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Einmal durch die zerstörte Landschaft von Defiance wandern und Alienrassen begegnen? Auf dem Archenfall-LARP der Waldritter e.V. vom 14. zum 16. Juli 2017 konnten die Spieler sich solche Wünsche erfüllen. Stephanie hat sich in eine ungewisse Zukunft begeben und spannende Erkenntnisse mitgenommen.

In mehr oder minder aktuelle Serien im Rahmen von LARPs einzutauchen, erfreut sich in jüngster Zeit zunehmender Beliebtheit. Ob Star Trek, Westworld, The Expanse oder Battlestar Galactica: Science-Fiction hat es den Spielern angetan. Mit Archenfall reiht sich nun eine weitere sehr beliebte Sci-Fi-Serie in die Reihe bespielter Settings ein. Verantwortlich zeichneten sich hierfür die Waldritter e.V.. Die Waldritter sind bestens bekannt für außergewöhnliche Settings mit edukativen Ansätzen. Ihre bekannteste Con dürfte das Projekt Exodus gewesen sein. Mit Archenfall verschlägt es die Waldritter also einmal mehr in eine dystopische Zukunft.

Die Welt

Die Welt von Defiance – oder Fool’s End, wie unsere kleine Stadt hieß – ist eine Mischung aus Endzeit, Science-Fiction und Western, dabei aber gar nicht so weit von unserer Zeit entfernt. Wir befinden uns im Jahr 2047, 17 Jahre nach einem Event namens Archenfall, bei dem die Raumschiffe (Archen) der Aliens (Votani) explodiert und teilweise auf die Erde gestürzt sind. Die verbliebenen Archenwracks kreisen als Schrotthaufen um die Erde und stürzen manchmal als sogenannter „razor rain“ in scharfkantigen und tödlichen Stücken herab.

Das Verhältnis zwischen den Votan-Rassen und den Menschen ist angespannt. Die Votani sehen sich größtenteils als den Menschen überlegen, sowohl in ihrer Kultur als auch in der Technologie. Doch da sie selbst jedoch nur Flüchtlinge sind, die auf der Erde nach der Zerstörung ihres eigenen Systems eine neue Heimat gefunden haben, und auch zahlenmäßig weniger als die Menschen sind, ist diese Überlegenheit meistens eher theoretischer Natur. Die Menschen wiederum sind größtenteils nicht gut auf die Aliens zu sprechen, da diese, in der Annahme, die Erde sei unbewohnt, den Planeten als ihre Zuflucht ausgewählt hatten und ihn für ihre eigenen Lebensbedingungen mittels Terraforming abändern wollten. Zudem belastet ein neunjähriger Krieg zwischen der Republik Erde (größtenteils aus Menschen bestehend) und dem Votani-Kollektiv (mehrheitlich Aliens) in der jüngsten Vergangenheit die Beziehung.

Doch in Fool’s End hat man beschlossen, Probleme gemeinsam anzugehen und in friedlicher Zusammenarbeit miteinander zu leben. Votan-Rassen wie Castithaner, Irathier und Indogene arbeiten Hand in Hand mit den Menschen zusammen. Um diese kleine Gemeinschaft zu erhalten, wird Fool’s End mit einem Unsichtbarkeitsschild geschützt, der die genaue Lokalisierung der Stadt sehr schwierig macht. Das Herz von Fool’s End bildet das NeedMore, eine Mischung aus Bar, Saloon, Spielhölle und Bordell. Die Stadt wird von einem gewählten Bürgermeister geführt, der durch den Stadtrat sowie den Sheriff unterstützt wird.

Das Spieldesign

Das Spiel dauerte von Freitag ca. 22:00 Uhr bis Sonntag um 12:30 Uhr und wurde an drei verschiedenen Locations gespielt. Unterbrochen wurde jeweils nur für den Ortswechsel. Um diesen so stimmig wie möglich zu gestalten, wurde das Spiel in vier Szenen oder Sequenzen unterteilt, welche jeweils am Ende durch einen IT-Grund den Locationwechsel bedingten. Die erste Location war ein altes Kaufhaus in Herten, die zweite eine alte Zeche in Recklinghausen und die dritte ein kleines Waldhaus in Castrop-Rauxel. In der vierten Szene ging es zurück zur ersten Location.

