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Nicht selten steht im Spiel das Gute gegen das Böse. Die Heldengruppe zieht gegen ein finsteres und unterdrückendes Regime zu Felde. Doch was ist, wenn die Truppe nicht aus Helden besteht, sondern genau dieses Regime stützt? Sind Charaktere, die für unmoralische Systeme eintreten, guten Gewissens spielbar?

Das klassische Rollenspiel sieht, gleich einem Märchen, den Kampf Gut gegen Böse vor. Natürlich gibt es mittlerweile diverse Rollenspiele, die in einer moralischen Grauzone angesiedelt sind. Dennoch beinhalten nicht wenige Spiele ein System, um einen Richtwert der inneren moralischen Ausprägung eines Spielercharakters messbar zu machen. Ist der Charakter klassisch gut, böse oder gar neutral? Dungeons & Dragons kennt vor allem diese drei Standardausrichtungen und untergliedert sie weiter in rechtschaffen, wahrlich neutral und chaotisch. Dieser moralische Kompass wird sowohl bewusst als auch unbewusst, auch fern ab von Dungeons & Dragons, als erstes Raster genutzt, um die Einstellung eines Spielercharakters zu seiner Umwelt zu definieren.

Woher kommt nun ein „böser“ Charakter? Was hat ihn eigentlich böse gemacht? Wer definiert was gut und was böse ist? Ein Spielercharakter hat eine Vergangenheit und eine Umgebung, in der er sich bewegt. Wo, wenn nicht in einem „bösen“ Regime, einer martialischen Gruppierung oder einem Unrechtsstaat könnte ein solcher Charakter entstanden sein und gedeihen? Böse Reiche, dunkle Imperien, unterdrückende Konzerne und xenophobe Vereinigungen finden sich in vielen Rollenspielwelten, und sind in ebenso vielen mögliche bespielbare Hintergründe.

Doch darf man so ein richtig fieses Arschloch, oder einen Handlanger des Bösen, überhaupt spielen? Kann so ein Konzept Spaß machen? Und wenn man sich schon darauf einlässt, worauf sollte man bei der Charaktererschaffung als Spieler und als Spielleiter achten?

Die Moralfrage – Darf man das?

Wenn es darum geht, einen Charakter darzustellen, der einem totalitären Regime gegenüber nicht nur hörig, sondern gar inbrünstig Feuer und Flamme ist, dann hört man von Spielern nicht selten die Aussage, dass sie sich das per se nicht vorstellen könnten. Zum Glück leben wir im Deutschland des 21. Jahrhunderts, in einer Umgebung, die zum Großteil frei ist von Krieg, Unterdrückung, staatlicher Willkür, Zensur und gelenkter Meinungsmache. Es mag nicht alles Gold sein was in unserer Gesellschaft glänzt, es mag noch viele Baustellen geben, ehe wir einen Zustand vollkommener Gleichberechtigung, vollkommener sexueller Selbstbestimmung und vollkommener Informationsfreiheit erlangt haben. Dennoch leben wir in einem multikulturellen Land, in dem Menschenrechte, sowie das Recht auf freie Meinungsäußerung, ebenso hoch gehalten werden, wie die Persönlichkeitsrechte und das Recht auf Religionsfreiheit eines jeden Mitbürgers.

Mit diesem realen Hintergrund unseren täglichen Seins, mit all den täglichen Herausforderungen um unsere Gesellschaft noch gerechter zu gestalten, fällt es oft schwer, sich in einen Charakter zu versetzen, der all dies nicht nur ablehnt, sondern bewusst bekämpft.  Es fällt schwer, sich vorstellen zu können, dass  so etwas überhaupt Spaß machen könnte. Und so höre ich im Rollenspiel nicht selten, dass Spieler sich damit nicht identifizieren könnten. Geht es um das Identifizieren mit solchen Hintergründen, um sie in einem Rollenspiel darstellen zu können? Geht es beim Rollenspiel überhaupt darum, nur das darzustellen, mit dem man sich persönlich, als Spieler hinter dem Charakter, identifizieren kann? Besteht der Reiz im Rollenspiel nicht eher auch darin, sich in Szenerien und Charaktere hineinzuversetzen, die mit der täglichen Realität nichts zu tun haben, die unserer persönlichen Moralvorstellung sogar absolut zuwider laufen können?

