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Der Dritte Horizont endet nicht an den Docks der Raumstation Coriolis. Vielfältige Sternensysteme und uralte Geheimnisse warten dort auf wagemutige Entdecker und neugierige Forscher. Doch auch gefährliche Gegenspieler und mysteriöse Wesen lauern im Dunkel zwischen den Sternen auf unvorsichtige Raumfahrer…

Im letzten Monat durfte ich euch das neue Science-Fiction-Rollenspiel Coriolis vorstellen. Das Regelwerk ist schon ziemlich dick und umfangreich, aber der Blick auf Details fehlte noch. Das Coriolis Atlas Compendium liefert nun etwas Stoff zu einzelnen Sternensystemen und bisher nur angerissenen Mysterien des Dritten Horizonts. Für alle, die sich nicht die ganze Rezension zum Grundregelwerk durchlesen möchten: Der Dritte Horizont ist eine Ansammlung von Sternensystemen, die durch Sprungportale miteinander verbunden sind – ganz ähnlich wie bei Mass Effect. Das Zentrum dieser Region, die seit einem Krieg von Horizont Eins und Zwei abgeschnitten ist, ist die Raumstation Coriolis. Einst war sie ein gigantisches Kolonieschiff, die Zenith. Vor Jahrhunderten war die Zenith von der Erde gestartet, nur um schließlich Welten vorzufinden, die bereits durch Portalreisende besiedelt worden waren. Die Neuankömmlinge behaupteten sich allerdings selbstbewusst gegenüber den „Firstcome“ und sorgten durch ihren Ehrgeiz für umfassende gesellschaftliche Veränderungen im Dritten Horizont. Handelsnetze und Allianzen entstanden, die für mehr als sechzig Jahre den Frieden garantierten. Doch dieser Frieden ist brüchig und das Coriolis Atlas Compendium führt euch auch an jene Orte, an denen erste Risse zu spüren sind.

Inhalt

Der Band bietet auf gut 60 Seiten Infos zu sechs ausgewählten Sternensystemen im Dritten Horizont. Diese werden auf den ersten 20 Seiten vorgestellt, auf die etwa zehn Seiten folgen, auf denen die Geschichte des Dritten Horizonts ausführlicher beschrieben und ein paar seiner Geheimnisse gelüftet werden. Der Rest des Bandes, also ungefähr die Hälfte, besteht aus Zufallstabellen und detaillierten Regeln zum Reisen im Dritten Horizont.

Die Sternensysteme

Erster Halt: Algol. Das Sternensystem mit den zwei Sonnen ist ein raues Pflaster mit schlechtem Ruf. Wer hier lebt, hat meistens keine andere Wahl. Die meisten Bewohner in diesem System stehen im Dienste des Handelsconsortiums. Die einen schuften in klimatisierten Fabriken, die anderen riskieren im tiefen Dschungel oder in dunklen Minen ihr Leben, um dort für ihre Dienstherren Ressourcen zu fördern. Zerstreuung finden die überarbeiteten Massen in den Vergnügungsvierteln der Städte auf Algol, die dank der zwei Sonnen tatsächlich niemals richtig schlafen. Wer es aber gar nicht mehr erträgt, verlässt das Hamsterrad und schließt sich den Rebellen an, die im Hinterland ihre Freiheit verteidigen.

Mira ist dagegen ein völlig friedliches System. Es wurde durch die Portalkriege, die den Dritten Horizont vom Rest der Menschheit abschotteten, am wenigsten in Mitleidenschaft gezogen. Mira beherbergt noch einige Bauwerke aus der Zeit der ersten Siedler, darunter unzählige alte Tempel zu Ehren der Neun Ikonen, den von den Bewohnern des Dritten Horizonts verehrten Göttern, weswegen das System Pilgern nur so wimmelt.

