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In Durchgeblättert werfen wir regelmäßig einen kritischen Blick auf Neuerscheinungen, Geheimtipps oder Klassiker aus der vielfältigen Welt der Graphic Novels. In dieser Ausgabe begleiten wir Österreichs Superhelden beim Kampf gegen einen Basilisken, finden uns in der Steampunk-Welt der Lady Mechanika wieder und nehmen es mit dem Gott des Flüsterns auf.

Eine bunte Entourage an den verschiedensten Heldenfiguren steht im Fokus dieser Ausgabe von Durchgeblättert. Ihr habt Freude an traditionellen Superheldengeschichten, aber genug von den immer gleichen Angeboten der amerikanischen Verlage? Dann liefern euch die Austrian Superheroes (ASH) mit der Rückkehr der Helden eine Alternative aus dem deutschsprachigen Raum. Oder doch eher Lust auf eine intensive Steampunk-Welt mit einer entschlossenen Heldin? Lady Mechanika ist zur Stelle! Und wem das Ganze nicht deprimierend genug ist, darf die unfreiwilligen Helden aus Seven of Eternity auf ihre hoffnungslose Mission einen Gott zu stürzen begleiten …

Wir hoffen, Ihr habt beim Lesen dieser Kritiken ebenso viel Spaß wie das Lesen der rezensierten Werke gemacht hat. Über Fragen oder Diskussionen in den Kommentaren freuen wir uns ebenso, wie über generelles Feedback zu unserem Format Durchgeblättert!

Seven to Eternity 1 | Der Gott des Flüsterns

Wie findet man sich in einer Welt zurecht, in der ein Großteil der Bevölkerung einer einzigen boshaften Macht hörig zu sein scheint? Für Adam Osidis wurde die Entscheidung von seinem Vater übernommen, der die Familie ins unfreiwillige Exil gebracht hat, um dem Einfluss des Gottes des Flüsterns zu entgehen. Ein schwerer Schicksalsschlag zwingt Adam jedoch dazu die Entscheidung des eigenen Vaters zu überdenken. Und so steht er vor der alles entscheidenden Frage, den Kampf gegen den mächtigen Kontrahenten aufzunehmen oder als erster der Osidis doch das Knie zu beugen …

Seven to Eternity 1 | Der Gott des Flüsterns erzählt eine Geschichte von Loyalität zur Familie, den Gefahren der eigenen Begierden und großen Opfern in einer düsteren Welt voller Zwietracht. Man befindet sich nicht in einer klassischen Heldensaga im Kampf Gut gegen Böse, denn in dieser Welt hat das Böse eigentlich schon gewonnen. Wobei – kann man eigentlich so einfach von dieser Zweiteilung in Schwarz und Weiß sprechen? Denn auch die Familie der Osidis wirkt nicht unbedingt wie Heilige, sondern geht bei der Gewährleistung der eigenen Sicherheit durchaus rücksichtslos vor. Und so ist es kein Wunder, dass Adam Osidis im Laufe der Handlung immer wieder Aspekte zeigt, die auch Zweifel an seinen Intentionen aufkommen lassen.

Das Ergebnis dieser Ausgangssituation ist damit ein Machtkampf mit dem Gott des Flüsterns auf der einen Seite und seinen wenigen verbliebenen Rivalen auf der anderen. Und ein Großteil der Spannung dieses Einstiegsbandes wird durch die Uneinigkeit der Akteure erzeugt. Hier scheint jeder nur auf seinen eigenen Vorteil zu achten und nimmt die Gesellschaft der anderen Mitstreiter nur als Mittel zum Zweck wahr. Und gerade im Kontext der hier vorgestellten Dystopie wird dadurch eine glaubhafte Kulisse erzeugt, die von Misstrauen und Furcht dominiert ist.

Dabei wird der Leser in Gott des Flüsterns in ein apokalyptisches Fantasy-Setting geworfen, das gerade zu Beginn sehr überfordern kann. Nur bruchstückhaft werden Informationen zur Welt und ihrer Geschichte präsentiert und selbst zum Ende des Bandes bleiben noch viele Fragen offen. Man erhält gerade so viele Andeutungen, um dem Verlauf der Geschichte noch folgen zu können. Wer langsam an ein neues Setting, seine Kulturen und Akteure herangeführt werden möchte ist hier mit Sicherheit falsch.

