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Was können gewöhnliche Menschen von Superhelden wie Superman, Wonder Woman, Batman und ähnlichen Figuren lernen? Diese Frage steht im Vordergrund von Grant Morrisons Superhelden. Der Starautor begibt sich auf eine Reise durch die Geschichte des Mediums, die eng mit seiner eigenen Lebensbiographie verflochten ist.

Grant Morrsion ist ein Altmeister und ein Genie unter den Comic-Autoren. Besonders im Dark Age der Comicgeschichte machte er sich einen unsterblichen Namen. Er wird in einem Atemzug genannt mit Größen wie Frank Miller, Alan Moore oder Neil Gaiman. In Superhelden – Was wir Menschen von Superman, Batman, Wonder Woman & Co lernen können beschreibt Morrison nicht nur die tiefe Verbindung zwischen seinem eigenen Lebensweg und den bunt bebilderten Seiten. Er liefert zugleich eine fantastische Reise durch die Geschichte der Superheldencomics von ihren Anfängen bis in die Gegenwart.

Die Reise durch die Zeit

In seinem 2013 unter dem Originaltitel The Supergods erschienenen Sachbuch nimmt Grant Morrison den Leser mit auf eine fantastische und philosophische Reise durch die Zeit. Er folgt der Geschichte der Superheldencomics von ihren Anfängen bis in die Gegenwart und zeichnet in lebendiger Sprache die Art und Weise auf, wie sich seine persönliche Lebenswelt, die allgemeine Weltlage und die Entwicklung der Comics gegenseitig beeinflussten. Dabei scheut er sich nicht, auch dunkle Kapitel der Comicgeschichte aufzuschlagen und Dinge, die bisher überwiegend gemunkelte Gerüchte waren, beim Namen zu nennen. So zeigt er, wie sich die beiden großen amerikanischen Comicverlage gegenseitig zur Weiterentwicklung zwangen. Er benennt deutlich, dass Marvel sich als ein Verlag des kleinen Mannes und Proletariers verstanden hat, während DC Comics den etwas steifen Nimbus des Popkultur-Aristokraten pflegte.

Er beschreibt, wie sich das Comic-Genre durch die Kennedy-Ära und die technischen Entwicklungen im Zeitalter der Raumfahrt zu neuen Themen hinwandte, wie Gammastrahlung zum magischen Wunderweg zur Superkraft wurde, und wie ein arroganter amerikanischer Psychologe durch Gerüchte und Verleumdungen die Comics dazu brachte, sich beinahe selbst zu zerstören. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er die kommunistischen Züge eines Superman entlarvt oder die SM-Elemente in Wonder Woman sichtbar werden lässt. Und er zeigt deutlich, wie all diese Elemente den jungen Grant Morrison auf seinen Weg zum erfolgreichen Comic-Autor führten. Auch verdeutlicht er, wie dies alles sich auf die Psyche einer lesenden Jugend auswirkte und damit popkulturell seine Bahnen zog, wie Flash und Hulk Physik und Wissenschaft plötzlich zu interessanten Themen machten.

Doch Morrison verweilt nicht in den gloriosen Zeiten. Dieses Buch ist keine Lobeshymne, es kommt eher einer Offenbarung von Geheimnissen gleich. Der Autor beschreibt auch den Sturz der Superhelden in die Dunkelheit, den Durst abgründiger Subkulturen nach eigenen Ikonen und Heiligen, den Drang einer überwiegend britischen Autorenszene, in den 1980er Jahren die Welt nach neuen Regeln umzugestalten. Und er führt dem Leser vor Augen, warum die Superhelden noch heute eine fast religiöse Verehrung erfahren, warum sie so viel größer erscheinen als jeder reale Mensch es vermag, warum sie zu unseren neuen Supergöttern werden konnten, zumindest, solange jemand die Markenrechte am Namen der Figuren bezahlt.

Der Stil

Superhelden ist kein einfaches Buch und es richtet sich nicht an den völlig unerfahrenen Leser. Man sollte mit vielen Comichelden vertraut sein, um große Teile des Buches überhaupt genießen zu können, denn Morrison schreibt in der Selbstverständlichkeit eines Menschen, der sein Leben dieser Kunstform gewidmet hat. Und manchmal mag es erscheinen, als ob er von seinem Leser nicht weniger als das auch erwartet. So beschreibt er verschiedene Comic-Cover, um an der Darstellung der Figuren eine bestimmte Geisteshaltung zu verdeutlichen. Wer aber das Cover nie gesehen hat, der wird dem Autor schwer folgen können. Illustrationen sind in dem Buch ausgesprochen spärlich eingesetzt und helfen kaum bei der Orientierung. Manches Mal wird sich der Leser dabei ertappen, eben schnell ein Comic-Cover im Internet suchen zu müssen, um überhaupt zu erahnen, was Morrison meinen könnte. Wer aber diesen Blick des Eingeweihten nicht scheut, wird vom Autor belohnt, denn selten hat ein anderes Buch so tiefe und intime Einblicke in die Welt der Superhelden, den Marktapparat darum herum und die kulturellen Zusammenhänge geboten.

