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Die Fesseln, so heißt ein umkämpfter Archipel der Pathfinder-Welt Golarion, der Heimat und Jagdgrund wilder Piratenbanden ist. Hier treibt der Orkankönig sein Unwesen, denn wo sich Schifffahrtsrouten kreuzen, wartet reiche Beute. Und hier beginnen die Abenteuer einer Gruppe verschleppter Helden, die auf ihrem gekaperten Schiff auf eine neue Zukunft hoffen.

Was tun, wenn die Spielrunde einmal keine Zeit hat oder sich niemand findet, der an diesem Abend die Rolle des Spielleiters übernehmen möchte? Dann könnte der Spieler zum Pathfinder Abenteuerkartenspiel – Unter Piraten greifen, denn die für ein Kartenspiel sehr voluminöse Grundbox verspricht spannende Abenteuer für einen bis vier Spieler. Das klingt verlockend, und die üblicherweise sehr hochwertig gestalteten Illustrationen von Pathfinder machen schon beim Betrachten der Box gespannt auf mehr. Mit gehissten Segeln und Spannung im Herzen geht es also ins Abenteuer.

Spielablauf

Zunächst gilt es, einen Charakter auszusuchen und sich ein Deck zusammenzustellen. Pathfinder-Kenner sind mit den spielbaren Figuren bereits bestens vertraut. Alahazra, die Mystikerin, Jirelle, die Degenheldin, Lem, der Barde, Lirianne, die Schützin, Merisiel, die Schurkin, Seltyiel, der Kampfmagier, und Valeros, der Kämpfer, bilden den Grundstock, das im Spiel enthaltene Erweiterungsset bietet einen Alchemisten, eine Hexe, eine Druidin und einen orkischen Kampfpriester. Jeder Charakter darf eine bestimmte Anzahl unterschiedlicher Karten besitzen. Wer nicht viel Erfahrung oder Zeit hat, kann auch auf die vorgeschlagenen Decks zu jedem Charakter zurückgreifen. Diese vorsortierten Decks sind recht gut ausbalanciert und eignen sich durchaus bereits für ein flüssiges Spiel.

Im nächsten Schritt geht es darum, zu entscheiden, was überhaupt gespielt werden soll. Wird es ein einzelnes Szenario, ein Abenteuer, also eine Abfolge von Szenarien, oder eine „Abenteuerpfad“ genannte Kampagne, die aus mehreren Abenteuern besteht. Hier deutet sich bereits die Verwirklichung der bösen Vorahnung an, die einen schon bei der Lektüre der Anleitung beschlichen hat: Sehr abwechslungsreich ist das nicht. Der Spieler kann in drei Varianten auswählen, wie lange er das Gleiche erleben möchte. In jedem Szenario geht es nämlich darum, Orte zu erkunden, die dort vorhandenen Schätze zu plündern und Monster zu besiegen und sich schließlich dem Erzschurken oder Bösewicht im Kampf zu stellen.

So ist denn auch der Spielzug aufgebaut. Zunächst deckt der Spieler, der an der Reihe ist, eine Segenskarte auf. Diese erschafft bestimmte Bedingungen, die während des Zuges gelten. Ist das Segensdeck aufgebraucht, ist das Szenario verloren, daher muss streng darauf geachtet werden, dass das Deck auch wirklich jedes Mal bedient wird. Im Anschluss lässt sich eine Karte an einen anderen Charakter weitergeben, der Charakter kann sich an einen Ort begeben und diesen erkunden. Da die Spieler ja gemeinsam eine Piratencrew bilden, steht auch ein Schiff zur Verfügung, sodass andere Charaktere gemeinsam mit dem Charakter reisen können (aber nicht müssen), der gerade am Zug ist. Beim Erkunden spielt er konsequent die Karten herunter, die an einem Ort gemäß Szenario abgelegt wurden. Hier können Schätze angehäuft oder Begegnungen gespielt werden. In der Regel wird also gekämpft und geplündert, was das Zeug hält. Ist ein Ort abgearbeitet, kann er geschlossen werden. An manchen Orten verstecken sich die Schergen des Bösewichts oder gar der Bösewicht selbst.

Die typische Kartenaufstellung
Die typische Kartenaufstellung

Schergen, Monster und Hindernisse haben jeweils Schwierigkeitsgrade, die es zu überwürfeln gilt. Dabei helfen Modifikationen, die durch Ausrüstung, Zauber oder Segen gewährt werden. Da es sich um ein kooperatives Spiel handelt, dürfen andere Charaktere den jeweils am Zug befindlichen Charakter mit ihren Mitteln unterstützen.

