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In den letzten Jahren haben thermoplastische Werkstoffe vor allem aus dem Hause Cast4Art vermehrt Einzug in den LARP Bereich gehalten. Als der Trend begann, hatten wir das Thema bereits in einem Artikel zu alternativen Werkstoffen angerissen. Ein paar Jahre später schauen wir noch einmal, was sich in der Zwischenzeit getan hat.

Seitdem Worbla‘s Finest Art und Genossen aus dem Cosplaybereich langsam in die LARP Gemeinschaft überschwappten, hat sich viel getan. Thermoplasten finden sich als Kronen und Kopfputze, Rüstungsschmuck, Accessoires und allerlei Anderes an und auf Gewandungen wieder. Auch als unsichtbare Verstärkung von Lederarbeiten finden sie immer häufiger Verwendung. Man kann sagen, dass der Werkstoff seine Nische im LARP-Bereich gefunden hat. Doch welche Varianten gibt es und wie kann man sie für seine Zwecke nutzen?

Thermowas?

Thermoplastische Kunststoffe, oder auch kurz Thermoplaste, sind Kunststoffe, die sich in einem bestimmten Temperaturbereich verformen lassen. Der Vorgang ist dabei zumeist reversibel. Das Werkstück kann also durch erneutes Erhitzen beliebig oft umgeformt werden. Der bekannteste Hersteller solcher Werkstoffe, vor allem für den Hobby- und Theaterbereich, ist das deutsche Unternehmen Cast4Art, welches vor einiger Zeit das usprüngliche Entwicklerunternehmen aus der Schweiz aufkaufte. Den deutschen Vertrieb übernimt einer stetig wachsenden Anzahl Shops wie mycostumes, modulor oder auch dein-larp-shop.de. In der Schweiz vertreibt Worbla.ch und in Österreich die Firma Archidelis die Produkte.

Derzeit besteht die Produktpalette aus fünf verschiedenen Thermoplasten als Meterware (sogenannte Sheets mit einer Dicke von ca. 1 mm, 2-3 mm am Schneiderand des Sheets) und zwei Varianten an Pellets (kleine Granulat Kügelchen). Fast alle Werkstoffe aus dem Hause Worbla sind zwischen 80C°-90C° am optimalsten zu verarbeiten. Eine Ausnahme hierzu stellen Worbla’s Transpa Art und Worbla’s Crystal Art dar, welche zur Aktivierung etwa 110° benötigen. Zur Erhitzung ist das üblichste Mittel ein handelsüblicher Heißluftföhn. Jedoch gibt es ebenfalls Methoden, die mit heißem Wasser oder gar Bügeleisen arbeiten. Die Materialien entwickeln bei der Erhitzung eine klebrige Eigenschaft, die sie sehr gut mit anderen Materialien oder Thermoplasten verbindbar macht. Ebenfalls kann man das Material im weichen Zustand verkneten und als Modelliermasse nutzen und sogar in Formen drücken, um einen Abdruck zu erhalten.

Ebenfalls kann das aktivierte Thermoplast, dank des integrierten Klebers, auch direkt mit anderen Werkstoffen wie Stoff, Leder oder Holz verbunden werden, um so weitere Klebe-oder Werkschritte zu überspringen. Daher eignet es sich im LARP-Bereich gut für Armschienen oder generell für Rüstungsbauten.

Sobald der Kunststoff kalt und ausgehärtet ist, kann er weiterverarbeitet werden. Das fertige Stück kann geschliffen (per Hand oder mit der Maschine) und bemalt werden.

Vorteilhaft für alle Hobbybastler und Gewandungsschaffer ohne eigene Werkstatt ist, dass sämtliche Produkte von Worbla eine Unbedenklichkeitsbescheinigung besitzen, also frei von gesundheitsschädlichen Stoffen sind. Daher können sie in geschlossenen Räumen gefahrlos verwendet werden, ohne dass man Angst haben muss, sich die Lunge oder Schlimmeres zu verätzen.

