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In einer längst vergessenen Welt, in der noch Titanen durch die Ebenen und Hügel stapfen, entstehen die ersten Zivilisationen. Unsere Aufgabe ist es, das eigene Reich vor allen anderen zu Ruhm und Ansehen zu bringen und die Titanen zu besiegen!

Der Herrschaftspalast wurde auf dem höchsten Punkt der Ebene errichtet. Von hier aus überblickt Ihr Euer Reich. Die Stadt mit ihrem Markt und den Handwerkern, den Kasernen und Speichern ist ein kulturelles Zentrum. Erst wenige Generationen ist es her, seit Eure Ahnen ihr Nomadenleben aufgegeben haben, um Zivilisationen zu gründen. Mächtige, hohe Mauern schützen diese neue Kultur. Bauern ziehen von weither heran, um Euer Volk mit Nahrung zu versorgen. Euer Blick wandert weiter dem Horizont entgegen. Dort sind Eure Armeen zu erkennen, ausgerüstet mit der stärksten Bronze und den schärfsten Pfeilspitzen. Sie marschieren den fernen Hügeln entgegen. Eure Augen werden zu schmalen Schlitzen, als Ihr den Dunst in der Ferne zu durchdringen versucht. Und tatsächlich, da! Ein Schatten erhebt sich, winzig klein wirkt er von hier, doch er überragt die Bäume um das Doppelte. Die Titanen rühren sich! 

Willkommen in Die Vergessene Welt! Wir sind Herrscher einer jungen Zivilisation und ringen um Ansehen und Macht in der Morgendämmerung der Menschheit. Im Laufe von sechs Spielrunden versuchen wir, unser (Karten-)Reich zu vergrößern, unseren Ruhm zu mehren und die Titanen zu besiegen. Der erfolgreichste Herrscher wird als Sieger hervorgehen.

Spielablauf

Bevor wir uns Gedanken darum machen, wie wir unser Reich zu Macht und Pracht führen, müssen wir uns mit der grundsätzlichen Verwaltung vertraut machen. Denn auch ein kleines Reich macht eine Menge Arbeit. Innerhalb des Spiels spüren wir das durch verschiedene Kartentypen und Restriktionen:

  • Die Arbeiten in unserem Reich verrichten die Bürger, die dazu aber ernährt werden müssen. Bürgermarker, die wir nicht ernähren können, hungern und können deswegen nicht eingesetzt werden.
  • Die Anzahl unserer Armeen ist durch unser Militärlimit
  • Staatskarten bieten mehr Nahrung, Einkommen und verschiedene weitere Ihre Anzahl in unserem Reich wird durch die Kapazität beschränkt.
  • Provinzkarten erhöhen vor allem diese Kapazität und bringen einen eher kleinen Vorteil.
  • Unser Reich ist gerade so entwickelt, dass wir unsere Bürgereinheiten ernähren können, mit dem Startmilitär das Limit erreicht ist und unsere Kapazität für zwei weitere Staatskarten ausreicht. Außerdem erhalten wir ein kleines Steuereinkommen (das wir vor allem in unsere Staatskarten investieren werden).

 

Für drei Bürger (entsprechend drei Aktionen) und zwei Militäreinheiten (entsprechend bis zu zwei Angriffen) ist das ziemlich viel Aufwand! Aber unsere Zivilisation ist nun einmal noch jung und unerfahren, auch, was die Staatsverwaltung angeht.

Bürgeraktionen

Auf dem Spielbrett sind einige Aktionen verteilt, die unsere Bürger ausführen können. Da wir mit nur drei Bürgern starten und im Laufe des Spieles maximal zwei weitere erhalten, will jeder Einsatz gut überlegt sein.