Beispielkarte und Erklärung
Beispielkarte und Erklärung

Beim Würfeln kommen vom 4-seitigen Würfel (W4) bis zum zwölfseitigen Würfel (W12) alle klassischen Rollenspiel-Würfel zum Einsatz. Die Würfelmechaniken sind dem Rollenspiel nicht unähnlich, jedoch recht geschickt auf das Wesentliche und auf schnelle Spielbarkeit reduziert. Das bietet einen Wiedererkennungswert für Pathfinder-Fans und dürfte zu den Highlights des Spiels gehören.

Das Spielkonzept ist solide, aber sehr eintönig. Gerade beim Spielen einzelner Szenarien fehlt es dem Spiel an Reiz, denn zu schnell tritt Ermüdung ein. Das wirklich Interessante findet zwischen den Spielen statt, wenn auf einem Abenteuerpfad die Charaktere weiterentwickelt, die Decks aufgestockt und die Belohnungen sinnvoll verteilt werden können. Hier kommt dann wirklich ein wenig Freude auf, denn hier kann strategisch überlegt und individuell entwickelt werden. Doch dann folgen natürlich die nächsten Abenteuer und auch die schönsten neuen Karten werden dann irgendwann doch wieder sehr alltäglich. Eine echte Alternative zu einem Rollenspielabenteuer ist dieses Kartenspiel daher leider nicht. 

Ausstattung

Pathfinder Abenteuerkartenspiel – Unter Piraten kommt in einer sehr voluminösen Pappschachtel, die stabil gepresst und optisch sehr hübsch gestaltet ist. Das Titelbild erweckt tatsächlich ein Flair aus Fantasy und Mantel-und-Degen. Im Inneren befinden sich massenhaft Karten, die sich sehr schön in die Plastikfächer in der Box sortieren lassen. Alle notwendigen Würfel (W4 – W12) sind in sehr einfacher, rot-weißer Ausführung beigelegt. Positiv fällt sofort auf, dass bereits zwei Erweiterungssets in der Grundbox enthalten sind. Das eine Set enthält die Kampagne Meuterei auf der Wermuth, das andere ist ein Charakter-Erweiterungsdeck, wie oben bereits erwähnt.

Die Spielanleitung erschlägt erst einmal durch 30 Seiten Umfang. Dies liegt aber daran, dass das Spiel hier sehr kleinschrittig, detailliert und verständlich erklärt wird. Die Karten selbst sind von angenehmer Festigkeit und die Illustrationen sind solide. Es handelt sich nicht um optische Glanzstücke, sondern um funktionale und auf das Wesentliche bezogene Illustrationen, die dem Spielverlauf zwar dienlich, der Atmosphäre aber nicht sehr zuträglich sind. Leider ist diese Funktionalität auch im Layout der Karten erkennbar. Es wird auf jeden unnötigen Schnörkel verzichtet, und es ist auch kein Fluff-Text vorhanden. Das ist ein Albtraum für alle, die auf einen atmosphärischen Abend gehofft hatten. Die fulminante Optik des Covers weicht buchhalterischen Nutzenserwägungen. Schade, denn hier hätte man punkten und einen Teil der Eintönigkeit des Spieles wettmachen können.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Ulisses Spiele
  • Autor(en): Mike Selinker
  • Erscheinungsjahr: 2015
  • Sprache: Deutsch/Englisch
  • Format: Kartenspiel
  • ISBN/EAN: 4260091156239
  • Preis: 44,95 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Fazit

Das Pathfinder Abenteuerkartenspiel – Unter Piraten lockt als schnelle und spielleiterlose Alternative zu einem Rollenspielabend. Die ansprechende Optik der Box und das clevere System, mit dem die Karten im Inneren der Box sortiert werden können, fallen sehr positiv auf. Die Spielanleitung hingegen ist etwas umständlich, dafür aber umfassend und umfangreich geschrieben. Das Problem des Spiels zeigt sich beim Spielen recht schnell. Der Spielspaß entsteht eigentlich nicht durch das Erleben der Szenarien, sondern durch das Ansammeln von Beute und das strategische Aufwerten der Charakterdecks. Looten und Leveln, also Plündern und Charakteroptimierung, sind hier der Kern des Systems.

Pathfinder wird oft vorgeworfen, Spieler anzuziehen, die in der Maximierung ihres Charakters den eigentlichen Sinn sehen und für die Spielatmosphäre eher unwichtig ist. Dieses Kartenspiel schürt diesen Eindruck. Nicht einmal die Karten schaffen Atmosphäre, denn es wurde auf jeden Fluff und jeden unnötigen Schnörkel verzichtet. Zudem ermüdet das repetitive Prinzip sehr schnell und verliert seinen Reiz.

Artikelbilder: Ulisses Spiele
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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