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War früher alles besser? Es steht außer Frage, dass LARP im Mainstream angekommen ist. Mit dem Wandel der Zielgruppe haben sich auch die Inhalte verändert. Die Anforderungen der Spieler an die Con-Orgas steigen. Mit steigender Qualität steigen die Preise. Doch es gibt auch Gegenströmungen. Henning wagt sich an eine Bestandsaufnahme.

Wenn man Fantasy-LARP der ersten Stunden mit dem von heute vergleicht, so ist das Hobby fast nicht wiederzuerkennen. Einmal ins Rampenlicht gerückt, erfuhr Fantasy-LARP eine starke Professionalisierung, deren Auswirkungen das Hobby heutzutage gleichzeitig voranbringen und hemmen, je nachdem, aus welchem Blickwinkel man es betrachtet.

Am Anfang war das Wort

So sahen Orks auch mal aus – Sasha Mauel

Als „Rollenspiel“ wurden damals, in grauen Vorzeiten, zunächst Pen&Paper-Spiele und später bestenfalls noch ihre Computerumsetzungen bekannt. Rollenspiel war eine Beschäftigung von Nerds für Nerds, was vor allem daran lag, dass leseaffine Personenkreise zuerst mit dem Spiel in Kontakt kamen.

Doch selbst „normale“ Rollenspieler schauten anfangs skeptisch auf die Leute, die altehrwürdige Conventions mit Mini-LARPs im Kostüm unsicher machten und angeblich mit ihren Kostümen auch im Wald herumliefen. Das Konzept, dass Rollenspiel über das Wort am Tisch hinausgehen könnte, überstieg für viele das Vorstellungsvermögen.

Die Vampire-Live-Spieler, die sich in ihren Anzügen und Abendkleidern sammelten, um dann in Grüppchen zu diskutieren, wurden meist nur seltsam beäugt. Die Fantasy-LARPer jedoch, die in martialischen Kostümen den Innenhof für ein Tages-Larpi unsicher machten, indem sie sich in gar nicht fantasy-typischer Umgebung Duelle mit Gummischwertern lieferten, waren selbst unter hartgesottenen Con-Gängern anfangs noch Sonderlinge.

Beschäftigte man sich jedoch näher mit dem Konzept „LARP“, wurde schnell klar, dass die Larpis auf Pen&Paper-Conventions nicht das Maß der Dinge waren. Die LARP-Gemeinde hatte eigene Treffpunkte in Form von Gewandungsabenden in ausgesuchten Kneipen, und eigene Conventions, die das ganze Wochenende dauerten und in deutlich passenderem Ambiente stattfanden.

Improvisierte Kostüme

Ritter in aus Karton gebastelter Rüstung ;LeoCon 5 bei Schwäbisch Hall, August 1996- tikon.ch

Die Kostüme waren anfangs meist einfach gehalten, da den meisten Spielern schlichtweg die Bezugsquellen für bessere Ausrüstung fehlten. Das World Wide Web war noch nicht erfunden, und Läden, in denen man Ausrüstung finden konnte, entwickelten sich schnell zum Geheimtipp.

LARP lebte noch mehr von der Darstellung, denn von der Ausrüstung. Ein von Oma gestrickter grober Wollpulli, der mit Silberspray angesprüht wurde, wurde zum Kettenhemd erklärt. Einfache LARP-Waffen wurden aus Bambus-Stangen, Heizungsrohr-Isolierung und Gaffer Tape hergestellt. Und manchmal wurden sie mit dem Rest vom Silberspray angesprüht.

Oft gesehene Bekleidung waren Schottenröcke und Lederhosen, da man beides auf Umwegen noch in Läden finden konnte. Gerade die Schnürlederhosen waren ideale LARP-Hosen, da sie schmutzunempfindlich waren und eine reale Panzerung gegen Schläge mit den Bambus-Heizungsrohr-Waffen darstellten. Die Oberbekleidung war ein schwierigeres Thema: Hier fanden sich mit etwas Glück passende Stücke in Second-Hand-Läden oder Dachböden. In seltenen Fällen kannte man jemanden, der passende Stücke nähen konnte. Mit einem selbstgenähten Hemd konnte man sicher sein, dass der eigene Charakter aus der Menge herausstach.