Obwohl die Werkstoffe der Worbla-Familie sozusagen wohnzimmerfreundlich sind, sollte man auf ein paar Schutzmaßnahmen nicht verzichten. Bei der Arbeit mit Worbla’s Transpa Art sollte man aufgrund der hohen Aktivierungstemperatur auf jeden Fall Hitzeschutzhandschuhe tragen! Je nach Weiterverarbeitung, z.B. der Veredelung mit Sprühlacken, sollte man besser gelüftete Räumlichkeiten aufsuchen. Eine Schutzbrille bei Schleifarbeiten ist auch angeraten, da sich von den Kunststoffen je nach Bearbeitung kleine Splitter lösen können – und die will niemand im Auge haben.

Choose your weapon

Auch wenn die verschiedenen Worbla-Kunststoffe auf den ersten Blick lediglich in ihrer Färbung variieren, gibt es diverse Unterschiede und verschiedene Verwendungsschwerpunkte für die einzelnen Produkte der Worbla-Familie.

Worbla’s Finest Art (WFA):

Das ist das Original mit einer bräunlichen Färbung, die mitunter sehr an Keksteig erinnert. Die raue Seite ist die Oberseite. Die glatte Unterseite wird nach der Aktivierung klebriger und verbindet sich besser mit dem gewünschten Untergrund. WFA kann für große und kleine Projekte verwendet werden, ist miteinander in Schichten verbindbar, ist sehr leicht und einfach zu verarbeiten. Zum Zuschneiden reicht sogar eine stumpfe Bastelschere. Im Rohzustand kann das Material ebenfalls gerissen werden, dies hinterlässt jedoch unschön ausgefranste Kanten. Im erhitzten Zustand lässt es sich bis zu einem gewissen Grad dehnen und formen. Nach der Aushärtung (Abkühlung) kann es wie die meisten handelsüblichen Kunststoffe weiterverarbeitet werden.

Oberflächenveredelung: WFA ist in gewissem Maße durch Hitze glättbar, (v.a. bei Übergängen und Nahtstellen hilfreich). Weitere Möglichkeiten, eine glatte Oberfläche zu erzielen, sind eine Grundierung durch handelsübliches Gesso, Holzleim, Spritzspachtel etc. oder durch Abschleifen per Hand oder Maschine. Zu den verschiedenen Techniken gibt es im Internet eine Vielzahl an Tutorials, Tricks und Tipps, hauptsächlich aus dem Cosplaybereich. Vor der Bemalung sollte eine Grundierung aufgebracht werden, die auf Kunststoff haftet. Dann ist jegliche Art von Farbe oder Lack nutzbar

Worbla’s flameRed Art (WFRA):

Eine Variante von WFA mit einer intensiv roten Färbung. Es entspricht in Verarbeitung, Oberflächenbeschaffenheit und Veredelung dem Original. Der wichtige Unterschied zu den anderen Thermoplasten liegt in seiner B1(Material schwer entflammbar nach DIN4102-1) Zertifizierung. Es wurde speziell für den Gebrauch in Theater, Film, Fernsehen und Eventgebrauch wie z.B. Vergnügungsparks entwickelt. Es braucht etwas länger zur Aktivierung, ist sonst in den restlichen Eigenschaften analog zu WFA.

Worbla’s Black Art (WBA):

Eine verfeinerte Version des Kunststoffes, die durch ihre hervorragende Modelliereigenschaften all jene begeistert, die kleine Details und raffinierte Miniaturen kreieren wollen. Die glatte Oberfläche, die der Thermoplast sogar bei Abformungen beibehält, erleichtert die Schlussveredelung. Ebenso ist die schwarze Färbung des Kunststoffes vor allem für eine Bemalung mit metallischen Farben von Vorteil. Die weiteren Verarbeitungseigenschaften von WFA treffen auch auf WBA zu.

