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Was macht einen Helden aus? Sind es die glänzenden Schwerter, finsteren Bösewichte und rettungsbedürftigen Prinzessinnen, die dieses Buch bevölkern? Was ist dann mit den Hasen, Phönixen und Orks, die sich ebenfalls hier tummeln? Dreizehn von Ina Elena Pleines gesammelte Geschichten liefern keine endgültige Antwort – müssen es aber auch nicht.

Was Rezensionen angeht, sind Kurzgeschichtensammlungen eine schwierige Angelegenheit – besonders, wenn sie nicht von einem einzigen Autor stammen und die einzelnen Geschichten qualitativ weit auseinanderliegen. Irgendwie muss ein Gesamtpaket bewertet werden, bei dem Faktoren eine Rolle spielen, über die man als Leser sonst weniger nachdenkt. Wie sind die Geschichten angeordnet? Ergeben sie gemeinsam ein thematisches Gesamtbild, das dennoch genug Abwechslung bietet? All das spielt eine Rolle, wenn man eine Anthologie empfehlen soll. Helden gibt es nur im Märchen beantwortet zumindest die Frage nach dem gemeinsamen Gegenstand der Geschichten bereits im Titel.

Herausgeberin Ina Elena Pleines war über diese Formulierung gestolpert und rief, unterstützt vom Verlag Der Schwarze Ritter, unter diesem Motto einen Kurzgeschichtenwettbewerb ins Leben. Die besten Texte wurden nun gemeinsam veröffentlicht und sollen das Thema Helden und natürlich deren besonderen Bezug zur Fiktion von verschiedenen Seiten beleuchten. Dabei bekommen vor allem Nachwuchsautoren eine Chance zu zeigen, was sie können.

Story

In einem verfluchten Tal tobt eine immerwährende Schlacht. Ein Hase zieht mit seinem Herrn aus, um einen Nekromanten zu besiegen. Ein verzweifelter Vater versucht, mit Hilfe eines Phönixes seinen todkranken Sohn zu heilen. Zwei junge Orks geraten in einen moralischen Konflikt. Über einseitige Szenarien oder wenig abwechslungsreiche Settings kann man sich bei Helden gibt es nur im Märchen wahrlich nicht beschweren. Klarer Höhepunkt der Sammlung ist Christian von Asters Der Niedergang des Ritters Hasso, eine humorvolle Persiflage, die Heldengeschichten und deutsche Fankultur zu gleichen Teilen durch den Kakao zieht. Wenn Ritter Hasso von Grimmbach-Schwarzfurth zu Finkelstein mit dem Sieg über Ritter Schöngroll von Braunplautz zu einer lokalen Berühmtheit und Kultfigur wird, ist beste Unterhaltung garantiert. Die übrigen Geschichten sind deutlich weniger komisch und erfinden weder das Rad noch das Genre neu, bleiben jedoch (fast) immer spannend genug, um das Interesse aufrechtzuerhalten. Natürlich fallen einige besonders ins Auge, die auch keinesfalls unerwähnt bleiben sollen. Jane Steinbrecher hinterlässt mit Die Wachsfrist durch die Kombination von schwierigen Themen und bewusst gewählten Motiven einen bleibenden Eindruck – der vermutlich leserabhängig sowohl positiv als auch negativ ausfallen kann – und erzeugt eine Stimmung, an der so mancher namhafte Dark-Fantasy Autor schon gescheitert ist.

Über die Welt von Jan Seichters Heldenvater würde man gerne mehr erfahren. Tochterfluch von Matthias Ramtke und Der Jäger von Michaela Rothermel seien in dieser Hinsicht ebenfalls genannt. Eine kleine Überraschung stellt Kriegshelden von André Geist dar. Die Geschichte über Orks und Pazifismus nutzt ihre nichtmenschlichen Protagonisten nämlich allen Subgenre-Traditionen zum Trotz nicht, um sie als radikal unmoralische Antihelden abzufeiern, neben denen die ethischen Standards der Menschen lächerlich wirken. Manchmal weiß man gar nicht, wie sehr man eine bestimmte Geschichte wollte, bis man unvermittelt über sie stolpert, und ich persönlich wollte offenbar eine über Orks mit gewissen Grundwerten.

