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In den 90er Jahren war 7th Sea aus dem Hause AEG ein großer Erfolg. Im vergangenen Jahr feierte das Spiel eine sensationelle Wiedergeburt mit der bisher erfolgreichsten Crowdfunding-Kampagne im Rollenspielbereich. Nun gibt Pegasus deutschen Spielern die Gelegenheit, in See zu stechen und die Degen blitzen zu lassen.

Wenn es um Piraterie sowie Mantel und Degen im Rollenspiel geht, ist 7te See das Spiel, das vielen Spielern und Spielleitern als erstes in den Kopf kommt. Zahllose Abenteuer und Gefahren lauern in der Welt Theah auf wagemutige Helden. Ob man sich am Hofe des Sonnenkönigs von Montaigne mit finsteren Intrigen und den Machenschaften von Geheimgesellschaften konfrontiert sieht, in den Eisenlanden den Monstern und sehr realen Schrecken der Nachwirkungen von Glaubenskriegen ins Auge schaut oder aber als Pirat um die Freiheit auf den Weltmeeren ringt: 7te See verspricht kinoreife Erlebnisse und emotionalen Tiefgang. Dabei hat sich die Spielwelt seit der ersten Edition maßgeblich verändert und das Regelsystem ist komplett überarbeitet worden. Bisher war, wie wir berichteten, die zweite Edition nur in englischer Sprache erhältlich. Nun hat Pegasus sich der deutschen Übersetzung angenommen und wir nutzen die Gelegenheit für einen zweiten Blick.

Die Spielwelt

Gespielt wird auf der sehr reizvollen Spielwelt Theah. Diese erinnert an das Europa des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, jedoch durchzogen von Magie und Monstern und mit einigen historischen Freiheiten. Das Grundregelwerk beleuchtet dabei einige Nationen näher. Diese dienen als Grundsetting und als Herkunftsorte der Spielercharaktere.

Avalon entspricht in Lage und Charakter England. Hier herrscht eine gütige Königin über eine zivilisierte Nation und ihre Schwesterkönigreiche Innismore und die Hochlandmarschen. Diese Königin verfügt über die Macht des heiligen Grals und Feenwesen durchstreifen die grünen Inseln. Avalon ist eine starke Nation, in der der Adel fast partnerschaftlich mit dem Volke lebt und dieses mit sanfter Hand beherrscht.

Die Eisenlande sind die theanische Version Deutschlands nach dem Dreißigjährigen Krieg. Die Menschen aus den Eisenlanden leiden unter Hunger und den Wesenheiten, die das von Konfessionskriegen gepeinigte Land ausgespien hat. Die Eisenländer sind ehrliche, raubeinige Gemüter, denen Lüge und Intrige fremd scheinen. Da man im Englischen eine Menge seltsam unpassender deutscher Wörter für regionaltypische Begriffe gewählt hat, die im Deutschen eher befremdlich wirken, hat die Übersetzung sich hier zu Recht die meisten Freiheiten erlaubt. Die Eisenlande werden im Laufe der Zeit auch von Pegasus selbst in Absprache mit dem amerikanischen Lizenzgeber weiterentwickelt werden.

Castilien wird von einem schwachen König und dessen starken Kardinal beherrscht. Das stolze Volk ist gerade aus einem verlustreichen Konflikt mit der Nachbarnation Montaigne herausgekommen und muss sich von den Auswirkungen dieses Konflikts erholen. Die Castilier sind temperamentvoll und aufrichtig, den Granden, den dortigen Adligen, zählt ihre Ehre über alles. Und das Volk hat in El Vagabundo einen maskierten Helden an seiner Seite, der sicher nicht zufällig an Zorro erinnert.

Montaigne ist das Äquivalent zum Frankreich des Sonnenkönigs. Musketiere und höfische Intrige spielen in diesem Land eine wichtige Rolle und die adligen Magier sind in der Lage, mit ihrem Blut Löcher in die Realität zu reißen und quasi aus dem Nichts an völlig unerwarteten Orten zu erscheinen.

Vodacce entspricht dem Italien der Renaissance, mit seinen Händlerfürsten, verderbten Stilett-Angriffen aus dem Hinterhalt und verwinkelten Gassen und Kanälen. Es ist eine Schurkennation, in der das unüberlegte Wort den Tod bedeuten kann und der blanke Stahl überwiegend im Dunklen aufblitzt. Mächtige Schicksalshexen verfolgen und beeinflussen die Fäden des Schicksals und Sicherheit gibt es für niemanden.