Anleihen aus dem Mittelalter

Omas guter Pelzmantel – Linda Skora

Die ebenfalls langsam in Aufschwung kommende Mittelalter-Szene ermöglichte es gut betuchten Spielern, Kleidung, Schmuck oder sogar Rüstungsteile aus Metall zu erwerben. Der wichtigste Einfluss der Mittelalter-Szene war jedoch die Verbreitung handwerklicher Fertigkeiten. Mit der Zeit wurde bekannt, wie man einfache oder sogar aufwendige Kleidung selbst näht, und dass es keine Schande ist, sich auch als „harter Kerl“ mit solchem „Mädelskram“ zu beschäftigen. Selbstgenähte Gewandungen kamen mehr und mehr in Mode.

Bauanleitungen für Kettenhemden, wahlweise aus Draht oder aus gekauften Metallringen, sorgten bei vielen Krieger-Spielern gleich auch noch für die passende Arm-Muskulatur. Ein selbst-“gewebtes“ Kettenhemd, mit Stolz getragen, übertraf das selbstgenähte Hemd als Hingucker auf Cons.

Mit etwas Glück war auf einem der wenigen Mittelaltermärkte, den man besuchte, auch einer der (anfangs hauptsächlich tschechischen) Schmiede, bei dem man Helme oder gar Plattenteile für den Schaukampf kaufen konnte. Diese Rüstungsteile waren teuer, allerdings auch stabil und kampftauglich, und damit auch bestens geeignet für LARP-Spieler, die über das nötige Kleingeld verfügten.

Abenteuerurlaub

Die ersten LARP-Conventions hatten ebenfalls eher improvisierten Charakter. Man traf sich wahlweise auf Geländen, die sowieso einem Mitspieler gehörten, oder aber in Gegenden weit ab von der Zivilisation. Wenige Orgas machten sich daran, Campingplatzbetreibern zu erklären, was genau man auf ihrem Gelände vorhatte. Die Erklärung, es handele sich um eine Jugendfreizeit, war mit Abstand die einfachste.

Es war damals für viele Jugendliche noch üblich, in Vereinen und Organisationen wie beispielsweise den Pfadfindern Mitglied zu sein, und über diese auch bei längeren Ferienfreizeiten mitzufahren. Diese Kontakte waren anfangs nützlich, um sich für die Conventions die benötigten Zelte und gegebenenfalls auch anderes Lagermaterial zu leihen.

Eine LARP-Convention fühlte sich also primär wie eine Pfadfinderfreizeit in Gewandung an, die mit etwas mehr Geschichte und Action angereichert war. „Großstadtkinder“ waren gelegentlich überfordert mit dem Fehlen von Strom und fließendem Wasser. Man könnte sagen: Die Naturverbundenheit war generell höher.

Rollenspiel wird gesellschaftsfähig

Schwarz kann man immer tragen – Christoph Carmanns

Im Laufe der Zeit hat sich einiges geändert. Durch intensives Marketing der großen Verlage, zum nicht unerheblichen Teil durch die Storyteller-Spiele von White Wolf, sowie durch die immer größer und zahlreicher werdenden Spielertreffen an Wochenenden, gelang den Pen&Paper-Spielen letztendlich der Durchbruch zu anerkannten Gesellschaftsspielen.

Trotz einschlägiger Foto-Love-Stories in beliebten Jugendzeitschriften oder reißerischer Artikel in Deutschlands meistverkaufter Tageszeitung glaubte fast niemand mehr, dass es bei Rollenspielen im Allgemeinen oder bei LARP im Speziellen um sektenähnliche Gemeinschaften, schwarzmagische Rituale oder Teufelsanbetung ging – in den 80ern waren diese Meinungen durchaus anzutreffen.

Vereine für Rollenspieler wurden gegründet, Magazine rund um die Szene erschienen. Durch die Verbreitung von Home-Computern sprossen selbstgedruckte Fanzines von Spielern für Spieler wie Pilze aus dem Boden. Einige Comic-Shops nahmen Rollenspiel-Artikel in ihre Sortimente auf. In größeren Städten wurden Geschäfte für Rollenspielartikel eröffnet, in denen neben Büchern und Würfeln auch spezialisiertere Produkte, wie Zinnfiguren oder Geländekarten, angeboten wurden.