Der Reiz herausfordernden Rollenspiels besteht doch gerade darin, sich in etwas zu versetzen, das wir uns für unser reales Leben möglicherweise nicht einmal vorstellen möchten. Dazu zählen auch Eigenschaften und Moralvorstellungen der von uns bespielten Charaktere. Die Frage nach der Moral bei der Darstellung eines moralisch höchst fragwürdigen Charakters stellt sich damit nicht, denn unser Rollenspielcharakter sollte niemals unser reales Selbst abbilden. Eine zu persönliche Identifizierung mit dem bespielten Charakter ist daher nicht nur nicht gewollt, sie wäre absolut hinderlich, um eine klare Trennlinie ziehen zu können zwischen dem, was am Spieltisch passiert und dem, was jenseits stattfindet.

Sich bewusst von seiner eigenen persönlichen Moralvorstellung zu trennen, und einen Charakter zu verkörpern, der an der Speerspitze eines totalitären Regimes steht, birgt große Herausforderungen für Spieler wie Spielleitung. Es besteht immer wieder die Gefahr aus der Rolle zu fallen und den eigenen Charakter nach modernen westlich-aufgeklärten Maßstäben handeln und denken zu lassen. 

Charakterdarstellung – Einschränkungen bedenken!

Charaktere, die in totalitären Umgebungen sozialisiert wurden, können beginnen, an ihrer Umgebung zu zweifeln. Würden sie das tun, so wären wir im klassischen Aussteiger-Szenario. Das könnte der ehemalige Mitarbeiter eines Megakonzerns bei Shadowrun sein, der die Gräuel seines Arbeitgebers nicht mehr erträgt, oder der Mitarbeiter des Imperialen Sicherheitsbüros bei Star Wars, der sich von der Unterdrückung durch das Imperium desillusioniert zeigt. All diese Charaktere verlassen ihren negativ eingefärbten Hintergrund um die Seiten zu wechseln. Aber was ist mit den Spielercharakteren, die bleiben?

Nehmen wir beispielsweise den Mitarbeiter des im Beispiel oben genannten Imperialen Sicherheitsbüros. Dieser Charakter wuchs in einem System auf, in dem Propaganda die Meinung der Bevölkerung von Kindesbeinen an formt. Er wurde in einer Umgebung sozialisiert, die ihm Ausgrenzung, Unterdrückung und staatliche Willkür als vollkommen normale Umstände vorlebte. Dieser Charakter hat diese Umstände nicht nur ertragen, er kennt es nicht anders. Offensichtlich wurde er dergestalt indoktriniert, mit „Hurra-Patriotismus“ beschallt, dass er für seine Sache innerlich brennt. Zumindest hat er sich entschlossen in den Staatsdienst zu treten, um gegen subversive  Elemente zu kämpfen, die das Imperium bedrohen könnten.

Dieser gesamte Hintergrund, von der Kindheit bis in das Erwachsenenalter, bietet Einschränkungen bei der geistigen Entfaltung des Charakters. Diese Person wird nicht kritisch denken. Dies sollte sich auch bei der Darstellung des Charakters zeigen. Sehr häufig kippen solche, von Populismus und Propaganda geprägten Charaktere, im aktiven Rollenspiel schnell aus der Rolle. Es passiert etwas, das dem Charakter auch nur seicht die Schattenseiten seiner Gesellschaft aufzeigt – und schon beginnen Charaktere ihre gesamte Umwelt, nebst ihrem bisherigen Leben, in Frage zu stellen. An dieser Stelle, wenn der Charakter tatsächlich so leicht vom Glauben an die Richtigkeit seiner Sache abfällt, bröckelt die Konsistenz in der Charakterdarstellung. Wäre es glaubhaft, würde ein solcher Systembefürworter so rasch aufgeklärt? Ist es nicht wahrscheinlicher, dass dieser Charakter aufgrund einer Vergangenheit, die geprägt war von extern gesteuerter Meinungs- und Willensbildung, vielmehr in Verweigerung der Realität verfällt und sich auf seine ihm eingebrannten Werte besinnt? Man darf nicht vergessen, dass solche Personen, in solchen Umgebungen, oft niemals motiviert wurden überhaupt kritisch zu denken, geschweige denn das Gesellschaftssystem in Zweifel zu ziehen. Dies sollte sich im Charakterspiel wiederfinden.

