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Das klassische Tischrollenspiel kommt ohne einen Spielleiter nicht aus. Trotzdem nehmen viele Rollenspieler aus verschiedenen Gründen kategorisch Abstand von diesem essentiellen Amt. Wir zeigen euch, warum die Ängste vor dem Spielleiten unbegründet sind und welchen Gewinn die Rolle des Spielleiters sogar bieten kann.

Als ich im vergangenen Jahr nach einem Wechsel des Wohnorts meine Fühler nach Rollenspielern in der näheren Umgebung ausstreckte, erhielt ich sehr schnell rege Rückmeldung. Ein erfreulicher Umstand, der, wie ich sehr bald feststellte, vor allem darauf zurückzuführen war, dass ich mich als Spielleiter anbot. Enthusiastische Spieler schienen in großer Menge vorhanden zu sein, den Spielleiter wollte aber niemand geben.

Diese Erfahrung ist exemplarisch für ein Phänomen, das mir im Tischrollenspiel immer wieder auffällt. Man begegnet in unserem Hobby sehr vielen Personen, die mit Begeisterung als Spieler bei der Sache sind, aber das Leiten des Spiels rundheraus ablehnen.

Grundsätzlich stellt diese Tendenz natürlich kein Problem dar, immerhin braucht ja jede Spielgruppe nur einen Spielleiter. Problematisch wird es erst, wenn sich der reguläre SL zeitweilige Entlastung wünscht, oder sich sogar überhaupt kein potentieller Spielleiter findet und deshalb gar nicht erst gespielt wird.

Schon um solchen Problemen vorzubeugen, lohnt es sich also für jeden Tischrollenspieler, sich mit dem Thema Spielleitung auseinanderzusetzen. Aber auch darüber hinaus kann man als Spieler wertvolle Erfahrungen sammeln, wenn man den Platz hinter dem Spielleiterschirm einnimmt.

Keine Lust, keine Ahnung, kein Mut – Einwände gegen das Spielleiten

Leider stellen sich vielen Spielern verschiedene Einwände in den Weg, wenn es darum geht, die eigene Komfortzone zu verlassen und ein Abenteuer oder sogar eine Kampagne zu gestalten. Ängste und falsche Vorstellungen halten potenzielle SLs davon ab, aktiv zu werden. Glücklicherweise können die meisten dieser Einwände relativ einfach entkräftet werden.

Ich habe im Rahmen der Vorbereitung dieses Artikels einige meiner Stammspieler befragt und ihre Argumente gesammelt, mit denen sie ihren Abstand vom Spielleiterposten begründet haben. Es ergaben sich sehr schnell drei wiederkehrende Gründe, denen ich mich im Folgenden widmen werde.

Keine Lust

Wenn die Frage aufkommt, wer sich vorstellen könnte, Spielleiter zu sein, hört man von manchen Spielern Antworten wie: „Dafür habe ich keine Zeit.“ oder „Das ist mir zu viel Arbeit.“

Faktisch gesehen ist die hinter diesen Sätzen verborgenen Aussage nicht falsch. Die Tätigkeit des Spielleiters erfordert mehr Zeit und Energie als die des Spielers. Ein Abenteuer, eine Kampagne, selbst ein kurzes Szenario für einen Spielabend, all das bereitet sich nicht von selbst vor, hier ist der Spielleiter gefragt.

Trotzdem kann diese Tatsache aus einem einfachen Grund nicht als Argument gegen die Tätigkeit als Spielleiter gelten.

Ohne SL kann nicht gespielt werden. Lehnt ein Spieler also die Spielleitung aus Gründen des Zeit- und Arbeitsaufwands ab, schiebt er eigentlich den Aufwand nur jemand anderem zu. Er nimmt sich der Schwierigkeit nicht an, sondern entscheidet auf eine etwas unsoziale Art und Weise, dass sich jemand anderes kümmern soll.

Würde jeder Teilnehmer der Gruppe so vorgehen, würde nicht mehr gespielt. Wenn ein solches Problem in einer Gruppe besteht, empfiehlt es sich, mit wechselnden SLs zu spielen, um die Last auf mehrere Schultern zu verteilen.