Denn Seven of Eternity setzt direkt auf epische Gefechte voller Magie, skurrilen Wesenheiten und brutaler Gewalt. Vereinzelt untermalen Panels oder Seiten voller Exposition das Geschehen, doch nur um direkt zur nächsten Action-Szene zu springen. Erst gegen Ende des Bandes kehrt etwas mehr Ruhe ein, die sich aber eher wie die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm anfühlt.

Gefördert wird der Adrenalin-Ritt durch einen sehr spezifischen visuellen Stil, der besonders durch die Charaktergestaltung heraussticht. Eine Vielzahl an Details und individuellen Merkmalen erschaffenen eine Detaildichte, die Ihresgleichen sucht. Gerade in Bildern mit vielen Akteuren kann dies beinahe überfrachtet wirken, da man so viele visuelle Reize verarbeiten muss. Doch die Qualität und der Einfallsreichtum des Designs erwecken eine Gier nach der nächsten epischen Szene und man kann den Band nicht aus der Hand legen.

Seven to Eternity 1 | Der Gott des Flüsterns lässt sich damit am besten als intensiv beschreiben. Man wird in eine epische und schnell ablaufende Geschichte voller visueller Höhepunkte geworfen. Die wenigen Momente der Pause zwischen diesen Highlights bringen Stück für Stück den Hintergrund näher, nur um gleich zur nächsten opulenten Szene zu wechseln. Dieser Band eignet sich damit nicht so sehr für Leute, die einen ruhigen Einstieg bevorzugen. Aber alle Freunde von actionreichen Geschichten mit ungewöhnlichen Charakteren und außergewöhnlicher visueller Gestaltung werden hier voll auf ihre Kosten kommen.

Die harten Fakten

  • Verlag: Cross Cult
  • Autor(en): Rick Remender
  • Zeichner(in): Jerome Opeña, Matt Hollingsworth
  • Seitenanzahl: 128
  • Preis: 25 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Lady Mechanika No. 1 – Das Geheimnis der mechanischen Leiche

Wir wechseln nun in das spätviktorianische Großbritannien, um den Abenteuern einer jungen und entschlossenen Frau zu folgen. Nachdem vor kurzem der zweite Teil zu Lady Mechanika von Splitter erschienen ist (welchen wir in der nächsten Ausgabe von Durchgeblättert besprechen) sehen wir uns nochmal den Erstling dieser Reihe von Joe Benitez an.

Die beste Beschreibung der titelgebenden Heldin liefert der Autor selbst in der Einleitung. Lady Mechanika soll eine Protagonistin sein, die zugleich stark und sexy ist, es aber niemals nötig hat mit ihren Reizen zu spielen. Und diese Vision zieht sich durch den gesamten Band, der perfekt zur Vorstellung einer anmutigen aber gleichzeitig verdammt gefährlichen Jägerin dient.

Doch worum geht es eigentlich? Die Geschichte im Steampunk-Setting dreht sich ganz um die Verschmelzung von Mensch und Maschine. Diese gefährliche, doch auch potentiell mächtige Wissenschaft weckt das Interesse vieler, unter anderem auch das mächtiger Konzerne. Und somit ist es nicht verwunderlich, dass man hierfür auch über Leichen geht. Und mittendrin steckt die als Lady Mechanika bekannte Jägerin. Wie der Name vermuten lässt ist sie selbst ein Resultat solcher Experimente, kann sich jedoch nicht mehr an ihre eigene Herkunft erinnern. Und so begibt sie sich, nur begleitet von einem Tüftler mit Alkoholproblemen, auf eine Suche nach Antworten über die eigene Identität, welche sie immer wieder in Konflikte mit mächtigen Gegenspielern führt …

Die Handlung von Lady Mechanika No. 1 – Das Geheimnis der mechanischen Leiche lässt sich damit am besten als Detektivgeschichte mit Biss beschreiben. Nach und nach erhält man einem Puzzle gleich mehr Informationen über den Prozess der Verbindung von Fleisch und Mechanik, die daran interessierten Akteure und die Protagonistin. Das soll nicht bedeuten, dass das Mysterium von Mechanikas Herkunft vollständig geklärt wird. Im Gegenteil wird der Leser nur mit gerade so vielen Informationen gefüttert, dass einzelne Stücke des Mosaiks zusammengeführt werden, aber das Gesamtbild im Verborgenen bleibt. Und gerade dieser Hunger nach mehr treibt die Geschichte voran und macht sie so unglaublich fesselnd.

