Geschätzte Lesezeit: 11 Minuten

Die zehnte Staffel von Doctor Who verspricht ein episches Finale mit doppeltem Nostalgietrip: Der 12. Doctor ist umzingelt von einer Armee unter der Führung zweier Erzfeinde und muss scheinbar ohne Bill zurechtkommen. Wie wird sich Peter Capaldi in seiner vorletzten Folge präsentieren? Spoilerwarnung!

Es kam nicht gänzlich unerwartet, dennoch war Peter Capaldis Ankündigung im Januar ein Schock für Doctor-Who-Fans. Nach dem Weihnachtsspecial 2017 wolle er aufhören, somit würde er zeitgleich mit dem langjährigen und umstrittenen Produzenten Steven Moffat sowie Schauspielkollegin Michelle Gomez (Missy) aussteigen. Somit ist die aktuelle zehnte auch die letzte reguläre Staffel für den 12. Doctor, die BBC wird seinen Nachfolger in den nächsten Monaten bekanntgeben.

Doch obwohl das Staffelfinale erst der vorletzte Auftritt von Capaldi ist und mit der Regeneration vom 12. zum 13. Doctor erst in der Weihnachtsepisode gerechnet wurde, heißt die aktuelle Folge The Doctor Falls. Bereits im Intro der vorigen Episode World Enough and Time sahen wir den Doctor alleine aus der TARDIS stolpern, körperlich angeschlagen und von Regenerationsenergie umgeben. Verlässt uns Nummer 12 früher als gedacht? Ist Bill Potts endgültig verloren? Welchen Plan verfolgen Missy und der frühere Master? Können die Cybermen noch aufgehalten werden? Wie River Song sagen würde: „Spoilers, Sweetie!“

Story

Nach dem dramatischen Cliffhanger am Ende von Episode 11 fängt Episode 12 geradezu idyllisch an, mit einer Gruppe Kinder auf einem Pferdewagen, die durch eine grüne Auenlandschaft fahren. Sie passieren einige Felder mit Vogelscheuchen, die sich bei näherer Betrachtung als die halbfertigen Cyberpatienten von Deck 1056 herausstellen. Eines der Kinder schaut in den Himmel, wo „Floor 507“ geschrieben steht. Wir sind immer noch auf dem Kolonistenschiff.

Der Pferdewagen kommt an einem Bauernhaus an, wo die Kinder von einer liebevollen Heimleiterin ins Bett gebracht werden. Doch der Schlaf wird jäh unterbrochen, als die Erwachsenen im Haus sich bewaffnen und die Kinder anweisen, sich unter dem Bett zu verstecken. Vor der Veranda des Hauses haben sich Männer und Frauen mit Gewehren verschanzt und schießen auf herannahende Cyberpatienten. Am nächsten Tag werden die Leichen der Angreifer als neue Vogelscheuchen auf die Felder gebracht. Doch plötzlich durchbricht ein Raumschiff den Boden, und aus dem Wrack steigt ein Cyberman mit dem bewusstlosen Doctor im Arm.

Nach diesem Einstieg zeigt eine Rückblende, was in der Zwischenzeit passiert ist. Missy und Master haben den Doctor überwältigt und gefesselt. Jetzt tanzen sie auf dem Dach des Krankenhauses von Deck 1056, während der Doctor langsam zu seinen Sinnen kommt. Die vercyberte Bill ist unfreiwillige Dienerin der beiden Masters. Auf Nachfrage des Doctors, wie der Master aus Gallifrey (siehe Weihnachtsspecial 2009 The End of Time, Part 2) entkommen konnte, antwortet dieser, es sei ein einvernehmlicher Rausschmiss gewesen. Der Master flirtet mit seiner zukünftigen, weiblichen Inkarnation und erklärt, er habe die Stadt auf Deck 1056 erobert, sei dann aber auf Widerstand gestoßen und habe sich daher verkleidet, um die Cyberisierung der Bevölkerung heimlich voranzutreiben. Doch zu seinem und Missys Entsetzen bewegt sich eine Armee von aufgerüsteten Cybermen auf das Krankenhaus zu. Der Doctor erklärt, in dem vorigen Handgemenge habe er über einen Computer die Befehle der Cybermen um eine einzige Zahl geändert. Anstatt Kreaturen mit einem Herz als Ziel für ihre Upgrades auszusuchen, verfolgen sie jetzt Lebewesen mit zwei Herzen – also Time Lords.

