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Ein Artikel von Frauke Bitomsky und Cindy Mikosch.

LARP ist nicht nur eine Chance, in fremde Welten einzutauchen. Hier können wir auch Grenzen austesten. Das geht aber nur, wenn LARP ein sicheres Umfeld ist, in dem man seinen MitspielerInnen vertrauen kann. Ein Code of Conduct, ein Verhaltenskodex, regelt genau dieses Element des Spiels.

In solch einem Verhaltenskodex wird definiert, auf welche Weise die TeilnehmerInnen miteinander umgehen, welche Dinge nicht angespielt werden sollen und was zu tun ist, wenn doch eine Grenze überschritten wird. Auch Codewörter, die angeben, ob eine Szene zu heftig ist oder nicht, werden hier aufgeführt.

Es gibt dabei nicht „den“ Code of Conduct, der allgemeingültig für sämtliche LARP-Gruppen ist. Viel eher werden diese Kodizes individuell von Gruppen oder für bestimmte Veranstaltungen verfasst.

In der Vampire-Live-Katharsis-Chronik wird derzeit ein Code of Conduct erarbeitet. Erfahrungen der Spielleitung aus dem Entstehungsprozess sind in die Folgenden Erläuterungen mit eingegangen.

Braucht man einen Code of Conduct?

Diese Frage stellen sich wahrscheinlich einige, die das erste Mal mit solch einem Verhaltenscodex konfrontiert werden. Denn früher hat LARP doch auch funktioniert, ohne dass man einen Verhaltenskodex lesen und akzeptieren musste. Haben seitdem alle ihren Anstand verloren, oder sind wir vollkommen verweichlicht?

Keins von beidem. Ich habe weder den Eindruck, dass sich die LARP-Gemeinschaft hin zu kaltherzigen und grausamen Ekeln entwickelt hat, noch dass wir plötzlich nichts mehr aushalten. Schwarze Schafe gab es immer und wird es immer geben. Nur hört man in Zeiten der Vernetzung durch soziale Medien natürlich wesentlich häufiger von ihnen als noch Mitte der 90er Jahre.

Aber LARP ist kein kleines Hobby mehr, sondern längst ein Phänomen geworden, das zehntausende verschiedenster Menschen begeistert. Beim LARP hat jedeR TeilnehmerIn einen individuellen Erfahrungsschatz, ganz persönliche Grenzen und eigene Wünsche, was sie oder er erleben möchte. So wie ein Regelwerk eine gemeinsame Spielgrundlage schafft, schafft auch ein Code of Conduct eine gemeinsame Spielbasis.

Früher ging es doch auch ohne

Wie schon aufgeführt, gab es lange Zeit keine Codes of Conduct im LARP. Trotzdem fanden Cons statt, und das Hobby wuchs.

Früher war aber nicht unbedingt alles besser. Seit den Anfängen hat sich LARP in quasi allen Bereichen weiterentwickelt: Der Gewandungsstandard ist gestiegen, die Waffen sehen um Welten besser aus, es sind neue Genres dazugekommen, der Einsatz von Technik bietet nicht nur Spielleitungen vollkommen neue Möglichkeiten und vieles mehr. Es ist naheliegend, dass auch das menschliche Miteinander Teil dieser Entwicklung ist und behandelt wird.

Alle profitieren davon

Nun werden die Allermeisten sagen können, dass in einem Code of Conduct nichts steht, was sie nicht eh schon von sich aus tun. Respekt für MitspielerInnen und das Achten auf ihr Offplay-Wohlbefinden ist ihnen bereits sehr wichtig, dafür brauchen sie kein Regelwerk.

Das macht einen Code of Conduct allerdings nicht unnötig. Denn ein ausformulierter Verhaltenskodex bewirkt weitaus mehr, als zu definieren was erlaubt ist und was nicht: Er erschafft ein gemeinsames Bewusstsein für die Art und Weise, auf die wir miteinander umgehen wollen.

Ein Code of Conduct hilft nicht nur denen, die das Opfer einer Situation geworden sind, die eine persönliche Grenze überschreitet. Er gibt auch denen, die nicht betroffen sind, eine Orientierung und ermutigt sie, sich aktiv für Opfer aus dem Ruder gelaufener Szenen einzusetzen. Man muss keine Angst mehr haben, ausgelacht zu werden, wenn man einen grob beleidigenden Spruch anprangert, wenn der Code of Conduct einem Recht gibt. Zusätzlich ermutigt solch ein Kodex auch, sich mit seinen eigenen Grenzen auseinanderzusetzen und sie ernst zu nehmen.

Vorsicht ist besser als Nachsicht

Natürlich ist es am besten, wenn sich kritische Situationen von vornherein vermeiden ließen. Dafür ist eine Sensibilisierung aller DarstellerInnen nötig. Denn auch, ohne etwas böse zu meinen, schleichen sich schnell einmal Verhaltensweisen ein, die andere verletzen. Sich dies immer wieder bewusst zu machen, ist deshalb entscheidend.

Feedback

Feedback, egal ob positiv oder negativ, ist wichtig für das Spiel und sollte stets auf eine konstruktive Art und Weise kommuniziert werden. Gerade bei intensiveren Szenen sollte jedeR DarstellerIn sicher gehen, keine Grenze zu überschreiten, und gleichzeitig das Bewusstsein dafür besitzen, dass dies dennoch versehentlich geschehen kann. Deshalb ist eine wichtige Regel: Wenn eine Szene unangenehm war und dies über den persönlichen Horror hinausgeht, der z.B. im Vampire Live das Ziel ist, sollte man sofort oder nach ein paar Tagen das Gespräch mit den betroffenen DarstellerInnnen oder mit der Spielleitung suchen.

Dieses Feedback dient auch dazu, dass die Person, die eine Grenze überschritten hat, die Möglichkeit erhält, ihr Verhalten zu reflektieren. Nur wenn man sich bewusst ist, dass man zu weit gegangen ist, kann man das eigene Verhalten zukünftig ändern. Außerdem hilft Feedback, um Missverständnisse zu entschärfen oder ganz zu vermeiden.

Empathie

Empathie bedeutet nicht, dass man immer genau wissen muss, wie sich das Gegenüber gerade fühlt. Doch es ist wichtig, aufeinander zu achten. Genauso wie man ein Auge darauf hat, dass die Umgebung des Spiels sicher und ungefährlich ist, und GegnerInnen, die gleich bekämpft werden sollen, nicht direkt neben einer potenziellen Verletzungsquelle stehen, muss man auch darauf achten, dass der intensive, persönliche Umgang miteinander ungefährlich ist.

Wichtig ist das Bewusstsein, dass nicht jede Handlung in Ordnung ist, nur weil das Gegenüber noch nicht Stopp gerufen hat. Leider geschieht es oft, dass DarstellerInnen in für sie sehr unangenehmen und stressigen Situationen regelrecht erstarren und es nicht schaffen, deutlich mitzuteilen, dass es ihnen zu weit geht. Hier sind bei allen DarstellerInnen Einfühlungsvermögen und Verständnis gefragt: Versucht, solche Situationen im Spiel zu erkennen und zu vermeiden. Du sollst eine intensive Szene natürlich nicht alle drei Minuten mit der Frage unterbrechen, ob alles in Ordnung ist. Aber wenn das Opfer den Eindruck macht, nur noch mitgeschleift zu werden, solltest Du vorsichtig werden. Und reagiert nicht genervt, wenn andere SpielerInnen erst eine Weile nach dem Spiel erzählen, dass es ihnen zu viel war.

Als Faustregel gilt hier: Nicht nein heißt nein, sondern nur ja heißt ja.

