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Mit blonden Mädchen im Matrosenkleid hat er nichts zu tun: Moon Knight ist Marvels Antwort auf Batman. Als weißer Rächer des ägyptischen Mondgottes Khonshu sorgt er für Ordnung in New York. Nach einer langen Pause kehrt er in Wächter der Nacht zurück, doch die Story ist eher Neu- als Vollmond.

Preisfrage: Welcher Marvel-Held ist am ehesten vergleichbar mit Batman? Iron Man? Nein, Lebemann Tony Stark ist viel zu gut drauf und zu wenig nachtaktiv. Daredevil? Nicht annähernd reich genug. Mit Moon Knight hat Marvel schon vor über 40 Jahren einen Charakter geschaffen, der DCs dunklem Meisterdetektiv in vielen Aspekten ähnelt: Ein immens reicher Mann mit intensiver Kampfausbildung und Jugendtrauma kämpft als grimmiger Ritter in einer verdorbenen Großstadt. Anfangs als Gegenspieler des Werwolfs Jack Russell erschaffen, bekam Mondritter Marc Spector 1980 seine eigene Serie und stand seitdem für die düstere, blutrünstige Seite des Marvel-Universums. Ende der 90er Jahre verschwand er in der Versenkung, doch 2006 wurde er von Autor Charlie Huston und Zeichner David Finch in einer neuen Serie wiederbelebt. Dieser Band fasst die ersten sechs Hefte zusammen und konfrontiert den Leser mit der qualvollen Vergangenheit des Avatars von Khonshu.

Handlung

„Jemand muss es ja tun…“ mit diesem inneren Monolog Moon Knights steigt der Comic direkt ein. Ein dynamischer Flug durch die dunklen, verregneten und schmutzigen Straßenschluchten New Yorks macht sofort deutlich, welche Art von Geschichte die Leser erwartet. Die Beifahrer zweier Autos leisten sich eine rücksichtslose Schießerei, während der Protagonist die anderen Helden New Yorks aufzählt: Die Fantastischen Vier, die X-Men, die Avengers, sie alle sind zu sehr mit großen Problemen beschäftigt, um sich Bandenkriegen auf der Straße zu widmen. „Dennoch muss es jemand tun.“ fährt Moon Knight fort: „Jemand, der Spass daran hat.“ Mit diesen Worten springt der weiß gekleidete Held, den Umhang fest in den Händen, in einem dramatischen Splashpanel aus einem sichelförmigen Flieger.  Er landet auf einem der Autos, reißt den Schützen heraus, lässt beide Fahrzeuge ineinander krachen und knöpft sich den letzten verbliebenen Gangster vor. Der Straßenritter erinnert sich an eine Anekdote aus seiner Zeit bei den West Coast Avengers in Los Angeles: Hawkeye machte sich über ihn lustig, weil er nachts arbeitet und weiß trägt. Doch Moon Knight erwiderte, er wolle gesehen werden, um seinen Feinden Angst einzuflößen. Und, was er Hawkeye verschwieg, weil sein Kostüm auch ein Priestergewand des Mondgottes ist.

In hektisch aufeinanderfolgenden Panels sieht man, wie Marc Spectors Alltag als Verbrechensbekämpfer aussah: Flug im Moon-Helikopter mit seinem Chauffeur Frenchie, eine Liebesnacht mit seiner Freundin Marlene, Verbrecherjagd auf den Straßen, Frenchie, Marlene, Verbrecher, Frenchie, Marlene, sogar ein Kampf gegen Magneto und Doctor Doom ist zu sehen. Doch all das ist nur ein Flashback. In der Gegenwart sitzt ein bärtiger, langhaariger Spector im Rollstuhl in einem leeren Zimmer, umgeben von leeren Schnapsflaschen und Medikamenten, im Hintergrund eine verhüllte Statue. Die darauffolgenden Seiten zeigen wortlos, wie Moon Knight in diese Lage kam: im letzten Kampf gegen seine sadistische Nemesis Bushman brach Spector sich die Knie, war fortan an den Rollstuhl gefesselt, wurde medikamentenabhängig, verstieß Frenchie, schlug seine Freundin Marlene, verkaufte seine Habseligkeiten und wandte sich von seinem Gott ab. Doch jetzt enthüllt der verzweifelte Spector die Statue Khonshus und fleht ihn an, wieder ein Held sein zu dürfen.