Das Problem des Aufwands kann man außerdem durch ein wenig Improvisation am Spieltisch minimieren. Viele Neulinge unter den Spielleitern neigen dazu, sich sehr umfassend vorzubereiten und diverse Eventualitäten einzuplanen. Da jeder gute Plan aber mit dem ersten Feindkontakt hinfällig wird, lohnt sich auch solche Vorbereitung im Detail selten. Sobald die Spielsitzung begonnen hat, werden sich die Spieler ohnehin immer anders entscheiden als erwartet und geplant.

Zu guter Letzt hilft auch die Wahl des Regelsystems dabei, den Aufwand bei der Vorbereitung im Rahmen zu halten. Ein regelarmes System mit flexiblem Hintergrund zwingt dem Spielleiter weitaus weniger Recherche im Vorfeld auf, als ein Regelmoloch mit komplett definierter und festgefügter Hintergrundwelt.

Keine Ahnung

Der zweite Einwand gegen das Spielleiten besteht in mangelnder Kenntnis und/oder Erfahrung. Spieler gehen häufig davon aus, dass das Amt des Spielleiters von ihnen enzyklopädisches Wissen verlangt. Ob Regeln oder Hintergrundwelt, alles, was zum System zu lesen ist, muss der Spielleiter verinnerlicht haben und auf Kommando auswendig aufsagen können.

Aus dieser Vorstellung heraus gehen natürlich viele Spieler davon aus, dass ihr eigenes Wissen nicht ausreicht, um ein passables Abenteuer zu leiten. Diese Annahme könnte kaum falscher sein.

Ein erfolgreicher Spielleiter zeichnet sich nicht durch gesammeltes Wissen aus. Viel entscheidender für den Erfolg der Spielrunde sind seine Kreativität, um zu improvisieren, und seine Empathie, um die Wünsche und Bedürfnisse seiner Spieler zu erkennen.

Ob ein Abenteuer den offiziellen Hintergrundtexten eines Settings entspricht ist dabei absolut zweitrangig. Und ob alle beschriebenen Szenen buchstabengetreu den Spielregeln entsprochen haben ist völlig egal. Nicht umsonst enthält jedes gute Regelwerk den klaren Hinweis, Regeln zu ignorieren oder abzuändern, wenn es dem Spaß der Gruppe förderlich ist.

Natürlich könnte man immer noch argumentieren, dass auch Kreativität und Empathie gelernt werden müssen und somit mangelnde Erfahrung den Weg zum Sitz des Spielleiters blockiert. Aber hier gilt das alte Sprichwort: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Jeder fängt irgendwann an. Und mit etwas Übung wird die ganze Angelegenheit schnell zum Selbstläufer.

Kein Mut

Der letzte Einwand ist zugleich auch der vielfältigste und schwerwiegendste. Vielen Spielern fehlt der Mut, sich an eigenen Szenarien zu versuchen. Die Angst vor dem Spielleiten kann sich als Angst vor erfahreneren Spielern manifestieren, Angst nicht gut oder unterhaltsam genug zu sein, Angst zu wenig Inhalte zu bieten oder zu häufig abzuschweifen.

Die Angst besteht im Kern davor, anderen Menschen ein eigenes kreatives Produkt zu präsentieren und sich dadurch einer Bewertung auszusetzen. Zusätzlich besteht häufig noch ein Gefühl der Verantwortung der Gruppe gegenüber. Wenn der Abend schlecht gelaufen ist, trägt der Spielleiter Schuld.

Ich kann diese Angst nachvollziehen. Auch als Spielleiter mit jahrelanger Erfahrung und jeder Menge positivem Feedback im Rücken ergreift mich noch vor jeder Spielsitzung eine gewisse Nervosität. Vielleicht ist das sogar positiv, immerhin veranlasst mich dieses Gefühl dazu, mein Bestes zu geben. Trotzdem ist es letztendlich ein irrationales Gefühl.

Die Menschen im Spieltisch sind Freunde. Sie haben sich versammelt, um gemeinsam Spaß zu haben, nicht um Kritik an einer Einzelperson zu üben. Und auch wenn das Spiel nicht perfekt verlaufen wird, ist es trotzdem möglich, eine Erinnerung zu schaffen, die noch Jahre später immer wieder gerne ins Gespräch gebracht wird.