Sind die einzelnen Geschichten in ihrer Handlung auch noch so verschieden, fällt doch auf, dass ihre Herangehensweisen an das Thema des Sammelbandes sich überwiegend sehr ähneln. Die Botschaft lässt sich nämlich meistens damit zusammenfassen, dass Helden nicht immer diejenigen sind, die wie Helden scheinen. Dies ist nun kein besonders neuer Gedanke und auch die alternative Aussage, dass Helden manchmal in ihrem Versuch, Helden zu sein, alles schlimmer machen, hat man eigentlich schon zu oft gehört. Das nimmt den einzelnen Episoden zwar nicht den Unterhaltungswert, aber so differenziert, wie man es sich wünschen würde, ist die Auseinandersetzung letztendlich nicht.

Dennoch kommt beim Lesen kaum Langeweile auf und so hängt die Frage, ob sich dieser Sammelband lohnt, mehr als gewöhnlich von den Erwartungen der Leserschaft ab. Wer sich verkopfte Erzählungen erhofft, die nebenher philosophische Themen verhandeln, wird eher enttäuscht sein. Wer einfach nur Spaß haben will und seine phantastischen Abenteuergeschichten gerne kurz und gut verdaulich kredenzt bekommen möchte, sei es im Urlaub oder in der halben Stunde vor dem Einschlafen, kommt hier durchaus auf seine Kosten. Einziger Wermutstropfen an der Unterhaltungsfront ist, dass bei aller Abwechslung in den vielfältigen Settings eines fehlt.

Etwa nach der Hälfte beginnt man sich nämlich zu fragen: „Wo sind die Heldinnen?“ Das klassische Argument gegen gendergerechte Sprache, dass nämlich eh jeder weiß, dass Frauen bei der maskulinen Form mitgemeint sind, greift im Falle dieses Buches zumindest nicht. Obwohl die Heldenrolle auf diesen Seiten vielfach hinterfragt wird, bleiben Frauen doch überwiegend diejenigen, die gerettet, zu ihrem Schutz begleitet oder gelegentlich auch mal besiegt werden müssen, sind jedoch nie eigentliche Hauptfigur. Diese Beobachtung wirkt sich zwar nicht auf die Bewertung der Anthologie aus, macht jedoch etwas nachdenklich. Eigentlich schreit das beinahe nach einer Fortsetzung des Projekts.

Schreibstil

Naturgemäß variiert auch der Stil von Geschichte zu Geschichte recht stark. Dabei sind alle Erzählungen flüssig und schnell zu lesen, ohne dass man jemals ernsthaft ins Stolpern käme. Die Tendenz geht zu einfacher Sprache, einfachem Stil und auch einfachen Perspektiven mit wenig Interesse an größeren literarischen Experimenten. Immerhin: Lars C. Rothkirch zeichnet im Märchen von Prinzessin Anastasia und Prinz Pius die natürliche Verbindung von Helden und Märchen nach und bedient sich dabei einiger narrativer Raffinessen. Christian von Aster gibt sich dagegen pompös und sprachgewaltig, was natürlich hervorragend zu seinem humoristischen Text passt.

Ansonsten gilt hier, was auch auf der Storyebene bereits zutraf. Kaum Aussetzer, aber eben auch keine ambitionierten Überflieger. Gelegentlich wünschte man sich, das Lektorat hätte etwas strenger eingegriffen, was Grammatik und Syntax angeht, doch dabei handelt es sich um Ausnahmen. Die Reihenfolge der Texte wirkt gut durchdacht und sorgt dafür, dass aufeinander folgende Geschichten sich stets weder zu sehr ähneln, noch einen kompletten Kontrast in Setting und Grundton bilden.

Die Autoren

Unter den AutorInnen befinden sich neben vielen Newcomern auch einige, die bereits länger im Geschäft sind. Vor allem Christian von Aster ist bereits ein alter Hase. Der 1973 geborene Schriftsteller, Regisseur und Drehbuchautor ist vor allem in der Schwarzen Szene ein Begriff. Zu seinen Veröffentlichungen zählen der Roman Der letzte Schattenschnitzer, eine orkische Neuerzählung von Max & Moritz mit dem Titel Horrk & Grablakk und die Kurzgeschichtensammlung Allerfeinste Merkwürdigkeiten. Im Oktober erscheint sein neues Buch Das Koboltikum.

