Geschätzte Lesezeit: 10 Minuten

Mit der Deutschen Lovecraft Gesellschaft hat sich 2014 ein Verein gegründet, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, allen Freunden des cthuloiden Horrors eine Heimat zu bieten. Da ist es nur ein kurzer Schritt hin zum Rollenspiel. Grund genug für uns, den Vorsitzenden Volker Rattel um ein Gespräch zu bitten.

Volker Rattel spielt seit 25 Jahren Pen-&-Paper-Rollenspiele und ist durch das Cthulhu-Rollenspiel schon recht früh mit H. P. Lovecraft in Berührung gekommen, und etwas später folgten die Geschichten hinter dem Mythos. Durch das Glück einer langjährigen Spielrunde („Chaotisch Neutral„) sind über die Jahre immer wieder Spielhilfen für verschiedene Rollenspielsysteme entstanden oder wurden Teile von unterschiedlichen Regelwerken aufbereitet. Volker ist seit der Cthulhu-Convention anRUFung 2015 Mitglied der Deutschen Lovecraft Gesellschaft e. V. (dLG) und wurde 2016 zum 1. Vorsitzenden des Vereins gewählt.

Über die deutsche Lovecraft-Gesellschaft

Teilzeithelden: Hallo Volker. Vielen Dank, dass du dir Zeit für das Interview nimmst. Zunächst einmal: Magst du unseren Lesern kurz erklären, was die dLG eigentlich ist und welche Rolle du dort einnimmst?

Volker: Die Deutsche Lovecraft Gesellschaft e. V. ist ein gemeinnütziger Verein mit knapp 200 aktiven Mitgliedern, dessen Ziel die Auseinandersetzung mit den Werken von Howard Phillips Lovecraft und zeitgenössischen Autoren ist. Lovecraft hat den Grundstein für den Cthulhu-Mythos gelegt, den kosmischen Horror, in dessen Angesicht die Menschheit nur eine Randnotiz darstellt, und ist heutzutage ein fester Bestandteil von Literatur, Film oder eben auch Rollenspiel – weit über das reine Horror-Genre hinaus.

Um also dieses Ziel zu verfolgen bringt die dLG beispielsweise zweimal im Jahr die Vereinszeitschrift Lovecrafter heraus, veranstaltet mit der anRUFung die größte deutschsprachige Cthulhu-Rollenspiel-Convention, organisiert Lesungen oder Podiumsdiskussionen und unterstützt Künstler und cthuloide Projekte. Ganz allgemein bietet der Verein allen Cthulhu-Begeisterten eine Anlaufstelle, um mit Gleichgesinnten Erfahrungsaustausch zu betreiben und sich bei einem der dLG-Stammtische persönlich kennen zu lernen.

Ich selbst bin, neben weiteren kleineren Tätigkeiten, der 1. Vorsitzende der dLG und kümmere mich zusammen mit meinem Vorstandskollegen unter anderem um die Verwaltung, die Finanzen, die Struktur und alle anderen notwendigen, jedoch wenig cthuloiden Dinge, ohne die ein Verein nun einmal nicht funktioniert.

Über FHTAGN

Teilzeithelden: Vor kurzem habt ihr ein neues Rollenspiel online publiziert. Worum genau handelt es sich bei FHTAGN?

Volker: FHTAGN ist zunächst einmal die deutsche Übersetzung und Erweiterung eines seit fast 25 Jahren am Markt befindlichen amerikanischen Horror-Rollenspiels, das in seiner seit 2016 erscheinenden Neuauflage unter der sogenannten Open Game License (OGL) steht. Dies ermöglichte uns, den Regelkern zu übersetzen, damit zu arbeiten und ihn Dritten unter derselben Lizenz wieder zu Verfügung zu stellen.