Fromm sind auch die Bewohner Sadaals, doch tragen diese ihren Glauben wie Schild und Speer vor sich. Von einem selbsternannten Auserwählten der Neun Ikonen geführt, schotten sie sich vom Rest des Dritten Horizonts ab und gewähren nur wenigen Händlern und Reisenden Zutritt zu ihrem System. Die gesellschaftlichen Umwälzungen der letzten Jahrzehnte sind also weitestgehend an ihnen vorbeigegangen und es gibt kaum Zenithianer in diesem System. Sadaal bietet ein schönes Setting für beklemmende Abenteuer in einer restriktiven Diktatur, in der Weltfremdheit auf Paranoia trifft.

Stimmungsvolle Illustrationen machen das Lesen zu einem Fest
Stimmungsvolle Illustrationen machen das Lesen zu einem Fest

Das chaotische Gegenstück zu Sadaal ist Zalos, das ebenfalls von sehr gläubigen Menschen bewohnt wird. Hier haben allerdings strenge Asketen das Sagen, die gnadenlose Fanatiker ungehindert blutige Jagd auf Andersdenkende machen lassen. So verwundert es nicht, dass auf einem der Planeten des Systems ein, bereits Jahre andauernder, Bürgerkrieg zwischen Fanatikern und Abweichlern tobt.

Dabaran hingegen ist ein sicheres System mit eigener Adelskaste, deren Titel, wie so vieles bei Coriolis, Erinnerungen an den Orient wecken. Emire, Paschas, Sultane und so weiter residieren in prächtigen Palästen, von denen aus sie über fruchtbare Landstriche herrschen.

Unsere Rundreise endet schließlich in Odacon, einem völlig gebrochenen System, das sich niemals von den Verwüstungen des Portalkrieges erholt hat. Dennoch locken unerforschte Ruinen und wertvolle Ressourcen immer wieder Abenteurer in das System.

Damit sind die Systeme zwar nur grob umrissen, aber ihr habt einen Eindruck davon bekommen, welche Szenarien in Coriolis möglich sind. Dabei sticht ins Auge, dass auch hier, wie schon im Grundregelwerk, der Fokus auf Wirtschaft und Religion gelegt wurde. Dementsprechend bieten sich Abenteuer im Dienste von Handelshäusern oder religiösen Gruppen an. Theoretisch sind aber zum Beispiel auch klassische Detektivabenteuer denkbar.

Die Mysterien

Im Gegensatz zum Historienkapitel im Hauptregelwerk erfahren wir in diesem Band ganz ausführlich und ungeschönt die wahre Geschichte des Dritten Horizonts. Die spoilerfreie Version der Geschichte des Dritten Horizonts findet ihr in unserem Artikel zum Grundregelwerk.

Spoiler

Nachdem die Zenith die Erde verlassen hatte, wurden die Sternenportale entdeckt. Zuerst wurden damit die Systeme des Ersten Horizonts kolonisiert und der Zweite Horizont erforscht. In den darauf folgenden Jahrhunderten wurde auch dieser besiedelt und das Imperium des Ersten Horizonts entstand. Es festigte seine Macht in den bekannten Systemen und schließlich wurde auch der Dritte Horizont ansatzweise bevölkert.

Schließlich kam es zum Konflikt zwischen dem Imperium und den freien Reichen des Zweiten Horizonts. Am Rand der Niederlage stehend wandten die Herrscher des Imperiums sich an das Dunkel zwischen den Sternen und schickten sinistre Agenten in den Dritten Horizont, um sich mit dessen Ressourcen den Sieg zu sichern. Für einen Einmarsch war das Imperium jedoch zu geschwächt und eine Art Kalter Krieg waberte für Generationen zwischen den drei Horizonten. Vor etwa 120 Jahren wagte das Imperium jedoch eine Invasion des Dritten Horizonts, dessen Fraktionen sich schließlich dadurch retteten, dass sie die Portale zum Ersten und Zweiten Horizont zerstörten. Dennoch dauerte der Krieg über 20 Jahre und die Schlacht gegen die letzten Truppen des Imperiums, die nun von ihrer Heimat abgeschnitten waren, forderte unzählige Todesopfer und verwüstete das Odacon-System.