Worbla’s Meshed Art (WMA):

Wo WFA aufgibt, fängt WMA erst richtig an. Diese Variante hat ein in den Kunststoff eingearbeitetes Netzgewebe, welches die Reißfestigkeit nach der Aktivierung extrem erhöht. Es ist dazu auch etwas klebekräftiger als die anderen Thermoplasten der Familie, was es vor allem für Rüstungsteile zur Nummero Uno macht. Trotz des Gewebes sind auch mit WMA detaillierte Modellagen und gute Kantenverblendungen möglich.

Worbla’s Transpa Art (WTA):

Durchsichtige Dekoobjekte oder leuchtende Kristalle für den nächsten Magieeinsatz bauen? Das klare Kunststoffsheet braucht zwar mehr Hitze als seine Geschwister (120°C!), aber der Mehraufwand wird belohnt, durch einen sehr flexiblen und trotzdem formstabilen Werkstoff, mit dem man sogar Arbeitstechniken wie Tiefziehen (Material, meistens Blech von Vakuum in Form bringen) nutzen kann. Zum detaillierten Modellieren ist es eher weniger zu gebrauchen, da seine Eigenklebekraft im Gegensatz zu den anderen Kunststoffen deutlich geringer ist. Außerdem wird das Material bei Verknetung etwas milchig und es können leicht Luftblasen eingeschlossen werden.

Im Gegensatz zu den opaken Thermoplasten ist es möglich WTA schon vor oder während der Aktivierung zu färben. Wärmeelastische Klebefolie aus dem Tuningbereich oder flüssige Polyesterheißfärbemittel wie z.B. iDyePoly funktionieren problemlos.

Worbla’s Deco Art (WDA) & Crystal Art (WCA):

Neben den thermoplastischen Sheets, gibt es aus dem Hause Worbla ebenfalls Kunststoffe in Form kleiner Pellets. Die weiß-opaken oder durchsichtigen Kügelchen werden im Wasserbad bei etwa 65C° aktiviert (Heißluftföhn funktioniert ebenfalls, jedoch wird die Oberfläche dadurch sehr klebrig). Die entstehende Schmelzmasse kann zum Modellieren oder , dank der guten Klebeeigenschaften, zum Ausbessern von Scharten und Löchern genutzt werden. Wie WTA kann der Kunststoff bereits bei der Aktivierung mit flüssigen Kunststofffärbemitteln oder sogar durch das Einkneten von Acrylfarbe im aktivierten Zustand gefärbt werden. Nach dem Aushärten können sonst auch die üblichen Veredelungstechniken analog zu den anderen Kunststoffen angewendet werden. Für WCA gilt eine Aktivierungstemperatur von rund 110C°

Wie sieht es in der Praxis aus?

Reden kann man viel und behaupten umso mehr. Doch haben wir ebenfalls ein paar Praxistests mit einer schnell zusammengebauten Armschiene gemacht. Darin verbaut sind Worbla’s Finest Art, Worbla’s Black Art und Worbla’s flameRed Art. Dazu noch ein Teststück aus Worbla’s Transpa Art.

Diese beiden Objekte wurden für einen kurzen Heimtest ein wenig in die Mangel genommen.

Mehrere herzhafte Schläge mit dem Hammer haben lediglich minimale Spuren hinterlassen. Das Material ist auch nach dem Verformen flexibel genug, um den Großteil der Wucht abzufangen, ohne zu brechen. Sogar eine Auszeit im Eisfach hat der Kunststoff kommentarlos weggesteckt, jedoch im gefrorenen Zustand einen Teil seiner Flexibilität eingebüßt. Der Schwachpunkt der Kunststoffe liegt ziemlich offensichtlich bei Wärme.

