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Die Neuauflage eines Manga-Klassikers. Ein einsamer Krieger, der durch die Lande zieht, dabei ein Kleinkind mit sich führt und dieses bis zum Letzten verteidigt. Dabei sind ihnen ihre Feinde hart auf den Fersen. Doch nicht nur das Leben von Kind und Beschützer ist gefährdet. Die ganze Welt steht auf dem Spiel.

Der Manga Okami, auch bekannt als Einsamer Wolf und sein Welpe, wurde zuerst von 1970 – 1976 in Japan veröffentlicht und avancierte schnell zu einem Klassiker des Samurai-Manga-Genres. Erzählt wurde die Geschichte eines loyalen Samurai, der, fälschlicherweise des Verrates an seinem Herrn bezichtigt, vor dessen Feinden sowie Freunden flieht und sich von da an als Auftragsmörder verdingt. Dabei beschützt er den jungen Sohn seines Herren mit seinem Leben, stets verfolgt von den Schergen des wahren Verräters.

Die spannende Geschichte wurde bereits mehrfach als TV-Serie und Film verarbeitet und diente bereits etliche Male als Inspiration für andere Comics. Die vorliegende Science-Fiction-Version des berühmten Werkes bringt – abgesehen von der Verlagerung der Handlung vom 16. ins 22. Jahrhundert – allerdings auch einige Änderungen in Besetzung und Erzählweise mit sich und weicht auch etwas von der ursprünglichen Handlung ab, verliert dabei jedoch kaum an Spannung und Aussagekraft. Eine Geschichte über Loyalität und Verrat, Menschlichkeit und Größenwahn, Opferbereitschaft und Selbstsucht.

Handlung

Der Leser findet sich in einer Welt, in der Amerika seine Vormachtstellung an die „Großasiatische Allianz“ verloren hat. Doch auch diese Weltmacht droht nun angesichts des Grauens, das die sogenannte „Kriegsspore“ verursacht, zusammenzubrechen. Dabei handelt es sich um eine von Terroristen freigesetzte Biowaffe, die binnen weniger Tage beinahe unausweichlich zum Tode führt oder das Opfer steril zurücklässt. Im verzweifelten Versuch, den Fortschritt der Seuche aufzuhalten, werden ganze Städte abgeriegelt und in Grund und Boden gebombt. Überall wimmelt es von Flüchtlingen, und die Angst vor Ansteckung liegt wie ein Leichentuch über den Nationen der Erde. Inmitten der Wirren dieser Welt begleiten wir Itto, den Androiden (oder „Emcon“), auf seinem Weg, Daisy, die vier Jahre alte Tochter des Wissenschaftlers Josef Ogami, vor den Truppen und Häschern des nahezu allmächtigen Großkonzerns „Cygnat-Owari“ zu beschützen. Wohin er mit ihr flüchten soll, das weiß er selbst nicht so genau.

Aber seine vornehmliche Aufgabe ist der Schutz ihres Lebens mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Und diese sind beträchtlich. Ist er doch als ehemaliger Sicherheitssoldat des Konzerns bestens ausgebildet und verfügt über eingebaute Waffen, sowie die nötigen Fertigkeiten, mit traditionellerem Arsenal umzugehen. Bevor ihm Ogami seinen Schwur abnahm, verbesserte der Wissenschaftler heimlich die kognitiven Fähigkeiten des Androiden und machte ihn so zu mehr als nur einer Maschine mit simulierten, menschlichen Verhaltensweisen. Der Cygnat-Owari-Konzern ist Monopolist in der Androiden-Herstellung, und sein Geschäftsführer, der „Avatar der Obersten Executive“ Terasawa, Stellvertreter des eigentlichen Besitzers der Firma, verbirgt nicht nur ein schreckliches Geheimnis vor der Welt. Er will Daisy um jeden Preis in seine Gewalt bringen, denn in ihr liegt der Schlüssel zur Rettung der Menschheit – oder zu deren Ende.

Charaktere

Die Charaktere ähneln alle stark den Pro- und Antagonisten des Originals. Viele Namen wurden nur leicht abgewandelt, übersetzt oder dem Zukunfts-Setting angepasst, ebenso wie die Professionen der Charaktere. So kann ein Kenner des Originals einige clevere Neubenennungen finden und sich daran erfreuen. Itto ist wie sein Vorbild ein ehemaliger „Scharfrichter“, der sich jedoch aus Loyalität zu seinem Herrn dem Willen einer größeren Macht widersetzt und mit dessen Tochter Daisy, im Original ein Sohn namens Daigoro, vor üblen Söldnern und Soldaten flüchtet, dabei Schwachen und Unterdrückten hilft und stets dem Bushido-Kodex der Samurai folgt.

Seine Gegner sind teils menschlich, teils ebenfalls Androiden und weisen eine überraschende Vielschichtigkeit auf. Selbst ein nach außen hin absolut skrupelloser Killer-Cyborg wird dem Leser durch kurze, clevere Einblicke in seine „Programmierung“ so nah gebracht, dass man beinah Mitleid für ihn empfindet. Die Motive und Gedankengänge der großen Gegenspieler Ittos, wie zum Beispiel die des Konzernchefs Terasawa, werden nach und nach offengelegt und sind durchaus nachvollziehbar, wenngleich auch die Wahl der Mittel zu deren Durchsetzung höchst fragwürdig bleibt. Einzig die „Bösen“, derer Itto sich auf seinem Weg entledigen muss, sind bisweilen etwas platt und klischeehaft von Angst, Hass, Größenwahn und schlichter Boshaftigkeit getrieben. Aber natürlich kann nicht jeder „böse“ Charakter aufwendig eingeführt werden. Die Haupt-Antagonisten sind dafür umso besser dargestellt.