Es gibt jedoch noch einige Nachfolger der Agenten, die einst aus dem Imperium entsandt worden waren. Im Geheimen suchen sie nach einem Weg zurück in den Ersten Horizont und verehren dabei die Bestie, einen pervertierten Aspekt des Ikons des Tänzers. Sie warten nur auf den geeigneten Moment, um sich zu erheben und den Dritten Horizont erneut ins Chaos zu stürzen.

Vor etwa 65 Jahren erreichte schließlich die Zenith den Dritten Horizont und fand ihn bereits bewohnt vor. Die Zenithianer ließen sich dennoch dort nieder, schufen die Raumstation Coriolis und sorgten für gesellschaftliche Umwälzungen, die an dieser Stelle nicht im Detail beschrieben werden sollen. Interessierte werfen einen Blick in unseren Artikel zum Grundregelwerk oder lesen direkt in der Spielhilfe weiter.

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In diesem Kapitel werden auch einige Relikte der Erbauer der Sternenportale beschrieben. Diese Wesen, deren Verbleib völlig ungeklärt ist, haben neben den Portalen auch noch andere Bauten und Geheimnisse zurückgelassen und regen damit seit jeher die Fantasie der Menschen an, die im Dritten Horizont leben. Unter ihnen gibt es Gruppen, welche die Erbauer quasi-religiös verehren, aber auch jene, die gegen jede Erforschung und Nutzung – auch der Sternenportale selbst – wettern, da sie ihnen einen verderbenden Einfluss zusprechen.

Die Zufallstabellen

Ich gestehe, dass ich Zufallstabellen mag und ab und zu gerne verwende. Sicher kommt hin und wieder totaler Nonsens dabei heraus, wenn man komplette Planeten und alle Begegnungen auswürfelt. Die Ergebnisse können aber auch die Fantasie anregen, zum Beispiel wenn man gerade ein kreatives Tief hat. Dieser Band ist deswegen die reinste Freude für mich und all jene, die es ähnlich sehen. Ihr könnt auswürfeln, was für Planeten sich in einem Sternensystem befinden, wie es auf deren Oberfläche aussieht, ob es Siedlungen gibt, wer dort lebt und so weiter und so fort. Ebenso könnt ihr den Zufall entscheiden lassen, was für Abenteueraufhänger sich dort verbergen, wer das sagen in der Kolonie hat und was aktuell die größte Bedrohung für den Planeten und seine Bewohner ist.

Damit hört es allerdings nicht auf, denn es können sogar ganze Missionen ausgewürfelt werden. Mal abgesehen davon, wie stimmig das ist, findet sich in den Tabellen somit eine übersichtliche Liste, was alles an Abenteuern in Coriolis möglich ist. Das Ergebnis einiger Beispielwürfe will ich euch deswegen nicht vorenthalten:

Zuerst legen wir fest, dass die Abenteurer von einem Auftraggeber einen ganz generellen Auftrag bekommen werden. Dies könnten wir auch noch weiter spezialisieren und festlegen, ob sie als Söldner, Kundschafter, Pilger oder Händler unterwegs sind. Wir würfeln. Die Mannschaft erwartet eine schwierige Mission in einem System, das nur ein Sprungportal entfernt liegt. Bei der Mission werden zwei Komplikationen auftreten. Ihr Auftraggeber ist ein Fabrikbesitzer, der ihnen wertvolle Ausrüstung verspricht und sie darum bittet, einem Verbündeten, der sich in einem alten Bunkerkomplex versteckt, einige Informationen (also vielleicht das Ergebnis von Industriespionage) zukommen zu lassen. Der Fabrikbesitzer will den Abenteuern zwingend einen Aufpasser mitgeben (Komplikation 1), der sich jedoch im Laufe der Reise als Doppelagent entpuppt (Komplikation 2).