Superhelden ist auch kein Buch für den Fanboy, der in Erinnerungen schwelgen möchte. Zu schonungslos demaskiert Morrison Figuren und Mythen, zu deutlich zeichnet er die manchmal dunklen Pfade nach, die die Comicindustrie gegangen ist. Zu oft bleibt der schale, leicht bittere Geschmack der enthüllten und gescheiterten Illusion, der ja auch schon Arkham Asylum als Graphic Novel getragen hat. Morrison will nicht nett sein. Er will ehrlich sein, auf eine sehr erwachsene, wenig verklärende Art.

Damit ist Superhelden ein Buch für den Suchenden, den Ruhelosen und den Fragenden. Es ist ein Buch für die Leser, die sich nicht mit der Oberfläche zufrieden geben. Es richtet sich an Menschen, deren Leben ebenfalls von Superman, Batman und all den anderen Figuren berührt wurde und die auch nicht mehr von den illustrierten Geschichten lassen können. Superhelden versucht die Frage zu beantworten wieso. Und es führt den Leser weit über die Antwort auf diese Frage hinaus.

Der Autor

Morrison ist eine Ikone der Comickunst. Seinen großen Durchbruch feierte der Schotte mit dem extrem düsteren und stimmungsvollen Arkham Asylum, bei dem Dave McKean ihn mit außerordentlich eindringlichen Bildern unterstützte. Die Geschichte, die den Leser tief in die Hallen des Wahnsinns von Gotham City führt, war prägend für viele später folgende Graphic Novels und setzte einen neuen Standard im Bereich der Erwachsenencomics. Morrison arbeitete lange vor allem in den dunklen Bereichen des DCU.

Er betreute eine Reihe von Vertigo-Titeln sowie Legends of the Dark Knight. Mit Mark Millar arbeitete er an Judge Dredd und erhielt 2006 und 2007 jeweils einen Eisner Award für seine Reihe All Star Superman. Gleichzeitig begann er einen sehr erfolgreichen Run in der Serie Batman, der mit der legendären Reihe Batman R. I. P. im Tod des Dunklen Ritters gipfelte. Grant Morrison hat mit seiner erwachsenen, dunklen Art des Geschichtenerzählens und seinem Mut, auch provokante Wege einzuschlagen, das Superheldengenre beeinflusst und verändert.

Erscheinungsbild

Das Buch wirkt bescheiden und dennoch seltsam anziehend. Auf dem schwarzen Cover ist nicht wesentlich mehr als Name und Untertitel zu lesen. Der Hauptteil des Titelbildes ist schwarz, doch sind die Umrisse einer Art Batman-Maske zu sehen, in unterbrochenen Linien, sodass man sie ausschneiden könnte. Das Titelbild spiegelt geschickt das Programm des Buches wieder. Schlicht, eindringlich, auf den ersten Blick wie eine Erinnerung aus der Kinderzeit, auf den zweiten Blick fast ein wenig bedrohlich: so scheint die Maske dem Leser direkt in die Seele sehen zu wollen. Das Innere des Buches besteht aus fast fünfhundert textgefüllten Seiten mit sehr wenigen Schwarz-Weiß-Illustrationen. Die Papierqualität ist mäßig, so, als wollte der Verlag den Leser nicht durch eine aufwändige Verarbeitung blenden, sondern den Blick direkt auf das Wesentliche, den puren Text, konzentrieren.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Hannibal
  • Autor(en): Grant Morrison
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Taschenbuch
  • Seitenanzahl: 496
  • ISBN: 9783854454182
  • Preis: 9,99 EUR
  • Bezugsquell: Amazon

 

Fazit

Superhelden ist ein sehr seltsames Buch, das den Leser mit seiner fast hypnotischen Atmosphäre in seinen Bann ziehen kann. Starautor Grant Morrison gelingt es hier, ähnlich wie schon in seiner Graphic Novel Arkham Asylum, den Leser gleichzeitig mit Bekanntem zu fesseln, ihm aber auch die Abgründigkeit hinter dem Vertrauten aufzuzeigen. Er zeichnet hier nicht nur seine eigene Lebensgeschichte, sondern auch die Geschichte der Superhelden und deren Einfluss auf ihre Leser nach. Dabei führt der beschriebenen Weg vom Golden Age der 1930er Jahre über das Silver und Bronze Age in die Düsternis des Dunklen Zeitalters der frühen 1990er Jahre und schließlich in die Renaissance des Genres. Morrison verarbeitet Eindrücke aus der Religion und Mythologie, Einflüsse aus Politik und Wissenschaft und nicht zuletzt Kenntnisse der Ikonographie und der Kunstgeschichte und webt daraus einen stimmigen Teppich der Popkultur. Dabei bleibt er als Schotte nicht bei der amerikanischen Gesellschaft stehen, was beim Superheldenthema erfrischend ist.

Es wird schwer fallen, ein ähnlich informiertes, fundiertes und sachliches Werk über die Helden in Maske und Cape zu finden. Morrison ist manchmal erschreckend ehrlich, aber er liebt die Welt der Metawesen und Mutanten, der Monster und Übermenschen, in die er sich mit seinem Werk begeben hat. Und dennoch gelingt es ihm, wenig zu ideologisieren.

Artikelbild: Hannibal Verlag
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

 

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