Die zunehmende Spielerschaft bescherte ihrerseits auch dem Liverollenspiel größeres Interesse, sodass auch hier die Anzahl der Conventions zunahm. Gedruckte und allgemein akzeptierte Regelwerke vereinfachten die Teilnahme an unterschiedlichen Veranstaltungen. Erste Orgas schlossen sich zusammen, um ihren LARP-Kampagnen einen gemeinsamen Hintergrund zu geben, sodass ein Erscheinen von Charakteren auf unterschiedlichen Veranstaltungen logischer wurde. Dies ermöglichte außerdem Intime-Ereignisse, deren Tragweite über die 30-40 Spieler, die sie erlebt haben, hinausgingen. Gerade das Vampire Live lebte in seiner Blütezeit von Politik und Intrigen über Domänengrenzen hinweg.

Der Sprung in den Mainstream

Die Erfindung des World Wide Web und die Umstellung von Mailbox-Brettern, IRC, Newsgroups und Mailinglisten auf Online-Foren und Chatrooms erleichterten den Austausch zwischen Spielern und Interessenten. Der vereinfachte Zugang zu Informationen half dabei, mehr Neuspieler für das Hobby zu begeistern.

Einfache Orga-Webseiten ersetzten die von Hand weitergegebenen Flyer. Die deutschlandweite Vernetzung der LARP-Szene wurde bestärkt, und mit dem legendären LARP-Kalender gab es erste zentrale Anlaufstellen. Projekte wie das LARP-Wiki erleichtern noch heute den Einstieg.

Gewandungen von damals werden heute belächelt

Tierwesen Ende der 90er – Björn Oakman

Mittlerweile ist LARP im Mainstream angekommen. Die Spieler stammen aus allen Bevölkerungsgruppen, und es gibt kein Wochenende, an dem nicht mindestens eine LARP-Veranstaltung in der Nähe stattfindet.

Erste Online-Händler und frühe Auktionsplattformen boten Zugriff auf Ausrüstung, die man in lokalen Geschäften vergeblich gesucht hat. Bastelanleitungen, auch aus der Mittelalter-Szene, verbreiteten sich schneller als früher.

Wo eine derart große interessierte Käuferschaft existiert, lassen spezialisierte Händler nicht lange auf sich warten. Heutzutage sind Kleidungsstücke oder Ausrüstungsteile, die man früher lange und meist vergeblich suchte, nur noch einen Mausklick entfernt. Durch Massenproduktion werden einfache Ausrüstungsteile bis hin zu einfachen Rüstungen erschwinglich für jeden. Für gehobenere Ansprüche gibt es wieder spezialisierte Lederhandwerker, Rüstungsschmiede und Gewandschneider. Um das ehemalige Nerd-Hobby ist eine Industrie entstanden.

Heute baut man Kettenhemden nicht mehr selbst, sondern bestellt diese fix und fertig online. Die neuen Kettenhemden sind aus rostfreien und laserverschweißten Ringen, wodurch sie wesentlich weniger Aufwand für Pflege und Reparatur nach sich ziehen. (Kettenhemden werden unter anderem von Metzgern als Arbeitsschutz genutzt, deshalb wurden diese Eigenschaften und auch die industriellen Herstellungsmethoden schon vor dem Aufschwung der Liverollenspiele weiterentwickelt.) Der silbern angesprühte Pulli von Oma hat endgültig ausgedient.

Lederhosen dagegen haben sich im Repertoire der Gewandungen gehalten, wenn auch nicht unumstritten. Motorradleder und Glattleder zählt inzwischen als schlechter Stil, Wildlederhosen sind jedoch bei vielen Spielern immer noch beliebt.

Nichtsdestotrotz ist eine der Standard-Kombinationen der damaligen Zeit, nämlich die Lederhose und das Gothic-Piratenhemd aus dem Second-Hand-Laden, heute verpönt.

Neue Regulierungen

Fabian von Wyvern mit seinem ersten Charakter (rechts) – Fabian Schlump

Mit der Ankunft im Mainstream kamen auch neue und alte Regeln, an die man sich halten musste. Während es bei einem LARP mit Freunden und Bekannten weitgehend egal war, welche gesetzlichen Regulierungen einzuhalten waren, sind heutige Veranstaltungen offen für die Anmeldung beliebiger Personen. Durch die breitere Öffentlichkeit wird auch mehr Aufmerksamkeit auf die Einhaltung aller notwendigen Gesetze gelegt.