Die Crux mit der Subjek­tivität

Unsere große Herausforderung ist, dass wir äußerst subjektive Wesen sind. Wir sind zwar in der Lage, uns mehr oder weniger eindeutig zu verständigen, allerdings bleibt jedem ein individuelles, großes Spektrum möglicher Interpretationen.

Ein Beispiel: Ich kaufe mir ein schönes Haus.

An sich eine klare Botschaft, die jedeR sofort versteht. Was genau allerdings ein schönes Haus ist, wird hier nicht klar. JedeR EmpfängerIn dieser Nachricht wird sich etwas anderes darunter vorstellen. Das gleiche Problem besteht, wenn in Con-Beschreibungen das Setting erklärt wird:

„Vampire Live ist ein Spiel um den persönlichen Horror“, ist eine sehr vage Beschreibung. Wer sie liest, kann nicht eindeutig daraus schließen, ob das Genre für sie oder ihn geeignet ist oder nicht. Dazu kommt noch, dass auch Spielleitungen subjektiv formulieren, und z.B. ein sehr hartes Setting möglicherweise weniger krass dargestellt wird. Nicht zuletzt ist nicht jeder Mensch gut darin, sich verständlich auszudrücken.

Deshalb ist es gerade für die erfahrenen DarstellerInnen wichtig, Neulingen eine angemessene Portion Geduld und Verständnis entgegen zu bringen. Erklärungen können jemanden vielleicht auf ein Spiel vorbereiten, aber ob es ihr oder ihm liegt oder doch zu hart ist, kann er oder sie erst hinterher sicher sagen.

Was gehört in einen Code of Conduct?

Diese Punkte sollen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, sondern nur einige wichtige Aspekte auflisten. Wer einen ausgearbeiteten Code of Conduct sehen möchte, wird z.B. im Consent and Community Safety Manifest von nordiclarp.org fündig.

Die Person ist wichtiger als das Spiel

Egal, wie ärgerlich es auch ist, wenn jemand eine intensive Szene abbricht: Das Offplay-Wohlbefinden der DarstellerInnen ist immer und zu jedem Zeitpunkt wichtiger als das Spiel. Es darf niemand dafür angegriffen werden, dass er oder sie eine Szene gestoppt hat. Nur, wenn dieses Bewusstsein vorhanden ist, können die TeilnehmerInnen sich fallen lassen und frei in das Spiel eintauchen.

Nur du definierst deine Grenzen

Nur weil ein hartes Setting bespielt wird, muss nicht jedeR DarstellerIn zu allem bereit sein. Der Hintergrund einer postapokalyptischen Welt mit mangelnden Ressourcen heißt z.B. nicht, dass jedeR DarstellerIn willens sein muss, wirklich alles für die nächste Essensration zu tun. Wenn jemand keine körperliche Nähe will oder Panik bekommt, wenn sie oder er gefesselt wird, muss das respektiert werden.

Dies muss jedoch den MitspielerInnen bekannt sein und von den Betroffenen mitgeteilt werden. Diese Kommunikation sollte im Vorfeld mit der Spielleitung erfolgen, damit diese im Ernstfall Bescheid weiß und reagieren kann. Zusätzlich sollte die Möglichkeit genutzt werden, persönliche Ängste auch im Charakter anzulegen, damit dieser sich ebenfalls aus unangenehmen Situationen schnell befreien kann.

Vertrauensperson

Je größer die Gruppe oder Veranstaltung, desto wichtiger ist es, dass allen klar ist, wo Probleme gemeldet werden können. Aber auch in kleinen Gruppen ist eine solche Person wichtig. Sie ist eine vertrauenswürdige und verschwiegene Ansprechperson, die sicherstellt, dass Probleme und ProblemspielerInnen angegangen werden. Solche Vertrauenspersonen können natürlich befreundete SpielerInnen sein, diese Funktion sollte aber auch von der Spielleitung eingerichtet werden, an die man sich im Ernstfall wenden kann.

Codewörter

„Stopp“ ist ein allgemeingültiger Warnruf in allen LARPs, der die gesamte Szene sofort stoppt. Hat sich jemand verletzt, läuft Gefahr sich gleich zu verletzen oder liegt ein anderer Grund vor, weshalb das Spiel sofort angehalten werden muss, wird laut Stopp gerufen.

So wichtig und sinnvoll dieses Codewort ist, so eingeschränkt ist es auch. Denn es deckt nicht den Graubereich ab, bevor eine Szene zu intensiv wird. Zumal einige Orgas des Stopp-Befehl ausdrücklich nur Spielleitern erlauben. Auch die von einigen Orgas vertretene „Oh-Mutter“-Regel scheint unzureichend, da hier ebenfalls der Graubereich nur schlecht erfasst wird.

Die Ampel-Codewörter grün, gelb und rot sind eine Möglichkeit, eine genauere Kommunikation zu ermöglichen. Grundlegend können hier alle möglichen Begriffe gewählt werden. Wichtig ist, dass sie eindeutig als Codewörter erkannt werden sowie einprägsam und nicht zu kompliziert sind.

Mit diesen abgestuften Codewörtern können DarstellerInnen eines Opfers innerhalb einer Szene mitteilen, ob sie

  • weiterspielen und noch mehr Druck erhalten möchten.
  • weiterspielen wollen, die Szene aber nicht intensiver werden soll.
  • zwar weiterspielen wollen, aber die Szene entschärft und Druck herausgenommen werden soll.

 

Spannend lösen das auch Orgas, die in der Mediterranean-LARP-Szene unterwegs sind. Hier wird eine Farbe im Vorfeld definiert. Im IT-Gespräch kann man dieser Farbe, negative, neutrale oder positive Attribute zuweisen um, ohne den Spielfluss zu unterbrechen, seinem Gegenüber Grenzen oder Wünsche zu signalisieren.

Alle unterstützen die Regeln

Wenn ein Code of Conduct aufgestellt, aber nicht umgesetzt wird, ist er nutzlos. Deshalb ist es wichtig, dass er nicht nur gelesen und akzeptiert, sondern auch aktiv unterstützt wird. Die Vertrauensperson muss vertrauliche Informationen wirklich für sich behalten, und wer ein kritisches Verhalten meldet, darf dafür nicht angeprangert werden.

Dies erfordert im Zweifelsfall, dass man den Mut hat, der oder die erste zu sein, der eine unbequeme Wahrheit ausspricht, und ein paar Leute genervt reagieren. Damit ein Code of Conduct allerdings Erfolg haben kann, ist dies entscheidend.

Fazit

Ein Code of Conduct, ein Verhaltenskodex für das Miteinander in einer LARP-Gruppe oder auf einem Con, ist alles andere als überflüssig. Viel eher schafft er eine gemeinsame Spielbasis, auf der sich alle TeilnehmerInnen sicher fühlen können, dass ihre persönlichen Grenzen bewahrt bleiben.

So ein Kodex beschreibt aber nicht nur Regeln des Miteinanders, sondern bringt auch die DarstellerInnen dazu, sich intensiv mit ihren eigenen Grenzen auseinanderzusetzen. Auch die Wirkung, welche die eigenen Handlungen auf andere haben, werden eher hinterfragt. In allen Fällen wichtig sind Kommunikation, Verständnis und Geduld. Denn damit lassen sich dann auch schwierige Situationen klären.

Artikelbild: ©Live Adventure Event GmbH/Sarah Liebigt

1 Kommentar

  1. Schön, dass Du wieder ein von mir vorgeschlagenes Thema aufgreifst. :)
    Wie werden denn Probleme mit den Problem-SpielleitERinnen angegangen?
    Kommt da ggf. auch noch etwas zu dem Thema sexuelle Belästigung und #metoo? Gerade im Vampire Live (und LARP) ist das ja ein nicht unwichtiges Thema.

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