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In meiner Kolumne „Die letzte Seite“ möchte ich in regelmäßigen Abständen Schlaglichter auf Fantastik und Co. werfen. Heute: Wenn das Schreiben einen spürbaren Platz im eigenen Leben eingenommen hat.


 „Guten Tag, meine Name ist Felix. Schreiben ist wie eine Droge für mich. Wenn ich täglich nicht wenigstens ein paar tausend Worte zu Papier bringen kann, dann werde ich unentspannt.“ – „Hallo, Felix!“ 

So oder so ähnlich stelle ich mir die Gesprächseinstiege vor, gäbe es sie wirklich: Die Selbsthilfegruppe für Autoren: „Die anonymen Vielschreiber“.  Das ist natürlich etwas auf die Spitze getrieben, hat aber doch einen wahren Kern. Das Schreiben kann, wenn du einmal veröffentlicht hast, eine ziemliche Sogwirkung auf dich ausüben. Es dauert dann gar nicht lange, bis du das Gefühl hast, dass es nicht einfach nur dazu gehört (also normale Berufsroutine ist) – sondern dass du in ein Ritual abgeglitten bist, ohne dass du gar nicht mehr auskommst.

Möglicherweise ist es wie mit den Tätowierten. Von dort hört man ähnliches: Wenn das erste Mal Tinte unter die Haut gekommen ist, dann bleibt es oftmals nicht dabei. Schnell ist das zweite, dritte, oder zwölfte Tattoo geplant und ehe man sich versieht, steckt man in einer Subkultur, plant sein Leben entsprechend, beginnt Rücklagen für die immer größeren Projekte zu bilden. Jedenfalls erinnert es mich stark an meine Beziehung zum Schreiben. Im Grunde ist es nicht lebensnotwendig – gibt aber ein besseres Gefühl, macht zufrieden.   

„Und? Was machst du heute noch?“ –  „Schreiben!“

Für Unbeteiligte ist der Sog des Schreibens oftmals nicht nachzuvollziehen. Da stürzt sich jemand Abend für Abend (oder wann auch immer sein Zeitfenster ist) daran, in die Tasten zu hauen und Geschichten zu Papier zu bringen. Stunden um Stunden, Zeit, die man doch auf so viele andere und „sinnvollere“ Dinge verwenden könnte. Und überhaupt: Was soll diese Verbissenheit? Man kann doch auch mal Fünfe gerade sein lassen und heute ein bisschen Spaß haben, unter Leute gehen und Morgen oder in ein paar Tagen schreiben? Das macht doch keinen Unterschied!

Mit ein bisschen Abstand unterscheidet sich der Drang zu schreiben aber nicht wesentlich von anderen „Freizeitbeschäftigungen“. Denn wenn wir mal ganz ehrlich zu uns sind: Wie viele Stunden verbringen wir denn so vor irgendwelchen Konsolen und Computern, versenken uns in virtuelle Welten? Wie viel Lebenszeit ist beim Schauen mehr oder weniger guter Filme draufgegangen? Wie viel Zeit versenkt man in den Tätigkeiten, die einem Spaß machen? Schnell wird klar, dass es ganz ähnlich ist. All diese Tätigkeiten sind ähnlich sinnvoll, denn sie sorgen vor allem für eine Sache, nämlich für ein gutes Gefühl. Für Zufriedenheit und für Glück.

Warum ich bei Freizeitbeschäftigung die Anführungszeichen verwendet habe? Das ist beim Schreiben so eine Sache. Wenn du als Autor tatsächlich veröffentlichst, wirst du eben früher oder später an den Punkt kommen, da dein Einsatz dir Geld in die Kassen spülen wird. Dabei ist es ein langer Weg, bist du davon tatsächlich leben kannst (wenn das überhaupt einmal eintrifft), aber es werden auf lange Sicht automatisch Beträge sein, die sich bemerkbar machen. Sobald diese Linie überschritten ist, würde ich eben nicht mehr von einer Freizeitbeschäftigung sprechen wollen – und das scheint auch der Punkt zu sein, an dem sich das Schreiben von zahlreichen anderen Tätigkeiten unterscheidet.      

Wie binge-watching

Was macht also den Sog aus? Ich finde da ein Bild ganz passend, um es zu erklären: Jeder in der Szene hat irgendeine Serie, die er verehrt, die es geschafft hat einen Platz in seinem Herzen zu erhoben. Ganz egal, ob es sich nun um Game of Thrones, Sherlock oder Doctor Who handelt, oftmals entdeckt man ein Muster, wenn neue Staffeln auf den Markt gelangen: Das binge-watching. Anstatt eine Folge die Woche zu schauen, entwickelt man einen regelrechten Heißhunger, macht es sich auf seiner Couch bequem und schaut eine Folge nach der anderen.  Nach einigen Stunden hat man es dann geschafft, ist etwas reizüberflutet – aber glücklich und zufrieden. Man will eben nicht mehr Tage bis zur nächsten Ausstrahlung warten, sondern verfällt dem Sog, immer weitermachen zu wollen.

Und ähnlich ist es mit dem Schreiben – vielleicht ist „binge-writing“ damit der passende Begriff? Natürlich kann ich mir sagen, dass ich nur in regelmäßigen Abständen von einigen Tagen mir Zeit nehme und mich an den Schreibtisch setze. Aber das macht eben nicht zufrieden. Ähnlich wie der Umstand, dass ich beim Konsumieren einer Serie wissen will, wie sich dieser oder jener Plot nun entwickelt, ist es dann auch mit dem Schreiben. Ich will die Dinge einfach zu Papier bringen. Ordnung im Kopf schaffen, Platz für neue Ideen und Gedanken und Handlungsmotive.