Zuallererst gibt es Sicherheitsauflagen für Veranstaltungen, die beachtet werden müssen. Mit zunehmender Veranstaltungsgröße werden diese schärfer, aber auch für kleine Veranstaltungen gibt es schon Auflagen. So müssen beispielsweise Rettungswege gewährleistet sein. Wasser muss als Trinkwasser freigegeben oder als „Kein Trinkwasser“ gekennzeichnet sein.

Was auch gerne übersehen wird, sind baurechtliche Regelungen. Zelte ab einer bestimmten Grundfläche („Superjurten“ beispielsweise) oder Bauten ab einer bestimmten Höhe brauchen eine Abnahme. Bühnenelemente brauchen ab einer bestimmten Höhe ein Geländer, und so weiter.

Tavernen auf Cons sind immer noch eine rechtliche Grauzone. Kleine Veranstalter können sich noch auf geschlossene Gesellschaften und kostendeckende Teilnehmerbeiträge berufen. Sobald die Veranstaltungen jedoch von Firmen, beziehungsweise mit einem kommerziellen Hintergrund, durchgeführt werden, müssen Themen wie Schanklizenzen und Gesundheitszeugnisse beachtet werden.

Kaum eine Orga kann sich heute noch erlauben, eine Veranstaltung ohne Veranstalterhaftpflicht durchzuführen. Diese nicht ganz günstigen Versicherungen machen bei kleinen Veranstaltungen einen guten Teil der Teilnehmerpreise aus.

Einige Regulierungen sind unabhängig von Veranstaltungsgröße und Erwartungen verändert worden. So ist es heutzutage beispielsweise verboten, Donnerbalken zu bauen, es muss also zwingend auf stationäre oder mobile sanitäre Einrichtungen zurückgegriffen werden. Ein anderes Beispiel sind Reiserücktrittsversicherungen, die alle Reiseveranstalter ihren Kunden anbieten müssen. Als Reiseveranstalter zählt dabei schon, wer die Anreise zur Veranstaltung mitorganisiert, wie viele Jugendgruppen bei Inkrafttreten der Regelung erfahren haben.

Dazu kommen weitere sicherheitsrelevante Einschränkungen, wie beispielsweise Verordnungen zum Unterhalten von Feuern, ausreichende Beleuchtung von Kämpfen etc.

All dies macht die Arbeit der Orgas nicht zwingend einfacher und sorgt in einigen Fällen auch für steigende Veranstaltungskosten, etwa für gemietetes Material oder Versicherungen.

Der Hardcore-Faktor sinkt, der Luxus-Faktor steigt

Wenn Elfen helfen – Rieke Lampart

Mit dem steigenden Sicherheitsbewusstsein steigt auch der Komfort auf Veranstaltungen. Selbst auf abwegigsten Geländen müssen heute mobile Toiletten zur Verfügung stehen. Da dies ein nicht unerheblicher Kostenfaktor ist, weichen viele Veranstaltungen lieber auf Campingplätze aus, die von vornherein über sanitäre Anlagen verfügen. Der gestiegene Bekanntheitsgrad von LARPs vereinfacht die Anmietung, da nicht jedes Mal aufwendig erklärt werden muss, was man auf dem Gelände des Campingplatzes vorhat.

Viele Veranstaltungen nutzen dies, um noch einen Schritt weiter zu gehen und direkt feste Gruppenhäuser zu mieten. Diese passen mehr oder weniger gut ins Ambiente der Veranstaltung und machen diese gleichzeitig halbwegs unabhängig von der Witterung.

Andere Elemente, wie nächtliche Überfälle, möglicherweise unsichere Kämpfe im Lager zwischen den Zelten oder eine Bedrohung der Spieler zu jeder Tages- und Nachtzeit, fallen weitestgehend weg. Während viele Spieler darüber nicht traurig sind, vermissen andere den Nervenkitzel, sich auf die Wachen verlassen zu müssen, weil es keine Gewissheit gibt, des Nachts nicht angegriffen zu werden.