Auch Hagen Tronje Grützmacher ist bereits als Romanautor in Erscheinung getreten. Zuletzt erschien von ihm der gemeinsam mit Jane Steinbrecher – die in Helden gibt es nur im Märchen ebenfalls vertreten ist – verfasste Roman Glutbringer, der in der Welt von Mythodea spielt. Zu den anderen Namen, die in der Anthologie vertreten sind, gehören Ulrik van Doorn, dessen neuer Roman Die Dämonenkrone dieses Jahr erschienen ist, und der Self-publisher Lucian Caligo.

Erscheinungsbild

Das Cover zeigt einen prototypischen Helden: behelmt, bewaffnet und – wenn man den Pfeilen glauben kann, die noch in seinem Schild stecken – kampferprobt. Er blickt auf eine nicht weniger prototypische Burg, deren Silhouette sich dunkel vor dem Vollmond abhebt und um die ein fliegender Drache kreist. Das würde normalerweise wohl etwas klischeehaft anmuten, bringt in diesem Falle jedoch Titel und Thema der Anthologie hervorragend auf den Punkt.

An der Qualität gibt es ebenfalls nichts auszusetzen. Der Druck ist im Verhältnis zu dem ebenfalls etwas größer ausfallenden Format des Hardcovers größer als erwartet, was ein weiteres Mal darauf hinweist, dass es sich hier um ein Buch handelt, dessen leichte Lesbarkeit es auch für Gelegenheitsleser ideal macht. Die Illustrationen von Petra Rudolf und Rudolf Eizenhöfer sind überwiegend eher schlicht, aber doch sehr stimmungsvoll und eine stets willkommene Begleitung der einzelnen Geschichten.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Schwarze Ritter
  • Autoren: Ina Elena Pleines (Hrsg.)
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Sprache: Deutsch
  • Format: gebundene Ausgabe
  • Seitenanzahl: 378
  • ISBN: 978-3-9817-2728-9
  • Preis: 15,90 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Fazit

Die Wertung bei diesem Produkt fällt recht knapp aus. Einerseits ist dies eine sehr liebevoll gestaltete Kurzgeschichtensammlung, die vielen Lesern durchaus Freude bereiten dürfte. Die Texte arbeiten sich mithilfe der unterschiedlichsten Settings und Figuren an der Frage ab, was einen Helden ausmacht, und halten dabei die eine oder andere Überraschung bereit. Andererseits vergisst man ungefähr die Hälfte der Erzählungen schon wenige Tage nachdem man sie gelesen hat. Tiefere Erkenntnisse über das Wesen des Heldentums, die über das hinausgehen, was man nach mehreren Jahrzehnten, in denen die Phantastik von zahllosen Antihelden bevölkert wurde, ohnehin schon kennt, bleiben ebenfalls aus. Dennoch wäre ein Daumen zur Seite hier unangemessen und würde weder jenen Geschichten, die deutlich überdurchschnittlich sind, noch der Mühe und Arbeit gerecht, die man hinter jeder Seite spürt. Auch wäre es schon arg elitär zu verlangen, dass in jedem Werk immer gleich revolutionäre Erzähltechniken und zahlreiche Bedeutungsebenen schlummern. Manchmal ist ein Abenteuer nur ein Abenteuer.

Entsprechend kommt es hier in ungewöhnlich starkem Maße darauf an, was man sucht. Wer auf der Suche nach kurzweiliger Unterhaltung ohne allzu viel Anspruch ist und auch unbekannten deutschen PhantastikautorInnen eine Chance geben möchte, dem kann man Helden gibt es nur im Märchen absolut empfehlen. Das Buch eignet sich besonders als leichte Lektüre für nebenbei, kann aber durchaus auch kreative Impulse geben, werden doch nicht wenige Leser sich fragen, welche Art Geschichte sie selbst wohl gerne beigesteuert hätten. Wer mehr erwartet, könnte hier enttäuscht werden, wird aber dennoch die eine oder andere Erzählung finden, die gefällt. Und wer weiß, vielleicht merkt man sich ja dabei auch den einen oder anderen bisher noch gänzlich unbekannten Namen für die Zukunft. Auch Helden fangen schließlich mal klein an.

Artikelbilder: Schwarze Ritter Verlag
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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