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Auf Anime-Cons werden auf der großen Bühne nicht nur Wettbewerbe geboten. Showgruppen hauchen auf ganz eigene Art ihren Lieblingsserien Leben ein. Wir geben einen Einblick darin, wie die Gruppen entstanden sind, sich mit der Zeit gewandelt haben, und wie heute in ihnen gearbeitet wird.

Schon seit den ersten deutschen Anime-Cons Ende der 90er wagen sich Tanz- und Musicalgruppen, anfangs oft organisiert von Teenagern, in Kostümen auf die Bühne, um ihre Lieblingsserien mit Tanz, Gesang und Theaterspiel auf diversen Ebenen erlebbar zu machen. Als Sammelbegriff für die mit sehr unterschiedlichen Konzepten arbeitenden Gruppen hat sich „Showgruppen“ etabliert.

Die Entwicklung der Showgruppen

Die Vorreiter dieser Szene, insbesondere Gruppen wie Yume und Tsuki no Senshi, begannen um die Jahrtausendwende, die in Japan kommerziell entwickelten Sailor Moon-Musicals nachzutanzen. Über dubiose Kanäle wurden Musik und Videos aufgetrieben und im Hobbykeller der Eltern oder im Allzweckraum der nächsten Kirchengemeinde die Tänze einstudiert. Das Internet steckte noch in den Kinderschuhen, Übertragungsraten und Datenspeichermöglichkeiten waren ein Witz im Vergleich zu heute, gute Quellen für Musik und Videos gab es kaum.  Auf den ersten Conventions war so manche Gruppe auch noch nicht als fester Programmbestandteil, sondern nur als Teilnehmer beim Cosplay-Wettbewerb vertreten. Die frühen Conventions waren aber froh, ihre Bühnen mit mehr als einem Kostümwettbewerb füllen zu können, und luden die Gruppen bald gerne ein. Damals war das gesamte Programm noch nicht so dicht, sodass die ersten Gruppen sehr vielen Leuten in der Szene ein Begriff waren – und das Konzept der Showgruppen auch bald viele Nachahmer fand.

Die Tsuki no Senshi beim Auftritt. Foto: Cornelia Papiorek/Tsuki no Senshi
Die Tsuki no Senshi beim Auftritt. Foto: Cornelia Papiorek/Tsuki no Senshi

So inspirierten die ersten paar Gruppen viele andere Leute, sich der Adaption von Manga und Anime als Bühnenstück im Musical- oder Varieté-Stil zuzuwenden. Über die Jahre sind sicher über 100 kleine und große Showgruppen in Deutschland gegründet worden, von denen manche schon seit ca. 20 Jahren aktiv auf den Bühnen der deutschen Con-Landschaft unterwegs sind, und andere es nie bis zu einem kompletten Auftritt gebracht haben. Große Namen sind zum Beispiel Tsuki no Senshi (auch TnS genannt) aus München. 1998 gegründet und bereits auf der Neo Moon und ersten Animagic mit Auftritten vertreten, sind sie noch bis heute aktiv. Auch Daijoubu aus Berlin sind schon seit 2002 unterwegs und arbeiten noch immer konsequent an neuen Stücken. Im deutschsprachigen Ausland wurden in Österreich und der Schweiz ebenfalls Gruppen gegründet, und über die Jahre ist nicht nur ihre Zahl größer, sondern auch die Ausrichtung immer diverser geworden.

Showgruppen waren auch Wegbereiter für Cosplay als Hobby allgemein. Dass man sich für die Bühne kostümiert war zunächst noch viel eher verbreitet und vorstellbar, als dass zahlende Conbesucher im Cosplay herumlaufen würden. Die Teilnahme an einer Showgruppe ebnete manchem erst den Weg in das Hobby Cosplay, das um die Jahrtausendwende nur wenigen bekannt war. Die Gruppenmitglieder trugen ihre Kostüme auch vor und nach den Auftritten beim Gang über das Gelände, was damals noch nicht so üblich auf den Conventions war. Cosplay wurde damit für alle Besucher einer Con erlebbar und inspirierte entsprechend Leute zur Nachahmung.

Der Rückhalt in der Gruppe tat sein Übriges. So bündelte man mehr Know-How und Ressourcen, die eine wusste, wie man an günstige Stoffe kam, eine andere hatte eine Nähmaschine, irgendein Vater oder Bruder hatte vielleicht eine Werkstatt für Kulissen- und Prop-Bau. Heutzutage findet sich die Spezialisierung der Cosplayer auf bestimmte Fähigkeiten auch in vielen Gruppen wieder: Die eine kann Perücken stylen, die andere gut nähen, die Dritte kennt sich mit Make-up aus, und eine hat Werkzeuge für alle Arten von Prop-Bau im Keller stehen. Man kann entweder um Rat und Hilfe fragen, die Kostüme in Teamarbeit erstellen oder hat sogar ein ausgeklügeltes arbeitsteiliges System. Und im sozialen Gefüge der Gruppe überwindet man sich, wo man alleine nicht den Mut oder das Durchhaltevermögen hätte.