Ein Beispiel aus dem Generator
Ein Beispiel aus dem Generator

Auch für Ereignisse auf Reisen gibt es solche Tabellen. Bleiben wir beim obigen Beispiel:

Sagen wir, den Reisenden passiert ein Missgeschick. Solche Missgeschicke können passieren, wenn einer der Charaktere sehr oft die Neun Ikonen um Glück und übernatürliche Hilfe bittet. Es ist regeltechnisch vorgesehen, dass solche Gebete tatsächlich positive Auswirkungen haben können. Der Spielleiter ist jedoch dazu angehalten, die Balance zu wahren und in passenden Momenten die Charaktere im Gegenzug für zuvor erteilte Boni mit Missgeschicken zu quälen. Wir würfeln also und stellen fest, dass das Missgeschick dem Ingenieur zustößt, der mit einem nicht zu reparierenden Müllschlucker konfrontiert wird, dessen Gestank bald die ganze Besatzung nervt. Während er sich mit diesem Mistding herumquält, nähert sich das Patrouillenschiff einer Kolonie. Diese ist den Abenteurern zum Glück freundlich gesinnt und unterstützt sie sogar mit Vorräten oder Informationen. Kaum sind sie jedoch an ihrem Zielort gelandet, erwartet sie ein wütender Mob, wahrscheinlich aufgestachelt von den gleichen Gegenspielern, die auch schon den Doppelagenten in ihre Reihen geschleust haben.

Sagt über Zufallstabellen was ihr wollt, aber ich habe jetzt bereits eine nette kleine Abenteueridee im Kopf.

Erscheinungsbild

Was ich zum Grundregelwerk geschrieben habe, gilt auch hier. Es enthält schöne Illustrationen, die zwar nicht durchweg erstklassig sind, aber ein wunderbar stimmiges Gesamtbild abgeben. Der orientalische Touch, den Coriolis haben soll, kommt hier deutlich besser zum Tragen, als noch im Hauptband. Zwar wirken die Bilder zu den einzelnen Sternensystemen etwas austauschbar („Wow! Auf Mira gibt es also einen Raumhafen!“), aber darüber kann man sich nun wirklich nicht beschweren. Kritisch anmerken möchte ich allerdings das fehlende Inhaltsverzeichnis. Auch einen Index gibt es nicht, was auf gut 60 Seiten zu verschmerzen ist, aber trotzdem stört. Dafür ist das PDF immerhin voll und ganz durchsuchbar.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Fria Ligan
  • Autoren: Martin Dunelind, Nils Karlén, Kosta Kostulas, Adam Palmquist
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Sprache: Englisch
  • Format: Softcover / PDF
  • Seitenanzahl: 62
  • ISBN: 978-1-910132-73-9
  • Preis: 20 EUR (Softcover) / ca. 10 EUR (PDF)
  • Bezugsquelle: DriveThruRPG, Sphärenmeister

 

Fazit

Wer sich das Grundregelwerk gönnt, kann sich das Atlas Compendium gleich mitbestellen! Hier finden sich tolle Systembeschreibungen und genug Abenteuer-Aufhänger, um einige Runden im Dritten Horizont zu drehen. Auch der allgemeine Hintergrund wird durch einige weitere Informationen noch einmal aufgewertet und interessanter.

Das hohe Niveau des Grundregelwerks wird dabei in allen Punkten gehalten und der Eindruck, dass Free League hier ein wunderbar rundes System entworfen hat, das durch ein interessantes Setting und mit simplen Regeln glänzt, verfestigt sich.

Unsichere werfen bitte einen kurzen Blick in die kostenfreien Schnellstartregeln, Überzeugte greifen zu!

Artikelbilder: Fria Ligan
Dieses Produkt wurde kostenlos als PDF zur Verfügung gestellt.

 

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