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Die Presse hat den italienischen Superhelden-Film hochgelobt, und an den italienischen Kinokassen wurde er zum Überraschungshit. Aber ein Superhelden-Film aus Italien? Das macht uns natürlich neugierig, und wir haben uns das hochgelobte Werk angeschaut. Hält der Film, was die Kritiken versprechen, oder bleibt es ein Lokalphänomen?

Ganze neun Filmfest-Preise zieren bereits das Rückcover der Blu-Ray, und mit Superlativen wird auch nicht gegeizt: „Kult“ titelt La Repubblica, „Ein Juwel“ jubelt die Huffington Post, und Variety rät: „Unbedingt anschauen“. Für das Kinojahr 2016 war Sie nannten ihn Jeeg Robot wohl auf kaum einem Radar zu finden. Doch dann schlug er an den italienischen Kinokassen voll ein. In Italien hielt er sich zwei Monate in den Top 10 . Mehr als nur ein Achtungserfolg, möchte man meinen. Dennoch hat der Film nicht den Sprung in das reguläre Kinoprogramm außerhalb Italiens geschafft. In Deutschland feiert der Film am 03. Februar Prämiere als Blu-ray-Veröffentlichung.

Story

Die Geschichte an sich ist wenig innovativ und ähnelt vielen Superheldenvorlagen. Mehr oder minder erfolgloser Mann kommt in den Kontakt mit einer seltsamen Substanz und entwickelt plötzlich Superkräfte. Überwältigt von den Möglichkeiten muss er nun seinen Platz in der Gesellschaft finden.

Hier heisst dieser Mann Enzo. Als Kleinkrimineller fristet er ein ziemlich tristes Dasein, bis er eines Tages auf der Flucht vor der Polizei mit radioaktivem Abfall in Berührung kommt und Superkräfte erhält. In einer geradezu verblüffenden Logik nutzt er diese konsequent zu seinem eigenen Vorteil. Kaum verwunderlich, dass er dabei den eigentlichen kriminellen Herrschern von Rom irgendwann in die Quere kommt. Wie in jedem guten Superheldenfilm bekommt auch Enzo damit schnell seine Nemesis in Form des größenwahnsinnigen Bandenbosses Gypsy, der sich zu Höherem in der Mafia berufen fühlt.

Und damit die Geschichte komplett ist, darf natürlich auch nicht die Frau fehlen, die es zu retten gilt. Diese findet er in der psychisch gestörten Alessia, die in ihrer eigenen Manga-Phantasiewelt lebt. In Enzo meint sie, ihren Helden Jeeg Robot zu erkennen, und weicht ihm fortan nicht mehr von der Seite.

Somit haben wir schon die Zutaten eines generischen Superheldenfilmes, und diese ergeben an sich noch keine herausragende Geschichte. Aber das muss nichts machen, wenn die Erzählung und Inszenierung stimmen. Auch Hancock weist eine ähnliche Grundstory auf, ist aber eine sehr unterhaltsame und erfrischend andere Version des Helden, der keiner sein will.

Inszenierung

Obwohl wir eine gefühlt zum hundertsten Mal erzählte Grundstory vorgesetzt bekommen, weicht sie im Verlauf des Filmes erfrischend vom Muster ab, und ähnelt ein bisschen dem Antihelden Hancock. Doch leider endet hier auch schon der Ansatz. Man darf natürlich eine reine italienische Produktion nicht mit den großen US-Produktionen vergleichen, immerhin haben letztere meist schier unerschöpfliche Budgets. So ist man auch bereit, über die Schwächen der Spezialeffekte hinwegzusehen. Wobei man sich manchmal schon ein wenig an Effekte der 80er erinnert fühlt, zum Beispiel, wenn Enzo einen Schrank mal eben verschiebt, der Effekt dazu aber eine Millisekunde versetzt einsetzt.

Musikalisch bietet uns Michelle Braga keine Highlights, die Musik fällt quasi nicht auf. Damit schafft sie es weder, die Stimmung der Szenen deutlich zu beeinflussen, noch bleibt sie im Gedächtnis haften. Aber auch das bleibt zu verkraften, wenn man keinen zu großen Wert auf die musikalische Untermalung legt.

Der Schnitt ist nicht zu hektisch, und der Kamera gelingt es, die Szenen gut einzufangen. Das triste Leben der Protagonisten wird so plastisch eingefangen, dass es einem direkt nahegeht. Hier wurde von Regisseur Gabriele Mainetti und seinem Team ganze Arbeit geleistet. Leider schießt er dabei aber in einem Thema deutlich über das Ziel heraus: sexuelle Gewalt.