Einen großen Anteil daran hat allerdings auch der weibliche Hauptcharakter. Als gelungene Kombination einer Femme Fatale mit trockenem Humor, aber auch einem goldenen Herz (bitte nicht wörtlich nehmen!) kann man Benitez Schöpfung nur verfallen. Sicherlich trägt auch der Faktor bei, dass Mechanika im Kampf gegen mächtige Industrielle und deren Schergen als Underdog dennoch nicht wehrlos ist und entschlossen ihre Suche nach Antworten fortführt. Geschickte Anspielungen auf die Vergangenheit der Protagonistin verleihen der Figur zusätzliche Kontur und erschaffen innerhalb des Werkes einen stimmigen und tiefgehenden Charakter. Unterstützt wird dieser durch interessante, wenn auch nicht so stark ausgearbeitete Nebencharaktere und Antagonisten, welche ein rundes Ensemble bilden.

Der feine und detaillierte Zeichenstil fängt die Steampunk-Atmosphäre zusätzlich sehr gelungen ein. Wundersame Gerätschafen und Waffen wirken aufgrund dessen glaubwürdig in die Welt integriert. Ein besonderes Augenmerk wurde auf die Figurengestaltung gelegt, allen voran der Hauptfigur. Wie eingangs bereits angesprochen ist sie (ähnlich im Stile von einigen Superheldencomics) bewusst sehr feminin gezeichnet worden, wirkt aber dennoch keineswegs übertrieben sexualisiert. Stattdessen liegt der Fokus deutlich auf der Gestaltung von Kleidung und Ausrüstung, sowie der Mimik. Einige Panels zeigen Großaufnahmen von Mechanikas Gesicht, welche in ihrem Detailgrad nur zu begeistern vermögen.

Auch ansonsten geizt Benitez nicht mit Liebe an Details, auch bei der Ausgestaltung von Actionszenen oder anderen Charakteren. Besonders fasziniert hat mich Mechanikas Begegnung mit dem Ensemble eines Zirkus, in der wir eine Vielzahl von extravaganten Charakterbildern präsentiert bekommen.

Die Kolorierung des Bandes ist generell etwas düsterer gehalten, jedoch gibt es auch Ausnahmen von dieser Regel. Interessant ist auch, wie sehr die Persönlichkeit der Charaktere in der Farbgestaltung eingebunden ist. Während Mechanika als Jägerin tendenziell eher in unauffällige Farben gehüllt ist, trägt eine Figur mit dem Namen Winter hauptsächlich weiße Kleidung, während der Gegenspieler Lord Blackpool auf dunkle und einschüchternde Farben setzt. Ein kleines Detail, welches aber angenehm ins Auge fällt.

Insgesamt ist an diesem Band kein großer Kritikpunkt zu finden. Die Geschichte ist eine spannende Verfolgungsjagd an der Seite einer vielschichtigen Protagonistin. Geschickt und Zug um Zug führen Enthüllungen zum langsamen Zusammenfügen eines Puzzles, während gleichzeitig noch genug offene Mysterien die Neugier am Leben erhalten. Der visuelle Stil ist detailliert, vielfältig und stimmungsvoll. Zusammengefasst ein Meisterwerk von einem Graphic Novel.

Die harten Fakten

  • Verlag: Splitter
  • Autor(en): Joe Benitez
  • Zeichner(in): Joe Benitez, Peter Steigerwald
  • Seitenanzahl: 112
  • Preis: 19,80 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

ASH – Rückkehr der Helden

Ähnlich wie bei Lady Mechanika betrachten wir hier den ersten Band einer Serie, die vor kurzem einen Nachfolger veröffentlicht hat. In diesem Falle sprechen wir jedoch von einer auf den ersten Blick ungewöhnlichen Gruppe von Superhelden – den Austrian Superheroes (kurz: ASH) um Captain Austria Jr., dem Donauweibchen, Lady Heumarkt und dem geheimnisvollen Bürokraten.

Ähnlich interessant wie die Ausgangslage ist jedoch die Geschichte dieses Projektes. Am Ende des Sammelbandes wird dem Leser kurz der Weg zur Realisierung der österreichischen Heldengruppe vorgestellt. Ausgangspunkt war die Frage: „Warum gibt es in dieser von amerikanischen Helden dominierten Welt eigentlich nichts Vergleichbares aus dem deutschsprachigen Raum?“. Und ein paar Gespräche mit Gleichgesinnten und eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne ließen das ambitionierte Projekt Wirklichkeit werden. Und scheinbar zu Recht, denn mittlerweile gibt es von ASH bereits zehn Einzelhefte (der hier besprochene Sammelband umfasst die ersten vier Ausgaben) und mit der Liga deutscher Helden und Trachtman ähnliche Projekte aus Deutschland.

Denn der Großteil des Charmes dieses Bandes ergibt sich aus den Anspielungen an das Ursprungsland Österreich. Das beginnt bei den Namen der Akteure (so ist beispielsweise das Donauweibchen Bestandteil einer bekannten Wiener Sage), geht über die hauptsächlich in Wien und Graz spielenden Handlungen und endet bei Details wie dem Dialekt von Lady Heumarkt und einzelnen Anspielungen.

Doch diese Stärke ist gleichzeitig die größte Schwäche der Helden aus Österreich. Denn obgleich man versucht die Abenteuer für alle Leser zugänglich zu halten (beispielsweise durch Erläuterungen innerhalb der Texte) macht die Bindung zu dem Gezeigten einen Großteil des Reizes aus. So dürfte es für Wiener einen komplett anderen Eindruck machen, den Wiener Rathausmann im Kampf gegen einen riesigen Basiliken zu sehen.

Das bedeutet nicht, dass man als Nicht-Österreicher keinen Spaß mit ASH haben kann. Die Geschichten sind zwar keine Offenbarungen im Genre der Superhelden, aber insgesamt abwechslungsreich und kurzweilig geschrieben. Auch handwerklich machen die Helden alles richtig und weisen einen sauberen Zeichenstil auf. Nachdem an den verschiedenen Bänden auch mehrere Künstler beteiligt waren erhält man zwischen den vier Episoden sogar unterschiedliche Zeichenstile. Zu Beginn verwirrt das eventuell ein wenig, insgesamt lernt man die Abwechslung jedoch zu schätzen. Und auch der Humor kommt nicht zu kurz, weswegen man den Autoren auch anmerkt, dass sie einen riesigen Spaß bei der Gestaltung hatten.

Zusammenfassend bietet ASH durchaus eine Erfahrung, die frischen Wind in die Landschaft der Superheldencomics bringt. Gerade Leser mit Kenntnis der Kultur von Österreich werden hier durch die liebevollen Anspielungen auf ihre Kosten kommen. Abseits davon werden solide Geschichten geboten, die ohne die oben angesprochene Kenntnis jedoch nicht ganz ihre Wirkung entfalten können. Dennoch lohnt es sich, dem Projekt eine Chance zu geben und die Entwicklung der ersten Superhelden aus Österreich weiter im Auge zu behalten.

Die harten Fakten

  • Verlag: Cross Cult
  • Autor(en): Harald Havas
  • Zeichner(in): Thomas Aigelsreiter, Patrick Kloepfer
  • Seitenanzahl: 144
  • Preis: 16,90 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Zwischenfazit des Monats

Wie vielfältig Helden in unserer heutigen Zeit sein können, hat diese Ausgabe von Durchgeblättert hoffentlich zeigen können. Gerade die Austrian Superheroes beweisen, dass ein frischer Ansatz eines bewährten Prinzips zu einem sehr speziellen Ergebnis führen kann und damit noch viel Potenzial für Geschichten vorliegt. Doch auch Lady Mechanika und Seven to Eternity demonstrieren die Vielfalt bei der Gestaltung von Protagonisten, unabhängig von Genre und Setting.

In der nächsten und zweiten Februar-Ausgabe von Durchgeblättert liegt der Fokus ganz auf „Band 2“. Neben den Fortsetzungen von ASH und Lady Mechanika werden wir auch einen alten Bekannten wieder treffen und Lord Baltimore auf seiner nächsten Monsterjagd begleiten.

Artikelbilder: Cross Cult, Splitter, Bearbeitung: Roger Lewin
Diese Produkte wurden kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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