Privatsphäre vor Anspielbarkeit

Heute ist es Standard, dass die Zelte oder Zimmer der Spieler OT-Zonen sind, die im Spiel nicht einfach so betreten werden dürfen. Das Gleiche gilt heute für die Sanitärbereiche. Viele Spieler sehen auch den Weg dorthin und zurück als Outtime an. Privatsphäre wird deutlich größer geschrieben als früher, auch wenn durch die fehlende Anspielbarkeit Spieltiefe verloren gehen kann.

Des Weiteren sind LARPer keine eingeschworene Gemeinschaft mehr, und langsam nehmen auf Liverollenspiel-Veranstaltungen, genau wie auf Pen&Paper-Cons, Diebstähle und andere Eigentumsdelikte zu. Allein deshalb wünschen sich die Spieler einen geschützten Bereich, in dem sie ihre Habseligkeiten lagern können.

„Wenn das so weitergeht, erwarten die Leute 2020 ein Spa.“

Monster anno dazumal – Karl-Heinz Zapf

Mit dem Komfort sind auch die Ansprüche der Spieler gestiegen. Was damals Luxus war, wird heutzutage von den Spielern als Selbstverständlichkeit eingefordert. Viele Spieler gehen nicht mehr auf Veranstaltungen, die keine Sanitäranlagen bieten. Andere suchen sich Veranstaltungen nach der Möglichkeit aus, in einem festen Bett zu schlafen. Die Vielfalt der heutigen Veranstaltungen macht dies möglich.

Mit Aufkommen der sozialen Medien ist auch der Druck auf die Veranstalter gestiegen. Feedback zu Veranstaltungen ist heute schneller und vor allem öffentlicher verfügbar. Eine vernichtende Kritik der Unterbringung oder der Sanitäranlagen kann eine Veranstaltung wahlweise den günstigen Austragungsort oder viele Spieler kosten. Veranstalter, die keine Stammspielerschaft (mehr) haben und mit ihren Cons keinen Verlust riskieren können, passen sich daher folgerichtig den Forderungen an.

Von Mittelaltermärkten bekannte Luxus-Einrichtungen, wie Badezuber oder Händler, sind von Großcons nicht mehr wegzudenken und erhalten langsam aber stetig auch Einzug auf mittelgroßen bis kleinen Veranstaltungen. In den Tavernen angebotene Vollverpflegung, ursprünglich entstanden durch das Spiel auf Jugendherbergen, ist ebenfalls im steten Aufschwung und wird heute auch bei vielen Zelt-Cons angeboten.

Ein Mitglied einer bekannten deutschen LARP-Orga formulierte es, nur halb im Scherz, so: „Wenn das so weitergeht, erwarten die Leute 2020 ein Spa.“ Ganz falsch ist die Aussage nicht: Wenn auf ein Wochenende mehrere interessante Cons fallen, entscheiden sich viele Spieler, die nicht über die Zugehörigkeit zu einem Hintergrund oder eine Con-Reihe an eine Veranstaltung gebunden sind, für die Veranstaltung mit dem besseren Komfort-Angebot.

Ambientecampen nimmt zu

LARP kann heute sogar so komfortabel sein, dass es von einigen als Urlaub angesehen wird. Ambiente- oder Feier-Conventions ohne großen Plot sind inzwischen gang und gäbe. Je größer eine Veranstaltung wird, desto höher wird der Anteil an Spielern, die einfach nur ihren Ambiente-Charakter spielen möchten, ohne in vorderster Front am Plot beteiligt zu sein.

Der Extremfall dieser Spieler sind die „Ambiente-Camper“, manchmal auch „Ambiente-Griller“ genannt, die auf Großcons fahren, um Freunde zu treffen, ihre Gewandung oder Ausrüstung zu präsentieren, die Atmosphäre zu genießen und Urlaub zu machen. Manche Spieler sind auch auf einer Großveranstaltung aktiv und nutzen eine der anderen Großveranstaltungen als Erholung vor oder nach „ihrer“ Con. Wieder andere fahren in Gruppen auf Großcons wie Heerlager auf Mittelaltermärkte: Man ist schon irgendwie aktiv dabei, stellt auch ein paar Kämpfer für die Haupt-Events, aber im Grunde beschränkt sich das Spiel bei einigen auf gruppeninternes Lagerleben im passenden Umfeld.

