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Mit dem Adventurer‘s Companion wird das Tischrollenspielsystem The One Ring um viele neue Optionen zur Charaktererstellung erweitert. Doch nicht alles, was Gold ist, glänzt und ob das Buch ein treuer Gefährte wie Samweis Gamdschie oder ein übler Begleiter wie Gollum ist, stellt sich in dieser Rezension heraus.

Ein treuer Reiserucksack für den ohnehin schon mit Büchern überladen Spieler soll der Adventurer‘s Companion für das Mittelerde-Rollenspiel The One Ring sein. Doch hat er ein kluges Packsystem und bietet dem Spieler spannende Optionen oder wird hier einfach alte Ausrüstung in einen neuen Beutel geschnürt?

Inhalt

Der Kern dieses Bandes sind die dreizehn zusätzlich spielbaren heroischen Kulturen, die es sich auf fast einhundert Seiten gemütlich machen. Jedoch erhalten die freien Völker tatsächlich nur sechs echte kulturelle Neuzugänge als Verstärkung im Kampf gegen den Schatten. Die übrigen sieben wurden bereits in anderen Quellenbüchern eingeführt. Es folgen etwas über fünfzig Seiten Regelzusätze, die fast jeden reglementierten Bereich optional modifizieren.

Hörnerklang – Verstärkung im Kampf gegen den Schatten

Das erste und längste Kapitel widmet sich der Charaktererstellung. Auf eine Zusammenfassung des Ablaufes der Charaktererschaffung folgen einige archetypische Vorschläge zur Motivation der Heldin ihre Heimstatt zu verlassen und in die weiten Lande Mittelerdes zu ziehen. In der Tradition des Systems, dicht an Tolkiens Primärtexten zu arbeiten, orientieren sich diese Vorschläge zur Hintergrundgeschichte an den Charakteren der Bücher. Folgend werden kurz Schablonen zum Schmieden einer Gemeinschaft bereitgestellt.

Kommen wir nun zum Herz des Bandes – den heldenhaften Kulturen. Dreizehn Stück an der Zahl, verstärken sie die sechs Optionen des Grundbandes, womit stolze neunzehn Wahlmöglichkeiten erreicht sind. Damit sind fast alle Kulturen der freien Völker abgedeckt, die zum Ende des dritten Zeitalters in Mittelerde existieren. Wie erwähnt sind aber weniger als die Hälfte wirklich neu, nämlich nur sechs Kulturen. Das sind: Zwerge aus den Ered Luin, Elben Loriens, Bree-Menschen, Menschen aus Minas Tirith, Eigensinnige Elben des Düsterwaldes und die wilden Hobbits der Anduintäler. Die anderen sieben wurden schon in den Quellenbüchern zu Bruchtal, Rohan und dem Erebor sowie dem Supplement-Heft des Spielleiterschirmes eingeführt.

Der Aufbau der Kulturbeschreibungen behält die bisherige Grundstruktur bei. Nach kurzer Beschreibung des Lebensraumes, seiner Bewohner und ihrer Meinungen über einige der anderen freien Zivilisationen folgt der Regelteil. Jedes Volk bringt einen Cultural Blessing genannten Vorteil mit und liefert sechs Hintergründe, die sowohl Geschichte als auch Werte des frisch gebackenen Helden beeinflussen. Abgerundet wird jede Kultur durch eine Anzahl an Cultural Virtues, also charakterlichen Stärken, und Cultural Rewards, also materiellen Belohnungen, aus denen die Heldin mit wachsender Erfahrung wählen kann. Hier liegt leider die größte Schwäche der neuen Kulturen, denn nicht alle neuen Streiter dürfen voll aus dem Krug der Vorteile schöpfen. Stattdessen orientieren sich beispielsweise alle Zwergenkulturen an den Zwergen des Erebors und erhalten lediglich je einen materiellen und charakterlichen Vorteil, während sie für die übrigen Wahlmöglichkeiten auf die Optionen ihrer Verwandten vom Erebor zurückgreifen müssen. Damit wird auch die Chance vertan, die bestehenden Charakteroptionen aus den Quellenbüchern sinnvoll zu erweitern. Die sieben bereits bekannten Kulturen werden unverändert übernommen. Allein durch diese Ergänzung hätte der Band so viel interessanter werden können. Schlussendlich ist damit über die Hälfte dieses Kapitels aus anderen Quellenbüchern recycelt. Zwar sind alle Kulturen stimmig beschrieben und bieten tolle Erweiterungen für die Heldenerstellung, der Mehrwert für Besitzer der anderen Quellenbücher schrumpft aber gewaltig.