Es ist also ganz einfach. Die Dinge, über die man erzählen will, sind da, irgendwo in deinem Kopf – und sie müssen einfach raus. Solange du sie nicht zu Papier gebracht hast, machen sie dich irgendwie nervös und hibbelig. Vielleicht, weil du fürchtest, irgendetwas vergessen zu können, was du in genau diesem Moment für den Wurf des Jahrzehntes hältst. Oftmals stellst du dann, wenn du es dir „von der Seele“ geschrieben hast auf, dass deine Idee zwar gut, aber nicht so weltbewegend war, wie angenommen war. Sei es drum – raus musste sie trotzdem!

Und das erleichterte Gefühl, ähnlich dem, wenn eine Staffel deiner Lieblingsserie vorbei ist? Ist das vergleichbar? Ich würde sagen, dass es das ist. Wenn du die letzten Zeilen einer Geschichte – manchmal auch nur eines Kapitels – endlich getippt hast, bist du ähnlich glücklich und zufrieden. Manchmal, weil eine lange Reise vorbei ist und du auf den zurückgelegten Weg blickst und weißt, dass es genauso war, wie du dir vorgestellt hast. Manchmal, weil nur eine Etappe hinter dir liegt. So oder so: Du bist glücklich und du kannst dich fast augenblicklich ins nächste Abenteuer (sprich: das nächste Projekt) stürzen.          

Sucht?

Natürlich: Von Sucht im medizinischen Sinne kann man nur schwerlich sprechen, zumindest, wenn man einmal einen Blick darauf wirft, wie die WHO den Begriff (Genauer: vierstufiges Gebrauchskonzept) abgrenzt. Festzuhalten ist jedoch, dass wir bei dem, was ich bisher beschrieben habe schon von einer teils ritualisierten Handlung sprechen, die einen großen Stellenwert im Leben einer Person einnimmt.

Aber dann gelangt man automatisch zu der Stelle zurück, die ich schon etwas weiter oben angerissen habe. Derlei Rituale haben wir, gerade in der Szene, doch eine ganze Menge. Ich jedenfalls kenne eine Menge Leute, bei denen das Rollenspiel nicht nur eine Freizeitbeschäftigung ist, der man sich in regelmäßigen Zeitabständen widmet, sondern eben auch zwischen den eigentlichen Spielterminen. Manchmal täglich. Bei den Tabletopern genau das gleiche – im Grunde anzuwenden auf jeden Aspekt und jede Untergruppe der Szene. Es gibt eben doch eine Grenze, bei der eine Beschäftigung mit einem Thema reiner Zeitvertreib ist und ab wann es ein enthusiastisches Hobby ist, dass dem eigenen Leben durchaus Sinn stiften kann. Und da ist auch gar nichts Verwerfliches dran. Wenn man eine Sache über das Leben sagen kann bei dem sich die meisten Leute einig sind, dann ist es doch: Wir sollten uns alle darum bemühen, das Beste aus der Zeit zu machen, die wir zur Verfügung haben. Denn keiner weiß doch, wie lange das letztlich sein wird.

Wer also will, kann umgangssprachlich gerne von Sucht sprechen – doch das ficht mich nicht an (und sollte auch niemanden anderen stören). Es ist gar nicht von der Hand zu weisen, dass es sich beim Schreiben und jeder anderen Beschäftigung um echte Zeitfresser handeln kann. Solange das Leben drum herum aber läuft – man sich also nicht in seinem Hobby / seiner Beschäftigung verliert – ist doch alles im grünen Bereich. Natürlich kennt jeder die Negativbeispiele, hat selbst erlebt, wie jemand den Bezug zur Realität verloren hat (oder hat zumindest von solchen Fällen gehört). Sicher, es gibt immer wieder Leute, die sich in ihrer eigentlichen Nebenbeschäftigung (sei es das P&P-Rollenspiel, Larp, Tabletop, MMO, Computer, TCG’s oder was auch immer) vollkommen verlieren und abrutschen. Dann wiederum sind wir dem, was die WHO über Sucht sagt, wohl schon wieder näher. Solange das aber nicht der Fall ist, würde ich nicht von Sucht sprechen wollen – einfach weil der Begriff negativ konnotiert ist.            

Quintessenz

Also. Warum muss ich täglich schreiben?

Weil es wichtig ist. Weil ich es will. Weil es mir gut tut. Weil es raus muss. Weil ich es erzählen will.

Am Ende ist es ganz einfach: Man verbringt seine Lebenszeit eben gerne mit Dingen, die einem gut tun. Und nein, liebe Nicht-Schreiber: Nur weil man euch sagt, dass man eben jetzt in diesem Moment nicht kann, weil man etwas zu Papier bringen muss, hat das nicht mit mangelndem Interesse an euch oder der Freundschaft im allgemeinen zu tun. Es ist eben nur der Ausdruck hoher Identifikation mit etwas, was einem offensichtlich gut tut. Darüber sollte man sich freuen – und dem Schreibenden eben nicht gleich eine mittelschwere soziale Phobie unterstellen.

Wir sind alle eben irgendwie bekloppt und haben einen kleinen Schlag weg. Das ist völlig normal – und macht die meisten Menschen liebenswert. Meine Macke ist das Schreiben. Und eure?   

Artikelbild: Photographee.eu | fotolia.de

 

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