Die Charaktere wurden von der Orga geschrieben und den Spielern nach Angabe ihrer Wünsche bei der Anmeldung zugeteilt. Jeder Charakter erhielt als Startbedingung einige Verknüpfungen sowie einen Hintergrund und Ziele.

Gespielt wurde nach dem Prinzip „Play to Lose“ und der Opferregel, wobei als Waffen sowohl ins Setting passende Schaumstoffklingen als auch NERF-Guns verwendet wurden. Das Spiel wurde zudem in drei verschiedene Eskalationsstufen unterteilt: eine grüne, in der noch keine größeren Konflikte an die Oberfläche traten, eine gelbe, bei der massiv verbal gedroht wurde und die Waffen bereits gezückt wurden, und eine rote, wo die Verbannung aus der Gemeinschaft sowie Mord und Totschlag möglich waren. Die Spielsprache war Englisch, sowohl um den internationalen Spielern entgegenzukommen, als auch um der Stimmung des Settings als internationale Community gerecht zu werden.

Die Orga hatte zudem beschlossen, die „Ars Amandi“-Methode zu verwenden, um Intimität im Spiel darstellbar zu machen. Dabei wurde allerdings nicht verboten, reale sexuelle Kontakte untereinander zu pflegen. Dies ist insofern interessant, als dass es sich dadurch nicht direkt um ein Sicherheitskonzept handelte, sondern eher um eine unproblematische Möglichkeit, ein Thema zu bespielen, das in diesem Setting durchaus seinen Platz hatte.

Das Einzige, was mir an Informationen zum Spieldesign etwas gefehlt hatte, war, dass wir nicht mit dem 360°-Spieldesign und auch nicht mittels collective bullshitting spielten, sondern nach der klassischen Art des Fantasy LARP. Für jeden Gegenstand, den wir gefunden haben und jeden Plan, den wir umsetzen wollten, musste man zu einer SL gehen. Dies führte teilweise zu Unsicherheit im Umgang mit Plot und Gegenständen.

Von Menschen und Aliens

Im Spiel waren vier verschiedene Rassen vertreten. Der größte Teil der Charaktere waren Menschen. Bei den Votani gab es Castithaner, Irathier und eine Omec. Durch Kleidung und Schminke, aber auch durch das Gebaren und die im Spiel herausgearbeiteten kulturellen Unterschiede, wurden jene, getreu ihrer Vorlage, zum Leben erweckt. Das Kastensystem der traditionellen Castithaner, die familiären Bande der emotionalen Irathier, die legendäre Gefährlichkeit der Omec und die Diversität von loyaler Gemeinschaft und egoistischer Gewinnsucht der Menschen wurden durch die Anwesenden sehr gut dargestellt.

Mein Charakter war Swog Moruku, eine Castithanerin der Valáne Liro (zweithöchste Kaste der Castithaner). Sie kam nach Fool’s End vordergründig als Händlerin von Luxusgütern, und um Abenteuer zu erleben. Tatsächlich war sie hinter votanischer Archentechnologie her und wurde von ihrer Familie aus Köln nach Fool’s End geschickt, um auf die anwesenden Castithaner ein Auge zu haben. Swog Moruku war zu Beginn offen gegenüber Menschen und verachtete Irathier. Im Laufe des Spiels jedoch begann sie alle votanischen Rassen den Menschen als überlegen anzusehen. Wie extrem die Einstellung von Castithanern bezüglich ihrer eigenen Wertigkeit sein kann, wurde gegen Ende des Spiels ersichtlich. Als klar wurde, dass der Status ihrer Familie bei der Republik Erde keinerlei Bedeutung hatte, griff Swog Moruku den Vertreter der Republik mit einem vergifteten Kugelschreiber an, bevor sie sich mit ihrem Gift selbst umbrachte. Dies unter anderem, weil ihr Ansehen gelitten hatte und ihr der Respekt ihrer Kaste verwehrt wurde. Lieber rühmlich sterben als in Schmach leben.

Währenddessen wurde die Gruppe der Irathier immer kleiner, weil einige von ihnen durch unbedachte Handlungen starben, von ihren eigenen Leuten gerichtet oder aus der Familie ausgestoßen wurden. Dafür begrüßten sie gleich zwei menschliche Frauen in ihren Reihen, die dank gegenseitiger Liebe und Respekt als Teil ihrer Gemeinschaft aufgenommen wurden.