Nichtsdestotrotz sind solche Charaktere, wie in diesem Beispiel der Diener des Galaktischen Imperiums in einem Star Wars-Szenario, keine Idioten. Sie haben eigene Erfahrungen gesammelt, sie haben Dinge gelernt, sie haben Motivationen.  Gerne wird angenommen, dass jemand, der nicht dumm sei, erkennen müsse, dass seine Umgebung ihn unterdrückt. Hier wird die Intelligenz des Charakters mit der Moral gleichgestellt. Die Intelligenz einer Person ist nicht zu verwechseln mit der moralischen Ausprägung. Die menschliche Moral ist ein höchst flexibles Gut und stets definiert durch Zeit und Umgebung. Ein hochintelligenter Atomphysiker in einem despotischen Regime kann durchaus Massenvernichtungswaffen entwickeln, die gegen eine freiheitlich-rebellierende Minderheit eingesetzt werden sollen. Nur weil diese Person in höchstem Maße intelligent ist, muss sie nicht der Meinung sein, dass unsere realen freiheitlichen Werte anzustreben sind, noch muss er das despotische Regime, in dem er lebt, ablehnen.

Die Konsistenz des Szenarios – Wann wackelt die Darstellung?

Neben den individuellen Charakteren, die von Spielern erstellt werden, ist die konsequente Darstellung einer absolutistischen Spielwelt eine Herausforderung an jeden Spielleiter. So sollte die erdrückend graue Atmosphäre einer solchen Umgebung glaubhaft und bitter dargestellt werden. Dies kann ein Drahtseilakt sein. Die Spielercharaktere dürfen, gerade wenn sie nicht zu Verrätern und Rebellen werden sollen, nicht zwanghaft mit einer so persönlich unterdrückenden Willkür belegt werden, dass ihr Systemglaube unglaubwürdig wird. Jedes noch so despotische Regime besitzt Belohnungssysteme. Ein Spielercharakter, der ständig nur bestraft und eingeschränkt wird, obschon er beständig im Sinne des Systems handelt, droht unglaubwürdig zu werden, wenn er davon nicht irgendwann desillusioniert ist.

Einige fantastische Welten kombinieren das Belohnungssystem mit Glaubensfragen, oder ersetzen es dadurch vollkommen. In Schattenjäger, das im Warhammer 40.000 – Universum angesiedelt ist, nimmt der Glaube an einen Gottimperator und dessen prüfenden Blick einen solchen Stellenwert ein, dass Charaktere ihr Leben trotz aller Mühsal und Einschränkung darauf ausrichten. Auch im Star Wars-Zeitalter der Alten Republik werden die herrschenden Sith wie Halbgötter von der Bevölkerung betrachtet.

Die jeweilige Atmosphäre eines totalitären Systems sollte im Rollenspiel spürbar sein. Wirken Antagonisten und Statisten, die die Atmosphäre in der Szenerie eigentlich unterstreichen sollten, permanent gesellschaftskritisch, so ist die Beschreibung einer durch und durch indoktrinierten Gesellschaft nicht mehr glaubhaft. Ist der gesellschaftliche Regelbruch quasi allgegenwärtig, dann wirkt ein Überwachungs- und Kontrollstaat bei weitem nicht mehr so totalitär wie er angedacht war.