Da die OGL zwar vieles erlaubt, jedoch explizit die Werbung mit den Originalwerken verbietet, vermeiden wir die namentliche Nennung des Ursprungs. Wenn man nicht selber darauf kommt, kann man diesen aber auch im Lizenztext von FHTAGN nachlesen.

Während die Basisregeln bereits vorhanden sind, gehören Inhalte, die sich an die Spielleitung richten, also Regeln für Wesen, Zauber und Artefakte, bislang noch nicht zum Umfang der Veröffentlichung. Diese hoffen wir im Laufe des Jahres ebenfalls übersetzen zu können. Dennoch ist FHTAGN in der von uns online gestellten Fassung bereits spielbar.

Teilzeithelden: Kannst du uns sagen, wer an der Entwicklung des Systems mitgearbeitet hat?

Volker: Das Regelwerk in seiner jetzigen Form wurde im Wesentlichen durch zwei Personen innerhalb eines guten Monats übersetzt und angepasst. Derzeit wird aktuell weiteres Material für FHTAGN erstellt, über das ich aber noch nicht sprechen kann, da es sich um eine Überraschung handelt.

Teilzeithelden: Warum habt ihr euch entschieden, ein Regelsystem unter OGL-Lizenz herauszubringen?

Volker: Zum einen wird die OGL quasi vererbt; das heißt, dass jede Arbeit, die auf einem OGL-Werk aufsetzt, dadurch per se ebenfalls unter die OGL fällt. Dementsprechend ist die Open Game License genau das, was wir gesucht haben. Sie erlaubt es, eigene Inhalte zu produzieren und kommerziell oder nicht kommerziell zu veröffentlichen, ohne über die OGL hinaus weitere Genehmigungen der Rechteinhaber einholen zu müssen. Ursprünglich wurde das Lizenzmodell für Dungeons & Dragons entwickelt, mittlerweile nutzen es aber auch andere Rollenspiele wie etwa FATE. Die OGL ermöglicht Dritten, sehr einfach kreativ zu werden. Genau das möchten wir im Lovecraft’schen Horror-Universum ebenfalls fördern, gerade weil ein Großteil der Geschichten gemeinfrei ist und dadurch ohnehin von jedem verwendet werden darf.

Warum noch ein Cthulhu-Regelwerk?

Teilzeithelden: Es gibt ja bereits viele verschiedene Systeme mit lovecraftesquem Hintergrund. Warum also ein weiteres Regelsystem für Cthulhu?

Volker: Es gibt in der Tat bereits sehr viele Systeme, die sich den Lovecraft’schen Horror auf die Fahnen geschrieben haben. Den allermeisten dieser Regelwerke ist jedoch gemein, dass man sie nicht ohne weiteres für eigene Publikationen verwenden darf. Solange man privat ein Abenteuer für das entsprechende System bzw. Setting schreibt, erhält man in der Regel die freundliche Genehmigung zur Nutzung durch den jeweiligen Verlag. Sofern man jedoch sein Abenteuer drucken und kommerziell publizieren möchte, muss man meistens eine Lizenz erwerben. Sofern man auch noch Inhalte hat, die nicht in das Produktportfolio eines Verlages oder in die Produktlinie des Spiels passen, sieht es mit einer Lizenz ggf. nicht besonders gut aus.

Das ist ein Status quo, der für viele sicherlich gut funktioniert. Gerade hat zum Beispiel Chaosium seine Lizenzpolitik neu geordnet und man kann sich da über die Rechte und Pflichten informieren, die man eingehen muss, wenn man sein Abenteuer mit Call of Cthulhu-Regeln veröffentlichen möchte.

Wie schon erwähnt, sind jedoch fast alle Werke von Lovecraft gemeinfrei. Daher wäre es schön, wenn man, ohne eine Lizenz erwerben zu müssen, eigene Abenteuer über Azathoth, den Großen Alten Cthulhu oder Yog-Sothoth mit einem freien Regelwerk publizieren könnte. Mit FHTAGN ist genau das möglich.