Die wichtigsten Aktionen sind dabei:

  • Bauen: Der Spieler kauft sich eine der ausliegenden Staatskarten. Der Preis wird in Gold und/oder Wissen bezahlt. Ab jetzt profitiert er von ihrem Bonus. Außerdem zeigen Staatskarten Stammesbanner, die am Spielende in Siegpunkte getauscht werden.
  • Ausbauen: Für drei Münzen oder ein Wissen nimmt sich der Spieler die oberste Zivilisationskarte und erhöht damit seine Kapazität.
  • Lernen: Für drei Münzen erhält man eine Wissensrolle, die zweite Währung im Spiel.
  • Rekrutieren: Der Spieler rekrutiert eine Armeekarte und zahlt ihre Kosten. Wenn das Militärlimit es zulässt, kann sie als neue Armee aufgebaut werden. Ansonsten wird sie in eine alte Einheit integriert. Informationen dazu gibt es weiter unten.
  • Wiederaufbauen: Durch Kämpfe mit den Titanen können Staatskarten ihre Funktion verlieren. Der Wiederaufbau behebt diese Schäden. Außerdem wird er mit einer Münze belohnt und sichert dem ersten Wiederaufbauer die Startposition in der nächsten Runde.
  • Entdecken (2): Manchmal liegen in der Auslage keine passenden Staatskarten oder die Wunschkarte ist zu teuer. Dank der Entdeckungsfahrt kann der Spieler eine Karte einlagern. Eingelagerte Karten haben noch keinen Effekt, sind aber reserviert. Der Spieler kann entweder eine der ausliegenden Karten einlagern, oder vom Nachziehstapel fünf Karten ziehen und davon eine wählen (und den Rest abwerfen).
  • Vermehren (3): Für drei Münzen wird ein neuer Bürger geboren und steht in der folgenden Runde zur Verfügung.

Die beiden Aktionen mit der Zahl (X) stehen erst ab der entsprechenden Spielrunde zur Verfügung. Spezielle Platzierungsregeln bestimmen, ob und wie bereits besetzte Aktionsfelder benutzt werden dürfen. Im Wesentlichen gibt es zwei Platzierungsregeln: Die Bürgerplättchen sind durchnummeriert. Liegen im einen Fall auf dem Aktionsfeld bereits Bürger und legen wir einen unserer Bürger dazu, dessen Nummer nicht bereits ausliegt, müssen wir eine Münze bezahlen. Im anderen Fall dürfen wir unser Bürgerplättchen nur legen, wenn seine Nummer höher ist, als die eines bereits ausliegenden. Wer also die höchste Zahl legt, sperrt damit das entsprechende Feld für alle anderen. Ansonsten spricht aber nichts dagegen, dass ein Spieler ein Aktionsfeld mehrfach nutzt.

Angriff!

Statt eine Bürgeraktion auszuführen, können wir gegen die Titanen vorrücken. Auf dem Spielfeld liegen drei Titanenkarten von verschiedenen Schwierigkeitsgraden aus. Auf diesen sind eine Stärkezahl sowie Schwert- und/oder Bogen-Symbole abgebildet. Können wir genug militärische Stärke mit den abgebildeten Waffen aufbieten, dann besiegen wir den Titanen. Schwerter sind dabei die mächtigere Waffe, da sie auf allen Titanen abgebildet sind, während Bögen gegen einige Titanen wirkungslos sind. Der Sieg ist also offen kalkulierbar. Besiegte Titanen werden als Trophäe ausgestellt, sind weitere Stammesbanner wert und bieten zudem einen Vorteil: Das kann ein Einkommen, eine Kapazität oder ein gleichwertiger Vorteil sein.

Üblicherweise werden die Titanen der Reihe nach abgearbeitet, da es immer sinnvoll ist, jeden Titanen zu attackieren, den wir besiegen können, bevor es die Mitspieler machen. So wird ein Stapel schnell aufgebraucht, bevor ein Spieler genug militärische Stärke für die Titanen der zweiten oder dritten Stufe gesammelt hat. 

Den Angriff der Armee müssen wir uns hier etwas näher ansehen, denn hier wirkt ein etwas ungewohnter, aber interessanter Mechanismus: Bei einem Angriff dürfen wir alle Einheiten einsetzen, die uns zur Verfügung stehen. Dazu legen wir auf jede Karte eine einzelne Münze, und zwar auf den Namen. Das zeigt an, dass diese Einheit in der laufenden Runde benutzt wurde. Am Rundenende schieben wir die Münze auf das Kartenbild und zeigen damit an, dass die Veteranen hochdekoriert sind und beim nächsten Angriff mehr Geld wollen: Nämlich die eine Münze Grundsold plus noch einmal so viele Münzen, wie bereits auf ihrer Karte liegen. Der Sold verdoppelt sich also mit jedem Angriff. Ein zweiter Angriff ist damit schon einmal drin, aber vier Münzen für den dritten Angriff zahlt man nur in Ausnahmen, vor allem, wenn man bedenkt, dass jede Karte in dem Angriff ihren Sold möchte.

Zum Glück können wir durch einen bürokratischen Trick den Sold wieder auf das Rekrutenniveau herunter schummeln und unsere Einheit dabei sogar verbessern. Wir erinnern uns daran, dass wir bei der Bürgeraktion Rekrutieren die Möglichkeit haben, eine neue Einheit in eine bestehende zu integrieren. Die alte Einheit wird dann umgedreht und alle Münzen entfernt. Sie verliert dabei in der Regel die meisten ihrer Waffensymbole. Aber eben nicht alle, was den Wissenstransfer der alten Hasen zu den neuen Rekruten symbolisiert. Die neue Karte wird also neben ihrer eigenen Kampfstärke um die Veteranenboni verstärkt. Und da es sich jetzt um eine neue Truppe handelt, kostet ihr erster Angriff auch nur eine Münze. Später können wir auch diese Armee auflösen und ihren Veteranenbonus der nächsten Generationen zur Verfügung stellen; inklusive aller vorherigen Boni, selbstverständlich. Und da alle Münzen entfernt wurden, also auch die Münzen auf dem Namen, können wir nun doch mehrfach in einer Runde angreifen. Neben den rein finanziellen gibt es also auch sonst wenige Gründe, die dafür sprechen, eine Einheit über längere Zeit zu halten.

Kommen wir auf den eigentlichen Kampf zurück: Auch wenn wir bei ausreichender Stärke den Sieg sicher in der Tasche haben, ist der Kampf doch heftig, lässt die Erde erbeben und hinterlässt Schäden. Je nach Titanenstärke würfeln wir einen bis drei der Titanenwürfel und die meisten Felder zeigen an, dass je eine Staatskarte beschädigt wurde. Welche, suchen wir uns selber aus, aber die betreffenden Karten verlieren ihre Eigenschaften, bis wir sie wiederaufgebaut haben.

Sechs Runden lang

Das Spiel folgt klassischen Prinzipien: Wir erhöhen unser Einkommen, um genug Kapital zu haben, mit dem wir am Ende Stammesbanner erwerben: entweder direkt über die Staatskarten oder indirekt über das Militär, mit dem wir dann gegen die Titanen vorgehen.

Hier hat das Spiel einige Schwächen:

An und für sich bringt es Vorteile, Banner einer Farbe zu sammeln. Wir kommen aber nur selten in die Gelegenheit, aus gleichwertigen Alternativen zu wählen, daher nehmen wir am Ende jedes Banner mit, das wir kriegen können.

Außerdem sind die Spielabläufe sehr konstruiert. Die Grundregeln sind einfach (“Führe eine Bürgeraktion oder einen Angriff durch”) und die Aufwertungen durch Karten ähneln sich. Dennoch gibt es drei verschiedene Kartenarten (die ihrerseits wieder in Spielphasenklassen unterteilt sind), zwei verschiedene Währungen, drei verschiedene Restriktionen und diverse Varianten für die Arbeitereinsetzregel. Schließlich und endlich werden einige Aktionen erst im Laufe des Spiels freigeschaltet. Das ist auch der Grund, warum ich oben die Spielmöglichkeiten einfach aufgezählt habe: Für einen Fließtext ist das alles zu ähnlich. Das Spiel hat nicht das Kaliber für so viele Ausnahmen und Extras und Feinjustierungen. Es wirkt aufgesetzt und plump.