Die Normalität in dieser Umgebung muss genau als das erkannt werden können. Nur so wirken Gegenspieler wie Rebellen und Revoluzzer wirklich revolutionär und aufrührerisch. Die Immersion der Spielwelt bleibt oberflächlich, wenn die Atmosphäre nicht glaubhaft dargestellt wird. Wenn Spieler sich wahrlich für eine Runde in Schattenjäger entscheiden und ihre Akolythen der Inquisition erstellen, dann werden sie eine zukünftige Gesellschaft erleben wollen, die sich xenophob, unterdrückend und kaltherzig präsentiert. Stellen diese Spieler während der Tischrunde fest, dass an die Werte des Menschlichen Imperiums niemand in der Spielwelt so wirklich glaubt, alle eigentlich gutherzig und aufgeklärt sind, während sie gleichzeitig zusätzlich die Führung verachten, dann wäre dies keine Schattenjäger-Runde mehr, dann wäre dies kein Warhammer 40.000-Szenario mehr.

Die Grenzüberschreitung – Selbstzweck statt Geschichte

Wie bei vielen kritischen Themen am Spieltisch hat auch das Bespielen von regimetreuen Charakteren klare Grenzen. Natürlich können all jene Grausamkeiten, die unsere menschliche Geschichte bis heute prägen, Teil des Rollenspiels sein. Folter, Mord, Unterdrückung, staatliche Willkür, Zensur, all dies kann am Spieltisch zum Thema werden und kann die Immersion verstärken. Diese Dinge können sogar ein Muss beim konsequenten Bespielen eines Charakters sein. Was sie niemals sein dürfen, ist ein Selbstzweck.

Der Fokus des Rollenspiels sollte stets beim Erzählen einer Geschichte liegen, nicht beim einzelnen Fokussieren auf bestimmte Handlungen. Gewaltdarstellungen sind so lange in Ordnung, wie sie nicht zu „Gore-RP“ werden, bei dem Gewaltbeschreibungen, ohne jeglichen Wert auf eine erzählte Geschichte, zum Selbstzweck der Rollenspielrunde werden. Es sollte auch nicht der Fokus am Spieltisch sein, möglichst stundenlang zu beschreiben, wie Minderheiten in der Spielwelt unterdrückt werden. Diese Dinge mögen zwingender Bestandteil einer Geschichte sein, sie dürfen die Geschichte jedoch nicht ersetzen. Würden sie dies tun, wäre die Gefahr groß, dass es sich bei der Tischrunde nicht um eine Rollenspielrunde handelt, sondern um eine Gruppe von Personen, die kritischem persönlichen Gedankengut verbal Ausdruck verleihen.

Die Grenze zwischen Spieler und Charakter sollte stets gewahrt bleiben. Es muss klar sein, dass die Charakterhandlungen keine Stellvertretung der realen Fantasien des Spielers darstellen. Diese Grenze, die im Rollenspiel generell angestrebt werden sollte, gilt bei solch moralisch kritischen Hintergründen umso mehr!

Ja zu grausamen Umgebungen…wenn man möchte

Sollte man nun moralische Bedenken haben wenn solche Szenerien bespielt werden? Nein, das sollte man nicht, solange man am Spieltisch Wert auf eine konsequent bespielte  Geschichte legt, und zwischen dem trennen kann, was am Tisch passiert und dem, was die Spieler jenseits des Tisches betrifft.

Es kann durchaus seinen Reiz haben, solche Umgebungen aktiv zu bespielen, wenn man es denn möchte. Dies ist, wie bei allem, beim Hobby des Rollenspiels der Schlüssel. Es muss den Spielern und dem Spielleiter am Tisch gefallen. Kann man sich nicht gefahrlos in ein solches Szenario fallen lassen, sich nicht auf die Atmosphäre einlassen, oder findet schlicht keinen Spaß daran, dann sollte man die Finger davon lassen.

