Geschätzte Lesezeit: 11 Minuten

Spannende Geschichten, aus dem Kassettendeck und später von der Compact Disk, haben viele von uns seit der Kindheit begleitet. Die Firma Earplay aus den USA hat das Hörspiel weiterentwickelt und eine der erfolgreichen Lizenzen von White Wolf in eine interaktive Audiogeschichte verwandelt. Wir haben hineingehört.

Wer kennt sie nicht, die Helden unserer Kindheit: Benjamin Blümchen, Bibi Blocksberg, TKKG, Fünf Freunde, Die Drei ???, und wie sie alle heißen. Spannende Geschichten aus den Lautsprechern sind seit vielen Jahren Teil unserer Sozialisation. Werden wir dann älter, sind es auch Hörbücher, die uns das Einschlafen oder langwährende Auto- und Zugfahrten verkürzen. Doch eines hat irgendwie gefehlt. Nie wollte der Held das tun, was wir wollten, und egal wie oft wir den Protagonisten mental eine Warnung zugerufen haben, so oft wir die Geschichte hörten, immer begingen sie denselben Fehler. Jetzt können wir in die Geschichte eingreifen.

Interaktive Bücher

In den 80er Jahren kam die interaktive Bücherserie Einsamer Wolf auf den Markt. Endlich hatte ich als Leser die Möglichkeit, selbst über das Schicksal meines Protagonisten zu bestimmen. Die Regeln waren dabei denkbar einfach. Jeder Abschnitt war durchnummeriert, am Ende eines Abschnitts gab es mehrere Handlungsoptionen. Je nachdem, für welchen Weg man sich entschied, blätterte der Leser im Buch zu dem angegebenen Abschnitt. Für Freunde, die auch Abenteuer in Magnamund, der Welt des einsamen Wolfes, erleben wollen, gibt es gute Neuigkeiten, denn der Mantikore Verlag hat 2011 die Abenteuer neu aufgelegt.

Interaktive Hörspiele 1.0

Funktioniert das oben genannte Prinzip auch mit Hörspielen? Mit der Erfindung der CD schien dieser Schritt greifbar nah zu sein. Es gab auch einige Versuche in diese Richtung, doch konnte sich diese Art des Erzählens auf CD nicht wirklich durchsetzen. Die Nachteile haben die Vorteile bei Weitem überwogen. Zum Beispiel musste man sich merken, welche Handlungsoption welchem Track zugeordnet war, und dabei verlor man leicht die Übersicht. Zusätzlich ist das direkte Ansteuern von Tracks über ein Nummernfeld bei den meisten CD-Spielern nicht gegeben. So musste der Hörer sich z.B. von Track 12 zu Track 81 durchklicken. An Immersion war so nicht zu denken. Im Jahre 2008 machte der Hörspielverlag Audiogent aus Magdeburg mit interaktiven Hörspielen für iOS-Handys (Apple) von sich reden. Leider hat man seit gut vier Jahren nicht mehr von Audiogent gehört. Sind interaktive Hörspiele vielleicht generell zum Scheitern verurteilt? War Audiogent vielleicht seiner Zeit voraus, und es fehlte „die“ entscheidende Erfindung, die interaktive Hörspiele zu einem Hörgenuss macht?

Interaktive Hörspiele 2.0

Wir haben uns mit Jonathon Myers, Geschäftsführer und einer von zwei Gründern von Earplay, zu einem Interview getroffen, und mit ihm über seine Vision des interaktiven Hörspiels gesprochen.

Interview

Teilzeithelden: Warum überhaupt Hörspiele?

Jonathon:  Vor drei Jahren haben wir die Firma Earplay gegründet, weil wir sicher waren, dass die Autoren, die Soundtechniker und Sprecher, die Musiker und die Sounddesigner die eigentlichen Emotionen in einem Film oder Videospiel transportieren. Doch wenn es darum geht, die Lorbeeren zu kassieren, so sind es immer die Regisseure und Schauspieler, die im Rampenlicht stehen. Wir sahen für uns „Soundmenschen“ jetzt die Gelegenheit gekommen, gemeinsam mit einem Produkt zu glänzen.

Teilzeithelden: Was ist denn das Besondere am Sound im Vergleich zum bewegten Bild?