Sexuelle Gewalt wird verharmlost (Spoiler)

Spoiler

Ein roter Faden durch den Film und das Leben von Alessia ist sexuelle Gewalt. In vielen Szenen erfolgen Andeutungen, dass sie wohl öfter schon Opfer sexueller Gewalt geworden ist. Nebst dem Tod ihrer Mutter ist dies wohl ein Grund für ihre schwere psychische Auffälligkeit. Nicola Guaglianone belässt es aber nicht nur bei verbalen Andeutungen. Zunächst wird sie von Mafiagangstern auch körperlich bedrängt, und mit wenig Fantasie ist auszumalen, was wohl als nächstes passiert.

Auch wenn Enzo hier noch rechtzeitig kommt, hinterlässt die Szene ein ganz unangenehmes Gefühl. Obwohl Enzo von ihren Problemen weiß, kommt es dann später doch zu einer sexuellen Handlung. Bar jeder Romantik oder Erotik, schmutzig, ja geradezu ekelig, fällt er nach einem leidenschaftlichen Kuss über sie her. Obwohl sie deutlich ihr Missfallen zum Ausdruck bringt, hört er aber nicht auf. Wer jetzt erwartet, dass ein eindeutiges Statement folgt, irrt. Alessia ist zwar kurz beleidigt, vergibt ihm aber ziemlich schnell, nach einer wenig glaubwürdigen Entschuldigung, und alles ist wieder in Ordnung.

Zwar mag diese Form der sexuellen Gewalt zur tristen Welt der Protagonisten passen, doch ist sie zu sehr im Fokus, als dass man sie nahezu unkommentiert stehenlassen kann. Der Verlauf des Filmes suggeriert beinahe, dass so ein Verhalten zwar nicht nett, aber auch nicht wirklich schlimm ist.

Bedenkt man nun, dass der Film eine Freigabe ab 16 hat, und das Opfer auch noch psychisch erkrankt ist, ist das eine fahrlässige Behandlung diesen schweren Themas. Zudem kommt der Klimax der sexuellen Gewalt vollkommen unerwartet, gerade als man denkt, dass Alessia endlich jemanden gefunden hat, der sie akzeptiert, wie sie ist. Hier dürfte sogar jemandem ohne Vorbelastung ziemlich anders werden.

Am Ende ist dieses „Nein“ zwar kein „Ja“, aber ein „Naja, macht ja nichts“. Eine fatale Botschaft, gerade in Zeiten, in denen das Thema endlich den nötigen Diskurs gefunden hat.

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Erzählstil

Ähnlich wie in französischen Filmen und Serien, benötigt die Geschichte eine ganze Weile, bis sie in Fahrt kommt. Mitreißend wird sie dabei nie, doch dafür sehr bedrückend. Als Beobachter der tragischen Figuren wechselt man zwischen den Antagonisten Enzo und Gypsy. Ein Wechsel zwischen Tristesse und Wahnsinn. An sich eine sehr spannende Mischung, erinnert sie doch ein wenig an Batman und Joker. Wäre diese Geschichte etwas mitreißender erzählt worden, würde der Film deutlich an Format gewinnen. Leider kriegt er diese Kurve erst in den letzten 15 Minuten, zu spät, um den ganzen Film zu retten.

Darsteller

Ist die Geschichte flach, die Inszenierung an manchen Stellen fragwürdig, Effekte und Musik unter dem Durchschnitt, und auch der Erzählstil kein Meisterwerk, so offenbaren die Darsteller echte Schauspielkünste.

Im Mittelpunkt steht dabei Enzo/Jeeg Robot, gespielt von Claudio Santamaria, der in Italien kein Unbekannter ist. Internationalem Publikum ist er am ehesten in einer Nebenrolle in James Bond 007: Casino Royal in Erinnerung. DC oder Marvel-Fans in Italien kennen ihn auch als Stimme von Bruce Wayne in Christopher Nolans Batman, oder als den Hulk Eric Bana. Santamaria spielt absolut überzeugend den Antihelden Enzo, der beinahe bis zum Ende des Films aus purem Egoismus handelt, und ob seines Lebens so abgestumpft ist wie ein ungepflegtes Messer.