Usura, das sich leicht als eine Russland-Variante identifizieren lässt, ist das Reich des endlosen Schnees und Herrschaftsgebiet des Zaren. Das Land selbst ist beseelt und die Wesenheiten, die es schützen, erlauben Auserwählten außergewöhnliche Gaben. Die Bojaren herrschen streng über die Gebiete, die ihnen zugeteilt wurden, und nicht selten kommt es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen.

Vestenmennavenjar im Norden Theahs hat sich mit dieser Edition verändert beziehungsweise präsentiert sich wesentlich einheitlicher als in der Vergangenheit. War das Gebiet früher zwiespältig zwischen Wikingern und Holländern, hat man sich in dieser Edition entschieden, die vestensche Region klar als Wikingergebiet darzustellen. Die Rechtsprechung erfolgt im „Thing“, die Verehrung der Geister der Ahnen und der nordischen Götter ist selbstverständlich. Hier offenbart sich leider eine kleine Schwäche des Settings, denn mit Vesten, Innismore und den Hochlandmarschen finden sich auf Theah drei Gebiete, die aus der Historie gefallen scheinen. Während der Rest der Welt in der frühen Neuzeit angekommen scheint, zeigen sich Keltentum und Wikingertum noch mittelalterlich. Es ist eine Herausforderung an den Spielleiter, diese Diskrepanz sinnvoll in Szene zu setzen.

Den Abschluss der Nationen bildet der völlig neu hinzugekommene Sarmatische Bund. Diese slawisch anmutende Nation lebt in einer ersten, einfachen Demokratie, denn um den Adel zu entmachten, hat der König einfach alle Einwohner zu Adligen erklärt. Dieser Bund ist sehr spannend dargestellt, mit einer faszinierenden, geisterhaften Magie und äußerst interessanten Möglichkeiten für Charaktere, die den gesellschaftlichen Aufstieg suchen.

Natürlich wäre 7te See nicht was es ist ohne Piraten. Doch über diese findet sich im Grundbuch noch recht wenig Material. Dies liegt daran, dass ihnen ein ganz eigener Ergänzungsband gewidmet wird, den wir uns bei Erscheinen im deutschen Raum ausführlicher ansehen werden. Schon jetzt ist aber klar, dass der Umfang des Piratenmaterials und die Beschreibung weiterer Erdteile, die im Ergänzungsband stecken, einfach den Rahmen des Grundregelwerkes gesprengt hätten.

Natürlich prägen nicht nur die Nationen die Welt, sondern auch die Machenschaften der Geheimgesellschaften, die Ränke der vaticinischen Kirche und die Hinterlassenschaften einer uralten Vorgängerrasse. Die Sirneth haben imposante Bauwerke und seltsame Artefakte hinterlassen, deren Erforschung den Anlass zu Expeditionen und Abenteuern bieten kann.

Interessant ist, dass bei der zweiten Edition das Thema der Geschlechter- und Völkerdiversität in den Fokus geraten ist. Weibliche Charaktere werden wesentlich häufiger, auch im Artwork, präsentiert und es wird explizit auf die Völkervermischung in Theah hingewiesen. Das ist auch insofern spannend, weil weibliche Spieler laut Aussage aus der Pegasus-Redaktion einen wichtigen Teil der Zielgruppe der neuen Ausgabe darstellen. Und natürlich dürfen in einer guten Piratengeschichte die weiblichen Hauptrollen nicht fehlen.

Die Regeln

Nach Erscheinen der englischen Ausgabe hat insbesondere das Regelsystem der zweiten Edition für hitzige Diskussionen gesorgt, denn es ist extrem knapp geraten. Das entspricht dem Ansatz des Spiels, den Spielfluss nicht unnötig zu unterbrechen und Regeln und Würfe nur dort einzusetzen, wo sie unausweichlich scheinen. Jedem Simulationisten rollen sich dabei sicherlich die Zehennägel hoch, denn alles ist auf das Wesentliche reduziert und wirkt sehr cineastisch, da eine Aktion in einzelne kleine Herausforderungen unterteilt wird, die mit dem Würfel gemeistert werden können. Gewürfelt wird mit zehnseitigem Würfel. Nach dem Wurf wird ermittelt wie oft sich aus der Menge der Würfe die Zehn errechnen lässt. Jede errechnete Zehn zählt als ein Erfolg. Möchte also Carolo, der wackere Castilier, am Kronleuchter über ein Feuer schwingen, um eine Wache am anderen Ende des Raumes zu besiegen, dann legt er fest mit welchem Attribut und welcher Fertigkeit er sein Ziel erreichen möchte. Der Spielleiter sagt ihm an wie viele Risiken, also Herausforderungen, er zu bestehen hat. Also zum Beispiel eins für das erfolgreiche Schwingen, eins, damit er sich am Feuer nicht verletzt und ein weiteres Risiko, um die Wachen auszuschalten. Würfelt Carolos Spieler nun so, dass sich nur zwei Zehnen ergeben, kann er sich entscheiden, welches Risiko er nicht meistert. So schwingt er vielleicht erfolgreich durch den Raum und schaltet die Wachen aus, nimmt dabei aber Schaden durch das Feuer. Das System ist gewöhnungsbedürftig und fordert den Spielleiter heraus, weil er einzelne Szenen schnell in kleine Sequenzen zerlegen muss. Das erinnert an die Arbeit eines Regisseurs und entspricht somit dem cineastischen Ansatz.