Was zeigen Showgruppen?

Die Showgruppen wandelten sich natürlich mit der Zeit, insbesondere was die Konzepte der Bühnenauftritte anging. In den ersten Jahren war eine Art Varieté-Show verbreitet, einzelne Tänze und Sketche zu verschiedenen Serien. Dann wurden erst kurze, später längere Stücke zu einer Serie ins Repertoire aufgenommen, inzwischen sind Stücke von ca. 45 bis 90 Minuten die Regel.

Manche Gruppen haben sich auf Comedy spezialisiert, andere eher auf dramatische Stücke, die meisten Gruppen sind bis heute bei einer Musical-Mischform geblieben, in der sich Theater- und Tanzszenen abwechseln. Mit den neueren technischen Möglichkeiten wurden auch Animationen oder eigens gefilmte Sequenzen als zusätzliche Hilfsmittel und Ersatz für Kulissen in die Stücke integriert.

Es gibt einige Gruppen, die einen Handlungsstrang einer Serie als Musical aufbereiten, andere nehmen das Grundsetting der Serie und erarbeiten eine ganz eigene Handlung, und wieder andere arbeiten mit Serien-Crossovern. Manche Gruppen setzen auf Live-Gesang, viele lieber auf musikalische Untermalung vom Band. Für den geneigten Zuschauer ergibt sich damit eine große Fülle von unterschiedlichen Shows.

Wer macht mit?

Tanoshii auf dem Anime Marathon 2017. Foto: Michael Fuchs
Tanoshii auf dem Anime Marathon 2017. Foto: Michael Fuchs

Was die Gruppen personell damals wie heute auszeichnet, ist der immense Frauenüberschuss. Generell wird die Anime/Manga-Szene von einer größeren Zahl an Frauen getragen. In Showgruppen nimmt das teilweise extreme Ausmaße an: Verhältnisse von 10:1 sind bekannt. Mancherorts sind nur bei den Technikern und Helfern Männer zu finden, auf der Bühne müssen sich die Frauen entsprechend anders behelfen: Crossplay, also das Darstellen eines andersgeschlechtlichen Charakters im Cosplay, war schon seit jeher für die Umsetzung der meisten Stücke notwendig. Warum die Männer sich so selten auf die Bühne trauen, weiß keiner – generell ist in unseren Breiten Cosplay und alles, was dazu gehört, immer noch ein sehr weiblich dominiertes Hobby.

Die Gruppenmitglieder sind außerdem fast durchweg Laien, eine professionelle Ausbildung in Schauspiel, Tanz oder Performance hat fast niemand. Dennoch werden alle Bereiche, die in der Produktion eines Bühnenstückes notwendig sind, regelmäßig aus der eigenen Gruppe heraus umgesetzt. Das beginnt beim Verfassen des Drehbuchs, über die Auswahl der Musik, das Anfertigen der Cosplays, die Choreografie der Tänze, den Tonschnitt für die Hintergrundmusik und ggf. notwendige Soundeffekte, das Schneiden der Filmdateien für die Beamer-Leinwand, bis hin zu Ton-, Licht- und weiterer Bühnentechnik vor Ort, und so weiter. Auch dabei kristallisieren sich in den Gruppen immer ein paar Talente heraus, die nach ein paar Jahren wirklich beachtliche Kenntnisse in den Bereichen erworben haben. Das alles regelmäßig autodidaktisch, da in vielen Bereichen kaum ein Lehrangebot für Laien vorhanden ist.

Wie wird gearbeitet?

Für die Umsetzung eines Stückes wird viel der eigenen Freizeit aufgewandt. Die meisten Gruppen treffen sich ein bis vier Mal im Monat zu einem mehrstündigen Training, auch je nachdem, ob die Gruppe sehr lokal oder überregional besetzt ist. Kommen alle Gruppenmitglieder aus derselben Stadt (was insbesondere bei den Gruppen aus den deutschen Großstädten oft der Fall ist), trifft man sich meist wöchentlich für ein paar Stunden. Gruppen mit einem erheblich größeren Einzugsbereich machen eher seltenere, aber dafür meist längere Trainings- oder Probentermine aus. Die Kosten für Trainingsräume und Kulissen finanzieren die Gruppenmitglieder selbst, meist mittels eines monatlichen Gruppenbeitrags.