Die beiden Masters sehen sich einer schier endlosen Zahl von Cyber-Angreifern ausgesetzt und haben keine Wahl, als den Doctor um Hilfe zu bitten. Dieser ruft Nardole in einem Rettungsschiff herbei, das Master und Missy prompt betreten. Doch als der Doctor folgen will, wird er von einem Cyberman angegriffen. Missy versucht einzugreifen, aber der Angreifer wird stattdessen von Cyber-Bill erschossen, die den schwer verletzten Doctor in die Rettungskapsel trägt. Nardole lenkt das Schiff durch die Wände von mehreren hundert Decks, bevor es beschädigt auf Ebene 507 landet.

In der ländlichen Gegend, die nur eine holographische Illusion ist und tatsächlich der Energiegewinnung für das Raumschiff dient, ruht sich die Gruppe aus. Der wieder genesene Doctor erkennt jedoch, dass die Cybermen auf dem Weg nach Deck 507 sind und Kinder als erstes upgraden werden. Die TARDIS auf Deck 1 ist wegen der Zeitverzerrung unerreichbar. Und es scheint, als ob der Doctor auf seine Gefährten nicht zählen kann: Bill weigert sich, ihren neuen Cyberkörper zu akzeptieren und sieht sich immer noch als Mensch. Nardole weigert sich, den Helden zu spielen, der Zivilisten in Sicherheit bringt. Der Master interessiert sich nicht für den Konflikt und will zurück zu Deck 1056, um seine TARDIS zu reparieren und damit zu fliehen. Missy schließlich ist gefangen in einem moralischen Konflikt zwischen ihrer „guten“ Seite, die der Doctor fördern wollte, und ihrem wahnsinnigen früheren Ich. Der Doctor kämpft scheinbar auf verlorenem Posten, doch kämpfen wird er …

Darsteller

In einem grandiosen Monolog, für den Peter Capaldi einen Preis verdient hätte, erklärt der zornige Doctor, warum er sich immer wieder fürs Kämpfen entscheidet: weil es die richtige Entscheidung ist. Weil mit seiner Hilfe zumindest einige Unschuldige überleben können. Weil es seine Pflicht ist, zu helfen, wenn er helfen kann. In wenigen Sätzen fasst er zusammen, was es bedeutet, der Doctor zu sein. Die Zuschauer haben diese Ansprachen über die Jahre schon oft gehört, aber jede Inkarnation des Doctors drückt sich anders aus. Nummer 12 ist der zornige, oft verzweifelnde Held, der sich doch immer wieder dazu durchringt, das Richtige zu tun. Und nach dieser fulminanten Rede an den Master erwidert dieser kühl, er habe nicht einem einzigen Wort zugehört, und stapft davon.

Es war schon eine kleine Überraschung, als angekündigt wurde, dass John Simm als Master zurückkehren würde. Zwar musste die BBC dies schon vor der Ausstrahlung von Staffel 10 bekanntgeben, da die Anwesenheit des Schauspielers am Set ansonsten von Paparazzi geleakt worden wäre (ein Grund, warum die BBC Überraschungsauftritte selten geheim halten kann). Dennoch hatten die wenigsten Fans damit gerechnet, einen früheren Master zu Gesicht zu bekommen. Moffats Plan ging jedoch auf: Die Chemie zwischen John Simm und Michelle Gomez ist perfekt. Masters Faszination mit seiner zukünftigen, weiblichen Inkarnation, das gegenseitige Flirten und die erotische Anziehung zwischen den beiden sind extrem amüsant, wirken aber zu keinem Zeitpunkt peinlich. Als Missy den Master entnervt gegen eine Wand drückt, fragt dieser, ob „es“ falsch sei, woraufhin sie an ihm herabschaut und mit einem eindeutigen „Ja“ antwortet. Wir erinnern uns, das ist eine Familiensendung!

Auch Pearl Mackie gibt noch einmal alles in dieser Folge. Zwar wirkt Bills kognitive Dissonanz, den eigenen Körper nicht als Cyberman zu erkennen, wie ein Abklatsch von Oswin Oswald in Asylum of the Daleks (Staffel 7). Doch der Schock darüber, ihre Menschlichkeit zu verlieren und von den Dorfbewohnern als Monster betrachtet zu werden, kommt auf diese Weise hervorragend rüber. Alle anderen sehen sie nur als Monster, sie sieht den Menschen hinter der Fassade. Hier könnte man auch einen Bezug zu Bills sexueller Identität herstellen. Sie selbst war in den bisherigen Episoden nicht von Diskriminierung betroffen – das Whoniverse ist seit Russell T. Davies sehr tolerant, siehe Jack Harkness oder auch kürzlich Episode 10, in der die römischen Legionäre Bills lesbische Identität als völlig normal akzeptieren. In der realen Welt sind wir aber leider noch nicht so fortschrittlich, sodass Menschen mit anderen Lebensentwürfen oftmals nur als Labels wahrgenommen werden und nicht als vollwertige Person. Doch gänzlich unabhängig von einem möglichen „queer reading“ von Bills Dilemma hat ihre geistige Verwirrung auch einen dramaturgischen Vorteil: Wir kriegen tatsächlich Pearl Mackie zu Gesicht anstatt eines maskierten Schauspielers mit der verzerrten Stimme von Nicholas Briggs.