Den meisten Veranstaltern tun diese Spieler nicht weh: Sie bezahlen ihren Con-Beitrag und fallen in der Regel nicht störend auf. Lediglich, wenn eine Gruppe tatsächlich nur unter sich spielt und von außen nicht anspielbar ist, lässt sie andere Spieler mitunter frustriert zurück. Solange dies aber nicht überhandnimmt, können alle damit halbwegs leben.

Die Extrem-Kategorie hier sind die Festival-LARPer, die zu Großcons fahren, um zu feiern, zu trinken, den Markt mitzunehmen und manchmal auch den anwesenden Musikern zu lauschen. Hier wird eine Grenze überschritten und anderen das Spiel zerstört.

Konsumenten und Partizipienten: „Wir haben bezahlt, wir wollen auch bespaßt werden!“

Minotauraus in der Arena – Christine Frisch

Der Luxus-Gedanke von LARP als All-inclusive-Urlaub schließt leider bei nicht wenigen Spielern auch die Erwartung von Animation ein. Diese Spieler bringen sich nicht ins Spiel ein, sondern erwarten, dass ihnen Spiel geboten wird. Der Plot muss sie abholen, und wenn es etwas komplizierter wird, finden sie ihn nicht.

Gerade Großcons haben unter dieser Spielergruppe zu leiden, denn obwohl man eigentlich keine 100 Meter mit offenen Ohren gehen kann, ohne über den Plot zu stolpern, schreiben diese Spieler im Nachhinein, sie hätten keinen Zugang zum Plot gefunden und wären von der Veranstaltung enttäuscht. Einige Großcons haben inszenierte Eröffnungs-Shows, die den Plot-Einstieg vereinfachen, aber dennoch kann niemand den Spielern die Plot-Suche abnehmen.

Doch wie sollen die Orgas auf diese Spieler reagieren? Sollen sie ihre Plots so stark vereinfachen, dass sie jedem ins Gesicht springen? Und was halten die tatsächlichen Plotspieler davon, die tiefer in die Materie eindringen möchten und von zu flachen Plots nur enttäuscht wären?

Die Lösung ist leider denkbar einfach: Plot für die Plotspieler, und „Der Feind greift an! Kämpft!“ für den Rest – in der Hoffnung, dass die meisten Urlaubs-LARPer Kämpfercharaktere spielen.

Kundenbindung durch Kampagnen

Klassiche Heldengruppe – Sarah Au

Es hat sich noch etwas verändert: Die Vielzahl von LARP-Angeboten sättigt den Markt. An jedem möglichen Termin finden dutzende Cons statt, und damit die eigene Veranstaltung kein finanzieller Verlust wird, müssen die Orgas möglichst vielen Spielern ein attraktives Angebot machen.

Früher haben sich die LARP-Orgas gemeinsamen Hintergrundwelten angeschlossen. Dadurch gaben sie ihren Charakteren die Möglichkeit, auch auf anderen Veranstaltungen zu spielen. Derzeit findet ein umgekehrter Prozess statt: Einzelne Orgas schließen sich zu Kampagnen zusammen und bespielen einen gemeinsamen Hintergrund, der sich möglichst von anderen Kampagnen abschottet. Damit bleiben die Charaktere in dem Hintergrund verhaftet, und wenn die Entscheidung für ein Treffen ansteht, geben die Spieler hoffentlich der eigenen Con-Reihe den Vorzug.

Viele dieser Kampagnen schotten sich ab und lassen keine fremden Charaktere zu, sodass die Spieler mehr als einen Charakter erschaffen und ausrüsten müssen, wenn sie mehr als einen Hintergrund bespielen möchten. Es sei denn, sie ignorieren den Hintergrund einfach, um das Ambiente der Veranstaltung zu genießen, und genau hier kann die Strategie ins Gegenteil umschlagen.

Die Gegenbewegung

Dark Lady – Linda Skora

Ähnlich wie bei den Computerspielen hat auch beim Liverollenspiel inzwischen ein Retro-Trend eingesetzt. Es werden bewusst wieder Veranstaltungen organisiert, die nicht dem Luxusideal genügen wollen, sondern an das „unverfälschte“ LARP aus der Vergangenheit anknüpfen. Hier sind zwei Hauptströmungen zu beobachten.

Viele Spieler und Orgas zieht es zurück zu den kleinen, bezahlbaren Treffen. Das Angebot umfasst Tavernenabende, Tages-Larpis und schlicht gehaltene Wochenend-Conventions. Durch die moderaten Preise sind diese Veranstaltungen auch für Neuspieler interessant, die erst einmal in das Hobby hineinschnuppern möchten. Da diese Spieler direkt mit der „Retro-Atmosphäre“ in Kontakt geraten, hat diese Gruppe auch einen kleinen, aber steten Zufluss von Neuspielern.

Die andere Gruppe sind die „Hardcore-Spieler“. Diese sehnen sich zurück in die Zeiten von 24-Stunden-Intime, Überfällen zu jeder Tages- und Nachtzeit, nächtlichen Kämpfen, jederzeit bespielbaren Spielerunterkünften (egal, ob Jugendherberge oder Zelt), einfach gehaltenen Zeltlagern und dem Nervenkitzel, auch auf dem Weg zum Klo nicht automatisch sicher zu sein.

Interessanterweise kommen gerade große Orgas diesen Spielern mehr und mehr entgegen. Auch, wenn aus Gründen der Sicherheit oder der Rechtslage nicht all diese Wünsche erfüllt werden können, nehmen einige Punkte, wie beispielsweise das 24-Stunden-Intime oder die bespielbaren Unterkünfte, langsam wieder an Bedeutung zu.

Alles auf Anfang?

Ich möchte mit diesem Artikel keine Wertung vornehmen, sondern lediglich Trends in der Entwicklung von LARP-Veranstaltungen aufzeigen. Jeder dieser Trends hat sowohl Licht- als auch Schattenseiten. Es gibt kein Gut oder Schlecht, weder für heutige Veranstaltungen, noch für frühere. Genau, wie sich heute viele Spieler die Veranstaltungen früherer Formate zurückwünschen, gab es früher sicher auch Spieler, die sich die Formate heutiger LARPs gewünscht haben.

Immer mehr LARP-Veranstalter gehen Mittelwege, wägen beide Seiten gut ab und übernehmen die Anteile in ihre Cons, die ihnen am geeignetsten erscheinen. Die dadurch entstehende Diversität der Angebote wiederum kommt allen Spielern entgegen, egal, welche Trends sie bevorzugen – und das ist gut so.

Und so möchte ich schließen mit den Worten meines Musiker-Kollegen Minas Avari: „Früher, da war gar nichts besser, es ist nur verdammt lang her.“

Artikelbild: ©Twilight-Team/Moritz Jendral, sonst wie ausgewiesen. Wir bedanken uns ganz herzlich für die nostalgischen Bilder. Diese sind alle zwischen 1990 und Anfang der 2000er entstanden.

33 Kommentare

  1. Schöner Artikel! :-D Drückt mein empfinden der Entwicklung vom Larp auch aus… Was ich ausserdem bemerkt habe ist, dass das Larp inzwischen ziemlich weit auffächert. Es gibt für fast jeden Geschmack das passende Con und für jeden die passende Nische. Es ist nicht mehr nur ein Hobby für alle wo jeder auf jedem Con sein Spiel finden kann sondern irgendwie eher unterschiedliche Con-Angebote für unterschiedlichen Spielergeschmack. Find ich gut, das :-)
    (so als selbst bekennender Retro-Larper :-p )

  2. Mmmmmh…jain. Allerdings muss ich dann schon sagen, dass ausgerechnet ein Bild von NSC-Orks vs EpicEmpires OrkHeerLager-Spielerork das Thema ziemlich schlecht trifft…hier ist die Entwicklung ein wenig anders…wenn auch sicher nicht insgesamt aus dem angesprochenen Kontext zu lösen. Dennoch: Anders.Sehr.

  3. Interessanter Artikel! Ich hätte noch interessant gefunden, wann gewisse Genres aufkamen. Vampire und Fantasy wird ja erwähnt, aber wenn es um den 24/7 Actionfaktor geht denke ich an Zombie-/Endzeitlarps, die sich das ja oft eben auch auf die Fahne schreiben. Seit wann es das überhaupt gibt weiß ich aber gar nicht – natürlich ist das wieder ein anderes Thema, aber das wäre mal spannend zu erfahren. Vor Allem weil – zumindest meinem Eindruck nach – an verschiedene Genres verschiedene Ansprüche gestellt werden und verschiedene Spieler-Grundhaltungen existieren. :)

  4. Ich sehe nicht, was gegen eine aufwändige Gewandung / Masken etc. spricht. Alles was der Immersion zuträglich ist, ist mir recht. Unfreiwillig komisch möchte ich möglichst selten erleben, bei mir wie bei anderen. Und man muss für sowas nicht viel ausgeben, entweder man macht viel selbst oder man stellt eben was dar, was nicht so aufwändig zu kostümieren ist. Und was die Unterkünfte angeht, das hat auch was mit älter werden zu tun.

  5. Ich selbst habe in den 90ern begonnen mit Fantasy-Larp und bin vor 3 Jahren erneut eingestiegen. Was mir aufgefallen ist im vergleich war das die Regeln zwar überholt wurden, aber immer noch die selben sind – es gibt etabliierte Regeln die nicht ersetzt wurden. Weiterhin muss ich aber auch sagen das grade wir Spieler der 90er mit Pause in der Neuzeit von den „Jüngeren“ belächelt werden da wir noch andere Ansichten mitbringen und es auch anders kannten. Großcons waren damals 100 Leute nicht nicht über 1000. Auch ist mir aufgefallen das mittlerweile alles perfekt sein muss bei einem großteil der aktuellen Spieler, ist es das nicht oder sieht billig aus wird man nichit angespielt oder nicht für voll genommen. Zum Glück habe ich eine gute Orga gefunden wo ich mein erholsames Wochenende 1x im Jahr vergessen kann und die alten Ansichten teilt: alles kann, nichts muss und jeder Spieler kann sein Spiel machen und sich entwickeln. Danke Nebellande.

  6. Ein spannender Blick auf die Geschichte des LARP in Deutschland, auch für Außenstehende! Interessant zu sehen, wie sich eine Szene entwickelt, differenziert und kommerzialisiert hat. Fantasievolles Spiel braucht IMO nicht immer eine perfekte Gewandung (der Aspekt steht im Artikel ja sehr im Fokus), aber es ist schön zu sehen, dass sich auch Nischen für jeden Anspruch herausbilden.

  7. Interessant zu lesen. Die Beschreibung scheint mir zu einem großen Teil aus Orga-Sicht (als „Dienstleister“) gegenüber den SC (als „Kunden“) zu sein. Wie sieht diese Aufstellung der LARP-Entwicklung wohl aus NSC-Sicht aus?
    Denn die passionierten, regelmäßigen NSC Darsteller scheint es wohl (zum Glück!) auch zu geben, sonst wäre der ganze Klamauk nicht möglich, schon garnicht über Jahrzehnte.

  8. Ein gelungener Artikel und gut lesbar.
    Zwei subjektive Wahrnehmungen würde ich ergänzen: Durch die Pop-Kultur ist Larp gesellschaftsfähiger und beliebter geworden, hier sind vor allem die Harry-Potter-Bücher und noch viel wichtiger die HdR – Filme zu nennen. Ich habe zwar erst 2005 angefangen, aber als P&P-Umsteiger war ich damals eher die Ausnahme. Die meisten Neuen kamen irgendwie über Tolkien zum Larp.

    Zum Luxus würde ich ergänzen, dass die Larper aus den 90ern älter geworden und meistens mehr Geld zu Verfügung haben. Wie im Alltag steigen auch im Larp die Ansprüche.
    Auch das ist über die letzten 10 Jahre schon sehr spürbar. Damals war ich mit Anfang 20 klar in der Hauptaltersgruppe der Studenten und Auszubildende. Heute auf einem Großcon gibt es die immer noch, aber sie Stellen nicht mehr die Mehrheit. Neben ihnen stellen heute Lehrer, Beamte, Selbstständige usw. eine genauso große Gruppe. Und mit Mitte 30/ Anfang 40 ist es halt nicht mehr so cool im Sahara 400 mit 8 Personen zu übernachten und sich 5 Tage von Dosen Ravioli zu ernähren (egal ob auf dem Rock am Ring oder auf dem Conquest).

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