Waffenrecht umgehen, in dem LARPs sowohl als Theater als auch Sport definiert werden. Bei Feuerwerk verhält es sich da etwas schwieriger, hier spielt die Kennzeichnung eine Rolle, und Kai riet, ganz auf Nummer sicher zu gehen, und nur Feuerwerk der Kategorien F1, P1 und T1 mit CE-Kennzeichnung zu verwenden.

How to build a space ship – Design im LARP

Anhand zahlreicher Beispiele schilderte der Designer Kai Brunner Möglichkeiten eines Designkonzeptes für LARPs. Ganz dem Thema des Mittelpunkts verpflichtet, lag der Fokus dabei auf Science-Fiction. Unter anderem zeichnete er sich für das Design der letzten Shattered Empires-Kampagne verantwortlich. Dort kann man sich auch einen Überblick über seine Designs verschaffen. Wichtig sei vor allem, eine Grundidee zu verfolgen, die sich dann wie eine rote Linie durch das Design zieht und so das Konzept abrundet.

„Die Mauer“ – LARP in der politischen Bildung

Das Steckenpferd der Waldritter e.V. stellte Dirk Springenberg einem interessierten Publikum vor.

Er gab dabei Einblick in die Entwicklung ihrer LARPs wie Die Mauer, ein LARP über die deutsch-deutsche Grenze, in der Spieler sowohl Flüchtlinge, wie auch Grenzsoldaten darstellten, oder Projekt Exodus im Battlestar Galactica-Universum. Besonders spannend waren dabei Hinweise zur Zusammenarbeit mit öffentlichen Förderern. Hier verfügen die Waldritter wohl über die umfangreichste Expertise, erfüllen sie doch die hohen Anforderungen der Bundeszentrale für politische Bildung, um gefördert zu werden. Als Anregung gab Dirk Springenberg den Zuhörern mit, sich an regionale Banken zu wenden. Diese haben meist entsprechende Fördertöpfe für Sport und Kultur. Mit einem durchdachten Konzept und einer vernünftigen Präsentation könnte man ohne große Hürden um Unterstützung werben. Wichtig ist dabei jedoch ein Bildungsaspekt. Eine weitere Möglichkeit stellt die Kooperation mit den Waldrittern dar, die einem mit Rat, Tat und Ansprechpartnern zur Seite stehen.

„Priwjét, Genosse!“ – LARP in Russland

Die russische Delegation am Mittelpunkt nutzte auch spontan die Gelegenheit, die LARP-Szene in Russland vorzustellen. Sieben LARP-Traditionen, die sich teils sehr deutlich unterscheiden, prägen die russische Szene. Zu den populärsten Formen zählt wohl das Tolkien-LARP. Wie der Name vermuten lässt, handelt es sich dabei um LARPs in der Welt von Mittelerde. Doch spielt man hier nicht einfach eine eigene Geschichte vor dem bloßen Hintergrund, sondern spielt meistens Episoden aus den Büchern nach. Damit wird es zu einer Art fantastischem Reenactment. Aber auch Steampunk spielt eine größere Rolle in Russland. Für World of Darkness-Liebhaber war ein Einblick in die russische Welt der Finsternis besonders spannend. Städteübergreifend ist hier eine zusammenhängende Szene entstanden, die online und live miteinander interagiert. Aber auch alternative Konzepte, wie ein LARP, in dem es um das Karma der Spieler ging, wurden präsentiert.

And the F.R.E.D. goes to…

Der Höhepunkt eines jeden Mittelpunktes ist die F.R.E.D.-Verleihung am Samstag-Abend mit anschließender Kostümparty. Auch dieses Jahr waren wieder sehr viele skurrile Kostümideen vertreten, von Sith-Kriegern über Außerirdische, Sternenflotten-Offiziere, Jedi-Ritter, Androiden die von elektrischen Schafen träumten, oder Ellen Ripley. Der F.R.E.D., benannt nach Fred Schwohl, ist so etwas wie der LARP-Oscar, mit dem Orgas ausgezeichnet werden, die sich in den verschiedenen Kategorien verdient gemacht haben. Vergeben wurde der F.R.E.D. in diesem Jahr in den Kategorien: Idee, Ausstattung, Medien, Nachwuchs- und Familienförderung sowie bestes Bildungs-/Weiterbildungskonzept. Außerdem wurde auch dieses Jahr wieder der Mini-F.R.E.D. verliehen für das beste Mini-LARP. Folgende LARPs haben gewonnen:

 

„Computer, Simulation starten“ – Die LARPs

Wie es sich für eine LARP-Konferenz gehört, gab es auch allerlei Möglichkeiten, sich ganz praktisch seinem Hobby zu widmen. Ob ein kurzer Kriminalfall im Kreise der Mafia, die Suche nach einem Zylonen-Agenten im Battlestar Galactica-Universum, oder Mini-LARPS in verschiedenen außergewöhnlichen Settings.

Besonders beliebt war die Brückensimulation Artemis, die vernetztes Arbeiten auf einer Raumschiffbrücke ermöglicht.

Fazit

Der Mittelpunkt bleibt ein kleines Highlight des LARP-Jahres und war die Reise definitiv wert.

Das vielfältige und qualitativ hochwertige Programm ist jedoch dabei nicht nur etwas für Orgas und LARP-Theoretiker. Jeder LARPer, der mal ein wenig über den Tellerrand blicken möchte, neue Konzepte kennenlernen oder mal in andere LARP-Szenen hineinschnuppern möchte, sollte den Mittelpunkt auf dem Radar haben. Gerade die lebhaften Diskussionen über die verschiedenen Aspekte im LARP würden von weiteren Teilnehmern aus den unterschiedlichsten LARP-Hintergründen sicher profitieren. Wer also bisher gezögert hat, der möge sich einen Ruck geben, um ein spannendes Wochenende unter engagierten LARPern zu verbringen.

Bilder: © Ralf Hüls

 

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