Eine weitere tragische Figur dieser Folge ist Missy, deren Handlungsbogen in der zweiten Hälfte der Staffel von ihrer zögerlichen Öffnung gegenüber dem Versuch des Doctors, sie zu retten, geprägt war. Doch Moral lässt sich nicht so leicht beeinflussen, und tausende Jahre Größenwahn, Eroberungsdrang und Verachtung allen Lebens durch vorige Inkarnationen des Masters haben Missy zu dem gemacht, was sie jetzt ist. Man möchte ihr glauben, dass sie sich ändern will, und doch schwankt sie hin und her, erliegt mehrfach im Laufe der Folge den Reizen ihres Vorläufers, wie eine viktorianische Harley Quinn. Ihre Entscheidung am Ende ist gleichzeitig überraschend und war doch absehbar als Akt der Emanzipation von ihrer Vergangenheit.

Letztlich haben alle Hauptcharaktere in dieser Folge ihr Bestes gegeben. Auch Matt Lucas, dessen Charakter bislang vorwiegend als Witzfigur oder spießiges Gewissen des Doctors zu sehen war, bekommt etwas mehr Tiefe und eigene Handlungen. Wären nicht die zu rettenden Nebencharaktere oder die marodierende Armee von Cybermen, hätte man diese Folge auch als Kammerspiel schreiben können. Doctor, Bill, Master, Missy und Nardole auf engem Raum, dazu gezwungen, sich mit den Eigenheiten der anderen auseinanderzusetzen, wie in Sartres „Geschlossener Gesellschaft“. Die Hölle, das sind andere Time Lords.

Inszenierung

Rachel Talalay, die bereits in den Finalen der Staffeln 8 und 9 Regie geführt hat, setzt hier wieder auf einen Mix aus Charakternähe (vor allem natürlich zum Doctor) und Epik. Moralische Debatten werden abgelöst von Kämpfen und Special Effects. Tatsächlich kostet das Effektteam die Erklärung Nardoles, das gesamte Deck enthalte Treibstoffleitungen und Generatoren, genüsslich aus. Der verzweifelte Kampf des Doctors gegen die Cybermen mit einer Kette von Explosionen wirkt dann auch sehr dick aufgetragen, oder wie ein Kommentator auf io9 die Szene beschrieb: „Doctor Bay“.

Es sind die Szenen mit wenig Action, die in dieser Episode herausstechen. Nach dem industriellen Moloch von Deck 1056 in der vorigen Folge wird der Zuschauer jetzt in eine pastorale Idylle mit grünen Wiesen und lachenden Kindern versetzt. Natürlich ist das Paradies eine Illusion, und selbst diese wird von den Invasoren aus der Tiefe jäh zunichtegemacht. Doch die Umgebung suggeriert Hoffnung, das zentrale Motiv des Doctors. Natürlich darf (muss?) er eine flammende Rede für das Gute im Universum halten. Doch seine Botschaft kommt viel überzeugender rüber, als er etwa Bill an ihre Menschlichkeit erinnert oder einfach im Schaukelstuhl auf der Veranda wartet.

Erzählstil

Die Darstellung von Bill als Mensch und die gelegentlichen Wechsel zu ihrer Cyberman-Gestalt legen nahe, dass wir die Geschichte größtenteils durch Bills Augen sehen. Tatsächlich ist sie es, die am Ende den Tag rettet (mit etwas Hilfe von Heather). Damit ist nicht der Sieg über die Cyberarmee gemeint, denn diese ist nicht das Ziel dieser Geschichte. Erinnert der Anfang mit bewaffneten Überlebenden in einer ländlichen Festung noch an The Walking Dead, spielen die Cybermen am Ende, als sie dann tatsächlich ihren Angriff durchführen, keine wesentliche Rolle mehr. Man weiß, dass der Doctor die Monster besiegt. Wie er und seine Mitstreiter ans Ende ihrer Reise gelangen, ist die eigentliche Frage.

Fünf Handlungsbögen abzuschließen war keine einfache Aufgabe für Steven Moffat, und es gelang ihm unterschiedlich gut. Missy schafft ihre moralische Kehrtwende, sie lernt Empathie und entscheidet sich zum Verrat an sich selbst, nicht ahnend, dass der Master es ihr gleichtut und ihr wortwörtlich in den Rücken fällt. Der Master war noch nie ein Teamplayer, aber ein unwürdiges Ende in einem (falschen) Wald ist enttäuschend für einen spannenden Charakter mit so viel Potential wie Missy.