Nicht selten lassen sich Spieler auf regimetreue Charaktere ein, begeben sich in das Charakterspiel und offenbaren dabei, dass sie eigentlich aufgeklärte, gesellschaftskritische Charaktere spielen möchten. Dies führt in der Folge zu sehr hitzigen und polarisierenden Diskussionen, da die Charaktere dieser Spieler die Atmosphäre für die übrigen Mitspieler kippen lassen.

Hier helfen Absprachen zwischen den Spielern und mit der Spielleitung, um Missverständnisse und Unstimmigkeiten aus dem Weg zu räumen. Schon vorab kann so geklärt werden, was alle Spieler am Tisch eigentlich von der gemeinsamen Runde erwarten. Auch die Grenzen des zu Bespielenden können hier definiert werden. Es sollte niemals Inhalte am Spieltisch geben, die für die Mitspieler ein Problem darstellen. Wenn diese Inhalte elementarer Bestandteil der Spielwelt sind, so gälte es zu überlegen, ob das Rollenspielsystem nicht besser gewechselt werden sollte. Auf der anderen Seite können moralisch absolut fragwürdige Rollenspielszenarien die nachträgliche Sicht auf reale Begebenheiten auf bedrückende Weise lenken oder verändern. So kann das Rollenspiel in einem solchen Szenario durchaus wie ein schockierender Antikriegsfilm wirken.

Artikelbild: fotolia | swisshippo

 

8 Kommentare

  1. Die Unterscheidung zwischen Moral und Intelligenz hat mir sehr gut gefallen. Das habe ich bisher so noch nicht betrachtet. Vielleicht hilft mir das auch die reale Welt etwas besser zu verstehen ;)

    Als System, dass insbesondere daran scheitern kann, wenn Charaktere das Gewissens ihrer Spieler übernehmen, anstatt ihre eigenen Glaubensansätze zu verinnerlichen, habe ich übrigens „Dogs in the Vineyard“ kennen gelernt. Dort spielt man die umherziehende Legislative und Exekutive einer religiösen Gemeinschaft. Der Reiz besteht darin, dass man die Regeln der religiösen Gesellschaft selbst prägen kann, aber wenn man zu liberal an die Probleme herangeht bricht die Narrative irgendwann zusammen. Ich finde es total spannend mich in mir fremde Wertevorstellung hineinzuversetzen und Dogs forciert das großartig.

  2. Hab mal eine Tischrollenspielrunde für Krieger in einem faschistischem Regime geleitet ; Chronipia Firstborn.
    War für die Spieler echt hart. Nach und nach stieg über die Hälfte der Spieler aus – und wir haben es dann eingestampft.
    Es war aber vor allem nicht nur einfach ein „wir-sind-heute-mal-so-böse Stereotypen. Ich kannte mich eh schon gut mit den tatsächlichen Strukturen und Vorfällen von SA und SS im Dritten Reich aus.
    War eine interessantes Erfahrung.

  3. Es ist ein Spiel, Leute!
    Natürlich ist es auch wichtig mal die andere Seite zu beleuchten. Also warum denn nicht? Die Tabletopper spielen 2. Weltkriegsdeutsche, oder den Isis in modernen Spielen, die Computerspieler Schlachten wahllos arme Monster ab in Spielen wie Doom. Und vor allem, was ist mit den Armen Spielleitern, die sollten auch keine Gewissensbisse haben, wenn sie die Bösewichte spielen müssen. Sorry, aber das ist für mich keine Frage.
    Außerdem, wer sagt, wer gut und böse ist? Im Rollenspielen wird immer gekämpft und auch wenn der Erschossene böse war, so ist es immer noch ein Wesen. Dann müssten wir auch jegliche „Gerechtigkeit“ in Frage stellen, ist nicht auch das wegdürften eines Entführers eine Freiheitsberaubung? Ist nicht auch der legitimierte Henker ein Mörder? Und ist der Doperaucher wirklich kriminell?
    Hinterfragt doch mal die Frage?
    Liebe Grüße,
    Olaf

  4. Sehr schön geschrieben! Mit einer durchaus interessanten Analyse, wie solche Settings funktionieren.

    Ich glaube allerdings, dass solche Szenarien nicht „etwas für jedermann“ sind. Meiner Erfahrung nach – ich beziehe mich hier auf meine Erfahrungen aus Pen&Paper und LARP – suchen viele Spieler eben nicht das „komplett andere“ und das erleben von Szenarien, die der eigenen Realität sehr fremd sind, sondern eine Möglichkeit sich kurze Zeit in einer einfacheren, optimaleren Welt aufzuhalten; die klassischen Schwarz-Weiß-Fantasy-Szenarien liefern genau das. Moral bewegt sich in Regeln, man ist der (Anti-)Held, die eigenen Handlungen müssen nicht kritisch hinterfragt werden, geschweige denn die Moralvorstellungen des Spielers.
    Erst wenn man den Schritt weg vom „Heile Welt“-Spiel wagt und sich tatsächlich das erste mal mit der Frage „Was kann Rollenspiel?“ beschäftigt (erfahrungsgemäß macht man das zu Anfang eben nicht) werden solche Szenarien interessant, die einem etwas „Anderes“ bieten.
    Dennoch lohnt es sich sehr diesen Schritt zu gehen.

  5. „Der Fokus des Rollenspiels sollte stets beim Erzählen einer Geschichte liegen, nicht beim einzelnen Fokussieren auf bestimmte Handlungen. Gewaltdarstellungen sind so lange in Ordnung, wie sie nicht zu „Gore-RP“ werden, bei dem Gewaltbeschreibungen, ohne jeglichen Wert auf eine erzählte Geschichte, zum Selbstzweck der Rollenspielrunde werden.“

    Es stimmt, dass Handlungen nie Selbstzweck sein sollten. Dass sie allerdings „im Dienste der Geschichte“ stehen sollten, halte ich deswegen für Quatsch, weil es eine Vielzahl potentieller „Dienstherr.inne.n“ gibt, die Handlungen beurteilen. Die „Geschichte“ ist nur eine davon. „Exploration des moralischen Themas“, „Erkundung der Spielwelt(gesetze)“, „Mittel zur Bewältigung von Herausforderungen“, … sind Weitere und in ihrer Qualität als „Dienstherr.in“ der Geschichte absolut ebenbürtig. Die Spielrunde muss sich mMn einigermaßen einig sein .

    Kohärenz und Pausibilität spielen bei „grausamen Szenarien“ eine große Rolle. Und deswegen müssen sich alle Spielenden darauf einlassen wollen. Aber auch hier gilt wieder: Welche Plausibilität und welche Kohärenz? Die der Charaktere? Die der Geschichte? Die der Spielwelt? Die des Spielprozesses? Und: Welche Rolle spielen die Spielregeln? Dürfen sie eigenständige Folgerungen aus Spieler und NSC-Aktionen/Reaktionen ziehen?

    @ Herbert Arp:
    Bzgl. „die andere Sicht“: Da gibt es jede Menge Kram dazu. Clockwork & Chivalry z.B. beschäftigt sich mit dem englischen Bürgerkrieg. Ein Urteil darüber ob man jetzt Karl I. oder Cromwell als bösartiges Monster ansehen muss, wird nicht getroffen. Thou art but a Warrior beschäftigt sich mit der Reconquista Spaniens aus Sicht der mulismischen Ritter.

    Anders gesagt: Wer gern differenzierte Auseinandersetzung mit Moral, … im Rollenspiel haben will, der findet jede Menge Kram bei Spielen, die Wert auf „soziale Ordnung“ des Settings legen. Meist sind das Spiele, die überdurchschnittlich viele historische Anleihen haben. Das fängt bei Glorantha/RuneQuest an, geht weiter bei Pendragon – die World of Darkness und Legend of the Five Rings haben davon auch was abbekommen. Am prominentesten ist das aber bei Indies (Montsegur1244, Dogs in the Vineyard, …) zu haben.

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