Teilzeithelden: Welche Neuerungen bietet FHTAGN, die es von seinen Mitbewerbern unterscheiden?

Volker: Zunächst einmal setzt FHTAGN auf einer professionell entwickelten Basis auf, die viele Jahre an Spielerfahrung in sich vereint und schon vor der Veröffentlichung 2016 unzählige Testrunden absolviert hat. Von uns kommen zusätzliche kleine Änderungen und Anpassungen, die das Spielen von gewohnten Archetypen erleichtern.

Bei den Charakteren verzichten wir auf unnötige Fertigkeiten oder solche, die nur sehr, sehr selten zum Einsatz kommen. Stattdessen wird beispielsweise „Schlösser öffnen“ durch ein Spezialtraining abgebildet, welches entweder über eine entsprechende Berufswahl vorhanden ist oder in Zwischenszenen gelernt werden kann. Die vorhandenen Fertigkeiten sind überschaubar und passen alle auf den Charakterbogen, bieten aber Charakteren den Raum für eine Nische.

Die entscheidende Neuerung stellt aber die Mechanik der Persönlichen Bindungen dar. Persönliche Bindungen zwischen dem Charakter und anderen SC und NSC haben eine regelmechanische Bedeutung. Sie können in so genannten Zwischenszenen angespielt werden und sind insbesondere mit den Regeln zur Geistigen Stabilität verknüpft. Je weiter sich der Vorhang zum kosmischen Grauen für einen Charakter öffnet, desto schwieriger wird es für ihn, seinen Alltag und seine Beziehungen intakt zu halten.

Für das Spiel selbst haben wir es uns zum Ziel gesetzt, den Spielfluss so flott und eingängig wie möglich zu gestalten. Für Nachforschungen beispielsweise wird größtenteils nicht mehr gewürfelt, stattdessen entscheidet die Höhe des Fertigkeitswerts über die Qualität der Erkenntnisse. Auch die Kampfregeln, oft Quell langer Würfelorgien, wurden durch einige Kniffe, wie zum Beispiel feste Tödlichkeitswerte, verschlankt.

Teilzeithelden: Wird FHTAGN kompatibel mit anderen Cthulhu-Publikationen sein, und wie schwer wird ggf. eine Konversion sein?

Volker: FHTAGN basiert auf 3W6-Werten für Attribute und einem Prozentsystem für seine Fertigkeiten. Es ist daher bereits schon sehr nah an den großen Systemen im Genre. Mit etwas Gefühl und Erfahrung wird vermutlich sogar eine 1:1-Konversion während eines laufenden Spiels möglich sein. Alle grundlegenden Mechanismen, wie insbesondere die Probenmechanik, sind eingängig und schnell. Werte für Gegenstände, Wesen oder Zauber sind mit hoher Chance sofort übertragbar. Uns kommt hier zugute, dass das Originalsystem vor vielen Jahren selbst als Setting  für Call of Cthulhu entstanden ist und sich dann weiterentwickelt hat.

Teilzeithelden: Welche Epochen werden mit FHTAGN bespielbar sein?

Volker: Der Fokus lag für den ersten Wurf auf dem Viktorianischen Zeitalter, den Goldenen Zwanzigern und der Moderne. Ergänzend dazu finden sich bereits Elemente für das Spielen in den Traumlanden, da dies eine verbindende Ebene sowohl über die Epochen hinweg, als auch in den Geschichten von Lovecraft selbst ist.

Das ursprüngliche Design des Original-Regelsystems sah nur die Moderne als Epoche vor. Bei genauerer Betrachtung machen sich die Änderungen für das 19. und 20. Jahrhundert aber nicht so groß aus. Die allermeisten Fertigkeiten existieren bereits seit langer Zeit (man ist verwundert, wie lange schon).