Nardole und Bill finden Frieden und sogar Liebe am Ende, wobei ersterer wohl nur vorübergehend von den Cybermen verschont wird. Für einen ehemaligen Hehler, der nie Held sein wollte, ist die Aufgabe des Beschützers ein interessanter Abschluss. Letztlich bleibt Nardole jedoch ein recht oberflächlicher Charakter, aus dem Moffat deutlich mehr hätte machen können. Es ist Bill, die ein schöneres, wenn auch seltsam vertrautes Happy End bekommt. Ihr psychologischer Schutzmechanismus, sich selbst nicht als Monster zu sehen, erinnerte an Oswin Oswald – ihr Schicksal ist nun fast identisch mit dem von Clara Oswald. Auch diese wird zu einer semi-unsterblichen Figur, die mit ihrer Freundin durch Raum und Zeit reisen darf. Hier hat Moffat offensichtlich bei sich selbst abgekupfert. Dennoch, es ist ein schönes und angemessenes Ende für einen tollen Companion.

Der Doctor schließlich wendet überraschenderweise seinen Zorn nach innen. Eine neue Wendung, denn noch nie in seinen vorigen Leben war der Doctor so verzweifelt, dass er seine Existenz gänzlich aufgeben wollte. Dass er nach dem Verlust von gleich vier Mitreisenden keine Hoffnung mehr sieht, steht im krassen Kontrast zu seiner vorigen Ansprache. Wer außer ihm soll das Richtige tun und zumindest einige Unschuldige retten? Dass es in dieser Situation nur eine Person im Universum gibt, die den Doctor wieder auf den richtigen Weg führen kann, ist logisch. Dieses Team-Up kann eine brillante Story ergeben oder dem Hype nicht gerecht werden. Doch das finden wir erst am 25.12. heraus.

Die harten Fakten:

  • Regie: Rachel Talalay
  • Drehbuch: Steven Moffat
  • Darsteller: Peter Capaldi, Pearl Mackie, Matt Lucas, Michelle Gomez, John Simm
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Sprache: Englisch
  • Format: Videostream
  • Preis: 31,99 € (komplette Staffel, in Deutschland noch nicht als Einzelfolge erhältlich)
  • Bezugsquelle: Amazon Video

 

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

PGlmcmFtZSBsb2FkaW5nPSJsYXp5IiBjbGFzcz0ieW91dHViZS1wbGF5ZXIiIHdpZHRoPSI2OTYiIGhlaWdodD0iMzkyIiBzcmM9Imh0dHBzOi8vd3d3LnlvdXR1YmUtbm9jb29raWUuY29tL2VtYmVkLzM3c0U0TWZTQ19zP3ZlcnNpb249MyYjMDM4O3JlbD0xJiMwMzg7c2hvd3NlYXJjaD0wJiMwMzg7c2hvd2luZm89MSYjMDM4O2l2X2xvYWRfcG9saWN5PTEmIzAzODtmcz0xJiMwMzg7aGw9ZGUtREUmIzAzODthdXRvaGlkZT0yJiMwMzg7d21vZGU9dHJhbnNwYXJlbnQiIGFsbG93ZnVsbHNjcmVlbj0idHJ1ZSIgc3R5bGU9ImJvcmRlcjowOyIgc2FuZGJveD0iYWxsb3ctc2NyaXB0cyBhbGxvdy1zYW1lLW9yaWdpbiBhbGxvdy1wb3B1cHMgYWxsb3ctcHJlc2VudGF0aW9uIGFsbG93LXBvcHVwcy10by1lc2NhcGUtc2FuZGJveCI+PC9pZnJhbWU+

Fazit

Staffel 10 lieferte zahlreiche Nostalgiemomente und Erinnerungen an die Classic-Who-Ära. Man merkte sichtlich, wieviel Spaß Peter Capaldi mit den abgeschlossenen Episoden zu Beginn hatte. Dabei wurde er auch tatkräftig durch Pearl Mackie unterstützt, die als Bill Potts eine der besten Companions seit 2005 war.

The Doctor Falls ist ein würdiger Abschluss für die Staffel, mit Witz, Spannung und leiser Melancholie. Die Moffat-typischen Handlungsklischees geben dem Drehbuch einige Längen, die man als langjähriger Whovian aber gewohnt sein sollte. Je nach Präferenz darf man zwischen einem seitlichen oder halb senkrechten Daumen wählen – für mich war diese Folge ein klares „Gut“.

Artikelbilder: BCC
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein