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Wenn ein Erstlingswerk international Anerkennung findet und sich das gerade im Fantasy-Sektor abspielt, horchen Fans auf. Scott Lynch debütierte 2006 mit Die Lügen des Locke Lamora, dem ersten Teil einer auf sieben Teile ausgelegten Low-Fantasy-Saga rund um einige Hochstapler, denen Ehre genauso viel wie Beute bedeutet.

Es kann viel Vergnügen machen, den Tricks und Plänen von Hochstaplern zu lauschen. Eine ähnliche Faszination geht von den Filmen der Ocean’s-Reihe aus. Charmanter wird es für den Fan der Phantastik, wenn das Setting nicht Las Vegas ist, sondern eine fiktive, an Venedig gemahnende, Stadt voller Magie, Alchimie und Gebäuden aus Glas. Das ist Camorr, der Tummelplatz des Gentleman-Ganoven Locke Lamora und seiner Freunde wie auch Feinde.

Handlung

Als der Trickbetrüger Vater Chains, der sich als Priester des Perelandro und damit des wohltätigen Gottes ausgibt, einen verwahrlosten, aber blitzgescheiten Sechsjährigen kauft, ahnt er nicht, was er sich da ins Haus geholt hat. Gekauft hat er ihn vom Herrn der Diebe, einem Kriminellen, der unter einem Friedhof haust und obdachlosen Kindern ein Zuhause gibt, sie aber zu Dieben ausbildet.

Was der Herr der Diebe nicht hat absehen können, war, dass eben dieser Sechsjährige einen Stadtgardisten bestiehlt und damit den Geheimen Frieden gebrochen hat. Dieser besagt, dass der Adel und die Diener der Regierung für die Diebstähle und Raubzüge der organisierten Kriminalität tabu sind. Geschlossen wurde er zwischen den Vertretern des Herzogs und Cappa Barsavi, dem Mafiaboss von Camorr, wenn man so will.

Camorr ist eine fiktive Stadt auf einem fiktiven Planeten. Sie erinnert an das spätmittelalterliche Venedig, wobei die beschriebenen sozialen Strukturen auch an Spanien in der Renaissance gemahnen. Stilistisch befinden wir uns hier in der Low-Fantasy. Elemente wie Alchimie und Magie sind vorhanden, werden aber erst ab der Hälfte des Romans wirklich von Bedeutung. Charmant und exotisch wirkt das Elderglas – eine glasähnliche Substanz, die von einer Spezies geschaffen wurde, die vor eintausend Jahren verschwand und die Stadt Camorr erbaut hat. Dieses Glas kann Licht speichern, hat aber auch noch einige andere interessante Anwendungszwecke.

Zurück zu Vater Chains, denn nur er kann den sechsjährigen Locke Lamora vor der Todesstrafe wegen des Bruchs des Friedens bewahren. Er kauft also den Jungen, der sich als Locke vorstellt und bringt ihn zu den anderen Jungen, die bereits im Tempel leben. Alle bildet er zu einer besonderen Form von Dieben aus – zu Trickbetrügern und Hochstaplern. Sie nennen sich die Gentleman-Ganoven. Später, im Erwachsenenalter, sind die Zwillinge Carlo und Galdo Sanza, Jean Tannen, Bug und Locke enge Freunde geworden, die durch elaborierte Tricksereien unerlaubterweise den Adel um viel Geld erleichtern. Locke ist ihr Garrista, ihr Bandenführer und zugleich Priester des dreizehnten namenlosen Gottes, der von den Dieben und anderem Gesindel verehrt wird,

Das Meisterstück soll das Betrügen von Don und Donia Salvara um mehrere zehntausend Goldkronen sein. Dafür schlüpft Locke in die Rolle von Lukas Fehrwight, einem Händler für hochwertige Spirituosen aus der Stadt Emberlain im Norden. Er erschleicht sich das Vertrauen und beginnt die kinderlose Familie zu schröpfen.

Zuerst entwickelt sich dieses Vorhaben auch sehr gut, doch dann treten zwei Spieler auf den Plan, die alles ins Wanken bringen. Der geheimnisvolle Graue König taucht auf und beginnt mordend in der organisierten Kriminalität zu wüten, und zu allem Übel hat er auch einen echten und sehr sadistischen Soldmagier dabei. Auf der anderen Seite steht die Spinne, der unerkannte Anführer der inquisitorischen Geheimpolizei des Herzogs.

Als der Graue König Cappa Barsavi tötet und seinen Platz einnimmt, offenbart sich ein diabolischer Plan, der die ganze Stadt gefährdet. Und wie Gentleman-Ganoven nun mal so sind, nehmen sie sich der Sache an, da Camorr ihre Stadt ist und sie die Einwohner lieben.

Über den Autor

Scott Lynch wurde 1978 in Saint Paul, Minnesota, USA, geboren. Der hier besprochene (Audio)-Roman ist sein Erstling und wurde 2006 veröffentlicht. Die Reihe rund um die Gentleman-Ganoven ist auf sieben Teile ausgelegt, wovon bislang drei erschienen sind. Scott Lynch agiert neben seinen Autorenarbeiten als freiwilliger Feuerwehrmann. 

Über den Sprecher

Matthias Lühn hat eine leicht nasale und sehr konsonantenbetonte Sprechweise. Das schafft in den ersten Minuten Verwirrung, sogar etwas Unwohlsein. Seine hart betonten Buchstaben K, S und T knacken in den Ohren, wenn die Höhen stark eingestellt sind.

Behebt man diesen lokalen Missstand am eigenen Abspielgerät, offenbart sich eine Stimme, die ich genossen habe, als ich mich an sie gewöhnt hatte. Lühn gibt jeder auftretenden Rolle ihren ganz eigenen Tenor, der sich in der Erinnerung tief eingräbt. Auch gelingt ihm das Übertragen der Gefühlslage der Akteure ausnahmslos gut. Daumen hoch für eine eher unbekannte Stimme mit ihrem ganz eigenen Charme!

Preis-/Leistungsverhältnis

Der hohe Preis von 29,95 EUR ist durch die Spielzeit von über vierundzwanzig Stunden mehr als gerechtfertigt. Hier betrachte ich zusätzlich die Komplexität der Geschichte, die einen hohen Wiederhör-Anreiz schafft. Auch die Sprechleistung von Matthias Lühn ist, sobald man sich an ihn gewöhnt hat, durch die Bank hochwertig. Für neugierig Gewordene empfiehlt sich also entweder das Audible-Abo oder der Griff zum Druckwerk, respektive digitalen Buch.

Zu bedenken ist, dass man das Hörbuch aufgrund des DRM-Schutzes nur auf den Audible–Apps hören kann, welche es immerhin für alle gängigen Plattformen gibt. Man kann die Dateien zwar auf Audio-CDs brennen, das ist jedoch fehleranfällig – vor allem beim Kapitelübergang – und daher nicht anzuraten. Ich habe das Buch unter Android auf einem Nexus 4 gehört.

Erscheinungsbild & Klangqualität

Die Lügen des Locke Lamora CoverBeim Kauf als Download entfällt natürlich die Verpackung, das Cover wird aber als kleine eingeblendete Grafik in der App mitgeliefert. Das Cover zeigt die Stadt Camorr, die ein weiteres Mal an Venedig erinnert, während ein Schattenriss sich auf einer Fassade abzeichnet.

Die stark betonten Konsonanten habe ich bereits kritisiert. Man sollte daher unbedingt die Höhen etwas herausnehmen, da sonst schnell die Ohren klingeln.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Ronin – Hörverlag
  • Autor(en): Scott Lynch
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: Deutsch
  • Format: proprietäres Format für Audible
  • ISBN/EAN/ASIN: B00KTJFLNS
  • Preis: 29,95 EUR oder 9,95 EUR im Abo
  • Bezugsquelle: Amazon, Audible, lokaler Buchhandel

 

Fazit

Es ist eine wahre Freude, den so filigran ausdefinierten Plänen der Gentleman-Ganoven zu lauschen. In Summe drei Mal habe ich mich dabei ertappt, zu denken „Was macht er denn nun schon wieder?“, gespannt zu lauschen, und dann mit Staunen und Lachen den Mund offen stehen zu haben.

Die definitiv als „Fantasy für Erwachsene“ einzuordnende Geschichte ist komplex, teils gar anstrengend nachzuverfolgen, entlohnt aber den Hörer durch verblüffende Plotwendungen. Es gibt genau eine Schlüsselszene zur späten Mitte des Romans, die aus der vorher nett vor sich herplätschernden mittelalterlichen Gaunerkomödie tödlichen und brutalen Ernst macht.

Wer Pan’s Labyrinth gesehen hat, weiß um die Wirkung einer einzelnen sehr drastischen Szene. Diese Wirkung tritt auch hier ein.

In Summe hat mir Die Lügen des Locke Lamora als anspruchsvolle Fantasy sehr gut gefallen. Ich genoss die immer wieder aufkommenden Rückblenden in die Vergangenheit, in welchen erklärt wird, weswegen ein bestimmtes Merkmal eines Plans mit den Salvaras oder später mit dem Grauen König funktioniert. Der Zusammenhang offenbart sich nicht immer direkt und mehr als einmal wird der Leser zwischen den Zeilen aufgefordert, seine eigenen Zusammenhänge zu konstruieren. Scott Lynch lässt diese offen.

In Summe betrachtet hat Lynch einen verschlungenen Schreibstil, der dem Hörer zeitweise viel Konzentration abverlangt. Das ist definitiv kein (Hör-)Buch zum „nebenbei Hören“ oder gar beim Putzen. Die Sprechleistung von Matthias Lühn passt da nur gut ins Bild. Durch seine besondere Stimme wird der Leser zwar etwa besser gelenkt, aber auch hier heißt es, sich zuerst dran zu gewöhnen, damit aber dann entlohnt zu werden.

Die Gentleman-Ganoven werden sicher nicht das letzte Mal in meine Ohrmuscheln vorgedrungen sein und ich bin gespannt auf den Nachfolger Sturm über roten Wassern.

Artikelbilder: Audible, Ronin Hörverlag
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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