Neben den potenziellen Spielleitern selbst, die sich immer wieder bewusst machen sollten, dass ihre Ängste unbegründet sind, sind hier die restlichen Spieler der Gruppe gefragt. Wenn ein Mitspieler sein erstes Abenteuer leitet, sollte man ihm die passende Umgebung für diese Unternehmung bieten.

Konstruktive Kritik ist natürlich erlaubt, sollte aber der Situation angemessen sein und eher am Ende des Spielabends erfolgen. Während des Abenteuers gilt es, Augen und Ohren offen zu halten und zu helfen, wenn es nötig ist. Unsicherheiten bei der Anwendung von Regeln oder Überforderung durch ungeplante Spieleraktionen sind leichter zu bewältigen, wenn alle Personen am Spieltisch Ideen und Wissen beisteuern.

Der Lohn der Mühen

Nach dieser ausführlichen Betrachtung der Einwände gegen das Spielleiten steht also fest: Jeder kann Spielleiten. Es bleibt die Frage: Sollte auch jeder Spielleiten? Die Antwort hierauf ist ein emphatisches Ja. Ein Rollenspiel zu leiten ist keine quälende Notwendigkeit, die eine Person auf sich nehmen muss, damit die anderen Teilnehmer der Spielrunde Spaß haben können.

Spielleiter zu sein bedeutet, eine Form des Spiels zu erleben, die den Spielern nicht zugänglich ist. Das Leiten eines Abenteuers kann eine Freude sein, ein Spaß, den man in der Position des Spielers schlichtweg nicht erleben kann.

Über diesen besonderen Spaß hinaus, bietet das Amt des Spielleiters aber noch einige andere Belohnungen, die für jeden Rollenspieler Anreiz genug sein sollten, eigene Szenarien zu entwerfen. Einige dieser Belohnungen helfen dabei, das eigene Spiel als Spieler weiterzuentwickeln, andere zielen einfach nur auf das eigene Ego ab.

Anerkennung

Es mag banal klingen, aber die Anerkennung der Mitspieler ist die schönste und wichtigste Belohnung für einen Spielleiter. Am Ende des Tages sind wir alle nur Menschen und genießen es, von anderen gelobt zu werden. Daran ist nichts Verwerfliches, ganz im Gegenteil. Wer sich die Mühe macht, eine Geschichte speziell für seine Spieler und ihre Charaktere vorzubereiten, verdient Dank.

Es ist deswegen sehr zu empfehlen, am Ende der Sitzung aktiv Feedback der Spieler einzuholen. Nicht nur, dass man auf diesem Wege die eigenen Fähigkeiten verbessern kann, man wird in den meisten Fällen auch ausgiebig gelobt. Wichtig ist natürlich nur, sich die Lobhudelei nicht zu Kopf steigen zu lassen. Luft nach oben ist immer. Und auch der größte Meister kann manchmal noch etwas von einem blutigen Anfänger lernen.

Die ganze Wahrheit kennen

Spielleiter zu sein bedeutet, hinter die Kulissen zu blicken. Anders als alle Spieler kennt der Spielleiter alle Details der gespielten Geschichte. Die Charaktere können sich vielleicht einen Großteil der Informationen und Geheimnisse erarbeiten, der Spielleiter aber ist allwissend. Wer gerne umfassend informiert ist, findet hier vielleicht seinen besonderen Reiz an der eigenen Geschichte.

Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert

Es ist ein einzigartiges Gefühl, wenn die Spieler ihre Charaktere in die Falle tappen lassen, die man als SL platziert hat. Wenn die Spieler dem NSC vertrauen, der sie verraten wird. Aber auch, wenn sie, genau wie erwartet, die Tricks ihrer Gegner durchschauen oder den richtigen Rückschluss aus den präsentierten Hinweisen ziehen.

Zu erleben, wie sich eine Geschichte genau so entwickelt wie geplant ist eine große Genugtuung. Natürlich sollte man als Spielleiter nie damit rechnen, dass die Spieler sich verhalten wie erwartet, aber trotzdem kann man es schaffen, die eigenen Pläne erfolgreich umzusetzen. Zu beobachten, wie sich alles wie gewollt entwickelt, ist dann eine ganz besondere Genugtuung.

Lerne zu agieren

Als Spielleiter ist man immer wieder gefordert, die Handlung in Gang zu bringen und in Schwung zu halten. Wenn die Spieler nicht weiterwissen, ist der SL gefragt. Viele Spieler warten auf den Plot, um dann darauf zu reagieren.

Ein Spielleiter hingegen, ist viel häufiger gezwungen aktiv zu agieren. Er muss den Stein ins Rollen bringen, dem die Charaktere sich entgegenwerfen. Er muss die Dorfschönheit entführen lassen, die dann von den Helden gerettet wird.

Die Tätigkeit als Spielleiter bedeutet immer Übung darin, zu agieren. Für viele Spieler kann das eine sehr nützliche Übung sein, um aus der Rolle des passiv Reagierenden auszubrechen. Spieler, die selbstständig aktiv werden, bereichern das Spiel. Und unter Umständen erleben sie auch spannendere Geschichten, einfach, weil sie mehr dazu beitragen.

Lerne, stets „Ja“ zu sagen

Viele Regelwerke verlangen vom Spielleiter, im Zweifelsfall zu allen Ideen der Spieler immer „Ja“ zu sagen. Dieses „Ja“ wird, wenn nötig, um ein „Aber“ ergänzt, aber grundsätzlich gilt die Regel des Improvisationstheaters. Jeder Impuls wird aufgenommen und verwendet.

Manchen Spielern fällt es schwer, auf die Impulse des Abenteuers beziehungsweise des Spielleiters stets mit einem „Ja“ zu reagieren, insbesondere, wenn dieses „Ja“ Schwierigkeiten für den eigenen Charakter bedeutet. Selbst den Posten des Spielleiters zu übernehmen, hilft ungemein dabei, dieses Ja-Sagen zu lernen.

Fazit

Natürlich besteht nicht für jeden Rollenspieler ein Zwang, Abenteuer zu leiten. In vielen Spielrunden finden sich Spielleiter, die sehr zufrieden mit ihrem Posten sind und gar nicht das Bedürfnis haben, diesen weiterzugeben. Wenn alle Beteiligten Spaß am Spiel haben, ist alles bestens.

Deshalb soll dieser Text weniger einen Appell oder gar Befehl darstellen, sondern viel mehr eine Empfehlung aussprechen. Denn: Wer nicht leitet, ist selber schuld! Jeder Spieler kann davon profitieren, die Spielleitung zu übernehmen, auch wenn es nur in Ausnahmefällen geschieht. Wer den Schritt hinter den Sichtschirm wagt, erlebt eine weitere Facette dieses faszinierenden Hobbys, die sonst unentdeckt bleibt.

Die Ängste und Argumente, die den Weg zum Spielleiten versperren, erweisen sich bei nüchterner Betrachtung als überwindbar. Mit der Hilfe der Mitspieler und ein wenig Mut gelingen schnell spannende Szenarien und das Lob der Gruppe ist dem Jung-SL gewiss.

Sollte der ein oder andere Leser sich nach der Lektüre inspiriert fühlen und sein erstes Szenario leiten, hat dieser Text mehr erreicht als ich erwartet hätte. Wenn ihr aktiv geworden seid, berichtet mir gerne davon! Und wenn ihr als Spielleiter erstes Blut geleckt habt, hört ja nicht auf! Es lohnt sich.

Artikelbild: fotolia

 

19 Kommentare

    • Ja, natürlich mag fast jeder Rollenspieler eine der beiden Positionen am Spieltisch lieber. Dass ist sicherlich auch gut so, sonst gäbe es irgenwann nur noch SLs, die vor leeren Stühlen leiten oder Spieler, denen niemand ein Abenteuer anbietet. Trotzdem lohnt es, hin und wieder auch mal die Komfortzone zu verlassen. Man muss ja nicht gleich neue Maßstäbe fürs Hobby setzen.

    • Am meisten stört mich dann immer, wenn Freude mich wochenlang oder monatelang beackert haben und immerzu sagten „Ach komm, jetzt spiel‘ halt mal wieder ‚was mit…“ und ich dann am Tisch sitze und schon nach den ersten fünf Minuten merke, dass das einfach nicht meine Art Spiel ist und dass es auch nicht besser wird und einfach nichts vorangeht und alle bloß ihre Standardsprüche und Standardklischees herauslassen wollen.

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