Jonathon: In den 90er Jahren waren Hörspiele, dank MTV und der heranwachsenden MTV-Generation, tot. Das verwunderte mich, da ich der Meinung bin, dass die Kraft von Audiogeschichten mächtiger ist, als es das Fernsehen jemals sein könnte. Alleine schon die Auswirkungen von Krieg der Welten und das Drumherum sprechen für sich. So heftige Reaktionen hat das Fernsehen mit seinen Fiktionen nie geschafft. Zusätzlich sind visuelle Reize bei Weitem nicht so mächtig wie akustische Reize. Nach meiner Philosophie ist die Tatsache, dass das ungeborene Kind bereits im Mutterleib die Stimmen der Eltern identifizieren kann und darauf reagiert, ein klares Indiz dafür. Ich meine mich auch daran zu erinnern, dass das visuelle System des Menschen erst mit dem 13. Lebensjahr voll ausgebildet ist. Ich habe sogar noch ein weiteres Beispiel: Jeder glaubt, dass eine Lüge an visuellen Informationen erkannt werden kann. Das Gegenteil ist tatsächlich der Fall. In vielen wissenschaftlichen Studien ist herausgefunden worden, dass es tatsächlich die Stimme ist, die einen Lügner verrät. Die Körpersprache kann bewusst manipuliert werden, aber unsere Stimme ist immer echt.

Teilzeithelden: Wie hat das denn damals mit euch angefangen?

Jonathon: Als wir vor drei Jahren anfingen, war das interaktive Hörspiel noch eine totale Nische, da niemand vor uns über so etwas nachgedacht hat. [Audiogent schon – Anm. d. Verf.] Unsere erste Geschichte war Cute in Sickness. Mit diesem Projekt haben wir auf Kickstarter viel Aufmerksamkeit generiert, und viele Menschen haben darüber berichtet. Aber leider kam uns die Idee viel zu früh, die Technik war zu dem Zeitpunkt noch nicht ausgereift genug. Die Menschen, die sowieso für Audiosachen zu begeistern waren, die haben sehr gut auf unsere Idee reagiert. Wir mussten also einen Schritt zurück gehen, um dann wieder zwei Schritte nach vorne zu kommen. Wir mussten uns als Erstes überlegen, wie wir unsere Infrastruktur aufbauen wollten, damit diese ganze Geschichte funktioniert und eine Zukunft hat.

Teilzeithelden: Wie entwickelte es sich weiter?

Jonathon: Zu meinem Mitbegründer Bruno Batarelo und mir stieß dann Dave Grossman. Vor uns hat Dave bei Lucas Arts gearbeitet und war z.B. maßgeblich für den Sound von Monkey Island verantwortlich. Dave hat über neun Jahre Soundprojekte für Kinder realisiert, bevor er dann zu uns gestoßen ist. Er hat erkannt, wie viel Potential in der Idee steckt, und in welche Richtung wir uns entwickeln würden. Dave wollte Teil von etwas Neuem sein, und ich kann mir niemand anderen vorstellen, der besser für diesen Job geeignet ist. Im Juni 2013 haben wir es mit einer Kampagne bei Kickstarter versucht. Wir wollten 12.000 USD als Ziel erreichen und haben auf Anhieb 14.000 USD bekommen. Darunter waren auch vier bis fünf Bankiers, die uns unterstützten. Einer der Bankiers entpuppte sich als Eddie Webb, einer der Mitglieder von White Wolf. Eddie liebte einfach die Idee, und er sprach viel mit uns. So wurde er auch unser Executive Producer, und so schließt sich dann auch der Kreis. So fing das vor drei Jahren an, aber wir waren noch ein wenig vor unserer Zeit, vor allem weil noch niemand daran gewöhnt war, die ganze Zeit zu Geräten zu sprechen. Also mussten wir gucken, dass wir eine sehr gute IP [Intellectual Property – Anm. d. Verf.] finden, mit der wir zusammenarbeiten konnten. Auch mussten wir die Autoren finden, die das dann für uns umsetzen würden.

Teilzeithelden: Was ist das Neue, das Besondere an euren interaktiven Hörspielen?

