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Der beliebteste Held von Earth-616 mit Milliardenvermögen und Avengers-Mitgliedschaft – wer ist das? Deadpool! Ganz recht, der Merc with a Mouth wird zum gefeierten Star. Doch mit dem Ruhm steigt die Verantwortung, daher ist es Zeit für ein ganzes Team irrer Freaks…

Spätestens seit dem letztjährigen Realfilm mit Ryan Reynolds sollte Deadpool auch einem größeren Publikum bekannt sein. Der durchgedrehte Söldner, unsterblich, vom Krebs gezeichnet und nie um einen Spruch verlegen, macht seit 1991 das Marvel-Universum unsicher. Nach Jahren der Zusammenarbeit mit Cable und anderen Mutanten war Wade Wilson kurzzeitig mit dem Tod persönlich verheiratet und leitete sein eigenes Deadpool Corps gegen seinen bösen Doppelgänger Dreadpool. Doch jetzt findet sich der rot gekleidete Antiheld mit einer völlig neuen Herausforderung konfrontiert: Verantwortung!

Was passiert…

Seoul, Südkorea. Der rot gekleidete Söldner Deadpool springt aus einem Flugzeug ab und bricht in ein Bürogebäude ein, um einen USB-Stick aus einem Safe zu stehlen. Doch mitten in der Tat unterbricht ihn die Superheldin White Fox. Nach einem kurzen Kampf demaskiert sie Deadpool. Doch anstelle des krebsvernarbten Wade Wilson befindet sich hinter der Maske der Schönling James Bourne alias Solo. Er schafft es, ohne den Stick zu entkommen, während White Fox sich fragt, wo der echte Deadpool ist. Zwei Söldner in Deadpool-Outfits, Terror und Foolkiller, stehen in einer leichengepflasterten Seitenstraße New Yorks. Während der dämonische Terror einem toten Gegner die Leber entnimmt, um sein eigenes verletztes Organ zu ersetzen, macht sich Foolkiller bereit für den nächsten Auftrag der beiden: Ein Auftritt als Deadpool-DJs auf der Bar-Mitzvah-Feier eines kleinen Jungen! In einem anderen Gebäude in New York verhindert ein weiterer Deadpool-Doppelgänger, der sarkastische Slapstick, den Diebstahl eines kostbaren Juwels, indem er den Einbrecher mit einem überdimensionierten Hammer erschlägt.

Und in einem New Yorker Polizeirevier verhören zwei Beamte einen bizarr aussehenden Deadpool mit breitem Hut, den sie als Madcap identifizieren. Auch die beiden Polizisten fragen sich, wo der echte Deadpool sich aufhält. Wade Wilson befindet sich in Arizona, wo ein verrückter „Reichsbürger“ (die amerikanische Variante) einen Steuerfahnder vor laufender Kamera hinrichten will. Deadpool tötet den Entführer und rettet die Geisel in seinem Helikopter. Als der Gerettete erwähnt, dass er kein Geld hat, um den roten Söldner zu bezahlen, erwidert dieser, der Steuerfahnder müsse lediglich einen Schweigevertrag unterzeichnen. Denn niemand soll erfahren, dass Deadpool gratis arbeitet.

Deadpool ist berühmt, hat zahllose Fans, eigenes Merchandising und gibt Fernsehinterviews. Er ist mit der betörenden Dämonin Shiklah verheiratet und finanziert mit seinem Privatvermögen die Avengers, da Tony Stark nicht mehr dazu in der Lage ist. Alles könnte perfekt für Wade Wilson sein, doch seine Probleme fangen erst so richtig an. Um der großen Nachfrage nach seinen Diensten Herr zu werden, heuert er ein Team von Doppelgängern an. Die Söldner Solo, Foolkiller, Terror, Madcap, Slapstick und der fliegende Stingray gehen stellvertretend für Wade auf Missionen und wirken ähnlich gewalttätig, ironisch und skrupellos wie ihr Boss. Doch das Team besteht überwiegend aus armen Schluckern, die neben zahlreichen psychischen Problemen auch finanzielle Sorgen haben. Als Deadpools Buchhalter den Mercs for Money vorhält, dass ein Großteil von Wilsons Geld an die Avengers geht, während die Söldnermissionen wenig bis gar keinen Umsatz machen, wächst der Unmut im Team enorm. Und dann hängt jemand Deadpool einen Mord an und knöpft sich seine Freunde vor…