Zeichenstil

Zeichner Francisco Ruiz Velasco orientiert sich bisweilen sehr an Stil und Aufbau des originalen Werkes von Goseki Kojima, und manche seiner Panels sind schöne Hommagen an dessen Arbeit, wobei sie natürlich einen eher westlichen Stil aufweisen. Doch gelingt ihm die Mischung aus Manga und ultramodernem US-Comic-Stil ganz hervorragend. Ein ganzes Kapitel lang wird zum Beispiel nicht ein Wort gesprochen und nur ein Kampf gegen drei Gegner aufs Trefflichste in Szene gesetzt. Das Original war bekannt für diese seitenlangen Kämpfe und seine genaue, teils exzessive Darstellung der Gewalt.

Da dies nun nicht mehr unbedingt den modernen Lesegewohnheiten entspricht und ein solches Vorgehen in einer Serie mit über 70 Episoden in einer monatlichen Zeitschrift leichter umzusetzen ist, als in einer Mini-Serie, entschloss man sich zu dieser Art von Würdigung des Originals. Auch in der Gewaltdarstellung muss sich diese Version nicht hinter dem Original verstecken. Es geht teils derbe zur Sache. Im Gegensatz zum Original wiederum ist diese Version digital vollfarbig illustriert. Die Farbpalette reicht von düster und gedeckt bis grell und monochrom, je nach Szenerie und „Feeling“ der erzählten Gegebenheiten. Oft wird Traditionelles dem Modernen gegenübergestellt, was gerade in kleineren Dörfern auffällt und in Ittos Kleidung sowie Verhalten und dem seiner Gegenspieler ein grandioses Echo findet.

Preis-/Leistungsverhältnis

39,95 EUR ist schon ein Happen. Jedoch bekommt man für sein Geld ein hervorragendes Produkt. Ein dicker Sammelband, vollfarbig illustriert und eine große Geschichte.

Erscheinungsbild

Ein Hardcover-Sammelband mit 300 Seiten. Etwas kleiner als das gängige Comic-Format, liegt er jedoch gut in der Hand, und die Bindung ist fest und widerstandsfähig, sodass auch bei wiederholtem Lesen kein Herausfallen der Seiten oder Ähnliches zu befürchten ist. Auf dem Cover befindet sich Itto, der die kleine Daisy in einem Korb auf dem Rücken trägt, neben dem in großen, roten Lettern gehaltenen Titel – auch eine Hommage an das Original.

  • Die harten Fakten:
  • Verlag: Cross Cult / Dark Horse
  • Autor(en): Mike Kennedy
  • Zeichner(in): Francisco Ruiz Velasco
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Sonderformat
  • Seitenanzahl: 306
  • Preis: 39,95 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonus/Downloadcontent

Auf den letzten sechs Seiten sind noch einige andere Titel des Verlages kurz dargestellt.

Fazit

Ein gelungenes Werk. Eine hervorragende Neuerzählung eines klassischen Werkes mit einer wahrhaftig zeitlosen Geschichte, die mit wenigen Kniffen an die Moderne beziehungsweise an das Science-Fiction-Genre angepasst wurde. Die „Moral“ der Geschichte ist zwar nicht neu, doch die Idee, sie aus dem 16. Jahrhundert in das 22. zu projizieren, macht es auch Neulesern einfach, sich hineinzufinden und ihre Aussagen zu verstehen. Moral und Ehre sowie Menschlichkeit und Un-Menschlichkeit, Verzweiflung, Hoffnung, Rache und Wahnsinn prägen die Geschichte. Gewalt und ihr Nutzen zum Erreichen der eigenen Ziele ist ein zentrales Thema, das auf einzigartige Weise dargestellt wird. Ittos Reise durch die Welt und seine Loyalität seinem Herrn und dessen Ziel gegenüber sind beispielhaft. Kein Wunder, hat doch der originale Autor Kazuo Koike seinen wachsamen Blick auf dem Projekt gehabt.

Jedoch gibt es auch einige kleine Makel. Ich hätte mir etwas mehr Hintergrundinformationen über die „Emcons“ gewünscht, zum Beispiel woher diese Bezeichnung stammt. Im Englischen steht dies für „Emotional Constructs“. Doch kann der deutsche Leser nur rätseln. Und wer ist die mysteriöse Dr. Maureen MacNair, aus deren Tagebuch sporadisch zu Narrationszwecken zitiert wird? Sie wird nirgends weiter erwähnt.

Und auch die Entscheidung, das Kapitel „Die Rote Akte“ mitten in das Buch zu setzen, entzieht sich meinem Verständnis. Enthält diese Akte doch neben interessanten Hintergrundinformationen (nur eben nicht jene über die „Emcons“) auch einige Spoiler für die folgenden Kapitel. Ich empfehle daher, dieses Kapitel erst nach Abschluss der Geschichte zu Gemüte zu führen! Was mir beim Lesen auch etwas sauer aufstieß, war, dass das Lektorat leider keinen sauberen Job gemacht hat. Ab und an fehlen Wörter, was den Lesefluss ins Stocken bringt.

Schließen möchte ich mit einem Zitat aus diesem Werk, das mich tatsächlich berührt hat: Itto: „Es (Das Leben) ist mehr! Es ist ein Geschenk. Es ist eine Verantwortung und es gelingt Dir nicht, die Folgen ihres Missbrauchs zu begreifen. Selbstwahrnehmung bedeutet nichts, wenn man seine Umgebung nicht wahrnimmt.“

Artikelbilder: Cross Cult Comics
Dieses Produkt wurde kostenlos als Druck zur Verfügung gestellt.

 

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