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Freunde des Cosplays hatten auf der Buchmesse dreifachen Grund zur Freude: Ein goldener Herbst mit sommerlichen Temperaturen lockte Cosplayer, es gab deutlich mehr Platz für die Cosplay Corner, und die Deutsche Cosplaymeisterschaft (DCM) feierte ihr zehnjähriges Bestehen. Wir waren vor Ort und haben Machern und Teilnehmern über die Schulter geschaut.

Die Buchmessen in Leipzig und Frankfurt am Main sind seit den frühen 2000er Jahren feste Treffpunkte der Manga- und Cosplayszene. Für viele Fans markieren sie Anfang und Ende der Con-Saison. Die große Präsenz der Cosplayer nicht nur im Comiczentrum machte die Frankfurter Buchmesse vor zehn Jahren zum idealen Ort für das Finale der Deutschen Cosplaymeisterschaft. Hier werden die Highlights der Kostümkunst vor Publikum präsentiert.

Ist das Kunst? Cosplay und Messebesucher

Waren Cosplayer vor Jahren noch etwas Besonderes, haben sich im Jahr 2017 fast alle an den Anblick der allgegenwärtigen Kostüme gewöhnt. Die Messe richtete sich mit Requisitenlager und Waffencheck (der allerdings, entgegen der Ankündigung, erstaunlich lasch ausfiel) routiniert auf diese Besuchergruppe ein.

In Frankfurt führen Cosplayer und Zivilgewandete eine friedliche Koexistenz. Die Begegnung mit den anderen Messebesuchern bietet Cosplayern eine Chance, ihr Hobby zu präsentieren und auf neugierige Nachfragen zu antworten. „Auf der Buchmesse treffen Öffentlichkeit und Cosplay aktiv aufeinander“, sagt Yasmin Hofmann-Estevez. Pressesprecherin der DCM. „Es wird dort sehr viel bewundert und gefragt, oh, haben Sie das selbstgemacht, das ist ja toll…“. Durch diese Begegnungen gelinge es, das investierte Know-how und die kreativen Aspekte hervorzuheben: „Es ist zwar noch viel Aufklärung zu leisten“, findet Yasmin, aber wenn man es mit früher vergleiche, „gilt Cosplay inzwischen schon mehr als Kunst“.

Dank des goldenen Herbstwetters tummelten sich auf der Agora, dem freien Platz zwischen den Messehallen, noch mehr Cosplayer als sonst. Besonders die Fassade der Festhalle ist eine beliebte Foto-Location, hier waren zivile Messebesucher eindeutig in der Unterzahl.

Die neue Cosplay Corner

In ihrem eigenen Bereich, der Cosplay Corner,  ist die kreative Horde schon seit 2009 unter sich. Mit Info- und Verkaufsständen von Vereinen, Verlagen, Herstellern und Händlern aus dem Cosplay-, Handarbeits- und Manga/Comic-Bereich tragen die überwiegend sehr jungen Besucher zum Umsatz auf der Messe bei. Nachdem das Congress Centrum (CFM) schon seit Jahren aus den Nähten platzte, entschied sich die Buchmesse, die Cosplay Corner in Halle 1.1 zu verlegen, direkt am Haupteingang der Messe. Immer noch abseits der großen Besucherströme, aber mit viel mehr Platz für die Aussteller.

Nachdem es Samstagmittag noch so aussah, als ob nur wenige Besucher den Weg in die neue Cosplay Corner fänden, füllte sich die Halle und ließ Con-Feeling aufkommen. Wolle Strzyz, Co-Organisator der Cosplay Corner, zieht ein erstes Fazit: „Wir wollten es bewusst nicht zu groß aufziehen und haben vor allem auf die Aussteller gesetzt, die schon lange dabei sind. Die Besucher haben die neue Location gut angenommen. Auch die Geschäftsleitung der Buchmesse war schwer angetan!“

Das Experiment Cosplay Corner kann als gelungen betrachtet werden, die neue Halle hat aber noch Potenzial. Fürs nächste Jahr wünschen wir uns mehr Abwechslung in Form von Workshops oder einem durchgehenden Bühnenprogramm, wie es das früher im Comiczentrum und in der alten Cosplay Corner schon manches Mal gab. Neben Einzelaktionen an den Ständen wie Verlosungen und Signierstunden brachte nur der Harajuku Megastore (ein Gemeinschaftsprojekt von myCostumes, Yakitori und Mangaküche.de) etwas Stimmung in den Messealltag.

Angesichts der jüngsten Flut kommerzialisierter Comic-Cons und Klagen der Händler über sinkende Umsätze auf Conventions, ist die Entscheidung der Buchmesse allerdings zu begrüßen, die Cosplay Corner überschaubar zu halten und bei den Ausstellern auf Klasse statt Masse zu setzen.