…wie es gefällt…

Der großmäulige, stets gewaltbereite Wade Wilson wird in diesem Band erstaunlich ernst und (für seine Verhältnisse) zurückhaltend präsentiert. Wo er früher ohne Rücksicht auf Verluste metzeln konnte, steht er jetzt als Vorbild im Rampenlicht. „Jetzt richtet man keine Waffen auf mich. Sondern Kameras. Waffen waren mir viel lieber.“ Eine ungewohnte Rolle für Deadpool und eine interessante persönliche Entwicklung, doch ist diese Handlung „die perfekte Einführung für neue Fans der Figur“, wie die Kollegen von Comic Book Resources auf dem Rückumschlag behaupten? Nach dem Erfolg des FOX-Kinofilms und dem Neubeginn des Multiversums am Ende von Secret Wars wäre die Gelegenheit ideal gewesen, um den regenerierenden Degenerierten einem breiteren Comic-Publikum zu präsentieren.

Doch der Sammelband „Wade Wilson Superstar“ konfrontiert neue Leser mit zu viel Ballast aus Deadpools Vergangenheit. Woher hat er plötzlich sein enormes Vermögen und wieso ist Tony Stark verarmt? Aus welchem Grund sollte die breite Öffentlichkeit von Earth-616 auf einmal einen käuflichen Schlägertyp vergöttern? Wie kam Wade zu den Avengers und wieso lässt sich der rote Killer von Marvels Tugendbold Nr. 1, Steve Rogers, herumkommandieren? Auch die Beziehungen zu den Nebencharakteren bleiben für Novizen undurchsichtig. Wer sind Shiklah, Adsit oder Preston? Wie trat Ellie in Wades Leben? Die Verstrickungen um Deadpools Eltern und der Konflikt mit Madcap werden nur am Rand erwähnt, den kompletten Zusammenhang kennen nur eingefleischte Deadpool-Leser.

Diese kommen aber auch nicht völlig auf ihre Kosten. Vordergründig dreht sich die gesamte Handlung zwar um den guten alten Deadpool. Aber dieser ist zu sehr damit beschäftigt, sich um gleich zwei Heldenteams zu kümmern, um sein beliebtes, irrlichterndes Ich auszuleben. Das übernehmen die Mercs for Money für ihn, die prügelnd und kalauernd seine Missionen ausführen. Doch überwiegend bleiben die Ersatz-Deadpools eben genau das: Abziehbilder. Sie tragen sein Kostüm, sie teilen seinen Humor und jeder versucht, den flottesten Spruch der Gruppe zu bringen, während generische Schurken verdroschen werden. Ohne Maske zeigen sie sich zwar individueller, mit Beziehungs- und Geldsorgen, aber größtenteils bleiben sie blass. Nur Stingray, der als Unterseeforscher aus den alten Namor-Comics bekannt ist und der ehemalige Gegner Madcap erhalten etwas mehr Rampenlicht. Und natürlich tauchen auch einige andere bekannte Gesichter aus dem Marvel-Universum wie Luke Cage, Quicksilver oder Hydra Bob auf. Diese Cameos erinnern langjährige Fans daran, wie weit ihr Held herumgekommen ist. Alles in allem kann man sagen, dass in Wade Wilson Superstar Deadpool eher durch seine Beziehungen zu anderen Personen charakterisiert wird als durch seine gegenwärtigen Handlungen.

…und wie es daherkommt.

