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Ein streng geheimes Forschungsprojekt aus den 50er Jahren, das noch Jahrzehnte später Kreise zieht: Mysteriöse Todesfälle von angeblichen Versuchspersonen, verschwundene oder vernichtete Akten und ein ehemaliger CIA Direktor, der bis heute nicht denkt einen Fehler gemacht zu haben. Der Verschwörungsplot um MK Ultra schreibt sich quasi von selbst.

Der frühe Kalte Krieg war eine verrückte Zeit. Amerikaner und Sowjets, eben noch Verbündete gegen Nazi-Deutschland, hatten sich zu erbitterten Konkurrenten entwickelt, die sich im Wettstreit der Systeme unversöhnlich gegenüberstanden. Atomwaffen hatten einen konventionellen Konflikt nach der – passend benannten – MAD (Mutually Assured Destruction) Doktrin zu einem wahnsinnigen Unterfangen werden lassen, aber mit- oder nebeneinander in Frieden leben wollte dann auch keiner. Man war also auf der Suche nach alternativen Wegen den Gegner zu bezwingen und was wäre eine bessere Waffe im Kampf der Ideologien gewesen, als die Gedanken des Anderen zu beeinflussen?  

Worum geht es?

In den 50er Jahren haben sowohl Amerikaner wie auch Sowjets nach dem Durchbruch gesucht, der ihnen den ultimativen Vorteil bringen könnte. Das atomare Zeitalter hatte gerade erst begonnen. Von den Spätfolgen der Strahlenkrankheit und Krebsrisiken wusste man nur dunkel und an Katastrophen wie Tschernobyl hat kaum jemand gedacht. Das Reich des Bösen war vorerst besiegt, der Mensch war dabei zu den Sternen aufzubrechen und Penicillin sorgte für die Heilung und Ausrottung von schrecklichen Krankheiten. Die Zukunft hatte angefangen.

Fortschrittsoptimismus war in den 50er Jahren noch nichts, für das die zynische Mehrheit einen auslachte und vieles schien möglich. Wenn die Wissenschaft die Macht der Atombombe entfesseln konnte, warum sollte es ihr dann nicht möglich sein durch chemische Drogen die Macht des menschlichen Geistes bewusst zu unterwandern? Hatten nicht Pervitin und Panzerschokolade gezeigt, dass Drogen in den Kriegen des 20. Jahrhunderts unerlässlich waren? Hatten die Kommunisten in Korea nicht gezeigt, dass sie nicht vor Gehirnwäsche zurückschreckten? So oder so ähnlich müssen die Gedanken von CIA Direktor Allen Welsh Dulles gewesen sein, als er 1953 sein OK für das streng geheime Projekt MK Ultra gegeben hat.

Die Anfänge

Unter der Führung von Sidney Gottlieb begannen die Wissenschaftler des Geheimdienstes nach einer Methode zur Kontrolle menschlicher Gedanken zu forschen. Das Ziel war es, die perfekte chemische Gegenspionage im Arsenal zu haben. Sowjetische Agenten sollten nicht mehr in der Lage sein ihre Geheimnisse zu verschleiern oder zu verbergen, sobald man ihrer habhaft geworden war. Doch warum da aufhören? Wenn man erst einmal die Möglichkeit zur Gedankenkontrolle hatte, standen einem moralisch und ethisch flexiblen Geheimdienst eine Menge neue Möglichkeiten offen. Wieso sollte man eine solche Waffe nicht auch gegen fremde Machthaber einsetzen, um die Ausbreitung des Kommunismus zu stoppen? Warum nicht gleich einen Manchurian Kandidaten, also eine Art unbewussten Schläferagenten, der auf ein geheimes Kommando hin eine bestimmte Aufgabe erfüllt, erschaffen und beim Gegner einschleusen? Myriaden potentieller Operationen waren denkbar.

Doch bevor solche Einsätze Wirklichkeit werden konnten, musste man das Rätsel des menschlichen Geistes knacken und eine entsprechende Waffe entwickeln. Also begannen die Forschungen.

MK Ultra hatte zu Beginn mit einigen Problemen zu kämpfen. Zum einen gab es kaum Forschungen, auf denen man aufbauen konnte, immerhin waren chemische Gehirnwäsche und Gedankenkontrolle relativ neue Erscheinungsformen. Zum anderen gab es nicht gerade ein Überangebot an freiwilligen Versuchspersonen, die sich ungetestete und potentiell gefährliche Drogen verabreichen lassen wollten.

Also tat man, was jeder gute Geheimdienst tut. Man suchte sich seine passenden Testpersonen aus und verabreichte die zu testenden Substanzen, ohne den Subjekten Bescheid zu sagen. Immerhin ging es ja um das Schicksal der freien Welt. In MK Ultras Fall war dies zu Beginn vor allem das psychoaktive LSD, das Testpersonen in verschiedenen sozialen Situationen verabreicht wurde. Dabei konzentrierte man sich vor allem auf Versuchsobjekte, deren Fähigkeit sich zu wehren – ob währenddessen oder nachdem die Droge verabreicht worden war – eingeschränkt war: Gefängnisinsassen, psychisch Kranke, Prostituierte und andere sozial randständige Menschen. Die Wissenschaftler von MK Ultra untersuchten dann, welchen Einfluss die Droge auf den Menschen hatte und ob man diese Effekte in irgendeiner Form nutzbar machen konnte.

Schnell gingen die ersten Toten auf das Konto von MK Ultra. Der Tennislehrer Harold Blauer ließ sich aufgrund einer Depression behandeln, bekam aber statt psychischer Hilfe hohe Dosen MDA verabreicht. Blauer starb an Herzversagen und Kreislaufkollaps.

Wesentlich bekannter als Blauer ist aber der Fall von Frank Olsen. Olsen war selbst Mitarbeiter von MK Ultra und starb unter dem Einfluss von LSD durch einen Sturz aus dem neunten Stock eines New Yorker Hochhauses. Offiziell hatte Olsen eine Psychose infolge des Drogenkonsums erlitten und Suizid begangen. Eine Autopsie in den 90er Jahren fand allerdings Hinweise darauf, dass Olsen gewaltsam aus dem Fenster gestoßen wurde. Die Wahrheit über Frank Olsens Tod ist bis heute nicht ans Licht gekommen.

Das vorläufige Ende – 1964

Es stellte sich heraus, dass unqualifiziertes wissenschaftliches Personal in einer klandestinen und nicht überprüfbaren Versuchsanordnung wenig brauchbare Ergebnisse lieferte. Wer hätte damit rechnen können? Am Ende wurde MK Ultra eingestellt, da man auch knapp zehn Jahre nach dem Start des Projekts, mit teilweise über 40 involvierten Forschungszentren und einer ungenauen Anzahl an unbewussten Versuchspersonen, dem Ziel der Gedankenkontrolle kein Stück näher war. Sidney Gottlieb hatte sich inzwischen auch neu orientiert und tüftelte im Auftrag der CIA immer neue Pläne aus, wie man den verhassten Fidel Castro loswerden könne. Angeblich waren zu einem Zeitpunkt auch ein Enthaarungsmittelangriff auf seinen Bart und explodierende Zigarren eine echte Option. Bei solch geerdeten Plänen hatte man bei der CIA offenbar keine Zeit mehr für Lächerlichkeiten wie Gedankenkontrolle vermittels chemischer Droge.

Watergate und die Nacht des Feuers 1972

Alles hätte so schön enden können für die CIA, wäre da nicht zwei Reportern der Washington Post in den 70er Jahren eine echte Sensation gelungen: die Aufdeckung einer Verschwörung in höchsten Regierungskreisen. Präsident Nixon hatte seine politischen Gegner im Watergate Hotel abhören lassen. Während Tricky Dicky also auf dem absteigenden Ast war, bekam man es wohl auch im CIA Hauptquartier mit der Angst zu tun, was passieren könnte, wenn ein weiterer Whistleblower auftauchen und die dreckigen Geheimnisse der Agency aufdecken würde.

Also fackelte der damalige Direktor (und ehemaliger Chef von MK Ultra) Richard Helms nicht lange und ließ die widerrechtliche Vernichtung eines Großteils der Akten veranlassen. Bis heute sieht der Mann nicht ein, dass er da etwas falsch gemacht haben könnte, wie dieses Interview auf der Webseite des Geheimdienstes  zeigt.

Nachwirkungen 1975 bis heute

Nun kann man nicht erwarten, dass man jahrzehntelang Regierungsmittel in illegalen Drogenexperimenten benutzt und das nie jemandem komisch vorkommt. Im Falle von MK Ultra kam 1975, einige Jahre nach dem offiziellen Ende des Projekts und der Zerstörung der Dokumente, Bewegung in die Sache. Da man nach Watergate den Aktivitäten des Geheimdienstes nicht mehr unbesehen rein positive Absichten zugedachte, richtete die Regierung Ford Untersuchungskommissionen ein, die die Aktivitäten der eigenen Geheimdienste an der Heimatfront untersuchen sollten. Nicht nur kam heraus, dass große Telefonanbieter seit den 50er Jahren einen Deal mit der NSA geschlossen hatten, sondern eben auch, dass man an unwissenden Bürgern Gedankenkontrollexperimente vorgenommen hatte. Richard Helms muss sich damals ziemlich geärgert haben, als sein Nachfolger der Untersuchungskommission noch an die 20.000 Dokumente zum MK Ultra Programm zur Verfügung stellte, die anscheinend falsch archiviert und damit Helms Vernichtung entgangen waren.

Die Kommissionen arbeiteten einige Jahre an den Untersuchungen, fanden heraus, dass die CIA unqualifizierte Mitarbeiter in fragwürdigen Experimenten eingesetzt hatte, die keinen wissenschaftlichen Mehrwert erbrachten. Aber der gute Wille – im Wettlauf mit dem kommunistischen Klassenfeind nicht zurückzufallen – war offensichtlich da gewesen und so wurden keine Konsequenzen von größerer Tragweite beschlossen. Das Kapitel MK Ultra war Mitte der 80er Jahre offiziell beendet.

Bis heute aber lebt MK Ultra in der Welt der Verschwörungstheorien weiter, was nun wirklich niemanden überraschen wird. Es gibt Stimmen die sagen, dass das Projekt einfach unter einem anderen Codenamen weitergeführt werde, dass die Zahl der Opfer noch wesentlich höher sei oder dass das Projekt Erfolge hatte, die bis heute vor der Öffentlichkeit verborgen werden. Das Projekt klingt auf dem Papier eben viel zu exotisch und unwahrscheinlich. Wäre es nicht wahr, man würde es nicht glauben.

Wie kann man das im Rollenspiel einsetzen?

Wie schon in der Einleitung erwähnt, schreibt sich der Verschwörungsplot rund um MK Ultra nahezu von selbst. Man muss nur die historischen Ereignisse nehmen und hat die perfekte Blaupause für eine Geschichte rund um eine Verschwörung auf höchster Ebene, die Politik, Geheimdienste, klandestine Experimente und verrückte Wissenschaftler mitbringt. Von da aus ist es nur ein kleiner Schritt, um MK Ultra für den heimischen Spieltisch nutzbar zu machen. Ein paar mögliche Beispiele findet ihr unten.

Der historische Ansatz

Da das Projekt ja nun eine historische Tatsache ist, liegt es auf der Hand, es in historischen oder historisierenden Spielen zu verwenden. Die Charaktere könnten dabei selber Mitglieder des einen oder anderen Geheimdienstes spielen, der in das Projekt involviert ist. Das jüngst erschienene Cold Shadows hat sich zum Beispiel auf die Fahne geschrieben, das spezielle Gefühl klassischer Spionageromane aus der Zeit des Kalten Krieges emulieren zu wollen. Haben die Sowjets etwas von dem Projekt gehört und wollen nun selbst an die Ergebnisse kommen? Hat eine ausländische Macht ein Interesse daran MK Ultra zu sabotieren, damit die Amerikaner keine ausgewachsene Gedankenkontrolldroge in ihrem Besitz haben? Auf der einen wie der anderen Seite ergeben sich hier direkt Abenteueransätze.

Wer es weniger spionagelastig mag, der kann auch die Perspektive wechseln und mit dem Projekt als Außenseiter in Kontakt kommen? Vielleicht sind neben Bernstein und Woodward noch andere Reporter in den 70er Jahren an einer großen Story dran, die ihnen von einer mysteriösen Quelle in einem schlecht ausgeleuchteten Parkhaus zugespielt wurde? Hatte vielleicht eines der unfreiwilligen Opfer doch noch ein paar Freunde, die nun eine Gruppe von Ermittlern anheuern, um herauszufinden, was wirklich in dieser Klinik passiert ist? Landen diese Ermittler eventuell sogar selbst im Sanatorium, sei es nun weil niemand ihre Geschichte glaubt, oder weil ihnen der letzte entscheidende Beweis fehlt?

Der Mysteryansatz

Wem die reinen historischen Anleihen allein zu fad erscheinen, der kann problemlos mit einer Prise Mystery und Suspense nachhelfen. Die verschwörerische Tendenz der Verantwortlichen öffnet ohnehin einer Menge Spekulationen Tür und Tor, da liegt es nahe, für den Spieltisch ein paar abwegigere Gedankengänge einzuflechten. Wurde das Experiment wirklich beendet oder läuft es eventuell unter einem anderen Namen bis in die Gegenwart hinein? Wurden durch das Programm und den Einfluss der Beteiligten eventuell Manchurian Kandidaten in wichtigen Positionen installiert, die bis heute unerkannt in Militär, Verwaltung, Konzernen und Regierungen sitzen? Wenn ja, wer besitzt das Codewort, um sie zu aktivieren? Wurde das Geheimnis eventuell jüngst durch einen Datendiebstahl einer unbekannten Partei offenbart? Richtete sich die Forschung eventuell in Wirklichkeit gar nicht gegen die Russen oder die Chinesen, sondern sollte der Menschheit einen Weg geben mit einer anderen, älteren Gefahr umzugehen?

Bei solchen Ansätzen drängen sich Systeme wie die Chronicles of Darkness, Cthulhu, Delta Green oder Unknown Armies geradezu auf, die ohnehin mit dem Verquickung historischer und übernatürlicher Elemente arbeiten. Die düstere Grundstimmung solcher Systeme passt perfekt zu den finsteren Methoden, die die CIA im MK Ultra Projekt angewandt hat.

Transport in andere Genres

Wenn man es mit den historischen Quellen nicht allzu genau nehmen will, dann kann man das Thema natürlich auch in andere Genres verlegen. Die CIA könnte in einem Fantasysetting zu einer finsteren Magierkabale werden, die nach einem magischen Trank zur Gedankenkontrolle sucht. Ein Wissenschaftler mit schlechtem Gewissen könnte sich in der dystopischen Zukunft an eine Gruppe von mietbaren Söldnern wenden, die ihn außer Landes schaffen sollen, da Regierungen oder Konzerne hinter ihm her sind. War es am Ende gar nicht die Regierung der Vereinigten Staaten, die den Auftrag zu MK Ultra gab, sondern eine im Verborgenen agierende Gruppe übernatürlicher Wesen, die in dieser Forschung den besten Weg sehen, ihre Existenz auch im 20. Jahrhundert vor der Welt verborgen zu halten? Sobald man bereit ist, die Quellen locker als Ideensteinbrüche zu betrachten, ergeben sich viele spannende Optionen.

Nützliche Links

Es gibt einige Webseiten, auf denen man weitere Informationen zu MK Ultra finden kann. Die meisten würden keinen wissenschaftlichen Standards entsprechen, aber für Handouts oder weitere Ideen sind sie in jedem Fall gut. In der Folge findet ihr eine Auswahl von Seiten, die bei der Erstellung dieses Artikels benutzt worden sind.

Auf den Seiten von Wikipedia finden sich einige nützliche Informationen zum Projekt MK Ultra und zur Rockefeller-Kommission. Wer es etwas ausführlicher möchte, der sollte sich die entsprechenden englischen Beiträge zu Project MK Ultra und dem Church Committee ansehen. Die Artikel Destruction of LSD Data Laid to C.I.A. Aide in ’73 aus dem Archiv der NY Times und I was a Guinea Pig for CIA Drug Experiments auf Ozy können euch ebenso eine Hilfe sein.

Ausblick

Soweit erst einmal zu MK Ultra und einigen möglichen Szenarien, die man aus dem Quellenmaterial herleiten kann. Hat euch das Experiment gefallen? Kennt ihr Orte, Zwischenfälle, Ereignisse oder Legenden, die es wert sind besprochen zu werden? Hat vielleicht sogar schon mal jemand etwas geschrieben oder geleitet, das sich mit diesem oder einem ähnlichen Hintergrund beschäftigt?

Lasst es uns in den Kommentaren wissen.

Artikelbilder: depositpohotos, wikipedia

 

2 Kommentare

  1. Wieder mal ein interessanter Fall! Ich bin auf jeden jeden Fall ein Fan von Projekt H.E.L.D.. Vielleicht ist ja das Phänomen rund um die Mothman-Erscheinungen und den Einsturz der Silver Bridge in Point Pleasant interessant für die Reihe.
    Und es gibt natürlich noch den Flight 19, bei dem angeblich eine Reihe von Navy-Fliegern über dem Bermuda Dreieck verschwand.
    Zu beidem würden mich eure rollenspielerischen Interpretationen interessieren. :)

    Beste Grüße
    John Doe

    • Vielen Dank erst einmal für das Interesse. Die angesprochenen Zwischenfälle klingen auf jede Fall interessant und werden der Sammlung von möglichen Artikeln hinzugefügt :-)

      Marcus

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