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Erneut werden wir zu einer zweitägigen Reise in eine dampfbetriebene Parallelwelt eingeladen. Der Weltenwechsler öffnet das Tor in eine viktorianisch anmutende Gegenwart, frei von Elektrizität, jedoch voller extrovertierter Freigeister, verrückter Erfinder und formidabel gewandeter Herrschaften: die Steamtropolis in der Werk-Stadt Witten!

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version haben sich Fehler zu der Band Victor Sierra eingeschlichen. Wir bitten das zu entschuldigen.

Zwei Jahre gab es die Steamtropolis in der „Matrix“ in Bochum. Seit Dezember 2016 hat die Veranstaltung in der Werk-Stadt Witten ein neues Zuhause gefunden. Es scheint, dass das Publikum sich an den Ortswechsel noch gewöhnen muss. Ungefähr 150 Gäste (lt. Aussage der Veranstalterin) haben am Eröffnungsabend den Weg  in die Steamtropolis gefunden, was weder dem Programm, noch der Lokalität geschuldet sein kann, diese haben nämlich mehr als überzeugt.

Anreise

Das Gelände der Werk-Stadt Witten ist vom Wittener Hauptbahnhof in bequemen 15 Minuten zu Fuß erreichbar. Für PKW-Nutzer kann die Parkplatzsituation jedoch interessant werden. Auf dem Gelände und in den sich anschließenden Straßen gibt es viele Möglichkeiten des Parkens, doch wenn alle Betriebe der Werk-Stadt einen guten Zustrom haben, dann könnte es sehr schnell sehr voll werden.

Die Location

Die Werk-Stadt Witten präsentierte sich im besten Licht, wenn auch eher ungewöhnlich aufgeteilt. Die Location ist eine verwinkelte Angelegenheit mit einem langen Gang, der sich am Ende in eine Essenslounge und eine Treppe hoch in die Showarea spaltet. Es gab eine kleine Bühne direkt gegenüber dem Getränkeshop, die sogenannte Plaza. Die Plaza präsentierte sich in der Mitte des Gangs, was nicht immer praktisch war. Während der Darbietungen auf der Bühne der Plaza war es nur schwer möglich, in den hinteren oder vorderen Bereich der Location zu wechseln. Wäre die Veranstaltung besser besucht gewesen, dann wäre ein Ortswechsel wohl nicht mehr möglich gewesen. Ob das über kurz oder lang zu Problemen im Ablauf führen wird, kann nur die Zukunft zeigen. Der Showbereich in der ersten Etage war sehr groß und bot für gut 350 Menschen gemütlich Platz zum Toben und Tanzen. Für die Menschen, die einfach nur gemütlich die Show auf der Bühne genießen wollten, gab es auf der südlichen Seite Kinositze, auf denen man ganz bequem über die Köpfe der Tanzenden gucken konnte. Ein großes Plus. Leider konnte ich einen Fahrstuhl für Menschen mit körperlichen Einschränkungen nicht finden. Möglicherweise war er durch die Vielzahl an Fotografen und ihren willigen Opfern auch nur schwer zu entdecken.

Das Programm

Sybille Nix vor 3 Kleidern des Queens Battles der Creativa 2017
Sybille Nix vor 3 Kleidern des Queens Battles der Creativa 2017

Der Einlass und die Markteröffnung begannen sehr pünktlich um genau 18:00 Uhr. Die Veranstalterin Sybille Nix eröffnete charmant einen kreativen Abend. Es gab in einem Nebenraum eine permanente Ausstellung der essbaren CREATIVA 2017 „Queens Battle“-Kleider mit dem Thema „Steampunk“. Die Kleider waren nicht nur ein Augenschmaus, sondern erfüllten den ganzen Raum mit einem leckeren schokoladenen Geruch. Es war sehr beeindruckend zu sehen, was man mit Marzipan und anderen leckeren Sachen so alles zaubern kann.