In den darauffolgenden fünf Ausgaben kehrt Spector langsam wieder in den Heldenalltag zurück. Er versöhnt sich zögernd und nur widerwillig mit Frenchie, spricht mit seinen Bediensteten, selbst Marlene kehrt zu ihm zurück. Doch Spector ahnt anfangs nicht, dass er ein Spielball zweier Mächte ist: Einerseits ist da das Komitee, eine kriminelle Organisation aus Moon Knights Vergangenheit, die versucht, den Helden auf seine Seite zu ziehen. Als dies misslingt, heuern sie den Avengers-Gegenspieler Taskmaster an, um Spector zu töten. Auf der anderen Seite ist Khonshu, der Marc manipuliert, um seinen Kriegerpriester zu reaktivieren. Der Gott treibt ein doppeltes Spiel, doch lange bleibt der Mondritter nicht im Dunkeln, was die Absichten seines Schutzpatrons angeht…

Zeichnerisch ist Moon Knght 1 durchaus gelungen, leider hapert es am Rest

Charaktere

Man muss kein brillanter Ermittler wie Bruce Wayne sein, um in dieser Geschichte Parallelen zu Knightfall oder anderen Batman-Stories zu erkennen. Ein reicher Unternehmer, ausgebildet als Krieger, bekämpft in einer dreckigen Stadt die Kriminalität aus purem Racheantrieb. Dramatisch flatternder Umhang, großes Anwesen mit unterirdischem Versteck sowie Markenzeichen inklusive. Was Batman sein Fledermaussymbol, ist Moon Knight die Sichel: sein Kostüm verziert er damit, sein Helikopter hat eine Mondform, sogar seine Batarangs… Verzeihung, Crescent Darts haben die charakteristische Form. Und in den Panels, in denen Moon Knight nicht auftaucht, kommt öfters mal ein vage sichelförmiges Objekt vor. Man möchte Marc Spector glauben, dass er sein eigener Charakter ist, aber Autor Huston lässt ihn nicht. Zu sehr ist der Ex-Held damit beschäftigt, sich selbst zu bemitleiden, nachdem ein brutales Muskelmonster, dessen Name mit B anfängt, ihn verkrüppelt hat. Dass Spector selbst jegliche Reha-Maßnahmen aus gekränktem Stolz und religiösen Zweifeln ablehnte, macht seine Emophase umso anstrengender zu lesen.

Interessant ist jedoch, dass fast jeder Nebencharakter in Wächter der Nacht ständig über Marc Spector redet, wir aber verhältnismäßig wenig über ihn erfahren. Er wurde vom Vater verstoßen, entwickelte ein Talent für Gewalt, war Elitesoldat, Söldner, Boxer. Der zwielichtige Stratege The Profile spult die Entstehungsgeschichte Moon Knights im Schnelldurchlauf ab, was Neueinsteiger eher zusätzlich verwirren wird. Das Komitee und Taskmaster sind nach dieser Analyse überzeugt, Spector gänzlich verstanden zu haben und ihn in einer verletzlichen Phase zu treffen. Doch nach einem Angriff auf Frenchies Lebensgefährten ist der leidende Held wieder ganz in seinem Metier (Gewalt) und straft seine arroganten Widersacher Lügen.

Überhaupt sind Profile und „Frenchie“ Duchamp die interessanteren Charaktere in dieser Story. Auf der einen Seite der ehemals klischeehafte französische Fahrer (es waren die 70er…), der nach Jahren der Partnerschaft und darauffolgender Verstoßung dem Helden beichtet, dass er schwul ist und ihm lange Zeit aus purer Liebe diente. Dass Frenchie und sein Partner zur Zielscheibe des Komitees geraten, ist das überreizte Schicksal fast aller zivilen Freunde von Superhelden, aber zumindest überleben beide und werden nicht unzeremoniell in den Kühlschrank befördert. Profile indes ist eine andere Art von Gegenspieler in dieser brutalen Geschichte: Ein eher dünner, nachdenklicher Mann, der andere Menschen wie Bücher lesen und verknüpfen kann. Diese Fähigkeit wird von Zeichner Finch mit einem coolen Effekt dargestellt: Die ausgelesenen Fakten erscheinen vor Profiles geistigem Auge als kritzelige Notizen rund um die betrachteten Personen. Ein Freund, der aus purer Liebe mitkämpft, und ein Feind, der auf kühle Analysen setzt, sind erfrischende Abwechslungen in einer Handlung, in der sonst jeder andere Charakter nach Rache schreit.

Komitee, Marlene und Bushman bleiben indes ziemlich blasse Figuren in Wächter der Nacht. Die finster an einem Konferenztisch sitzenden Schurken begleiten Moon Knight zwar schon seit seinem ersten Abenteuer, aber wer die Hefte aus den 70ern nicht kennt, bekommt lediglich mit, dass sie irgendein Problem mit Werwölfen haben. Marlene indes erweist sich zwar als recht fähige Kämpferin und lässt sich zum Schluss nicht auf eine erneute Beziehung ein, kommt aber auch nicht so wirklich aus der zugewiesenen Rolle des love interest heraus (Profiles Hinweis, dass Spector und Bushman um sie stritten, macht es nicht besser). Natürlich ist sie die Hälfte des Buchs halbnackt. Der brutale Bushman hingegen ist… nun ja, genau das, ein brutaler Buschmann. Irgendwie wird man bei diesem Charakter den schalen Beigeschmack des bösen, wilden Schwarzen nicht los, zumal er in den Flashbacks auch kein Wort reden darf. Motivation? Persönlichkeit? Irgendwelche menschlichen Gefühle zum Ausgleich? Kinder, Haustiere? Fehlanzeige. Dafür darf sein abgezogenes Gesicht (aber Spector ist der Gute?!) als Vorlage für Khonshu dienen, der mit der grotesken Fratze seinen Champion heimsucht und ihn für die brutale Tat lobt.

Apropos Bösewichte. Dass der sonst so furchteinflößende Söldner Taskmaster durch den Angriff Moon Knights auf einmal zu einem um Gnade winselnden Häuflein Elend reduziert wird, ist gelinde gesagt bizarr. Marvel-Fans erinnern sich, dass er sich früher mit mehreren Avengers gleichzeitig anlegen konnte, darunter Thor und Iron Man. Aber die Szene am Ende des Bandes lässt den sonst so coolen Bösewicht wie einen drittklassigen Straßenschläger aussehen. Taskmaster ist eine Fehlbesetzung in dieser Geschichte: Er taucht als Schreckensfigur auf, die gleich in ihrem ersten Panel ein Mitglied des Komitees für dessen Fehler exekutiert und dramatisch den Streit zwischen Marlene und Marc unterbricht. Doch dann lässt der Ex-SHIELD-Agent, der übernatürliche Reflexe hat und die Bewegungen seiner Gegner vorhersehen kann, sich von Spectors Butler Samuels mit einer Muskete (!) verjagen. Später vermag er es nicht, den angeschlagenen Moon Knight effektiv zu bekämpfen und fällt dessen Furchtaura zum Opfer. Hier wurde ein beliebter Schurke schlichtweg unter Wert verkauft.

Huston lässt ebenfalls den Einfluss Khonshus offen. Was ist sein Plan für den Helden? Mehrmals im Laufe seiner Karriere wurde Marc Spector von seinem Patron wiederbelebt. Ist es tatsächlich in Khonshus Sinn, einen Menschen, den er als seinen Priester, ja sogar als seinen Avatar ansieht, auf die Jagd nach Kleinganoven zu schicken? Die Dialoge zwischen den beiden bleiben durchgehend klischeehaft. Khonshu fordert Marc auf, seine Rache in die Welt zu tragen, Marc erwidert, er sei zu heldenhaft für die blutrünstigen Absichten des Gottes. Dieses Spiel zieht sich über mehrere Ausgaben hinweg und wirkt abgedroschen, zumal es dem Leser keine weitere Information oder Spannung bietet, nur Drama als Selbstzweck. Das ist besonders schade, wenn man die darauffolgenden Hefte kennt, in denen Khonshu eine deutlich größere Rolle bekommt, aber „es wird später besser“ ist kein besonders starkes Verkaufsargument.

Zeichenstil

Dunkel. Zeichner Finch und Kolorist D’Armata präsentieren fast jedes Panel bei Nacht oder in schlecht beleuchteten Räumen. Besonders Marc Spector fallen ständig Schatten ins Gesicht, die seine gepeinigte Seele unterstreichen sollen. Erst, als er am Ende wieder zur Heldenform findet, wird er besser ausgeleuchtet (Rasur und Haarschnitt helfen natürlich auch, den Wandel zu bekräftigen). Die Schattierungen und Gesichtslinien, die Finchs Stil ausmachen, lassen leider jeden Charakter besorgt oder hässlich aussehen. Insbesondere die Bösewichte, vom Straßengangster zu Bushman, tragen allesamt eine Mischung aus Ekel und Hass im Gesicht, damit man merkt, dass sie Finsteres im Schilde führen. Und zwei der drei weiblichen Charaktere in dieser testosterongeschwängerten Story haben Modelfiguren und sind mehrfach unbekleidet zu sehen. Ob hier bewusst an Frank Miller angelehnt wurde, ist unklar.

Erscheinungsbild

Die gewohnt hohe Druckqualität von Panini sorgt für ein gutes Leseerlebnis. Auch kleine Details sind deutlich erkennbar, Farben klar abgestuft. Cover und Seiten liegen gut in der Hand, weichen beim Lesen nicht durch und reißen bei normaler Behandlung nicht. Die Übersetzung ist auf hohem sprachlichen Niveau, eventuelle Klischeesprüche sind im Original ähnlich. Die Randnotizen zu Profiles „Fakten“ sind gut lesbar und bringen auch spezifisch amerikanische Ausdrücke gut rüber. Extras gibt es in der deutschen Ausgabe leider nicht, dafür findet man am Anfang eine kurze Biografie von Moon Knight für Neueinsteiger.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Marvel Comics, dt. Vertrieb Panini Comics
  • Autor: Charlie Huston
  • Zeichner: David Finch (Linien), Crimelab Studios, Allen Martinez, Danny K. Miki, Victor Olazaba (Tusche), Frank D’Armata (Farbe)
  • Übersetzung: Jürgen Petz
  • Erscheinungsjahr: 2017 (Erstveröffentlichung 2006)
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Print, Softcover A4
  • Seitenanzahl: 156
  • Preis: 16,99 EUR
  • Bezugsquelle: Panini, Amazon

 

Fazit

Moon Knight ist seit seiner Entstehung nicht gut gealtert. War er in den 1970ern Jahren ein düsterer Antiheld mit mystischem Hintergrund noch eine Innovation, braucht es heutzutage deutlich mehr, um das Publikum zu beeindrucken. Körperlich wie seelisch gebrochene Männer mit Hang zu Drogenmissbrauch und brutaler Gewalt gibt es mittlerweile zuhauf in der Comicwelt. Die sehr offensichtlichen Parallelen zu Batman (die man selbst mit Wohlwollen nicht mehr als Hommage ansehen kann) verstärken diesen Eindruck noch. Zumal Moon Knight nicht einmal im Marvel-Universum selbst ein Alleinstellungsmerkmal besitzt: den Posten des brutalen Rächers hat schon Punisher besetzt, den des maskierten, unsterblichen Söldners mit gespaltener Persönlichkeit ein gewisser Deadpool und als nachtaktiver Ermittler in New York ist bereits Daredevil unterwegs.

Die Story mäandert zwischen Flashbacks, Spectors Selbstmitleidphasen und der flachen Rachestory zwischen dem Komitee, Khonshu und Taskmaster. Jeder in dieser Geschichte will sich für irgendetwas rächen und ist zu extremer Gewaltanwendung bereit, doch hinter den grimmigen Panels findet man keine originelle Geschichte. Einsteiger werden die vielen Rückblenden verwirren und erfahrene Leser nicht allzu viel Neues über Moon Knight erfahren. Das einzige, was diesen Band vor der schlechtesten Bewertung bewahrt, ist die Grundlage für nachfolgende Geschichten, die hiermit geschaffen wird. Spectors Konflikt mit sich und seinem Gott wird in späteren Bänden ausgebaut, doch ob man sich dafür durch die Story durchkämpfen will, muss jeder selbst entscheiden.

Artikelbilder: Panini Comics
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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