Von klirrenden Klingen zu Schnur und Fischgräte

Ergänzt werden die Kulturen durch eine Vielzahl an optionalen Regeln, die an verschiedensten Schräubchen des Regel-Zahnwerks drehen. Den Einstieg bildet eine sechste Berufung, der Anführer, welche die übrigen sinnvoll ergänzt. Die folgenden erweiterten Kampfregeln bereichern das Kampfsystem und liefern ausreichend Möglichkeiten, die Aktionen der Helden oder Widersacher etwas variantenreicher zu gestalten. Zwar finden sich hier kleine Schönheitsfehler, wie die Tatsache, dass der Kampf mit zwei Einhandwaffen nur mit verschiedenen Waffentypen möglich ist, in der Gesamtheit aber präsentieren sich die zahlreichen neuen Möglichkeiten, Orks, Trollen, Spinnen und allen anderen Dienern des Feindes ihre düsteren Geschäfte mit der blanken Klinge zu vermiesen, in einem guten Licht. Außerdem werden die sogenannten Masteries als kulturunabhängige charakterliche Vorteile um einige gute Meisterschaften erweitert.

Angenehm ist, dass jede neue Regelerweiterung zusätzlich zu ihrer Beschreibung in eine Tabelle mit allen bisherigen Optionen eingebettet wird und sich zahlreiche Boxen mit Regelzusammenfassungen finden. Das ist für die Übersichtlichkeit enorm hilfreich. Selbst wenn die Regel aus der Tabelle heraus nicht verständlich wird, sind die Seitenverweise auf das Grundregelwerk immer nützlich.

Es folgt ein Teil, der sich der Fellowship Phase, also der Gefährtenphase, widmet. Eingeläutet wird er durch eine Zusammenfassung zum Ablauf dieser Ruhepause zwischen den abenteuerreichen Erlebnissen des Heldenlebens. In vollem Umfang wird als Teil dieser Phase die Steigerung der Charakterwerte durch gewonnene Abenteuererfahrung erläutert. Ob diese im Grundregelwerk beschriebenen Abläufe wirklich in ihrer vollen Länge wiederholt werden müssen, ist fraglich. Natürlich ist es praktisch, alle Abläufe zu den Charakteren in einem Buch gebündelt zu finden, aber dennoch erweckt der Band etwas zu häufig den Eindruck simpler Wiederverwertung.

Die Unternehmungen, welche die Charaktere in der Gefährtenphase beschäftigen können, werden gebündelt in einer mehrere Seiten fassenden Tabelle aufgelistet, was bei der nicht geringen Zahl an Quellenbüchern praktisch ist. Ohne das entsprechende Quellenbuch kann die Unternehmung aber nicht genutzt werden. Der Band gibt lediglich eine Zusammenfassung und liefert selbst nur zwei Unternehmungen: Beratungen mit Radagast dem Braunen und das Erwählen eines Erben. Es folgen eine Erklärung der Regeln zum Patronat, sowie eine Auflistung der Patrone, wichtiger Personen in Tolkiens Welt, wie Elrond der Halbelb oder Saruman der Weiße, die ihr Auge wohlwollend auf die Helden richten können, sollten diese sich es verdienen. Die Zahl der Patrone ist aber gering und es werden für die neuen Kulturen, die im Band vorgestellt werden, keine neuen Patrone eingeführt. An dieser Stelle ist die pure Wiederverwendung unverzeihlich geworden. Warum wurden nicht beispielsweise Ecthelion II., Statthalter Gondors, oder der Wirt des tänzelnden Ponys in die Liste der Patrone aufgenommen, wenn schon ihre Kulturen im Band vorgestellt werden?

Etwas wirklich Neues wird mit den berühmten Gesellschaften eingeführt, für die die Helden arbeiten können. Für die von Glorfindel in Bruchtal gegründete Gwarieg En-Angol beispielsweise können im Norden wichtige Artefakte und Reste des Wissens aus alten Tagen vor den Klauen der Orks gerettet werden. Im Endeffekt enttäuscht der Part, denn die Gesellschaften sind nur fünf an der Zahl und der meiste Text wird durch abstruse Gründe gefüllt, warum ein Held eines bestimmten freien Volkes die Ränge der Gesellschaft füllen könnte. Bei den Hobbits fällt jedes Mal der Name Tuk und auch alle anderen Völker benötigen oft grob konstruierte Zugänge. Am schlimmsten ist aber, dass auch hier nur die bisher in Quellenbüchern beschriebenen Regionen gefüllt werden.