Im gegenüber steht der wahnsinnige Gypsy, der von Luca Marinelli gespielt wird. Marinelli ist außerhalb Italiens kaum bekannt. Und auch dort ist er erst seit 2010 wirklich aktiv. Vollkommen zu Unrecht. Seine Darstellung von Gypsy erinnert an eine Mischung aus Nolans Joker und jenem aus Suicide Squad. Ja, man wünschte sich fast, er hätte den Joker statt Jared Leto gespielt.

Ilenia Pastorelli feierte mit Jeeg Robot ihr Kinodebüt. Die junge Schauspielerin überrascht mit ihrer Fähigkeit, die psychisch schwer gestörte Alessia menschlich und weit abseits von Klamauk zu spielen. Ihr gelingt der Spagat, zwar Mitleid mit der Figur zu erregen, jedoch jenes Mitleid nicht ausarten zu lassen, sodass man sie nicht mehr als eigenständige Persönlichkeit wahrnehmen würde.

Auch die Nebenrollen vermögen dabei absolut zu überzeugen, und so ist aus schauspielerischer Sicht der Film tatsächlich ein Juwel. Für das Drehbuch können die Schauspieler ja nichts.

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 Erscheinungsbild/Umfang

Die Blu-ray bleibt trist wie der Film selbst. Das Cover wirkt vielversprechend und suggeriert Spannung und reichlich Action. Beides hält sich jedoch in Grenzen. Der einzige Bonuscontent sind die Trailer zum Film. Einzig die Collector’s Edition enthält noch ein Booklet zum Film mit Interviews, sowie eine DVD.

Die harten Fakten:

  • Regie: Gabriele Mainetti
  • Darsteller: Claudio Santamaria, Luca Marinelli, Ilenia Pastorelli
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Sprache: Deutsch/Italienisch
  • Format: Blu-ray, DVD, Stream
  • Preis: 13,99 (Blu-ray)
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Fazit

Am Ende des Films bleibt ein gemischter Eindruck. Schauspielerisch gibt es kaum etwas zu mäkeln, und die drei Hauptdarsteller versuchen, aus dem Film herauszuholen, was geht. Das gestaltet sich aber als schwierig, denn die Erwartung, die der Film suggeriert, kann er kaum erfüllen. Auf dem Cover werden Action und Science-Fiction als Genres angegeben, der Klappentext verspricht einen Superheldenfilm, das Cover reichlich Action, und iMDB ordnet den Film sogar als Komödie ein.

Doch kaum eines davon kann er erfüllen. Wer Superheldenfilme im Stil von Marvel und Co mag, wird enttäuscht sein. Ebenso, wer einen italienischen Birdman erwartet, denn dafür wäre er schwer genug, doch macht der Regisseur nichts daraus. Für Action mangelt es an Rasanz und entsprechenden Sequenzen. Für eine Komödie bleibt einem zu oft das Lachen im Halse stecken, oder es gibt schlicht nichts zu lachen.

Am ehesten kommt der Film noch einem Melodram nahe, beschäftigt er sich doch hauptsächlich mit dem inneren Seelenleben von Enzo, Alessia und Gypsy, und das macht er sogar ganz gut.

Hätte man die sexualisierte Gewalt besser aufgearbeitet, und den Film als Melodram veröffentlicht, dann wäre er das Juwel, das er gerne genannt wird.

So ist es ein Film, der falsche Erwartungen weckt, und diese zwangsläufig enttäuschen muss. Sein Umgang mit sexueller Gewalt macht ihn sogar fragwürdig, und wer in dieser Thematik vorbelastet oder sensibel ist, sollte sich gut überlegen, ihn anzuschauen.

 

Artikelbild: Pandastorm Pictures
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

3 Kommentare

  1. „Jeeg Robot“ lief 2016 hier in Deutschland auf dem Fantasy Filmfest in mehreren Städten und ist, wenn ich mich recht erinnere, auch dort nur knapp am Festivalpreis vorbei geschrammt.

    Auch wenn ich ihn zuerst garnicht auf meiner Liste hatte, gefiel er mir dann doch ganz gut.
    Vielleicht etwas langsam erzählt, für meinen Geschmack, aber gute Story.

    Die Gewalt ist zwar etwas realistischer als bei Marvel & Co (nicht ungewöhnlich beim FFF), spielte aber über die fast 2 Stunden nicht die dominierende Rolle.
    GoT z.B toppt das jede zweite Folge mit Abstand!

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