Für die Zukunft sind wir gespannt, wohin die Reise geht. Ein wirklich interessantes und auch noch sehr unbeschriebenes Blatt stellt in meinen Augen Hyperborea dar. Hier hat z. B. Clark Ashton Smith großartige Geschichten verfasst, die geradezu nach Abenteuern rufen.

Das Schöne an diesem Projekt ist, dass wir keinen Zwang haben, in die eine oder andere Richtung zu gehen. Wir werden das aufnehmen, was diejenigen, die das System spielen, uns als Feedback geben. Und was in unseren Augen die Auseinandersetzung mit Lovecraft & Co. stärkt.

Welche Schwerpunkte hat FHTAGN?

Teilzeithelden: Habt ihr Schwerpunkte, die ihr bei euren Publikationen setzen wollt?

Volker: Wenn der Verein selbst eine Publikation ins Auge fasst, dann wollen wir den künstlerischen Aspekt in den Vordergrund stellen. Wir stehen hier gerade noch am Anfang. Derzeit beschränkt sich FHTAGN ja ausschließlich auf das Regelwerk. Wer sich die Webseite anschaut, wird feststellen, dass wir uns mit Layout und Design sehr zurückgehalten haben. Der Fokus liegt hier ganz klar auf Funktion.

Aber wir arbeiten parallel an einer eigenen Identität für FHTAGN, auch über das Grundregelwerk hinaus. Da in der dLG sehr viele verschiedene Richtungen und Hintergründe vereint sind, möchten wir nicht nur ein Regelwerk abliefern, sondern auch hier die Auseinandersetzung mit Lovecraft befördern. Leider kann ich hierzu derzeit nicht mehr sagen, außer, dass die Sterne irgendwann richtig stehen werden.

Teilzeithelden: Wie positioniert ihr euch gegenüber dem deutschem Cthulhu-Platzhirsch Pegasus gegenüber? Gibt es einen Austausch?

Volker: Wir halten es für eine ausgesprochen tolle Entwicklung, dass es mittlerweile eine große Zahl verschiedener Rollenspiele gibt, die sich mit Lovecraft und dem Cthulhu-Mythos auseinandersetzen. Vom Klassiker Call of Cthulhu über Trail of Cthulhu, das pulpige Achtung! Cthulhu bis zu Indies wie Cthulhu Dark oder Lovecraftesque. Mit FHATGN machen wir ein weiteres, hervorragendes Regelwerk auf Deutsch verfügbar und hoffen, dass es den Geschmack der einen oder anderen Gruppe trifft und ihr Spiel sowie die Szene als Ganzes bereichert. Dank der OGL hoffentlich auch durch Publikationen wie Szenarios oder abgewandelten Settings. Das ist der Austausch, den wir uns wünschen. Kontakt zu bestimmten Verlagen haben wir bislang nicht gesucht.

Teilzeithelden: Was steht als Nächstes an? Welche weiteren Entwicklungsschritte sind geplant?

Volker: Kurzfristig haben wir zur Rollenspiel-Convention anRUFung 2017 im November einen Abenteuerwettbewerb ausgerufen und hoffen auf viele tolle Geschichten, die FHTAGN als Regelwerk verwenden. Zudem planen wir für den nächsten Gratisrollenspieltag eine Überraschung.

Dann steht mittelfristig der Druck des Regelwerkes an, denn die Online-Fassung ist zwar schön und gut (und praktisch), aber erst in der gedruckten Form wird es dem Pen-&-Paper-Rollenspiel gerecht.

Und dann bleibt natürlich nur zu hoffen, dass es gespielt wird. Ein Regelsystem ist nur der Werkzeugkasten, die Abenteuer sind der eigentliche Schatz, der ein System am Leben hält. Insofern stehen wir gerne für Rückfragen zur Verfügung, sollte das Interesse diesbezüglich geweckt worden sein.

Artikelbilder: Deutsche Lovecraft-Gesellschaft e.V.

 

3 Kommentare

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein