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„Das ultimative Training für jeden Gamer” will Dungeons & Workouts – vom Lauch mit Bauch zum Held von Welt sein. Das Fantasy-Fitnessbuch führt den Leser mit Rollenspielelementen durch einfache Übungssequenzen. Wer diese fleißig trainiert, kann als Belohnung Level aufsteigen und Monster besiegen.

Hand auf’s Herz: Welcher leidenschaftliche Rollenspiel-Nerd kommt schon dazu, regelmäßig zu trainieren? Sicher, einige von uns zählen auch körperliche Ertüchtigung in der einen oder anderen Form zu ihren Hobbys. Viele andere jedoch, wenn nicht gar die meisten, kommen viel zu selten dazu, wenn phantastische Abenteuer – vor dem eigenen PC oder im Wohnzimmer eines Freundes, mit M&Ms und Fanta oder Chips und Bier – als alternatives Abendprogramm zur Auswahl stehen. Die Folge sind nicht nur unerwünschte Pölsterchen und die akute Gefahr, zur nächsten LARP-Saison nicht mehr in die Rüstung zu passen, sondern auch nicht zu unterschätzende gesundheitliche Risiken. Wenn Sport doch nur ein bisschen mehr so wie Rollenspiel wäre!

Idee – die Gamifizierung des Eigengewicht-Workouts

Damit ist die Grundidee von Dungeons & Workouts eigentlich ziemlich genial: Ein Fitnessbuch, das sich gezielt an Rollenspieler wendet, diese mit phantastischen Geschichten bei der Stange hält und mit spieltypischen Belohnungen zum weiteren Trainieren animiert. Eine Rahmenhandlung, die im Stil stark an klassische “Choose Your Own Adventure”-Spielbücher erinnert, führt den Leser durch die verschiedenen Fitnessübungen. Man schlüpft in die Rolle des Hauptcharakters, der unverhofft in die unangenehme Situation kommt, dass seine kleine Schwester von einer fiesen Bestie entführt wird – eine klassische Heldenreise beginnt. In sechs Kapiteln, die den Schwierigkeitsgrad der darin vorgestellten Übungen schrittweise erhöhen, macht er sich auf die Suche nach dem Ungetüm durch eine vage mittelalterlich-phantastische Welt, in der er auf allerlei hilfreiche oder weniger hilfreiche NSC trifft.

Gamification

Jedes Kapitel hat einen Endgegner, den man nur mit entsprechendem Trainingsaufwand besiegen kann. Das funktioniert folgendermaßen: Die Rahmenhandlung wird immer wieder durch graphisch deutlich abgesetzte, gut verständliche und mit Bildern veranschaulichte Übungsanleitungen unterbrochen: etwa Kniebeugen, Hampelmänner oder Liegestütze, später auch Anspruchsvolleres, wie seitliche Planks und Kniebeugensprünge. Diese werden zu verschiedenen Trainingssequenzen kombiniert, die der fitnesswillige Spieler erst einmal absolvieren muss, bevor er weiterlesen darf. Ganz am Ende des Kapitels wartet jedes Mal der Boss-Gegner, den man dadurch besiegt, indem man eine Sequenz von Übungen in einer limitierten Zeitspanne absolviert. Natürlich wird auch der Boss mit jedem Kapitel schwerer zu besiegen, bis man am Ende dem grauenvollsten aller Monster gegenübersteht: dem Schweinehund.

Hinter dieser Idee steht offensichtlich das Prinzip der “Gamification” oder “Gamifizierung”, also der Einbringung von Spielelementen – wie etwa Erfahrungspunkten – in einen nicht-spielerischen Kontext. Diese sollen Menschen motivieren, eine sonst monotone Aufgabe zu erledigen oder ein bestimmtes Produkt einem anderen vorzuziehen, indem sie das sogenannte Belohnungszentrum im Gehirn stimulieren. Dieses Prinzip findet heutzutage in allen möglichen Bereichen Anwendung, etwa dem der Kundenbindung von Unternehmen, und ist oft weit abstrakter gefasst als hier. Da sich Dungeons & Workouts direkt an Rollenspieler wendet, die bereits grundsätzlich mit der Idee vertraut sind, um Ziele zu kämpfen, die allein der Phantasie entspringen, wird wohl niemand, der sich dieses Buch kauft, größere Schwierigkeiten mit seiner Benutzung haben. Ziele, die es zu erreichen gilt, sind zum Beispiel, den Kampf gegen den arroganten Stadtwachenhauptmann zu gewinnen, oder den Krötenkönig bei der Fliegenjagd zu unterstützen.

Ein Beispiel einer Übung

Dazwischen kann man durch kleine Nebenaufgaben auch noch andere Belohnungen erhalten, etwa Kochrezepte, die sich am Ende des Buches finden. Ein Problem stellt allerdings die etwas schleppend vorangehende Rahmengeschichte dar: wer mehrere Übungen machen möchte, um ein abwechslungsreiches Training zu erreichen, muss zwischendrin ganz schön viel lesen. Das ist zeitraubend und – ironischerweise – genau das Gegenteil von motivierend. Die Handlung ist dabei aber auch nicht so übermäßig spannend, dass man sie in den Atempausen zwischen den Übungen fasziniert verschlingen würde. Für ein fokussiertes Workout taugt das Buch also eher nicht.

Die Übungen selbst sind allerdings durchaus des “Nachturnens” wert. Schrittweise aufeinander aufbauend, sind sie darauf ausgelegt, alle Muskelgruppen des Körpers zu beanspruchen und zu trainieren. Viel Vorbereitung braucht es dafür nicht, außer ein wenig Dehnung und Aufwärmen: Das Fitnesskonzept von Dungeons & Workouts basiert vorwiegend auf Eigengewicht, das heißt, man trainiert seine Muskeln mit Hilfe des eigenen Körpergewichts. Das einzige Zubehör, was tatsächlich gebraucht wird, ist eine Yogamatte oder ein entsprechender Bodenbelag, denn nicht wenige der Trainingssequenzen und Dehnübungen erfordern das Abstützen von Händen oder Knien auf dem Boden, was bisweilen schon recht unangenehm werden kann. Laut Vorwort der Autoren ist für die Bewältigung jedes Kapitels eine Woche Zeit vorgesehen. Wer das Training in dieser Zeit konsequent durchhält, legt sicherlich einen soliden Grundstein für einen gesünderen Lebensstil – auch wenn er sich dadurch nicht direkt in einen heldenhaften Monsterjäger verwandelt.

Schreibstil

Auch wenn es nirgendwo im Buch explizit geschrieben steht, richtet sich Dungeons & Workouts recht eindeutig an Jugendliche. Dies drückt sich vor allem durch das etwas kindliche Setting aus, in das die Autoren ihre Rahmenhandlung gesetzt haben: Der Charakter, in den fitnesswillige Leser bzw. Spieler sich versetzen sollen, ist ein Waisenkind auf der Suche nach seiner verschwundenen Schwester, tendenziell im Teenageralter. Zielgruppe scheinen junge Gamer zu sein, die nach der Schule lieber Videospiele spielen als ins Fitnesstudio zu gehen und das Wochenende mit Freunden beim Tischrollenspiel verbringen, die aber trotzdem gerne vor dem anderen (oder vielleicht auch eigenen) Geschlecht eine gute Figur machen wollen. Auf sie ist das Buch perfekt zugeschnitten: Die Sprache ist einfach, relativ umgangssprachlich gehalten, verzichtet aber dabei dankenswerterweise auf die übertriebene Benutzung von Jugendsprache. Die Übungen brauchen keine teuren Geräte, können sowohl zu Hause als auch im Freien durchgeführt werden und lassen sich auch spontan in den Alltag einschieben.

Die Geschichte, die sie begleitet, ist indes weder vom Stil noch von der Handlung her hohe Literatur – aber das erwartet in diesem Rahmen wohl auch niemand. Wer wie die Autorin der vorliegenden Zeilen einen eher einfach gestrickten Sinn für Humor besitzt, wird ihr bei Gags wie „ich bin Scrotus, der Rächer der Entmannten“ außerdem das eine oder andere Schmunzeln abgewinnen. Dennoch ist es frustrierend, erst im Laufe der Lektüre festzustellen, dass man als erwachsener Gamer offenbar nicht mehr zum angesprochenen Publikum gehört.

Die Autoren

Die vier Autoren, aus deren Zusammenarbeit Dungeons & Workouts entstanden ist, bilden eine bunte Mischung aus Fitnessexperten, Rollenspielfreunden und Medienschaffenden:

Gino Singh ist Sportwissenschaftler und Fitnesstrainer,

Hauke Gerdes ehemaliger Redakteur der Sendung Game One auf MTV und heute Redakteur bei dem unabhängigen Websender Rocket Beans TV,

Matthias Ralf ist Sportlehrer und freier Journalist,

und Kai Kistenmacher Fernsehjournalist.

Erscheinungsbild

Die grafische Gestaltung von Dungeons & Workouts wurde hauptsächlich von dem Illustrator Alwin Reifschneider besorgt. Mit dem gleichen Humor, der auch im Text zu erkennen ist, begleiten seine Bilder die Reise des Helden und setzen dabei etwa so phantastische Kreaturen wie den “Tigorilla” kongenial um. Der größte Teil der Bebilderung besteht aber aus – ebenfalls von Reifschneider ausgestalteten – fotografischen Illustrationen der Übungen, vorgemacht von vielen verschiedenen jungen Männern und Frauen. Ganz im Stile eines klassischen Fitnessbuches ist die grafische Ausgestaltung also in erster Linie dazu gedacht, das Training zu veranschaulichen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Meyer & Meyer Verlag
  • Autoren: Gino Singh, Hauke Gerdes, Matthias Ralf, Kai Kistenmacher
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Softcover, Kindle-Format
  • Seitenanzahl: 253
  • ISBN: 978-3-8403-7562-0
  • Preis: 22, 95 EUR (Softcover), 17,99 EUR (Kindle)
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonus/Downloadcontent

Im Buch befindet sich ein Charakterbogen zum Herausnehmen, in den Notizen und der eigene Fortschritt eingetragen werden können.

Fazit

Die Idee scheint so einfach wie genial: Fit werden und dafür Erfahrungspunkte sammeln und Stufen aufsteigen wie ein Rollenspielcharakter! Oder, wenn man es von der Außenperspektive betrachtet: Rollenspieler zum Sport motivieren, indem man sie eine nette Geschichte spielen lässt! Nun ja. Allein als Fitnessbuch gesehen hat Dungeons & Workouts viele Pluspunkte: Die Übungen sind aus physiologischer Sicht sinnvoll und ohne viel Aufwand durchzuführen. Die Rezepte im Anhang sind lecker (wenn auch nichts für Mandelallergiker) und passen zu einem muskelaufbauenden Trainingsprogramm. Ebenso enthält das Vorwort des Buches guten gesundheitlichen Rat für Fitness-Neulinge und gibt einen vernünftigen Trainingsplan vor.

Leider hapert es ausgerechnet an dem Alleinstellungsmerkmal des Buches – dem Rollenspielelement. Um das Stichwort der Gamifizierung noch einmal aufzugreifen: Um wirklich zu motivieren, sind die Belohnungen zu weit im Buch verstreut. Einmal die Woche ein Boss-Monster zu verhauen, ist sicher lustig – macht aber letztlich auch nur marginal mehr Spaß als der Trainingserfolg per se. Die Rahmenhandlung ist zu langatmig, um konzentriertes Training zu erlauben, und auch nicht spannend genug, um zum konzentrierten Lesen zu animieren. Um als Spielbuch im Stile der „Choose-Your-Own-Adventure”-Reihe aus den 1970ern zu funktionieren, bietet das Werk zu wenige verschiedene Möglichkeiten. Und schließlich: Wenn man die Geschichte einmal “durchgespielt” hat, kann man das schwer wiederholen. Vorausgesetzt, das Training hatte den gewünschten Effekt, werden die Bosse der ersten Kapitel keine Herausforderung mehr darstellen. Ob sich die ca. 23,00 EUR im Taschenbuch-Format dafür lohnen, ist zu bezweifeln.

„Das ultimative Training für jeden Gamer” ist das Buch also sicherlich nicht. Erst recht nicht für diejenigen, die schon mit anderen Formen des Eigengewichts-Workouts in Berührung gekommen sind und denen Dungeons & Workouts dementsprechend wenig Neues bieten kann. Allerdings mag das schön gestaltete und mit einer gesunden Portion Rollenspielerhumor ausgestattete Werk jugendlichen Couch-Potatoes durchaus als Einstieg in die Welt der Fitness dienen.

Artikelbilder: Meyer & Meyer Verlag
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

3 Kommentare

  1. Hallo,

    obwohl ich in weiten Teilen die Rezi teile, bin ich mit dem Gesamtfazit eher nicht einverstanden – ein halb nach unten gedrehter Daumen? Wirklich?

    In der Rezi wird auf zwei wesentliche Elemente des Buches nicht eingegangen, die meines Erachtens eine Neubewertung erlauben.

    Zunächst wird in der Einleitung des Buches ausführlich beschrieben, wie sich der Buchtitel als wiederspielbar darstellt. Demnach beginnt die Leserschaft auf einer von drei unterschiedlich anspruchsvollen Trainings-Stufen, wodurch sich die Workouts grundlegend ändern – nämlich in der Zahl der Wiederholungen pro Übung (entweder -50% oder +50% oder eben der angegebene Wert im jeweiligen Workout). Es wird erklärt, dass bei erfolgreichem Bestehen des gesamten Abenteuers dann die Geschichte (gemeint: der Trainingsplan) auf der wiederholt werden kann; dabei kann dann eine neue, höhere Trainings-Stufe gewählt werden, wodurch die Anzahl der Workout-Wiederholungen entsprechend erhöht wird. Zusätzlich wird eine Option vorgestellt, durch die diese Herausforderung über die Zeit deutlich über die drei initialen Trainings-Stufen gesteigert werden kann.

    Kurzum: Der Fokus des Buches ist der sich aufbauende Trainingsplan. Die Erfolgsgeschichte, die sich die Leserschaft erspielt, ist die des Trainingsaufbaus und der ständigen Erhöhung der erreichbaren Ziele. Die Trainingserfolge und damit Schlüssel der Gamifizierung sind deshalb auch der persönlich gesetzte Trainingsanspruch und der Trainingserfolg, seine eigenen sich selbst gesteckten Ziele zu erreichen.

    Ein zweites wesentliches Element von Dungeons& Workouts ist, dass sich die Trainings insbesondere bezüglich der Boss-Fights auch im Mehrspielermodus spielend durchführen lassen. Eine solche Gruppenidee ist borderline brilliant, weil durch Teamwork die Herausforderung deutlich erleichtert wird – Dungeons& Workout ist also ein Teamspiel!

    Sicher: Schreibstil, Handlung, „Sidequests“ … Das ist alles mäßig okay und spätestens beim zweiten Durcharbeiten des Buches eher *meh*. Aber darum geht es dem Titel auch nicht – sondern um das Training. Storyelement und Co. dienen allenfalls als Anreiz und Impulsgeber, um überhaupt in ein Training zu gelangen und dieses für sich zu entdecken und zu festigen, aber gewiss nicht als tragendes Element.

    Vor diesem Hintergrund würde ich eher auf einen schräg nach oben gerichteten Daumen gehen, weil es eben mehr als nur ein einmalig durchführbarer Trainingsplan ist.

    In diesem Sinne!
    Nice dice.

    • Hi Gus!
      Schön, dass nach fast fünf Jahren noch jemand diese Rezi liest. Das wärmt das Autorinnenherz.

      Wie ich ja auch schrieb, ist „Dungeons and Workouts“ durchaus ein ordentliches Trainingsbuch … nur, die „Story“ und der Gamificationaspekt, sind eher so mittelmäßig, was dir ja auch aufgefallen ist. Da es sich dabei um das Alleinstellungsmerkmal des Werkes handelt, fiel meine Bewertung so aus, wie sie ausfiel.

      Super allerdings, dass andere durchaus Freude und Nutzen an dem Buch gefunden hast! In diesem Sinne, let’s agree to disagree und viel Freude am weiteren Trainieren!

  2. Hi Luise,

    vielen Dank für die Replik. Das ist sehr aufmerksam.
    To disagree is absolutely fine.

    Teilzeithelden rocken – auch mit Rezis und Artikeln von vor damals. :)

    Cheers!

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