Charaktererschaffung

Wer in der ersten Edition einen Charakter auf Theah erschaffen wollte, brauchte Zeit und Sorgfalt in der Auswahl von Fertigkeiten und Talenten. Heute sieht das glücklicherweise anders aus und ein Charakter ist in wenigen Minuten spielfertig, was auch Rollenspieleinsteigern sehr entgegen kommen dürfte. Die Charaktererschaffung verläuft in acht einfachen Schritten und beginnt mit einem Grobentwurf in Bezug aus Beruf, Nationalität und Herkunft des Charakters. Anschließend werden die Eigenschaften Entschlossenheit (Willensstärke), Gewandtheit (körperliches Geschick), Muskeln (Kraft), Stil (Charme) und Verstand (Klugheit, Bildung) verteilt. Der Bonus, der durch die Nationalität gewährt wird, wird hinzuaddiert. Hier entstehen durch das einfache Verteilsystem solide Charaktere, die nicht zu Übermenschen neigen. Nun werden zwei Hintergründe erworben, das entspricht im Wesentlichen den Berufen der Eltern. Dazu gibt es allgemeine Hintergründe wie Adliger, Forscher, Jenny oder Seemann, aber auch solche, die explizit nur in der Heimatnation des Charakters vorkommen, wie zum Beispiel Ungetümjäger in den Eisenlanden oder Schicksalshexe in Vodacce. Diese Hintergründe bringen eine ganze Reihe an Fertigkeiten, aber auch seltsame Eigenheiten, die zum Erwerb Schicksal bestimmender Heldenpunkte notwendig sind.

Im Anschluss kauft der Spieler für seinen Charakter aus einer Auswahl an Fertigkeiten all die erlernten Dinge, die er braucht. Sei es Kampfgeschick, Seemannskünste oder sonstige Fertigkeiten, die Liste ist umfangreich und bietet eine Menge Variation. Es folgen bestimmte Vorteile, die über die Fertigkeiten hinausgehen und ein bedrohliches Lächeln genauso beinhalten können wie magische Begabungen. Nun folgen die Arkana, denn jeder Charakter verfügt über eine Tarotkarte, die sein Schicksal positiv, und eine, die sein Schicksal negativ beeinflusst. Ist nun das grobe Ziel des Charakters festgesteckt, also das, was er in seinem Leben und seinen Abenteuern erreichen möchte, fehlen nur noch auskleidende Details und der Charakter ist bereits fertig erstellt. Allerdings fehlen dem System leider Dinge wie Preislisten, Waffenlisten oder ein generelles System zum Ermitteln des Wohlstandes des Charakters. Hier sind also Spielern und Spielleiter alle Freiheiten gelassen, jedoch fehlt damit auch ein Stück Orientierung.

Spielbarkeit aus Spielleitersicht

7te See ist für den Spielleiter zumindest mit dem Grundregelwerk allein ein zweischneidiges Schwert. Das System ist herrlich simpel und störendes Blättern am Spieltisch kommt eigentlich nicht vor. Die Spielwelt ist unendlich reich an Möglichkeiten und Abenteuer finden sich fast an jeder Ecke. Das Problem ist, dass das Grundregelwerk die meisten Dinge sehr weitschweifig umreißt, ohne konkrete Details zu bieten. Wer mit dem Grundregelwerk beginnt seine eigenen Abenteuer zu entwerfen, läuft natürlich Gefahr später in Konflikt mit Kanon und Metaplot zu geraten. Wer sich jetzt eine Geschichte um ein mächtiges Adelshaus in Montaigne macht, wird hier eigene Namen erfinden müssen, denn Vorlagen findet er keine.