Das Finale der Deutschen Cosplaymeisterschaft

Unser Highlight am Sonntag war wie immer das Finale der DCM. Der Kostümwettbewerb ist ein echter Publikumsmagnet und Garant für Qualität: Die besten Cosplayer, die sich in sechs regionalen Vorentscheiden durchgesetzt haben, präsentieren ihr Können auf der beeindruckend großen Bühne im Saal Harmonie (im CFM). Seit 2007 ist die DCM hier Stammgast.

Die 2000 Plätze füllten sich diesmal nicht ganz so schnell wie sonst. Das mag dem Umzug der Cosplay Corner geschuldet sein, trotzdem bleibt die DCM einer der bestbesuchten Cosplay-Wettbewerbe in Deutschland. Erstmals war das Finale auch außerhalb der Messe im Livestream zu sehen, dank Picarto TV.

Der Wettbewerb

Da Cosplay auch ein Teamsport ist, findet die DCM abwechselnd als Einzel- und Paarmeisterschaft statt. In diesem Jahr traten 18 Zweier-Teams zum Finale an. Hauptpreis war, wie in jedem Jahr, eine Reise nach Japan für die Meister. Auf den Plätzen winkten hochwertige Sachpreise wie Nähmaschinen und Bastelpakete mit thermoplastischen Werkstoffen (Worbla), von den zahlreichen Sponsoren zur Verfügung gestellt.

Als nettes Gimmick stand der Wettbewerb diesmal unter dem Motto #PokéDCM: Alle Orgas trugen Kostüme von Pokémon-Trainern oder anderen Charakteren aus dem Franchise. Zur Eröffnung führten sie sogar eine humoristische Szene / Sketch auf. Hier zeigte sich einmal mehr die Leidenschaft, mit der das DCM-Team – alles selbst aktive oder ehemalige Cosplayer – am Thema dran ist.

Nach dem erfrischend kurzen Auftakt ging es auch schon los: Den Wettbewerb eröffnete ein Team aus Hannover mit einem echten Klassiker, als Heidi und Fräulein Rottenmeier aus dem Anime Heidi. Die deutsch-japanische Koproduktion lief 1977 zum ersten Mal im ZDF und war damit ein echter Pionier der interkulturellen Verständigung an den Fernsehgeräten. Auf Nostalgie-Anime folgte Musical (Wicked), Videospiel (NieR: Automata) und wieder ein Anime (Black Butler).

Wenn Gamer tindern, oder: Cosplay verbindet!

Die DCM spiegelt die ganze Vielfalt des Cosplays wider: Im Wettbewerb ist alles erlaubt, was kein Eigencharakter ist und auf einer kommerziell veröffentlichten Vorlage basiert, gleich ob japanisch oder westlich, ob gezeichnet, gerendert oder Realfilm. Die Teilnehmer müssen lediglich ein Vorlagenbild einreichen, nach dem die Jury die Ähnlichkeit des Kostüms zum Original bewerten kann.

Das geschah bereits am Vortag bei der Kostümbewertung im benachbarten Bad Homburg, wo die fünfköpfige Jury jedes einzelne Cosplay genau unter die Lupe nahm. Der Bewertungstag ist auch die Gelegenheit für die Finalisten, sich besser kennenzulernen und die DCM als ein gemeinsames Event zu erleben, bei dem jeder dem anderen hilft und Mut zuspricht. „Unser Ziel ist es, den Teilnehmern eine schöne Zeit zu geben“, erklärt DCM-Orga Björn Sandner. „Sie verbringen schließlich ein ganzes Wochenende miteinander, das verbindet! Wir haben sogar beste Freunde, die sich über die DCM kennengelernt haben.“

Die Cosplayszene ist international vernetzt, und so verwundert es nicht, dass bei der deutschen Meisterschaft auch Englisch gesprochen wird: Cosplayer aus Ungarn, Holland oder China traten schon im Finale an, entweder weil sie in Deutschland leben oder regelmäßig zu Conventions anreisen. Die DCM ist offen für alle, die sich für Cosplay begeistern und von der großen Finalbühne träumen. Und diese Bühne wussten alle Teilnehmer meisterhaft zu füllen!

Besonders gut gefiel uns wieder einmal die furiose Mischung aus Drama- und Comedy-Auftritten. Jedes Team hat drei Minuten Zeit, um Jury und Publikum mit seiner Darstellung der Charaktere zu überzeugen. Puppenspieler und Puppe, Mörderin und Detektiv (beide: Black Butler) oder Licht und Schatten (Hyrule Warriors) lieferten sich ergreifende Gefechte in Wort und Spiel. Einige Teilnehmer punkteten sogar mit Gesang (Elisabeth – Das Musical).

Aber auch die weniger ernsten Auftritte zündeten: Inspiriert vom Action-RPG Dragon Age 2 schickte ein Team den Prinzen Sebastian Vael per Tinder-App auf Brautschau („Meine Hobbies sind Bogenschießen, Beten und Gut Aussehen“), wo er in der rülpsenden Krawallbraut Marian Hawke unerwartet seine Traumfrau fand. Überhaupt griffen viele Teilnehmer auf Meta-Gags zurück, die sie dank der großen Video-Leinwand geschickt in den Auftritt einbauten: Die Gamerin, die sich einloggt und im nächsten Moment in Kriegerrüstung auf der Bühne erscheint (League of Legends); oder das romantische Nerdgirl, das dank Dating-Simulation erotische Abenteuer im historischen Japan erlebt (absoluter Publikumsliebling und verdienter 5. Platz: Hakuouki).

Für drei Minuten gaben die Cosplayer alles und das war ihrem frischen Spiel anzusehen. Wir waren jedenfalls begeistert und freuen uns für die Gewinner!

Die Gewinner der DCM 2017

Den 1. Platz und damit den Meistertitel sowie die Japanreise sicherten sich Gemini und lin-fin als Sarah und Graf von Krolock aus Tanz der Vampire (Film und Musical), mit  bezaubernder Detailarbeit und einem dramatischen Auftritt aus den Zuschauerreihen.

Dabei hätten die beiden fast den Einzug ins Finale verpasst: Auf dem Vorentscheid auf der Hanami in Ludwigshafen im Mai konnten sie sich nicht direkt qualifizieren, erst Ende August wurden die letzten Finalplätze an die glücklichen Nachrücker vergeben. Trotzdem nähten sie für das Finale noch zwei neue, aufwändige Kostüme. „Die größte Herausforderung waren die Blumen, mit denen das Kleid besetzt ist“, sagt Gemini. „Ich habe sie einzeln mit Tee und Copic-Markern gefärbt, denn es war einfach unmöglich, genau diese Farben zu finden!“ Und die kunstvolle Stickerei am Kleid? „Das war doch keine Arbeit, weil ich so gerne sticke“, lacht die Cosplayerin. Hauptsache, reich verziert: „Glitzer und Spitze sind meine Passion.“

Gemini und lin-fin sind zum ersten Mal bei der DCM dabei und sie sind begeistert von der Atmosphäre hinter den Kulissen: „Wir hatten wirklich viel Spaß und fühlten uns gut betreut. Und das Essen für die Finalisten am Samstagabend“ – gesponsert von Rune Merchandise – „war das Highlight!“

Die Vizemeister sind schon echte DCM-Veteranen: Frostprinz hat 2009 im Solo-Wettbewerb mitgemacht, ihre Teampartnerin Laverna ist zum sechsten Mal dabei und hat sogar schon einmal den Meistertitel geholt. Als Ciel Phantomhive und Madame Red aus Black Butler (Manga) bestachen auch sie in historisch inspirierten Ballroben und mit einem blutigen Drama. Im Gegensatz zu ihren Charakteren aber mit Happy End!

Mit ihrem Auftritt fürs Finale 2017 haben sie sich einen Traum erfüllt: „Ich mochte die Geschichte von Madame Red schon immer und habe es immer als Verschwendung empfunden, dass sie im Manga nicht lange vorkommt“, sagt Frostprinz. Nach dem Vorentscheid auf der Franco in Bamberg im Juli begann die Arbeit an den Kostümen: „Erst einmal haben wir das Material gekauft, die Kostüme analysiert und an den Schnittmustern gearbeitet. Der Großteil ist aber in drei Wochen vor dem Finale entstanden“, erzählen Laverna und Frostprinz.

Alle Platzierungen:

 

1.Platz: Deutsche Cosplaymeister 2017: Gemini und lin-fin als Sarah und Graf von Krolock aus Tanz der Vampire

2.Platz: Deutsche Vizemeister 2017: Frostprinz und Laverna als Ciel und Madame Red aus Black Butler

3.Platz: Cita und Feder als Pazu und Sheeta aus Das Schloss im Himmel

4.Platz: Anubi-Chan und Jaster_Rogue als Grougaloragran und Nox aus Wakfu

5.Platz: Michella und Annemarie als Chizuru Yukimura und Toshizou Hijikata aus Hakouki Shinsengumi Kitan

 

DCM verpasst? Alle Auftritte könnt ihr noch einmal auf Picarto TV ansehen.

Artikelbilder: ©Erik Eppelmann und Stephanie Winkler

Über die Autorin

Karen Heinrich unternahm Ausflüge in Literatur, Film und Theater, mit einem Abstecher über das Mittelalter-Reenactment, bis sie endlich beim Kostümspiel landete. Glücklich, aber nie zufrieden! Die Kulturwissenschaftlerin schrieb ihre Doktorarbeit über Cosplay und Fan Costuming. Sie hat ein Herz für Szenen und Fans aller Art – ganz besonders faszinierte sie aber schon immer die japanische Popkultur. Für Teilzeithelden schreibt sie über Cosplay vor und hinter den Kulissen.

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