Die Omec wiederum, von der man sich sagte, dass sie Menschen und andere Votani gleichermaßen fräße und dass sie unglaublich gefährlich und clever sei, erfuhr über eine lange Zeit Respekt und Angst gleichermaßen. Das ging solange gut, bis eine große Gruppe von Leuten beschloss, mit Messern und Kugeln auf sie loszugehen und sie zu töten. „Sie oder wir“ war die Devise.

Die Menschen waren in ihrer Diversität von Alienhassern bis zu Ehepartnern von Castithanern und Irathiern vertreten. Während einige Menschen gute Geschäftsbeziehungen oder gar Freundschaften zu den Votani pflegten, wollten andere alles Nichtmenschliche am liebsten von der Erde fegen. Doch die Stärke von Fool’s End bestand darin, gemeinsam zu handeln, über Rassenunterschiede hinwegzusehen und sich trotz kultureller Eigenheiten und Missverständnissen zu helfen. Abgesehen von der Omec vielleicht.

Politik und Intrigen

Natürlich durften auch politische und persönliche Ziele und Intrigen nicht fehlen. Diese wurden bereits bei der Charaktervergabe definiert, entwickelten sich aber mit dem Spielverlauf teilweise in eine unvorhergesehene Richtung. Neue Feindschaften wurden aufgebaut und überraschende Freundschaften geschlossen. Der Scavenger Vinzent „Nobody“ Holzmann wollte Bürgermeister anstelle des Bürgermeisters werden, was er am Ende auch geschafft hat – für ganze 10 Sekunden, bevor die Soldaten der Republik Erde ihn mit Kugeln durchlöchert haben. Die Castithaner wollten entweder den Wert ihrer Kaste bestärken oder sich hocharbeiten (bzw. in eine höhere Kaste einheiraten), während die Irathier die Wege ihres Gottes Irzu verstehen und größtenteils einfach gerne in Ruhe leben wollten.

Wer schlussendlich den Minenbesitzer und Vater von Julia Kirsch umgebracht hat und warum die beliebte Bürgermeisterin Helena Windheuser sterben musste, blieb für die Anwesenden zu erforschen und zu entschlüsseln. Und wer hatte dem Votani-Kollektiv und der Republik Erde den Standort von Fool’s End verraten und den Schild sabotiert? Intrigen wurden gesponnen und Wahrheiten verschleiert. Jeder hatte Dreck am Stecken, und doch musste man gegen einen größeren Feind zusammenhalten. Fool’s End fühlte sich in dieser Hinsicht tatsächlich an wie das Vorbild in der Serie, die Stadt Defiance.

Plot?

Mit all diesen Dynamiken, die sich durch das Setting und die individuelle Ausgestaltung und Zielsetzung ergaben, war die Frage nach Plot eine durchaus berechtigte. Gewisse Storyelemente wie der Tod des Minenbesitzers oder der sabotierte Schutzschildgenerator trugen zu ebenjenen Dynamiken bei und sollten auch die Handlung der Geschichte vorwärtstreiben. Stimmig verpackte SL-Ansagen darüber, dass man besser nicht raus gehe, weil Schrottteile vom Himmel fielen, waren ebenso wichtig für die fortlaufendende Handlung und erklärten zudem, weshalb man sich gerade an diesem oder jenem Ort aufhielt. Der Wechsel von Akt 1 auf Akt 2 war bedingt durch die Flucht von Fool’s End vor dem Angriff des Votani Kollektiv in die Mine. Der Wechsel von Akt 2 auf Akt 3 wurde damit begründet, dass die Mine einzustürzen drohte. Und der Wechsel von Akt 3 auf Akt 4 wurde dadurch eingeleitet, dass die Überlebenden von Fool’s End von den Soldaten der Republik Erde gefangen genommen und auf einem Polizeiposten in Köln verhört wurden. Das Ende des Spieles wurde erreicht, als die Soldaten der Republik Erde eine despotische Herrschaft über Fool’s End ausüben wollten und dies allen Anwesenden dadurch verdeutlichten, dass sie den neu gewählten Bürgermeister vor aller Augen in sein Amt ausriefen und dann erschossen.