Jonathon: Unsere Idee ist, dass du Auto fährst, deine Hausarbeit machst, oder was auch immer, und du gleichzeitig interaktiv mit dem Hörspiel umgehst. Es war Frühling 2013, ich habe gerade die Arbeiten an Game of Thrones Ascent (dem Facebookspiel) beendet, als ich Matt Allbrick kennenlernte. Er arbeitete an einer Spracherkennung, und es war seine Idee, so ein Spiel für das Auto zu entwickeln. Das was er entwickelte, war sehr einfach gehalten: „Möchtest du X, Y oder Z?“, aber ich wollte in dem Produkt etwas mehr Erzählerisches haben. Durch die Spracherkennung könnte das Genre Hörspiele einen ganz neuen Impuls, einen ganz neuen Input bekommen. Dafür nutzen wir primär die Plattformen Echo von Amazon und iOS von Apple. Durch die Spracherkennung muss ich nicht mehr auf irgendetwas klicken, sondern kann dem System sagen, was es für mich machen soll.

Teilzeithelden: Viele Datenschützer in Deutschland haben große Bedenken das Systeme wie der Alexa Voice Service die Benutzer ausspioniert, was ist deine Meinung dazu?

Jonathon: Das ist die Richtung in die die Welt sich entwickelt. Über kurz oder lang wird das Verlangen, sich zu verbinden, und die Bequemlichkeit des Menschen immer über Sicherheitsbedenken obsiegen.

Teilzeithelden: Kann ich das Spiel auch auf meinem PC spielen, wenn ich Systeme wie Alexa nicht nutzen möchte?

Jonathon: Ein gutes Beispiel dafür ist Audible. Audible ermöglicht es dir, von überall auf deine Dateien zuzugreifen und sie zu hören. Wir wollen mit unserem Angebot in dieselbe Richtung gehen. Die Vision von Earplay ist: Du surfst einfach unsere Webseite an und kannst dich dann einloggen. Auf der Website suchst du dir einfach eine Geschichte aus einem Genre aus, das dir gerade gefällt, und los geht’s. Wir streamen dann auch über Amazon Echo oder Google Home und anderen Systeme.

Teilzeithelden:  Nehmt ihr eure Geschichten in 3D auf?

Jonathon: Ja, das machen wir tatsächlich. Wir haben einmal dieses Experiment gemacht, wo man das Gefühl hatte, mit mehreren Spielern an einem Pokertisch zu sitzen. Ich konnte heraushören, wo wer sitzt. Das war wirklich eine spannende Erfahrung. Jedoch machen einige Anbieter wie z.B. Echo da nicht mit, da sie nur ein Mono-Signal herausgeben. Wir arbeiten jedoch mit einer ganz besonderen Technik, sodass es sich trotzdem anfühlt wie Stereo, und dass man so diesen Höreffekt dennoch erleben kann.

Teilzeithelden: Wie viele Geschichten habt ihr denn so in der Pipeline?

Jonathon: Oh, wenn es nichts ausmacht, bleibe ich damit lieber etwas vage. Wir haben bestimmt 30 Projektanfragen bekommen und mit vielen Autoren gesprochen. Wir sind da sehr wählerisch.

Teilzeithelden: Da habt ihr aber Glück, dass ihr sehr wählerisch sein dürft.

Jonathon: Nun, es war eine großartige Idee, und jeder wollte ein Teil davon sein. Wir sind jedoch sehr vorsichtig. Wir wollen nicht, dass unsere Idee zu einem Witz wird. Wir wollten einfach ernst genommen werden, und ich glaube auch, dass dies eine ernste Angelegenheit ist.

Teilzeithelden: Warum habt ihr das Gefühl, dass ihr nicht ernst genommen werden könntet?

Jonathon: Wenn wir mit Menschen über die Idee reden, kommt sehr schnell der Kommentar: „Oh ja, ihr macht das für Kinder …“, und natürlich macht man das auch für Kinder. Diese Zielgruppe ist wie eine hängende Frucht, die nur gepflückt werden muss. Auf der anderen Seite ist die Spracherkennung bei Kindern viel schwieriger, da die Sprache bei Kindern noch nicht voll ausgeprägt ist. Ich glaube auch hier eine Parallele zu der WoD zu sehen, denn auch Erwachsene wollen spielen.