Galathea mit den Schellen

Galathea mit den Schellen
Galathea mit den Schellen

Birte Schneider, alias Galathea mit den Schellen, eröffnete mit einer energiegeladenen Steampunk Tribal Dance Show auf der Plaza den Abend. Birte ist im wahren Leben Goldschmiedin, doch ab und an verwandelt sie sich in Galathea mit den Schellen. Im letzten Jahr besuchte sie als Gast die Steamtropolis und wurde von der Musik hinfortgerissen. Sie fragte eine Band, ob sie sie mit einer Tanzimprovisation begleiten dürfe. Sie durfte und wurde von Sybille Nix vom Fleck weg für 2017 als Show-Akt engagiert. Unverhofft kommt oft.

Held der Arbeit – Die Energie aus dem Ursprung schöpfen

Held(en) der Arbeit
Held(en) der Arbeit

Held der Arbeit, das ist deutschsprachiger E-Pop mit Geige, oder auch wuchtiger Analogsound alter Schule mit deutschem Gesang. So, oder ähnlich, könnte man die Musik von Held der Arbeit beschreiben, die 2009 von dem Polytune-Schlagzeuger Fake ins Leben gerufen wurde.

Held der Arbeit unterliegt keiner musikalischen Mode, sondern basiert ausschließlich auf den persönlichen Vorlieben der Macher.

Der Müller von Held der Arbeit
Der Müller von Held der Arbeit

Held der Arbeit sind: Der Müller (alias Fake), Frau Doro (Violine), Herr Stoelzle (Schlagzeug) und Herr Kleintjes (Klaviaturen). Textlich untermauert Held der Arbeit den Bandnamen und befasst sich mit dem Leben und der Arbeit, die die Menschheit zu bewältigen in der Lage ist. Die Performance auf der Bühne überzeugte und zeigte sich klar und einfach ehrlich. Ein würdiger Bühnenauftakt, der einfach Spaß gemacht hat.

Victor Sierra – aus Paris

In einem blutigen Himmel führt das Luftschiff „Hydrogen Queen“ die Zuhörer in das dampfende und vielfarbige Universum von Victor Sierra, hinunter zu unergründeten Pfaden, in eine Zukunft, die es einst gegeben haben mag. Anouk, Bob und Big Machine´s Energien laden das Publikum ein, jenseits des Horizonts zu blicken und sich auf das Unvorhersehbare einzulassen. Wenn man es wagt!

Anouk und Bob von Victor Sierra
Anouk und Bob von Victor Sierra
Commander Bob Eisenstien
Commander Bob Eisenstien

„Der Hölle Rache“ – Florence Foster Jenkins, alias Roland von Rauxel

Victor Sierra überzeugten mich an diesem Abend nicht, das ist aber eine rein persönliche Einschätzung. Für meinen Geschmack wurden zu oft gesanglich Töne nicht getroffen, und der Gesang war stellenweise keiner. Kunst? Jene ist frei in ihrer Form der Interpretation. Die Künstler wirkten für mich über die kleine Zahl des Bühnenpublikums eher enttäuscht, anstatt das Beste daraus zu machen. Ich konnte die Sängerin nach dem Auftritt beobachten, wie sie einmal über die Location ging, und sichtbar erschöpft oder missgestimmt war. Sorry Guys, das könnt ihr besser. Die Website von Victor Sierra, die tatsächlich einen Besuch lohnt, beweist es.

„Der Hölle Rache“ – Florence Foster Jenkins, alias Roland von Rauxel, fällt für mich unter die Kategorie: „Oh mein Gott, was habe ich da gerade gesehen?“ In einem sehr auffälligen Kostüm verkleidete sich Roland von Rauxel als Florence Foster Jenkins und performte zu einem wirklich gruseligen Playback, das einem die Schuhe auszog. Die Ernsthaftigkeit, die Roland von Rauxel dabei an den Tag legte, wirkte so grotesk, dass es wirklich Spaß machte, ihm zuzuschauen. Um die Darbietung komplett zu verstehen, musste man wissen, wer Florence Foster Jenkins tatsächlich war. Florence Foster Jenkins war eine exzentrische New Yorker Millionenerbin, die zwanghaft den Traum verfolgte, Opernsängerin zu werden. Der Haken war nur, sie konnte nicht singen – so gar nicht. Das Leben von Florence Foster Jenkins wurde 2016 unter gleichem Namen mit Meryl Streep in der Hauptrolle verfilmt.