Ob man diese Elemente als Plot bezeichnen konnte, oder ob man sie nicht besser als Fixpunkte, als Rahmenhandlung einer Geschichte ansah, die wir gemeinsam selbst geschrieben haben, sei hier dahingestellt. Im Grunde genommen brauchte es auch nicht mehr, und doch hatte die Orga beschlossen, dass sie einen Teil des klassischen Fantasy-Plots hineinbringen wollten. So fanden die Charaktere nach und nach verschiedene Teile einer mysteriösen Steinplatte, die mit dem Auftauchen der Omec zusammenhingen. Ebenso wurde die Kryoschlafkapsel der Omec in der Mine gefunden, was das Auftauchen dieser Spezies erklärte, die lange als ausgestorben galt. Wie immer sprachen solche Elemente die Plotjäger und Rätsellöser unter den Spielern an, und so wurde minutiös nach weiteren Steinplatten gesucht, um das Artefakt zu vervollständigen. Dass jedoch die Platten nicht wirklich in der Umgebung zu finden waren, sondern von der SL jeweils den Spielern gebracht wurden, war ebenso unbefriedigend, wie die Tatsache, dass man die Schrift darauf unmöglich entschlüsseln konnte. Was dieses Artefakt schlussendlich bewirkte, wusste bis zum Ende keiner der anwesenden Charaktere. Da es ohne Wissen der SL und im Beisein von nur sehr wenigen Spielern aktiviert wurde, beeinflusste es schließlich das Spiel an sich in keiner Weise. Die Aussage am Spielende war, dass das Artefakt weitere Omecs auf die Erde rufen würde und sich diese schließlich an den hier Lebenden als Futterquelle gütlich tun würden. Ein Ende, das nun nicht unbedingt schlecht war, aber leider den Plot und die Steintafel ebenso irrelevant für die Geschichte des Spiels machte, wie die Anwesenheit der einen Omec.

Fazit

Als Fan der Serie Defiance war Archenfall definitiv ein tolles Erlebnis. Man hatte das Gefühl, in der Welt von Defiance zu spielen, ohne die Serie lediglich zu reenacten. Viele Eckpunkte der Charaktere und der Stadt Fool’s End waren sehr nahe am Original, doch durch die leichten Abänderungen und die dynamischen Prozesse entwickelte Fool’s End seine eigene Geschichte. Das Aufteilen in vier Akte unterstrich den serienhaften Charakter, und das Spiel an verschiedenen Orten war ein interessantes Konzept. Leider war der Transport jeweils durch die Entfernung der Locations rein OT und riss doch den einen oder anderen Spieler aus dem Spielfluss heraus. Während sich alle Anwesenden Mühe mit Gewandung und Schminkaufwand gaben und so auch das Flair der Serie einfangen konnten, waren die verwendeten Props bis auf die Omec-Steintafel leider nichts Besonderes. Die Steintafel war dafür wirklich sehr toll gemacht, allerdings wie bereits beschrieben das am wenigsten relevante Prop für die Geschichte an sich. Der Szenenwechsel wurde immer nachvollziehbar eingeleitet und die wenigen anwesenden NSCs waren durchgehend eine Bereicherung für das Spiel. Einzig die sehr knappe Vorbereitungszeit für Beziehungen zwischen den Charakteren und die etwas salopp gehaltenen Workshops inklusive fehlender Kommunikation zur Spielweise hätten noch etwas Verbesserung vertragen können. Insgesamt war es ein interessantes und intensives Spiel, wenn auch für mich leider zu wenig packend, als dass ich mich vollständig der Immersion hingeben konnte. Spaß hatte ich allemal, und sich mal auf eine ganz andere Art mit der Flüchtlingskrise zu beschäftigen, gibt einen interessanten Blick auf die heutige Welt.

Artikelbild: ©Waldritter e.V./Leuengold Photographie

Über die Autorin

StefanieHabichtStephanie Habicht ist Anfang 30 und liebt Rollenspiele auf allen Plattformen. Seit 2002 spielt sie Rollenspiele in Onlineforen und auf Neverwinter Nights-Welten am Computer.  2008 kam sie zum LARP, was mittlerweile ihr größtes Hobby ist. Nach und nach begann sie sich auch in der internationalen LARP-Szene zu bewegen und sich in LARP-Theorie zu vertiefen. Wenn sie mal nicht gerade in fantastischen Welten unterwegs ist, arbeitet sie an der Universität Zürich als Programmiererin.

 

 

 

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