Ab diesem Zeitpunkt folgen Zufallstabellen mit denen jede Menge sinnloser Kram eingeführt wird, der ausschließlich dem Flair dienen soll. Die  Tabellen dürften aber dank der seltsamen Ergebnisse selten Gebrauch finden. So kann man auswürfeln, was sich grade in der eigenen Tasche befindet. Eine nette Anspielung auf die Rätsel in der Dunkelheit, aber kaum eine praktische Regelergänzung. Auch die Zufallstabelle zur Reiseausrüstung ist wenig sinnvoll, da diese nicht mit Regeln verbunden ist und ein rein zufällig bestimmtes Sammelsurium an Reisegegenständen vor allem eine sinnlose Sammlung ergibt, mit der sich kein Held auf den Weg machen sollte. Der Band schließt mit schrittweisen Zusammenfassungen zu den Abläufen von Kämpfen, Reisen und sozialen Begegnungen. Übersichtlich, aber nicht neu.

Erscheinungsbild

Die Qualität der Illustration ist bis auf wenige Ausnahmen hoch und bleibt dem Stil des Systems treu. Die bildnerische Darstellung ist bei The One Ring etwas eigentümlich, prägt für meinen Geschmack aber ein sehr schönes Bild Mittelerdes und ermöglicht damit einen Zugang fernab der ausgetretenen Filmdarstellung. Die Schrift ist gut leserlich, ein Index ist für die Übersichtlichkeit vorhanden. Im Allgemeinen ist der Band gut gegliedert.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Cubicle 7
  • Autor(en): Francesco Nepitello, Jon Hodgson
  • Erscheinungsjahr:2017
  • Sprache: Englisch
  • Format: PDF
  • Seitenanzahl: 160
  • Preis: 22.99 USD (PDF), 37.95 EUR (PDF-Print Bundle)
  • Bezugsquelle: DriveThruRPG, Sphärenmeister

 

Fazit

Der Band nimmt leider eine ungünstige Position in einem sonst wundervollen System ein. Er will einerseits altes Material aus den Quellenbüchern sowie dem Grundregelwerk zusammengefasst darstellen und gleichzeitig heroische Kulturen spielbar machen, deren Regionen noch keinen eigenen Quellenband bekommen haben oder in den bisherigen nicht erwähnt wurden. Damit wirkt der Band wie eine Zusammenfassung, die man schon nach der Hälfte eines gelesenen Buches schreibt. Alle neuen Ideen sind nur angeschnitten und bekommen abseits der Kulturen keine sinnvollen Ergänzungen. Statt die Kulturen an sich zu überarbeiten und die bestehenden Lücken zu füllen, hat man es sich lieber leichtgemacht und die Inhalte kopiert. Die Regelergänzungen havarieren zwischen sinnvoll und bereichernd bis hin zu unnötig und niedlich.

Im Endeffekt ist der Adventurer‘s Companion eine Spielhilfe, die eine Menge Zusammenfassungen bietet und damit das Spiel erleichtert, die zusätzlichen Quellenbücher an allen Ecken und Enden dennoch voraussetzt. Den Preis von 37.95 EUR für das Print PDF Bundle ins Kalkül gezogen, würde ich den Band nur bekennenden Fans, die ein paar extra Kampfregeln und Zugang zu den weiteren Kulturen wünschen, nahelegen. Allen anderen würde ich einen Start mit anderen Quellenbüchern empfehlen.

Artikelbild: Cubicle 7 Ltd.
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

Über den Autor

nick-randackNick Randack ist bei Tischrollenspielen mit erzählerischem Tiefgang und starker Hintergrundwelt schnell Feuer und Flamme. Das Regelkonstrukt des System sieht er mehr als notwendiges Übel für ein erfolgreiches Zusammenspiel, denn als wirkliche Bereicherung. Bei der Auswahl der Spielwelten ist er prinzipiell offen, wobei zu abstruse und schillernde Realitäten ihn eher schrecken und bodennahe und am besten an echter Mythologie angelehnte Kosmen seinen mentalen Geschmacksorganen munden.

 

 

 

1 Kommentar

  1. Schöne Rezi, der ich in weiten Teilen zustimme. Es wird tatsächlich viel aus anderen Quellenbüchern wiederholt. Wobei das ja genau der Knackpunkt des Buches sein soll. In der Ankündigung Cubicle 7s stand klar „ein Buch speziell für Spieler“. Also für Spieler, die sich vielleicht nicht extra alle Quellenbücher kaufen möchten, um die spielbaren Kulturen beisammen zu haben.

    Was ich nicht ganz verstanden habe, war der Satz „Die bildnerische Darstellung ist bei The One Ring etwas eigentümlich (…)“. Könntest du das noch ein wenig genauer erklären? Die Bebilderung, das Layout und die gesamte Aufmachung gehören für mich zum Besten in der ganzen Szene, was in der Community weitestgehend so unterschrieben wird.

    Insgesamt halte ich die Bewertung dann insgesamt doch für ein wenig zu hart. Einem Band, der als Regelzusammenfassung für Spieler Werbung macht, genau das vorzuwerfen, wirkt auf mich seltsam.

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