La Frontera Victoriana

Einen fulminanten Abschluss bildeten La Frontera Victoriana und machten Lust auf mehr.

Eingängiger Rock im Gewand der Figuren eines Jules Verne – das ist die einzigartige Mischung, für die La Frontera Victoriana steht. Die vier Zeitreisenden aus Kiel verbinden ihre Wurzeln im Classic Rock mit modernen Elementen und fesseln mit ihrer Steampunk-Show die Zuschauer.

Mittka a.d Nebelweide
Mittka a.d Nebelweide

Das liegt nicht zuletzt an der ungebremsten Energie des Frontmanns Kapitän Mittka auf der Nebelweide, dessen Texte immer melodisch bleiben, aber, wie Walter Scheurer von metal.de schreibt, zu keiner Sekunde an die „üblichen Verdächtigen“ erinnern, wenn von deutschsprachiger Rockmusik die Rede ist.

Über den Äther ist der Titel des aktuellen Albums (VÖ 17.03.2017), das zu einer phantastischen Reise in einem Luftschiff einlädt. Allerdings führt diese auch durch den einen oder anderen musikalischen Orkan. Szenische Anleihen aus Fritz Langs legendärem Film Metropolis und George Orwells 1984 finden sich dabei, ebenso wie kritische Bezüge auf die Gesellschaft der Gegenwart.La Frontera Victoriana sind:

 

 

Mittka mit Ronald von Nankofen
Mittka mit Ronald von Nankofen
 
Mittka mit Friedrich Eugenius
Mittka mit Friedrich Eugenius
 
 
Dr. Isidior von Gruvenstein
Dr. Isidior von Gruvenstein

 

Die Band überzeugte von der ersten Minute an und war für mich das Highlight des Abends. Auch wenn Deutsche in der Regel nicht dazu tendieren, sich rhythmisch zu bewegen, so stand doch sehr schnell kaum ein Bein ruhig. Kapitän Mittka, der Frontmann, präsentierte sich in Topform, und man sah ihm an, dass er und seine Crew einfach Spaß auf der Bühne hatten. Gerne mehr, gerne weiter so!

Fazit

Nicht perfekt, aber wirklich Spaß machend, das ist die Steamtropolis. Die Atomsphäre erwies sich als sehr unkompliziert und eher familiär. Es fiel mir unheimlich leicht, mit den Menschen vor Ort ins Gespräch zu kommen, und viele der Gäste kannten sich auch einfach schon. Die Szene der Steamer ist in Deutschland halt noch ziemlich überschaubar und vielleicht deshalb besonders liebenswert.

Ein möglichst reibungsloser Ablauf liegt mir immer schwer am Herzen

– Sybille Nix, Veranstalterin

Viele Kostüme und Gewandungen haben mich sehr beeindruckt und überzeugten mit Kreativität und Detailverliebtheit. Ich hoffe, dass meine Bilder einen schönen Überblick vermitteln und den Modellen gerecht werden. Die 20 EUR an der Abendkasse haben sich alleine schon für Helden der Arbeit und La Frontera Victoriana mehr als gelohnt, Bands, die mich einfach überzeugt haben. Sehr gelungen empfand ich auch die Auswahl der Händler. Überschneidungen des Angebots waren so gut wie nicht zu entdecken, sodass jeder Händler seine Nische finden konnte. Hier hat die Veranstalterin Sybille Nix von Funkelglanz ein sehr gutes Händchen bewiesen. Ich freue mich schon auf das nächste Mal.

Fotografien: Karsten Zingsheim

 

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