Der Großteil der Trainingszeit wird für die Tänze aufgewandt. Bis alle Gruppenmitglieder jede Bewegung beherrschen und synchron sind, braucht es einige Stunden, was bei fünf bis zehn Tänzen pro Stück entsprechend viele Arbeitsstunden macht. Zusätzlich dazu werden die Theaterszenen geprobt, Kulissen gebaut, Kostüme genäht, und der technische Unterbau der Show vorbereitet, insbesondere die Hintergrundmusik und Lichttechnik, aber auch Videos und in Videodateien verpackte „special effects“, die über den Beamer an die große Leinwand geworfen werden können. Nicht alles davon geschieht immer mit allen Mitgliedern – gerade Ton- und Videoschnitt macht meist eine Person in Ruhe daheim, und die Anfertigung des Kostüms ist teilweise jedem Mitglied selbst überlassen.

Das Anfertigen der Kostüme ist auch für die Showgruppen-Mitglieder eine anspruchsvolle Aufgabe. Der „normale“ Cosplayer ist schon gut damit beschäftigt, seine Kostüme zur Con fertig zu bekommen – in der Showgruppe müssen alle Mitglieder ihre Kostüme schon zur Generalprobe fertig haben. Wer schon einmal eine Cosplay-Gruppe organisiert hat, weiß, wie viel Arbeit es ist, zehn, 15 oder gar 20 Leute dazu zu bringen, an einem fixen Termin wirklich ein komplettes Kostüm vorweisen zu können. Die Bühnenkostüme müssen dabei manchmal Abstriche bei der Originaltreue machen – denn manche Konstruktion ist zwar an sich machbar, wer sich aber bis zu 90 Minuten darin bewegen können und dabei auch noch tanzen muss, der muss andere Kriterien anlegen. Da die meisten Zuschauer die Kostüme nur aus über zehn Metern Entfernung sehen, werden auf manche Details und die innere Verarbeitung weniger geachtet, als bei Wettbewerbskostümen oder Cosplays für Fotoshootings. Kulissen und Props müssen robust genug sein, um Transport und Einsatz bei mehreren Auftritten zu überstehen, wenn es sein muss auch hier zu Lasten der Detailgenauigkeit. Zudem wird auch heute noch oft mehr als ein Kostüm pro Person benötigt, sei es für einzelne Statisten-Auftritte, eine Zweitrolle oder auch schlicht mehrere Outfits desselben Charakters, die während dem Stück gewechselt werden müssen. Früher waren für die Varieté-Shows noch mehr Kostüme zu machen, da jeder kurze Sketch das richtige Kostüm zur Serie erforderte, was aber auch ein Grund war, warum viele Gruppen diese Konzepte nicht mehr weitergeführt haben. Es wurde schlicht zu teuer und aufwändig, so viele Kostüme für einen Auftritt vorzubereiten.

Daremo Shujinkoo auf dem Anime Marathon 2017. Foto: Michael Fuchs
Daremo Shujinkoo auf dem Anime Marathon 2017. Foto: Michael Fuchs

Anders als im Cosplay-Alltag ist auch das Make-up für die Bühne. Hier kommt ebenfalls zum tragen, dass die Zuschauer auch aus über zehn Metern Entfernung noch etwas davon sehen müssen, wenn es einen Effekt haben soll. Viel hilft viel, lautet da das Motto – was aus der Nähe übertrieben wirken mag, ist aus der Entfernung gerade richtig.

Ein besonderer Spaß sind die Kostümwechsel hinter der Bühne: Manchmal hat man weniger als eine Minute Zeit, um von einem Kostüm in ein anderes zu kommen. Das ist auch ein Faktor bei der Auswahl und Anfertigung der Kostüme. Manches Kostüm wird gleich so genäht, dass es unter oder über ein anderes passt, und schnell zu öffnende Verschlüsse sind Gold wert. Andere Gruppenmitglieder oder extra dafür engagierte Helfer stehen hinter der Bühne bereit, um zu öffnen, zu knöpfen, Reißverschlüsse zu schließen und Perücken zurechtzurücken. Geht dennoch irgendetwas schief – die Perücke rutscht weg, der Sender vom Headset-Mikrofon hat sich verheddert, ein Knopf reißt ab oder die Schuhe gehen nicht auf – kommt man ins Schwitzen, so mancher stand auch schon im etwas derangierten Kostüm für die nächste Szene auf der Bühne. Dabei immer noch die Ruhe zu bewahren und den eigenen Text nicht zu vergessen, ist auch eine Herausforderung für sich.

Was reizt daran?

Ist die Show geschafft und der Vorhang fällt wieder, hat sich die Mühe gelohnt. All die monatelange Arbeit wird mit dem Applaus der Zuschauer belohnt, und dem guten Gefühl, etwas Besonderes erreicht zu haben. Man kann mit jedem Stück in neue Rollen schlüpfen und sie dabei noch stärker erleben und erlebbar machen, als im „normalen“ Cosplay.