Mag die Handlung auch einige Längen haben, Layout und Design machen diese Probleme wieder wett. Action und Humor standen für Deadpool immer im Vordergrund, und das haben Zeichner wie Koloristen beherzigt. Die Linien sind klar umrissen, das sorgt für detailreiche Hintergründe und ausdrucksstarke Gesichter der Charaktere. Schüsse, Explosionen und Schwerthiebe kommen ebenso dynamisch daher wie ein Backstein, den Wade in drei amüsanten Panels nach einem Gegner wirft (der dann zeitverzögert im dritten Panel getroffen wird). Die Farben sind knallig bunt, selbst in düsteren Szenen wie einer Schlägerei im heruntergekommenen Mietshaus stechen die Kostüme der Mercs in kräftigem Rot hervor. Noch farbenfreudiger wird es, als Deadpool sich entschließt, zur besseren Unterscheidung jeden seiner Angestellten in unterschiedliche Töne zu kleiden. Die finale Schlacht am Ende wird zu einer Auseinandersetzung der Regenbogen-Deadpools.

Großes Lob verdient auch die Übersetzung. Die Deadpool-Stories enthalten traditionell häufige Slang-Ausdrücke, Wortwitze und Anspielungen auf die amerikanische Populärkultur. In anderen Medien stoßen viele deutsche Übersetzer mit weniger Sprachgefühl oft an ihre Grenzen und erzeugen dann deutsche Fassungen, die unlogisch oder widersprüchlich klingen. Nicht so Michael Strittmatter von Panini, der auch komplexe umgangssprachliche Dialoge in natürlich klingendes Deutsch übertragen hat. Selbst für Wortspiele, die man schlichtweg nicht übersetzen kann, fand er eine Lösung, wie etwa in diesen Panels:

Die Doppeldeutigkeit des Worts „cut“ (entweder „Anteil“ oder „Schnitt“) in Madcaps Sprechblase wird von Strittmatter so übertragen: „Ich teile gern. Vor allem aus.“ Das ist gut gelöst und lässt die flotten Wortgefechte zwischen den Söldnern auch auf Deutsch clever klingen.

Die „Li’l Deadpool“-Zeichnungen zu Beginn der Einzelhefte, in denen der Held den Lesern die bisherige Geschichte zusammenfasst, fehlt im Sammelband. Verständlicherweise, da man hier alle fünf Hefte auf einmal erhält. Dafür gibt es am Ende noch eine Bonusstory, in der Deadpool von Odin zur Strafe auf ein Comic-Cover verbannt wird, wo der rote Antiheld sich mit einem Barcode anfreundet. Wer also den irren Deadpool vermisst, der die vierte Wand durchbricht und comic-typische Klischees kommentiert, bekommt hier noch mal etwas Futter.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Marvel, in Deutschland vertrieben durch Panini Comics
  • Autor: Gerry Duggan
  • Zeichner: Mike Hawthorne, Terry Pallot, Guru eFX/Val Staples
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Softcover (auch als Hardcover erhältlich)
  • Seitenanzahl: 132
  • Preis: 12,99 EUR / Hardcover 22 EUR (limitierte Ausgabe mit Blechschild)
  • BezugsquellePanini Comics, Amazon

 

Fazit

Marvel hat sich nach dem Ende von Secret Wars Mühe gegeben, seine „All-New, All-Different“-Helden storytechnisch in völlig neue Richtungen zu bewegen. Einige dieser Entscheidungen waren oder sind immer noch recht kontrovers, viele kamen aber auch gut bei den Lesern an. Die ersten fünf Hefte des neuen Deadpool haben eine gut geschriebene Story, die aber an der Komplexität der Vergangenheit des Protagonisten hängen bleibt.

Deadpool war nie wirklich ein Teamplayer, auch nicht während seiner Partnerschaft mit Cable. Ob er sich in seine öffentliche Führungsrolle noch hineinfindet und die Mercs for Money vor einer Meuterei bewahren kann, wird sich in den kommenden Ausgaben zeigen. Dann werden eventuell auch die Nebencharaktere weiterentwickelt, die ja durchaus das Potential haben, neue Fan-Favoriten zu werden.

(Für Neuleser ein Grad geringer)

Artikelbilder: Marvel Now, Panini Comics
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt

 

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