Das bietet viel Freiheit, aber auch die Gefahr zu vorsichtig zu werden, denn aus den einzelnen Beschreibungen von Regionen blitzt schnell hervor, dass die geniale Spielwelt eigentlich hervorragend ausgearbeitet ist, sich Details jedoch gerade jetzt einfach noch nicht finden lassen. Wen so etwas nicht schreckt, der kann sich und seine Spieler in spannende Abenteuer stürzen und bekommt die Gelegenheit, herrliche Schurken wie in einem guten Kinofilm zu präsentieren. Es empfiehlt sich ein wenig Recherche in der realen Geschichte zu betreiben, um das Flair und den Geist des Spiels besser umzusetzen. Auch das Schauen des einen oder anderen Films als Anregung für spannende Szenen kann nicht schaden.

Spielbarkeit aus Spielersicht

Die Spieler tun sich leicht damit, sich in die Spielwelt einzufinden. Das liegt zum einen an der Ähnlichkeit mit der realen Historie und den starken Anleihen bei gängigen Historien- und „Mantel und Degen“-Filmen, zum anderen aber auch an der sehr starken Immersion, denn man wird wenig durch das Regelsystem gegängelt und erlernt dieses recht einfach. Die Möglichkeiten zur Charaktererschaffung sind sehr gelungen, doch Spieler magiebegabter Charaktere hoffen schnell auf Erscheinen der Regionalbände mit erweiterten magischen Kniffen und Techniken, da die Magie teilweise noch wenig vertieft wirkt.

Erscheinungsbild

Das Grundregelwerk gibt es in drei Varianten, nämlich digital, als ausgesprochen günstige Druckfassung und als gedruckte limitierte Auflage. Der Preis der regulären Druckfassung ist mit 19,95 EUR für 315 sehr wertig gedruckte Seiten sensationell. Der feste Einband ist robust und dennoch sehr schön mit seinem eingestanzten Artwork und Logo. Das Regelwerk ist übersichtlich und gut strukturiert, das Glossar macht die Orientierung leicht. Einige kleine Rechtschreibfehler haben sich in das Werk geschlichen, was aber zu verschmerzen ist. Die limitierte Auflage ist in Samtstoff gebunden und mit Stahlecken versehen. Statt der Titelillustration schmückt eine Piratenflagge die Front. Mit 39,95 EUR ist auch diese Ausgabe sehr günstig. Sie ist wunderschön, jedoch ist der Samtstoff ein echter Krümelfänger und macht das Genießen von Chips am Spieltisch schwierig.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Pegasus
  • Autor(en): John Wick
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Gebunden
  • Seitenanzahl: 315
  • ISBN: 978-3-95789-105-1
  • Preis: 19,95 EUR (regulär) bzw. 39,95 EUR (limitiert)
  • Bezugsquelle: Amazon (regulär), Amazon (limitiert)

 

Bonus/Downloadcontent

Mittlerweile gibt es von Pegasus Weltkarten und ein Promo-Charaktere zum kostenlosen Download.

Fazit

7te See ist ein sehr schönes System zum Spielen von „Mantel und Degen“-Abenteuern in einer reichen und verlockenden Spielwelt. Die Nationen und Hintergründe der Spielwelt sind die absolute Stärke des Systems und werden Spielleitern und Spielern gleichermaßen sehr schnell vertraut, weil einige Elemente aus der realen Historie oder einschlägigen Filmen bekannt wirken. Die Möglichkeiten, die sich kreativen Spielgruppen bieten, sind schier endlos. Das Spiel eignet sich durch das leichte Regelsystem sehr gut für Neueinsteiger und Neugierige. Unter den erfahrenen Spielern werden vor allem solche ihren Spaß daran haben, die viel Wert auf tiefes Charakterspiel legen und Regeln als notwendiges Mittel zum Zweck betrachten. Spieler, die einem simulationistischen Ansatz folgen, werden eher enttäuscht sein.

7te See ist nicht ohne kleine Schwächen und manches Mal hätte man sich mehr Information oder mehr Orientierung gewünscht. Doch wenn man diese Kleinigkeiten überwinden kann, wird man mit einem schnellen, unkomplizierten Spielerlebnis mit Kinoqualitäten belohnt. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist nahezu unschlagbar und auf dem deutschen Markt noch wesentlich besser als in der englischsprachigen Fassung. Also Leinen los und in See stechen, das Abenteuer wartet!

Artikelbilder: Pegasus Spiele
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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