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Der Sabbat ist quasi die dunkle Seite des ohnehin schon düsteren Vampire: The Masquerade-Universums. Diese Sekte verehrt mit ihren Riten und Feiertagen Kain als den dunklen Vater aller Vampire. Von diesen Festtagen ist das Palla Grande, das traditionell am 31. Oktober stattfindet, der höchste aller Feiertage.

Viele verbinden mit Vampire: The Masquerade im Wesentlichen das Intrigenspiel der Camarilla und den Kampf um den Prinzenthron. Der Sabbat wird oft nur als blutrünstiger Antagonist und als Horde wilder, unmenschlicher Monster angesehen. Doch auch diese vampirische Sekte besteht aus Individuen mit Sinn und Verstand, hat ihre eigene Ideologie und sogar eine Hierarchie. Im Sabbat wird Kain als Urvater aller Vampire angebetet, und ihm wird an verschiedenen hohen Feiertagen und verschiedenen Aspekten des Unlebens gedacht.

Der Nächtliches Theater e. V. in Nürnberg bespielt neben einem Camarillasetting auch an einem Samstag im Monat eine separate Sabbat-Chronik. Da die hohen Feiertage nur selten auf ausgerechnet diesen Samstag fallen, wird sich hier ein bisschen OT-Freiheit genommen. So feierte der Nürnberger Sabbat am 04. November 2017 den 31. Oktober nach und fand sich ein, um Kains Geschichte zu zelebrieren.

Worin unterscheiden sich Sabbat und Camarilla?

Zunächst einmal ist wichtig, dass die beiden Sekten sehr unterschiedliche Wertvorstellungen vertreten. In der Camarilla ist der Wert eines Vampirs unter anderem stark durch sein Alter definiert. Ein Jahrhunderte alter Ahn wird aufgrund seiner Erfahrung und der Einflüsse, die er sich mit der Zeit aufgebaut hat, geachtet. Es gilt die Meinung, dass er ohne entsprechende Kompetenzen und Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen wäre, ein hohes Alter zu erreichen.

Im Sabbat würde ihm aber wahrscheinlich genau daraus ein Strick gedreht werden. Hier wird davon ausgegangen, dass derselbe Vampir nur alt werden konnte, weil er andere für sich an die Front geschickt hat, und dass er sich seine Macht wahrscheinlich durch feige Intrigen erschlichen hat. Während in der Camarilla sämtliche Ämter durch höhere Autoritäten vergeben werden, besteht im Sabbat auch für junge Kainiten die Chance, sich in der Hierarchie nach oben zu kämpfen. Darüber hinaus organisiert sich der Sabbat in kleinen Klüngeln, auch Packs genannt, die in aller Regel aus vier bis sieben Mitgliedern bestehen. Zwar hat auch im Sabbat eine Stadt, beziehungsweise eine Diözese, eine Führungsebene, aber da die persönliche Freiheit eines der grundlegenden Prinzipien dieser Sekte ist, geht dessen Einfluss nicht so weit, dass sie jeden Bereich des Unlebens kontrolliert.

Während die Mitglieder der Camarilla versuchen, sich ihre Menschlichkeit zu erhalten, ist der Sabbat stolz auf seine vampirische Natur. Zwar hat mit der Stille des Blutes mittlerweile auch der Sabbat ein Äquivalent zur Maskerade eingeführt, um sich vor der Welt der Menschen zu verbergen, trotzdem setzt er eher auf rohe Gewalt als auf subtile Einflussnahme. Gleichzeitig ist auch das Selbstverständnis als Kirche, mit der Absicht, die Ketten der Ahnen abzustreifen, ein wichtiger Teil des Sabbats. Das erklärte Ziel des Sabbats ist es, die vorsintflutlichen Klansgründer, die sinnbildlich für die Herrschaft durch Alter und Blutsbande stehen und sich gegen Kain versündigt haben, zu vernichten. Mit diesem Ziel als Existenzgrundlage nimmt die Stärke eines Individuums einen höheren Stellenwert ein, als das bei der Camarilla der Fall ist.

Wie feiert man das Palla Grande eigentlich?