Die Kartenauswahl kann je nach Spielsituation von sehr nützlich bis uninteressant reichen. Für die Provinzkarten gibt es gar keine Auswahl. Der Startspieler hat einen großen Vorteil, wenn nur wenige wirklich interessante Karten ausliegen, während der Schlussspieler regelmäßig ordentlich gekniffen ist. In unseren Runden sind wir zu der Überzeugung gekommen, dass das Glück für einen günstigen Start der Königsmacher in dem Spiel ist und Strategie nur einen geringen Teil des Erfolges ausmacht.

Dennoch: Während des Spiels hat man nicht das Gefühl, dass Entscheidungen sinnlos sind, und da die Spieldauer mit etwa einer Stunde sehr überschaubar ist, kommt kein Dauerfrust auf. Dass die Schachtelangabe 90 Minuten angibt, verwundert jedoch. Das Spiel richtet sich eher an Bauch- und Gelegenheitsspieler, die mehr Wert auf Atmosphäre legen, als auf ausgeklügelte Mechanismen. Solche Spieler neigen selten zum Grübeln bei ihren Zügen und sollten bereits in einer Stunde durch sein.

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Ausstattung

Das Spielgefühl stimmt: Das Spiel ist mit einem zentralen Spielbrett, kleinen Spielertableaus, zahlreichen Markern und Karten und drei Spezialwürfeln ausgestattet. Die Qualität ist gut und angemessen. Mich persönlich spricht das Artwork ganz besonders an, und das Schachteldesign zusammen mit dem Thema waren der Grund, weshalb ich mir das Spiel ohne weitere Kenntnisse zugelegt hatte. Die Illustration stammt übrigens vom Autor. Das Design überzeugt mich auch jetzt noch, auch wenn die Symboliken teils klarer hätten sein können. Die Spielregeln sind solide, vor allem während des Einstiegs, und glänzen durch einen Index und Zusammenfassungen. Die fehlende Erklärung der Wilden Banner (= Jokerfarbe) hat der Verlag inzwischen nachgeliefert.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Schwerkraft Verlag
  • Autor(en): Ryan Laukat
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Quadratische Standardschachtel
  • ISBN/EAN: n/a
  • Preis: 45 EUR
  • Bezugsquelle: AmazonSchwerkraft-Verlag

 

Bonus/Downloadcontent

Bestellungen direkt über den Schwerkraft-Verlag werden mit zwei Bonus-Provinzkarten belohnt.

Fazit

Die Vergessene Welt kommt atmosphärisch daher, das Setting der jungen Zivilisation im Schatten alter Titanen ist glaubwürdig und stimmig. Erstaunlicherweise! Denn die Spielmechanik ist weder einfallsreich, noch ausgereift. Vieles wirkt konstruiert und Glück in der Auslage bestimmt Sieg und Niederlage stärker als Planung und spielerisches Können. Auch greift keine Mechanik das Thema wirklich sauber auf.

Ich glaube, es ist gerade dieser eher moderate Anspruch, der sich weniger auf die Spielmechanik, sondern mehr auf das Spielgefühl stützt, der Die Vergessene Welt trotzdem zu einem schönen Spielerlebnis macht. Gerade, wenn man sich damit anfreunden kann, dem Glück ein wenig ausgeliefert zu sein und zu hoffen, am Ende der sechs Runden ein paar tote Titanen auf dem Marktplatz ausstellen zu können, kann das Spiel Spaß machen.

Spaß am Spiel ist aber eine Mindestanforderung und Die Vergessene Welt bekommt sonst keine Extrapunkte. Preislich ist es deutlich am oberen Ende der Skala angesiedelt. Daher bleibt das Spiel am Ende Mittelmaß.

Kleine Anmerkung am Rande: Das viel gelobte Unten & Oben vom gleichen Autor konnte ich vor kurzem einmal spielen. Man erkennt die Handschrift des Autors in beiden Spielen, einige Ansätze ähneln sich, auch einige Schwächen. Unten & Oben ist jedoch deutlich ausgereifter. Wer also mit der Vergessenen Welt liebäugelt, sollte vielleicht gleich einen Schritt weiter gehen.

Artikelbilder: Schwerkraft-Verlag
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

 

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