Natürlich kommt man eher selten in Situationen, bei denen man sich 80-90C° Hitze aussetzt, jedoch kann auch geringere Hitze auf längeren Zeitraum ausreichen, um das Werkstück ungewollt zu verformen. Lagerfeuer, langer Aufenthalt in praller Sonne, Lagerung der Rüstungsteile im aufgeheizten Zelt oder Auto kann je nach Dauer zu unerfreulichen Überraschungen führen. Zu beachten ist dabei auch, dass erwärmte Thermoplaste schneller reißen.

Das gebastelte Probeteil nach diversen Tests mit minimalen Schadenspuren.
Das gebastelte Probeteil nach diversen Tests mit minimalen Schadenspuren.
Besonders bei Rüstungsteilen sollte man darauf achten, wie man das Werkstück veredelt. Einige Grundierungen oder Farben sind nicht geeignet für flexible Oberflächen und platzen ab oder brechen. Von Holzleim als Grundierung für schlag- und stoßbelastete Teile ist zum Beispiel abzuraten. Gesso oder andere Sprühgrundierungen halten dies allerdings aus.
Ausreißschaden durch heißes Wetter an einem Schuh, Abgeplatzte Farbe/Leimgrundierung an Rüstungsteilen
Ausreißschaden durch heißes Wetter an einem Schuh, Abgeplatzte Farbe/Leimgrundierung an Rüstungsteilen

Gibt es alternative Thermoplaste?

Vor allem amerikanische Cosplayer begannen schon vor einigen Jahren Rüstungen und Kostümaccessoires aus thermoplastischen Kunststoffen aus dem Theaterbau zu kreieren. Damals nutzen sie WONDERFLEX (thermoplastischer Sheet-Werkstoff) und FOSSHAPE(filzartiger thermoplastischer Werkstoff), beides Materialien eines US-Herstellers und in Europa nur schwer erhältlich.

Die Eigenschaften von WONDERFLEX sind ähnlich denen von WMA, doch war es aufgrund seiner Natur für Modellagen eher unbrauchbar. In Europa kam ein paar Jahre später Worbla’s Finest Art heraus und ist bis heute mit all seinen Varianten der Marktführer. Es werden immer wieder neue thermoplastische Kunststoffe entwickelt, die sich im Großen und Ganzen alle ähneln, doch feine Unterschiede in Verarbeitung, Farbigkeit und Formeigenschaften haben. Hierzu gehören zum Beispiel Cosplayflex(Deutschland) oder Thibra (Niederlande). Tests und Brauchbarkeitsvergleiche findet man auf einigen Youtube-Kanälen oder Cosplayblogs wie zum Beispiel bei Kamui Cosplay(de) oder Chimeral Cosplay(fr). Auf Worbla’s Finest Art im LARP hat sich auch Patricia Kahle von Naruvien Art & Design spezialisiert. Auf ihrem YouTube-Kanal hat sie mittlerweile über 25 Anleitungen und Tipps veröffentlich.

Authentischer Kunststoff?

Zugegeben, alternative Werkstoffe werden im LARP mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Rüstungen aus Metall und Leder sind lieber gesehen als Kunststoff und Craftfoam.  Doch seien wir ehrlich: Es ist heutzutage möglich, sich einfach und ohne sich in Unkosten zu stürzen, großartige Gewandungs- oder Rüstungsteile herzustellen, die dank Bemalung oder Kombination mit echten Materialien absolut authentisch wirken.

Das eröffnet viele neue Möglichkeiten! Oft fällt einem erst beim genauen Hinsehen oder Berühren der Unterschied auf. Freuen wir uns doch einfach an den neuen Möglichkeiten und inkludieren wir sie in den gigantischen Fundus aus dem immer neue fantastische Welten und ihre Bewohner erstehen. Mut zum Materialmix und ran an den Heißluftföhn!

 

 

Artikelbilder: Laura Birnbaum
Die Werkstoffe wurden kostenlos von cast4art zur Verfügung gestellt.

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