Finanziell ist das Ganze hingegen einfach nur ein weiteres nicht ganz billiges Hobby. Die Gruppenmitglieder müssen wie erwähnt Beiträge für die Trainingsräume aufwenden, dazu kommen Kosten für Kulissen, Kostüme und technische Ausstattung, nur um ein Stück bühnenfertig zu bekommen. Für den konkreten Auftritt müssen auch Anreise und Übernachtung sowie Verpflegung finanziert werden. Die meisten Conventions zahlen nicht mehr als eine überschaubare Unkostenpauschale, die nie für alle anfallenden Kosten aller Gruppenmitglieder reicht. Von den kostenlos zur Verfügung gestellten Eintrittskarten hat man manchmal mehr, manchmal weniger. Gerade der Auftrittstag ist mit Stellprobe, Vorbereitungen für den Auftritt und hinterher Abbau schnell vorbei, ohne dass die Gruppenmitglieder mehr als Bühne und Umkleide gesehen hätten.

Die Tuski no Senshi beim Auftritt. Foto: Cornelia Papiorek/Tsuki no Senshi
Die Tuski no Senshi beim Auftritt. Foto: Cornelia Papiorek/Tsuki no Senshi

In den Frühzeiten waren Showgruppenmitglieder noch kleine Stars der Szene. Dieser Ruhm ist inzwischen eher auf die international erfolgreichen Profi-Cosplayer übergegangen. Doch noch immer sind die großen Säle voll, wenn die Showgruppen auftreten, lassen sich hunderte bis tausende Besucher von den Programmen begeistern. Das kreative Outlet, die Begeisterung daran, Teil eines größeren und begeisternden Projekts zu sein, bleibt die treibende Kraft hinter den Showgruppen.

Seit bald 20 Jahren sind die Showgruppen jetzt auf den Bühnen deutscher Conventions unterwegs, in dieser Form und Fülle ein einzigartiges Phänomen auf Conventions weltweit. Wer noch nie eine gesehen hat, sollte sich einfach mal auf der nächsten Con ein, zwei Stunden im großen Saal gönnen und sich von der Gruppe auf der Bühne in eine Geschichte entführen lassen. Wer mehr als nur zuschauen möchte, findet auf https://showacts.wordpress.com/ neben Infos zu den Gruppen und ihren Programmen regelmäßig auch die Ausschreibungen für neue Mitglieder. Fast alle Showgruppen haben mittlerweile auch auf diversen Social-Media-Seiten eigene Profile, denen man folgen kann, wenn man sich für die Gruppe interessiert.

Titelbild: Cornelia Papiorek/Tsuki no Senshi
Artikelbilder: Cornelia Papiorek/Tsuki no Senshi, Michael Fuchs

 

3 Kommentare

  1. Sehr schöner Überblick und eine tolle, sachliche Einführung! Ein paar Interviews / O-Töne von Showgruppen-Mitgliedern hätten den Artikel noch aufgelockert, die haben sicher Spannendes zu erzählen :-) Vielleicht plant ihr sowas ja mal für zukünftige Artikel zum Thema?

  2. Ein toller Artikel, gut recherchiert und durch die flotte schreibe der Autorin auch sehr lebendig und angenehm zu lesen.
    Ich muss allerdings meine Vorrednerin recht gebe. Ein paar O-Töne hätten das Ganze noch aufgelockert. Vielleicht ein Interview in einem zukünftigen Artikel? Kontakt zu den Gruppen ist im Zeitalter der sozialen Medien sicher problemlos machbar.

    Was ich in diesem Zusammenhang auch vermisse, sind ein paar Worte von oder über Julie Biedermann, sie hat ja damals als Gründerin der TnS das ganze Phänomen Showgruppe überhaupt erst losgetreten und das zu einer Zeit als die Szene noch in den Kinderschuhen steckte.
    Soweit ich weiß, ist Julie Biedermann nicht mehr in der Szene aktiv, aber Sailor Moon German alias Stavros Koliantzas hat vor ein paar jahren mal ein Interview mit ihr geführt.Der vermittelt euch sicher den Kontakt. Soweit ich weiß, kennt er auch die Leute von Yume recht gut.

    Zum Abschluss noch einmal ein Lob für die Autorin und die Teilzeithelden allgemein. Eure Artikel sind immer ein Leseschmaus.

    Panda Otaku

    • Jup ich habe mich Julie noch einen guten Kontakt. Ohne sie wäre vieles nicht möglich gewesen – egal ob im Sailor Moon Kreis oder generell im Showgruppen Kreis :)

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