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Mit Divinity: Original Sin 2 veröffentlichte Entwickler Larian Studios eines der erfolgreichsten PC-Rollenspiele des Jahres. Die Fachpresse überschüttet das Spiel mit Lob für die Einzelspieler-Kampagne. Allerdings bietet Divinity: Original Sin 2 auch einen Multiplayer-Modus, der sich an Fans klassischer Tischrollenspiele richtet. Wir haben den sogenannten „GM-Mode“ einmal getestet.

Viele der etwas älteren Fans von isometrischen PC-Rollenspielen denken gern an die gute alte Zeit eines Baldur‘s Gate, Planescape: Torment oder Ultima VII zurück. Umso größer ist bei vielen die Freude, wenn es neue Vertreter dieses fast vergessenen Genres in die Verkaufscharts schaffen. Noch schöner ist es natürlich, wenn diese neuen Vertreter so gut sind, dass sie gleich komplett neue Fans für das Genre gewinnen. So kann man vor Larian Studios und ihren Leistungen mit Divinity: Original Sin 2 nur den Hut ziehen. Da in der Fachpresse aber schon genug Worte zum Spiel gefallen sind, habe ich mir einmal den sogenannten „GM-Mode“ vorgeknöpft, um zu testen, ob dieser auch in einer waschechten Rollenspielrunde überzeugen kann.

Am Anfang heißt es erstmal Lernen

Beim „GM-Mode“ von Divinity: Original Sin 2 handelt es sich um einen Multiplayer-Spielmodus, den man am einfachsten als Mischung zwischen einem klassischen Leveleditor und einer Toolbox für Rollenspiel begreifen kann. Einer der Spieler schlüpft, wie im klassischen Tischrollenspiel, in die Rolle des Spielleiters. Dieser hat Zugriff auf die vollen Funktionen des Editors und baut die jeweiligen Level. Die restlichen Spieler erstellen sich wie in der Einzelspieler-Kampagne eigene Charaktere und werden dann vom Spielleiter durch das eigens erstellte Abenteuer geführt. Gegner, Zivilisten oder andere Charaktere werden vom Spielleiter gelenkt und auch die Story wird direkt vom Spielleiter erzählt. Eben wie bei einem klassischen Tischrollenspiel, nur online.

Wer sich schon einmal mit klassischen Leveleditoren von Videospielen befasst hat weiß, dass diese teilweise sehr komplex sein können und somit der Einstieg für angehende Hobby-Leveldesigner meist holprig ist. Um dies für Divinity so einfach wie möglich zu machen, hat Larian Studios nicht nur eine Tutorial-Kampagne erstellt, in der man über die wichtigsten Features aufgeklärt wird, sondern auch eine kleine Videoreihe produziert, in der nochmal alle wichtigen Elemente anhand von Beispielen gut erklärt werden. Das erleichtert den Einstieg enorm und ich konnte mich so innerhalb von wenigen Stunden perfekt in dem doch sehr umfangreichen Editor zurechtfinden. Jetzt musste nur noch eine Idee für ein Abenteuer her.

Nach langem Hin-und-Her-Überlegen entschied ich mich erstmal für eine einfache Geschichte um die entführte Tochter eines reichen Kaufmanns. Schließlich wollte ich erstmal nur ein Szenario für ein paar Stunden Spielzeit bauen und noch keine komplexe Kampagne.

Erste Schritte

Wenn man den Szenarioeditor startet, landet man erstmal auf der Weltkarte. Hier können Karten festgelegt werden und Orte per Marker platziert werden. Zu Beginn stehen dem Spielleiter eine Handvoll authentisch aussehender Karten im Spiel zur Verfügung. Sollten diese einem nicht zusagen, kann man auch kurzerhand eigene Bilddateien importieren und so eigene Karten verwenden. Hat man die Weltkarte ausgewählt, kann man kleine Marker auf der Karte platzieren, zwischen denen sich die Heldengruppe hin- und herbewegen kann. Jedem Marker wird dann später eine „Szene“ zugeordnet, die jeweils einen Schauplatz darstellt. Larian Studios liefert hier bereits eine ganze Menge von bereits erstellten Templates. Vom Tavernenkeller über dunkle Höhlen und hohe Berggipfel bis hin zu dem Deck eines Schiffes ist alles dabei.

Marker stehen für Szenen auf der Weltkarte

Allerdings stößt man hier bereits auf die ersten Grenzen des Editors. Auch wenn es viele verschiedene Szenen gibt, die man verwenden kann, so fällt es schwer, perfekt zueinander passende Templates zu finden. Bei dem von mir erstellten Herrenhaus wollte ich beispielsweise einen Keller einfügen. Allerdings hatte mein Template für das Erdgeschoss eine Treppe, die in ein tieferes Stockwerk führte, während alle Keller-Templates eine Leiter als Eingang besaßen. Das mag vielleicht etwas perfektionistisch sein, allerdings hat mich das so sehr gestört, dass ich fast alle Kombinationen aus Erdgeschossen und Kellern ausprobierte, bis ich eine Kombination hatte, die mich wenigstens halbwegs zufrieden gestellt hat. Um eigene Templates zu erstellen, muss man leider auf die separate Divinity-Engine zurückgreifen, die noch etwas komplexer ist. Allerdings wollte ich erstmal nur die Ressourcen des eigentlichen GM-Modes verwenden.

Nach der Auswahl der einzelnen Etagen und Außenbereiche des Herrenhauses machte ich mich daran, diese mit Leben zu füllen. Glücklicherweise sind alle Templates bereits mit ausreichend Objekten bestückt, so dass jede Location automatisch einen authentischen Flair erzeugt, ohne zusätzliche Arbeit. Allerdings bedeutet das auch, dass viele Objekte bereits fest verbaut sind, ohne dass man die Möglichkeit hat, diese noch einmal zu ändern. So muss man ein wenig seine eigenen Vorstellungen um die vorgebauten Objekte herumbauen. Dies ist aber wirklich nur für große Perfektionisten ein Problem. Der Editor bietet außerdem genug Möglichkeiten, zusätzliche Objekte in den Locations zu platzieren. Vom Besen über allerhand Kisten und Fässer bis zu Fallen, Regalen und ganzen Palisaden bietet der Editor alles was das Herz begehrt. Durch simples Reinziehen der Gegenstände in die Spielwelt lassen sich diese auch direkt platzieren. So lassen sich die jeweiligen Templates wunderbar personalisieren und auf die eigenen Bedürfnisse anpassen. Dies klappt in der Regel sehr gut, nur das Einsetzen von Türen in bereits bestehende Türrahmen war manchmal etwas fummelig.

Nicht-Spieler-Charaktere (NPCs) und Gegner

Wenn alle Locations eingerichtet sind fehlt natürlich noch das Wichtigste für ein schönes Rollenspiel-Szenario: NPCs und Gegner. Hier bietet Divinity: Original Sin 2 eine Vielzahl von Archetypen, die man direkt für die eigene Kampagne verwenden kann. Jeder NPC hat ein eigenes Charakterprofil, welches denen der Spieler sehr ähnelt und einfach mit Hilfe von verschiedenen Schaltflächen im Level und Aussehen angepasst werden kann. Auch Fähigkeiten und Inventar können ohne Probleme bestückt werden. So lässt sich eine Vielzahl von sehr individuellen Charakteren erstellen. Außerdem lassen sich z.B. für Händler auch noch automatische Inventar-Gegenstände generieren. Möchte man z.B. einen Tavernenwirt darstellen, wählt man im Menü des Charakters einfach die entsprechende Option aus und schon bestückt das Spiel das Inventar des Charakters automatisch mit Bier, Fleisch und genug Wechselgeld. Hier kann man sogar den Seltenheitsgrad der Gegenstände anpassen. Das funktioniert wunderbar und nimmt vieles an Arbeit ab. Möchte man doch noch einen speziellen Gegenstand im Inventar des Charakters haben, kann man immer noch händisch Gegenstände hinzufügen und sogar über einen separaten Gegenstandsgenerator magische Gegenstände etc. generieren lassen. Möchte man einen Charakter in mehreren Locations verwenden, kann man diesen auch einfach kopieren und hat so den fertig erstellten Charakter immer direkt im Menü zur Auswahl. Zusätzlich kann man alle Charaktere bestimmten Gruppen zuordnen und gleich die Gesinnung der NPCs festlegen. So lassen sich einfach Gegnergruppen erstellen und kontrollieren. Hier muss man Larian Studios schonmal ein großes Lob für die Vereinfachung ausstellen.

Out- als auch Indoor lässt sich gut darstellen
Out- als auch Indoor lässt sich gut darstellen

Allerdings gehen mir die Vereinfachungen in manchen Punkten auch etwas zu weit. Ich hätte mir durchaus mehr Möglichkeiten der Automatisierung für bestimmte NPCs gewünscht. Zum Beispiel kann man keine Wege festlegen, welche die NPCs automatisch abgehen. Der Spielleiter kann zwar jeden Charakter auch selbst steuern, aber Gruppen lassen sich nicht gemeinsam bewegen und alle anderen Figuren stehen dann einfach wie angewurzelt in der Gegend rum. Dadurch fehlt es vor allem in Städten oder anderen Plätzen mit vielen Personen an Lebendigkeit und Dynamik. Zusätzlich kann man auch Szenen nicht direkt miteinander verknüpfen. So muss der Spielleiter jedes Mal, wenn die Spieler den Ort wechseln wollen, händisch die neue Szene laden. Hier hätten Larian Studios dem Spielleiter durchaus noch etwas mehr Möglichkeiten an die Hand geben können.

Hat man nun alle Szenen erstellt, die Orte ausgestaltet, die NPCs platziert und natürlich die Beute generiert, kann man noch Schilder und Hinweise für andere Spielleiter platzieren. Nur für den Fall, dass man später seine Kreation über den Steam Workshop zur Verfügung stellen möchte.

Auf ins Abenteuer!

Sowohl das fertige Szenario als auch Zwischenstände kann man ohne Probleme spielen. So kann man Kämpfe testen, bevor man seine eigentliche Gruppe in die Schlacht schickt. Dies ist auch nötig, um die perfekte Herausforderung für die Spieler zu erschaffen. Hat man nun alles eingestellt, erstellt man einfach einen Server über den Serverbrowser und lädt seine Freunde zum Spielen ein. Alternativ kann man auch darauf warten, dass unbekannte Spieler dem Spiel beitreten. Allerdings sollte man nicht auf die Möglichkeit verzichten, mit den Spielern über Voicechat oder direkt Teamspeak zu kommunizieren. Da der Spielleiter kaum Möglichkeiten hat, die Story über Texte oder gar Konversationen voran zu bringen, muss der Spielleiter jedem NPC seine eigene Stimme leihen. Für eingefleischte Tischrollenspieler ist dies aber natürlich kein großes Problem.

Im eigentlichen Szenario spielt sich der GM-Mode dann direkt wie eine Multiplayer-Variante der Einzelspieler-Kampagne von Divinity: Original Sin 2. Steuerung und Charaktererstellung wurden direkt übernommen und fügen sich wunderbar in das Rollenspiel ein. Neben den eigentlichen Attributen wie Stärke und Geschicklichkeit kann jeder Charakter auch Vorteile erwerben, auf die der Spielleiter direkt Bezug nehmen kann. Hat z.B. ein Charakter den Vorteil „Tierfreund“, so kann dieser Charakter mit Tieren sprechen. Der Spielleiter sollte sich dann also auch darüber Gedanken machen, wie sich z.B. eine Hofkatze gegenüber den Helden verhält.

In Innenräumen erzeugt das Licht tolle Atmosphäre

Zusätzlich zu den normalen Werkzeugen, die man bereits aus dem Editor kennt, bekommt der Spielleiter im eigentlichen Spiel-Modus noch weitere Möglichkeiten an die Hand. Neben der Verteilung von Belohnungen in Form von Geld oder Erfahrungspunkten gibt es auch die Möglichkeit, Lichtverhältnisse und Hintergrundmusik anzupassen. So kann man je nach Wunsch die einzelnen Szenen in verschiedene Lichtstimmungen wie Dämmerung oder Nacht tauchen. Im Falle der Musik hat man nicht nur Zugriff auf den kompletten und sehr umfangreichen Soundtrack des Spiels, sondern auch auf weitere Soundeffekte wie Vogelgezwitscher oder Kampflärm. Leider muss man diese Stimmungen immer am Anfang der jeweiligen Szene händisch einstellen.

Außerdem bietet der GM-Mode dem Spielleiter auch noch ein praktisches Würfeltool, mit dem man einzelnen Charaktere Prüfungen auf bestimmte Attribute abverlangen kann. Man hat die Wahl zwischen unterschiedlichen Würfeln (vom W6 bis zum W100) sowie die Möglichkeit Boni oder Mali hinzuzufügen. Allerdings muss man sich als Spielleiter selbst überlegen, wann man eine Probe als geschafft ansieht. Hier wäre eine Option, das Standard-System von Divinity zu nutzen, eine willkommene Ergänzung gewesen. Dies ist aber auch Meckern auf hohem Niveau.

Natürlich kann der Spielleiter jederzeit das Spiel pausieren, um Einzelheiten, wie z.B. die Gesinnung von NPCs, zu ändern oder auch Charaktere zu verschieben. Zudem gibt es mit den sogenannten „Vignetten“ noch eine schöne Möglichkeit, um Abstimmungen zwischen den Spielern durchzuführen. Hier können Bilder zusammen mit einem Textblock erstellt und mit Antwortmöglichkeiten verknüpft werden, für welche die einzelnen Spieler dann ihre Stimme abgeben können. So können Szenarien mit multiplen Herangehensweisen erstellt werden und je nachdem, für welchen Weg sich die Gruppe entscheidet, kann man so unterschiedliche Szenarien laden.

Für NSCs stehen vielfältige Anpassungsmöglichkeiten zur Verfügung
Für NSCs stehen vielfältige Anpassungsmöglichkeiten zur Verfügung

Fazit

Ist der GM-Mode zusammengefasst wirklich ein gutes Tool um ernsthaftes Tischrollenspiel zu betreiben? Eher nicht. Dafür ist Divinity: Original Sin 2 immer noch zu sehr ein Computerspiel und die Gestaltungsvielfalt an manchen Punkten zu eingeschränkt. Aber der GM-Mode bietet jede Menge Möglichkeiten, um mit anderen Spielern über die Kampagne hinaus Spaß zu haben. Er ist extrem zugänglich und Larian Studios gibt angehenden Spielleitern viele Hilfsmittel an die Hand um den Einstieg möglichst einfach zu machen: Die Bedienung ist einfach, es gibt viele Möglichkeiten um z.B. das Generieren von Items zu automatisieren und es gibt viele fertige Templates auf die man zurückgreifen kann. Für mein eher einfach gehaltenes Szenario mit insgesamt acht Orten mit unterschiedlichen Szenen habe ich ungefähr 10 Stunden benötigt, bis alles fertig war. Heraus kamen so ungefähr 6 Stunden Spielzeit mit der Gruppe.

Es macht unglaublich Spaß, sowohl als Spieler als auch als Spielleiter, mit seinen Freunden durch eine eigene Kampagne zu rennen und Monster zu erlegen und Schatztruhen zu finden. Hier ist Divinity: Original Sin 2 einfach vor allem im Kampfsystem richtig stark. Letztendlich muss man zwar an manchen Ecken ein Auge zudrücken und ein bisschen um die vorgegebenen Templates herumbauen, dies ist aber auch wirklich nur ein Problem für absolute Perfektionisten. Zusätzlich hat Larian Studios mit der Bereitstellung der Engine Tools und der Anbindung an den Steam Workshop eine Möglichkeit geschaffen, wie solche Probleme in Zukunft von engagierten Spielern gelöst werden können. Schon jetzt gibt es im Steam Workshop allerhand zusätzliche Maps, NPCs und ganze Abenteuer die man nutzen kann und die das allgemeine Spiel erweitern. Wer also mit der Grundausstattung des GM-Modes nicht zufrieden ist, sollte hier fündig werden.

Artikelbild: Larian Studios
Screenshots: Steffen Grziwa

 

1 Kommentar

  1. Die Sache mit dem Würfeln:

    Ein Template ingame ist ja „Das Schwarze Auge“ -> Meine Freunde und ich spielen das wöchentlich als pen & paper. Ich habe gerade erst divinity entdeckt und bin schon hart am überlegen, ob ich das nicht verwende um eine Sitzung mit ein paar laptops und dem spiel mal anzudenken :D Das wär sicherlich zusätzlich zu unserer normalen kampagne interessant. Vor allem, da ich mich sehr gut mit 3d-software auskenne, und die Entwickler auch ein export tool zur Verfügung stellen, mit welchen man eigene Modelle für das Spiel exportieren kann. Mods herstellen ist hier wirklich außerordentlich einfach.

    Ich werde mir wohl einige Wochen geben, um einen kompletten Abend mit komplett eigenem Content füllen zu können :D …

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