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Wie findet man nach einer furchtbaren Tragödie wieder zurück ins Leben? Dies ist die Hauptfrage, welche sich die Graphic Novel Bataclan: Wie ich überlebte stellt. Sie erzählt die Geschichte von Fred Dewilde, einem Opfer des Pariser Attentats. Doch kann solch ein sensibles Thema überhaupt angemessen zu Papier gebracht werden?

Am 13. November 2015 macht sich der in einem Vorort von Paris lebende Grafiker Fred Dewilde auf den Weg zu einem Konzert. Die Band Eagles of Death Metal (welche trotz ihres Namens eher Garage Rock spielt) tritt an diesem Abend im Pariser Konzertsaal Bataclan auf. Niemand kann ahnen, dass sich bei diesem Event einer der schlimmsten Anschläge der letzten Jahre ereignen wird, welcher 90 Menschen das Leben kosten wird. Auch Fred ist Teil der Menge, welche die Attacken miterleben muss. Glücklicherweise hat er die Tragödie überlebt. Bataclan: Wie ich überlebte ist seine Verarbeitung der Ereignisse und lässt uns an seiner Geschichte teilhaben.

Handlung

Eine fröhliche Stimmung leitet den Abend von Fred und seinen Freunden ein. Es soll eine Nacht voller Musik, guter Stimmung und angenehmer Gesellschaft werden. Doch gegen 21.50 Uhr geschieht dann das Unfassbare. Mit Kalaschnikows bewaffnete Angreifer stürmen den Saal und eröffnen das Feuer. Binnen weniger Minuten wird die feiernde Menge zu einer Masse aus Lebenden, Verletzten und Toten.

Fred verliert seinen Halt und kämpft sich den Boden entlang vor. Immer wieder fallen Schüsse, jede falsche Bewegung kann die letzte sein. Neben sich blickt Fred in die schreckensstarren Augen von Élisa – sie wird in den nächsten Minuten und Stunden sein sogenannter Kokon der Menschlichkeit werden.

Um die beiden Personen herum spielt sich eine schaurige Szenerie ab – man hört Schüsse und Schreie, einmal wohl eine Explosion. Wie lange das so geht, kann keiner genau sagen. Freds Gedanken sind bei seinen Freunden und seiner Familie, welche wohl schreckliche Sorge durchleiden müssen.

Nach einer undefinierbaren Zeit eine Stimme, welche Fred auffordert, aufzustehen und sich herumzudrehen. Ein Trick der Angreifer? Oder doch die Polizei? Tatsächlich – die scheinbare Rettung ist eingetroffen.

Jedoch wird Fred nun das erste Mal mit der grausigen Realität konfrontiert, diesem unglaublichen Bild von Gewalt und Leid. In seiner Zeit bei Élisa hatte er sich in einer Blase der absoluten Isolation befunden, welcher er nun entsteigen muss. Und um ihn herum hat der Tod gewütet. Doch auch das Leben ist zu feiern, als Fred seine Freunde und Familie wieder in die Arme schließen kann.

Beklemmende Szenen aus der Realität
Beklemmende Szenen aus der Realität

Bataclan: Wie ich überlebte kann in zwei Hauptteile gegliedert werden. Der erste enthält die Darstellung des Attentats von Paris und erfolgt in Form eines Comics. Die zweite Hälfte dagegen besteht aus textlichen Ausführungen von Fred, welche teilweise mit Illustrationen unterlegt sind. In diesen geht der Autor auf viele Punkte im Zusammenhang mit dem Anschlag ein. Wie geht das Leben danach weiter? Ab wann kann man wieder in den Alltag finden, falls überhaupt? Was passiert mit Freunden und Familie?

Gerade dieser zweite Teil erlaubt einen interessanten Einblick in die Gefühls- und Gedankenwelt eines Menschen, welcher Zeuge einer solchen Grausamkeit werden musste. Fred scheut nicht vor unangenehmen Themen wie seiner Verbindung zum Islam oder seiner Einbeziehung in anhaltende Terrorermittlungen zurück und liefert eine große Bandbreite an Informationen.

Charaktere

Gerade im Hinblick auf die hohe Fokussierung des Werkes auf den Autor ist dies auch nötig. Auch wenn abseits von Élisa einige andere Personen, zum Beispiel Freunde und Familie von Fred, Erwähnung finden, so liegt der Fokus natürlich auf ihm, dem Kronzeugen der Ereignisse.

Und tatsächlich schafft es der Autor, einen umfassenden Einblick in seine Gefühlsregungen während und nach dem Attentat zu geben. Hierbei werden bei seinem Charakter besonders zwei Empfindungen hervorgehoben – die Menschlichkeit und die Sinnlosigkeit.

Menschlichkeit war, was Fred und Élisa die Kraft gab, dieses Ereignis zu überleben. In einem Absatz seiner textlichen Abhandlungen beschreibt Fred, dass es ihm Kraft gab, bei der jungen Frau quasi eine Vaterrolle übernehmen zu können und ihr in diesen schweren Momenten Zuversicht zu schenken. Das beste Mittel gegen diesen unmenschlichen Terror ist die eigene Menschlichkeit.

Ebenso starke Betonung findet jedoch auch die Sinnlosigkeit und die Leere. Die Taubheit im Hinblick auf viele Dinge des alltäglichen Lebens. Verpflichtung und Beruf werden ganz klein und treten in den Hintergrund. Die Einstellung zu Familie und Freunden, aber auch zu den eigenen Empfindungen wie Angst ändert sich. Wie findet man nach einem solchen Ereignis zurück ins Leben?

Diese Frage wird in Bataclan: Wie ich überlebte häufig gestellt, wenn auch meist nur indirekt. Bald erkennt man aber, dass es für Fred nicht die eine richtige Antwort gibt, sondern sich diese aus vielen kleinen Teilantworten zusammensetzt.

Zeichenstil

Sämtliche Zeichnungen sind schlicht in schwarz und weiß gehalten. Laut Angabe auf dem Einband ist Fred Dewilde spezialisiert auf medizinische Illustrationen, was die Klarheit der Zeichnungen erklärt. Auf unnötige Details wird verzichtet, ebenso wie auf die übertriebene Darstellung von Blut und Gewalt.

Eine Besonderheit ist die Darstellung der Angreifer, welche als Skelette gezeichnet wurden. Als Inspiration hierzu dienten laut eigener Angabe die apokalyptischen Reiter, welche den Menschen den Tod bringen. Darüber hinaus erlaubte es ihm, sich von einer personifizierten Darstellung der Terroristen zu lösen. Zusätzlich kam Fred am Ende der Gedanke, wie passend Skelette tatsächlich waren: Die Täter hatten längst jegliche Menschlichkeit verloren und waren im Grunde schon vor ihrem Ableben – tot.

Erscheinungsbild

Der Hardcoverband weist einen stabilen Umschlag auf, welcher durch seine schwarze Farbe geprägt wird. Das Titelbild zeigt die visualisierte Menschlichkeit – die verbundenen Hände von Fred und Élisa, welche sich in dieser düsteren Stunde gegenseitigen Halt geben.

Die Blattdicke ist von guter Qualität, sodass auch nach mehrfachem Lesen keine Gebrauchsspuren zu erwarten sind. Ungefähr 20 Seiten von Bataclan: Wie ich überlebte weisen reine Zeichnungen in Form eines Comics auf, während der Rest der insgesamt 48 Seiten die textlichen Erzählungen mit Illustrationen beinhaltet.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Panini Comics
  • Autor(en): Fred Dewilde, Bettina Frank
  • Zeichner(in): Fred Dewilde
  • Erscheinungsjahr: 1. Auflage, Oktober 2017
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 48
  • Preis: 16,99 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon, Panini Comics

 

Fazit

Bataclan: Wie ich überlebte ist keine typische Graphic Novel. Dies liegt natürlich zum einen daran, dass nicht einmal die Hälfte der Seiten einen tatsächlichen Comic enthält. Zum anderen aber haben wir hier eben ein Werk, das einen Einblick in die Gefühls- und Gedankenwelt eines Überlebenden eines realen Massakers gibt. Besonders durch die detaillierte Beschreibung der Zeit nach dem Attentat wird ein sehr spezieller Einblick ermöglicht, der einen nicht kalt lassen kann.

Darüber hinaus regt das Werk den Leser zum Nachdenken an, indem es selbst oftmals Fragen stellt. Die drängendste Frage lautet: Wie finde ich zurück ins Leben? Keine dieser Fragen ist schnell beantwortet, sodass man das Gaphic Novel immer wieder kurz beiseite legt, um sich über die eigenen Gedanken klar zu werden.

Das macht Bataclan: Wie ich überlebte zu keiner einfachen Lektüre. Das Thema ist per se bereits nicht leicht verdaulich, doch der tiefe Einblick des Autors in seine eigene Gedankenwelt fesselt den Leser mit einer sehr realistischen Dramatik. Wen dies nicht abschreckt, der findet in diesem Panini-Produkt eine ungewöhnliche und eindrucksvolle Seelenbeschreibung.

Artikelbilder: Panini Comics
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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