Das Palla Grande ist der Geschichte Kains gewidmet. Dafür werden einzelne Szenen dieser Geschichte in kleinen, theaterähnlichen Aufführungen nachgestellt. So hat das Pack „Loyalist Scum“ zum Beispiel den Beginn der Geschichte, also Kains Mord an Abel nachgestellt. Dieses Pack besteht aus vier Charakteren. Während die Priesterin Mila den Part des Erzählers übernommen hatte, schlüpften Miles, Badger und Luchs in die Rollen von Adam, Kain und Abel. Adam forderte seine Söhne dazu auf, ihr Liebstes an Gott zu opfern. Während Abel Tiere opferte und sein Opfer akzeptiert wurde, wollte Kain Früchte darbieten, die er dem Land abgerungen hatte – aber sein Opfer wurde abgelehnt. Letztendlich entschließt sich Kain also dazu, Gott seinen Bruder zu opfern, der ihm das Liebste auf der Welt und die erste seiner Freuden war. Zur Strafe dafür wird er ins Exil verbannt. Während die erste Aufführung hier endet, beginnt Kains Geschichte erst.

Weitere beliebte Szenen, die am Palla Grande nachgestellt werden, sind Kains Begegnung mit Lillith oder auch seine Verfluchung durch die Erzengel. Wie viel und was genau nachgestellt wird, ist natürlich davon abhängig, wie viele Spieler sich bereit erklären, am Programm teilzunehmen.

Allerdings sind diese Darbietungen nicht das Einzige, das typisch für dieses Fest ist. Der feierliche Rahmen wird gerne für eine Vielzahl an Ritualen genutzt. Neben der Vaulderie, dem Ritus mit dem der Sabbat sich der Blutsbande entledigt, um stattdessen ein Band der Verbundenheit untereinander zu knüpfen, gehören auch rituelle Zweikämpfe oder die internen Riten der verschiedenen Packs und Fraktionen an diesem Tag quasi zum guten Ton.

So hat sich gegen Ende des Abends das Pack „Asche zu Asche“ zusammengefunden, um gemeinsam den Fraktionsritus der orthodoxen Strömung im Sabbat zu begehen. Dieser Ritus heißt Atar Sacramentum. Bei diesem Ritual verbrennen die Teilnehmer einen Teil ihres eigenen Fleisches, um Vergebung für die Sünden ihrer Vorväter zu erbitten. So der Ritus erfolgreich ist, erlöst er die Teilnehmer bis zum nächsten Sonnenuntergang von ihren jeweiligen Klanschwächen. Besonders Klans, deren Äußeres betroffen ist, profitieren von diesem Ritus. Selbst der hässlichste Nosferatu kann so für eine Nacht wieder wie ein normaler Mensch aussehen, oder ein Lasombra kann sich wieder im Spiegel betrachten. Selbstverständlich haben die betreffenden Spieler weder ihr eigenes Fleisch geopfert, sondern lediglich Plastikfinger, und diese aus Rücksicht auf die Nasen der anderen Spieler auch nicht tatsächlich verbrannt. Der Atar Sacramentum ist natürlich nur ein Beispiel für einen Fraktionsritus, und diese können auch abseits der hohen Feiertage durchgeführt werden. Allerdings ist es eben der formale Rahmen eines Festtages, der dem Ritus so eine besondere Würde verleihen kann.

In diesem Sinne hat Nürnberg auch die Chance genutzt, um sich ein neues Oberhaupt zu bestimmen. Von den drei Kandidaten, die sich für das Amt des Erzbischofs beworben hatten, hat der Erste es noch vor dem eigentlichen Wettstreit geschafft, sich durch Manipulationsversuche zu disqualifizieren und zum Tode verurteilt zu werden. Die verbleibenden Wettbewerber, der Nosferatu Herr W. vom Pack „Oculus Noctis“ und Radek Jágr, ein Tzimisce vom Pack „Asche zu Asche“, traten in einem ehrenhaften Zweikampf bis zum Äußersten gegeneinander an, und dem Gewinner wurde die Ehre zuteil, den verurteilten Betrüger als erste Amtshandlung hinzurichten. Nicht wenige waren erstaunt, als Radek seinem besiegtem Gegner danach gestattete, weiterzuleben. In seiner Begründung zeigen sich aber wieder die Werte der Sekte: “Der Sabbat ist mit ihm stärker.”

Der Reiz der Maske

Traditionell ist das Palla Grande ein Maskenball. Wörtlich übersetzt bedeutet Palla Grande auch so viel wie „großer Ball“. Das stellt die Spieler vor eine zusätzliche Herausforderung: Wie kostümiere ich mein Kostüm? Zwar ist mit einer weißen Maske aus dem Ein-Euro-Laden oft das Nötigste getan, aber der Anlass bietet Bastlern und kreativen Köpfen eine Fülle an Möglichkeiten. Jede Maske kann auf den Charakter oder seinen Klan gemünzt werden. So können Setiten, oder Schlangen des Lichts, wie sie sich im Sabbat nennen, goldene Masken im Stil der Pharaonen tragen. Tzimisce können sich IT-Masken aus Haut und Knochen formen und so weiter. Auch muss das Kostüm für das Kostüm nicht mit der Maske enden. Viele Spieler nutzen die Chance, um ihre Charaktere in völlig neuer Pracht zu präsentieren, wobei es hier schwierig sein kann, die ursprüngliche Optik nicht zu stark zu verfremden. Besonders Personen mit Autorität können so die Gelegenheit nutzen und unauffällig ergründen, was IT tatsächlich über sie gedacht wird. So hat dies durchaus seinen Reiz.

Vernunft und Respekt

Wichtig ist, dass auch an so einem Abend keine Grenzen überschritten werden sollten. Besonders bei gespielten Religionen kann es vorkommen, dass Spieler sich nicht wohlfühlen, wenn das Spiel ihrem eigenen Glauben zu nahe kommt. Hier sollte niemand gezwungen werden, gegen seine Überzeugungen zu handeln, und ein Nein von Spielerseite einfach akzeptiert werden. Auch die Darstellung von brutaler Gewalt ist nicht jedermanns Sache. Hier sollten die Spieler sich nicht gegenseitig IT Vorwürfe machen, sondern einander OT mit Respekt begegnen.

Auch Rücksicht auf andere außerhalb des Spiels ist besonders bei derartigen Festivitäten etwas, an das man denken sollte. Nicht jeder Außenstehende erkennt ein Rollenspiel, wenn er z. B. eine größere Gruppe maskierter und merkwürdiger Gestalten sieht, die gemeinsam Dinge rufen wie „in nomine Kain“ oder „Sabbat heißt Stärke“. Dies kann sehr einschüchternd und befremdlich sein. Hier bietet es sich an, die geräuschintensiveren Ereignisse nach Möglichkeit in den geschlossenen Innenraum zu verlegen. Nicht nur die SL, sondern auch die Spieler sollten im Freien darauf achten, nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen. Hier hat sich in Nürnberg der Spielort in einem alten Stadtmauerturm mit Innenhof bewährt.

Insgesamt war das Palla Grande in Nürnberg ein voller Erfolg. Alle beteiligten Spieler hatten auch über die aktive Beteiligung hinaus einen spannenden Abend voll mit gutem Rollenspiel und stimmiger Darbietungen. Trotzdem besteht schon jetzt der Vorsatz, sich nächstes Jahr selber zu übertreffen und noch eine Schippe drauf zu legen. Es wird sich zeigen, ob sich dieses Ziel verwirklichen lässt.

Dies war nun ein kleiner Einblick in ein großes, dunkles Universum in dem es viel zu entdecken und erforschen gibt. Alle, die Interesse an den Spieleabenden des Nächtliches Theater e.V. haben, dürfen gerne einen Blick auf www.naechtlichestheater.de werfen und mehr über den Verein und seine Veranstaltungen erfahren.

Artikelbild: ©Nächtliches Theater

Über den Autor

Robert Hess studiert Ressortjournalismus in Ansbach und verbindet damit Hobby und Studium. Als leidenschaftlicher LARPer treibt er sich hauptsächlich in Süddeutschland auf diversen Cons rum. Über dieses phantastische Hobby schreibt er nun auch bei den Teilzeithelden und widmet sich dabei Praxistipps ebenso wie Bastelanleitungen.

 

 

 

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