Teilzeithelden: Welche Zielgruppe habt ihr denn primär im Sinn?

Jonathon: Mit unseren ersten Spielen haben wir Menschen zwischen 13 und 30 erreicht. 66% unserer Hörer waren zwischen 24 und 30 Jahre alt. Das soll nicht heißen, dass wir gezielt für diese Gruppe schreiben. Das sind einfach die Menschen, die uns hören, da sie mit diesen Medien aufgewachsen sind.

Teilzeithelden: So viel zu den technischen Details, um was geht es denn jetzt in der Geschichte The Orpheus Device?

Jonathon: Das, was wir hier hören, ist das Design eines Experiments, welches wir in die Welt von Wraith: The Oblivion eingebettet haben. Die Geschichte spielt in der Welt von Orpheus und Wraith. Orpheus ist ein Teil der World of Darkness, der herausgekommen ist, nachdem Wraith: The Oblivion eingestellt wurde. Orpheus ist der Name einer Organisation, die Geister beobachtet und studiert. Ihre Mitarbeiter sind Geisterjäger, die sich selbst in die Geisterwelt projizieren können. Sie sind für mich irgendwie eine Mischung aus Ghostbusters und James Bond der cWoD [classic World of Darkness – Anm. d. Lektors.]

Rezension: Das Testhören  

Als wir das Hörspiel: The Orpheus Device ausprobierten, gab es viele Startprobleme zu überwinden. Zum einen brauchte es eine stabile Internetverbindung, die der Präsentation ein wenig entgegenlief, und zum anderen musste Alexa auch ein wenig überredet werden, funktionieren zu wollen. The Orpheus Device spielt in der cWoD, und das merkt man ab der ersten Sekunde. Der Sound ist packend und atmosphärisch sehr dicht. Ich kann nur empfehlen, das Hörspiel mit Kopfhörern zu genießen, da so die Immersion noch um ein Vielfaches höher ist. Nach den anfänglichen Schwierigkeiten lief auch die Stimmerkennung mit Alex reibungslos. Es musste tatsächlich nirgendwo draufgedrückt oder hingeguckt werden.

Der Zuhörer konnte sich mit geschlossenen Augen ganz dem Hörspiel hingeben. Leider gefiel mir der Inhalt des Hörspiels nicht so sehr, aber das ist wohl Geschmacksache. Die Auswahl an Handlungsoptionen lag sehr oft nur zwischen eklig, richtig widerlich, und einfach krank. So konnte man wählen, wie man sein Opfer foltern wolle: mit einem Löffel, einer Gabel, oder einem Messer. Dass man keine dieser Handlungsoptionen wählen mochte, stand nicht zur Debatte. Die Handlung an sich erschien mir sehr geradlinig, sodass die verschiedenen Handlungsoptionen eher eine Illusion der Kontrolle darboten, als wirkliche Optionen zu sein. Wer sich selbst einen Eindruck von The Orpheus Device machen möchte, klickt einfach auf den Link.

Fazit

Dass der Hörer noch auf externe Plattformen wie z.B. Amazon Echo angewiesen ist, und den damit verbundenen Mangel an Datenschutz in Kauf nehmen muss, begeistert nicht. Die Geschichte ist tatsächlich Geschmacksache. Ein profundes Wissen über Wraith: The Oblivion ist nicht notwendig, jedoch sicherlich hilfreich, um der Geschichte besser folgen zu können. Ein sehr sicheres Hörverständnis für amerikanisches Englisch ist grundlegende Bedingung für ein Hörvergnügen. Der dichte atmosphärische Sound macht es manchmal sehr schwer, zu verstehen, was gerade in der Story passiert.

 Alles in allem ein sehr ambitioniertes Projekt, das weiter zu beobachten sich lohnt, welches momentan jedoch noch mit zu vielen Kinderkrankheiten zu kämpfen hat. Ob es Earplay dank der neuen technischen Entwicklungen schafft, oder ob es ihnen wie Audiogent ergehen wird, da interaktive Hörspiele noch immer technische Hürden zu überwinden haben, wird die Zeit zeigen.

Artikelbild: White Wolf Inc.

 

2 Kommentare

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein