Geschätzte Lesezeit: 9 Minuten

Letztes Jahr hat Tales from the Loop die Herzen vieler 80er-Fans höher schlagen lassen. Die Spieler schlüpfen in die Rolle von Kindern und Jugendlichen, die in der kultigen Dekade fantastische Abenteuer erleben können. Bietet dieser Sammelband nun brauchbares neues Material oder kann man ihn links liegen lassen?

Im Dezember des vergangenen Jahres erschien mit Our Friends the Machines and other Mysteries die erste Abenteuersammlung für Tales from the Loop. In diesem Rollenspiel können die Spieler in die noch nicht ganz so ferne Vergangenheit der 1980er reisen und dort in die Haut von Kindern und Jugendlichen im Alter von 10 bis 15 Jahren schlüpfen. Wer also die Magie von Filmen wie Die Goonies, E.T. oder auch neuen Serien wie Stranger Things liebt, der sollte sich dieses System schnellstens zulegen, wie auch unser Spieltest belegt. Ein paar Abweichungen von den realen 80ern gibt es jedoch: An manchen Orten in Westeuropa und den USA befinden sich riesige unterirdische Teilchenbeschleuniger, umgangssprachlich Loops genannt, Magnetschwebelaster donnern über die Highways und die Robotik hat bereits beachtliche Fortschritte erzielt. Mit dieser Thematik steigt man auch in das namensgebende Szenario dieses Bandes ein.

Our Friends the Machines

Our Friends the Machines – Ein charmantes Szenario das sich gut in die Spielwelt einfügt

Typisch für die 80er: Passend zu einer billig produzierten Zeichentrickserie, kommt eine neue Produktlinie von Actionfiguren auf den Markt. „Our Friends the Machines“ handelt von zwei verfeindeten Gruppen von Robotern, die sich, ähnlich wie die Transformers, in andere Maschinen verwandeln können. Die guten Convoys kämpfen für Gleichberechtigung, faire Bezahlung und Selbstbestimmung. Die bösen Deceivers wollen hingegen das Recht des Stärkeren durchsetzen und die Arbeiterklasse ausbeuten. Hinter den Figuren stehen als Ideengeber sozialistische Lokalpolitiker (wenn der Loop in Schweden oder England steht) oder ambitionierte Alt-Hippies (wenn das Szenario in die USA verlegt wird).

Dies könnte eine obskure Randnotiz der Spielzeuggeschichte bleiben, wenn sich nicht merkwürdige Vorkommnisse bei den Besitzern der Figuren häufen würden. Irgendwann kommen die Kids dahinter, dass etwas nicht stimmt und bemerken, dass die Figuren langsam ein Eigenleben entwickeln.

Spoiler

Zwei KIs haben sich aus dem Loop befreit. Sie fanden ihren Weg in die nahe Fabrik, in der die Spielzeugroboter hergestellt werden. Dort übernahmen sie im Verborgenen die Kontrolle und manipulieren nun die Produktion der mechanisierten Actionfiguren. Diese haben den Auftrag, still und heimlich Kontrollchips in den Köpfen ihrer neuen Besitzer zu platzieren. Dabei konzentrieren sie sich auf Erwachsene, da sie Kinder nicht als Bedrohung oder nützliche Wirte betrachten.

Deswegen bleiben die Spieler erst einmal verschont, geraten aber in den eskalierenden Konflikt zwischen den beiden KIs. Eine möchte die Weltherrschaft übernehmen und kontrolliert die Herstellung der Deceivers, wohingegen die andere KI über die Produktion der Convoys eine Koexistenz mit den Menschen anstrebt. Die Convoys können den Kids also helfen, wenn diese den Kampf gegen die Deceivers aufnehmen.

[Einklappen]

Insgesamt ist Our Friends the Machines ein sehr charmantes Szenario, dass eher an Small Soldiers denn an Transformers – gemeint sind die die Michael-Bay-Filme – erinnert und sich gerade deswegen gut in die, trotz aller Fantasie, bodenständige Welt von Tales from the Loop einfügt.

Horror Movie Mayhem

Horror Movie Mayhem – Maßnahmen zur moralischen Festigung der Jugend eher fragwürdiger Natur

Dieses Szenario widmet sich der „moral panic“, die in den 80ern vor allem in den USA grassiert. Horrorfilme, Heavy Metal und Fantasy-Rollenspiele seien allesamt Türöffner in eine Welt voller Perversionen, Mord, Satanismus und Drogenmissbrauch. Besorgte Eltern organisieren sich deswegen in Gruppen, die es sich zur Aufgabe machen, die moralischen Missstände im Keim zu ersticken.

Auch in der Heimat der Spielerfiguren organisiert sich in den Sommerferien eine solche Gruppe. Die Ereignisse spitzen sich zu, als demonstrierende Eltern die örtliche Videothek stürmen, um sie vom vermeintlichen Schund zu reinigen. Die Kids sind zufällig auch vor Ort und bekommen aufgrund des fanatischen Verhaltens der Erwachsenen und anderer Hinweise den Eindruck, dass mehr hinter der Sache steckt.

Spoiler

Eine Loop-Mitarbeiterin und besonders engagierte Elternvertreterin hat ein Programm zur Gehirnwäsche entwickelt. Über kurz oder lang will sie alle Eltern des Orts umprogrammieren und somit den Grundstein für die moralische Reinigung des Ortes legen, die ihrer Meinung nach längst überfällig ist. Es liegt an den Protagonisten, ihre Pläne zu vereiteln, bevor sie alle Erwachsenen bei einer zentralen Veranstaltung versammeln kann.

[Einklappen]

The Mummy in the Mist

The Mummy in the Mist – der Kunstgriff kindlichen Alltag einzubinden macht das sehr phantastische Szenario glaubwürdiger

In diesem Szenario drückt seit einigen Tagen dichter Nebel auf die Stimmung im Heimatort der Kids. Als wäre dieses Wetterphänomen nicht genug, häufen sich auch die Berichte, dass sich eine Mumie am Ufer des nahen Sees herumtreibt. Oder hat das etwas mit den Patrouillen von Loop-Mitarbeitern zu tun, die zunehmend in der Umgebung zu sehen sind? Die Charaktere kommen nach und nach einem verschachtelten Geheimnis auf die Spur und erfahren, wie alles zusammenhängt.

Spoiler

Es ist ein komplexes Mysterium: Das Experiment eines deutschen Wissenschaftlers, der sich im Heimatort der jungen Abenteurer niedergelassen hat, ist schiefgegangen. Sein Körper verändert sich und wird langsam unsichtbar. Die bereits am schwersten betroffenen Körperteile wickelt er in Lumpen, wodurch sein Aussehen an eine Mumie erinnert.

Für den Nebel sind hingegen Wesen aus einer anderen Dimension verantwortlich, die von dem armen Herrn angezogen werden. Den Mitarbeitern des Loop ist dies nicht entgangen. Unbemerkt von der Öffentlichkeit jagen sie die außerdimensionalen Wesen. Wenn sie es gut anstellen, können die Kids nicht nur dieses Mysterium ergründen, sondern auch dem deutschen Wissenschaftler helfen, bevor er zwischen die fremden Kreaturen und die Schergen des Loop gerät.

[Einklappen]

The Mummy in the Mist nimmt sich Zeit, die Spieler langsam zur eigentlichen Story hinzuführen. Als einziges Szenario in diesem Band bindet es den schulischen Alltag der Spielercharaktere ein und wird dadurch unterhaltsamer und glaubwürdiger.

Mixtape of Mysteries

Mixtape of Mysteries – Angelehnt an populären Songs aus den 80ern werden kleine aber feine Szenarien ausgebreitet

Auf diesem verschriftlichen Mixtape befinden sich acht bekannte Songs aus den 80ern. Hinter jedem Songtitel verbirgt sich ein kleiner aber feiner Szenario-Aufhänger. Auf die einzelnen Ideen möchte ich an dieser Stelle nicht ausführlich eingehen, mich ihnen aber trotzdem kurz widmen.

Während „Sweet Dreams“ von den Eurythmics von der Grundidee an die ersten beiden Szenarien dieses Bands erinnert, besticht „Every Breath You Take“ von The Police mit einer düsteren Story über aggressive Jugendliche, die gänzlich ohne fantastische Elemente auskommt. „Girls Just Wanna Have Fun von Cyndi Lauper widmet sich der Anziehungskraft einer satanischen Gruppe, „Where Is My Mind von den Pixies einem Psychiater mit ungewöhnlichen Behandlungsmethoden.

Die B-Seite startet mit „Nightrain“ von Guns n‘ Roses und einem musikalisch begabten Landstreicher, gefolgt von meinem persönlichen Highlight, nämlich Alphavilles „Forever Young“, das sich auf die Schulzeit der Charaktere und einige neue Schüler konzentriert. „Thriller“ von Michael Jackson ist sicherlich der übernatürlichste Song auf diesem Tape, wirkt aber etwas unfertig und konstruiert. „Heaven Is A Place On Earth von Belinda Carlisle rundet das Tape schließlich mit einer verschlossenen Freikirche ab, die sich in der Nähe des Heimatorts der Spielercharaktere niederlässt.

Insgesamt bietet das Mixtape eine Menge interessantes Spielmaterial. Bei fast jedem Szenario kann ich mir vorstellen, es einmal auszuprobieren. Lediglich „Thriller“ wirkt, trotz seiner spannenden Ausgangssituation, etwas abstrus, was aber auch an einem Formfehler liegen kann. Denn die Einstiegsmöglichkeiten werden am Ende noch einmal mit anderen Worten wiedergegeben, wohingegen Impulse zur weiteren Entwicklung oder Auflösung des Szenarios, die sonst an dieser Stelle stehen, völlig fehlen.

 Wer nach all diesen Szenarien immer noch Spielmaterial braucht, kann sich gerne das kleine aber feine Szenario anschauen, das unser Redakteur Felix geschrieben hat.

Hometown Hack

Gelungen ist auch die kleine Anleitung, um seine eigene Loop-Location zu basteln. Solltet ihr aus einer Kleinstadt mit höchstens ein paar tausend Einwohnern stammen, erfahrt ihr in einem Kapitel, wie ihr eure Heimat in die Welt von Tales from the Loop übertragen könnt. Als anschauliches Beispiel dienen die englischen Norfolk Broads, in denen einige Modiphius-Mitarbeiter aufgewachsen sind. Die Gegend in East Anglia bekommt in Our Friends the Machines eine – sehr knappe – Beschreibung und eine hübsche Karte spendiert. Großstadtkinder, wie der Autor dieser Zeilen, können mit etwas Fantasie auch ihren heimatlichen Stadtteil einbetten, oder müssen sich beim Wohnort der ländlichen Verwandtschaft bedienen.

Erscheinungsbild

Das Artwork von Simon Stålenhag ist – das muss man an dieser Stelle einfach sagen – wunderschön. Leider passt es so gut wie nie zum Inhalt der Szenarien. Der Fokus liegt ganz klar auf den Maschinen und Robotern, die Tales from the Loop von den realen 80ern abheben. Dadurch sind sie im Artwork präsenter als in den Abenteuern und der landläufigen Vorstellung von den 80ern. Ein paar mehr Bilder von alltäglichen Situationen, vor allem mit den spielbaren Kids, wären hier sinnvoller gewesen.

Die schwarzweißen Charakterporträts stammen von Reine Rosenberg und stellen die zahlreichen Nebenfiguren stimmig dar. Ausfälle sind nur selten zu verzeichnen. Dank ihres rahmenlosen Designs fügen sie sich gut in das restliche Layout ein. Insgesamt ist der Band sauber durchstrukturiert und sehr übersichtlich. 

Die harten Fakten:

  • Verlag: Modiphius / Free League
  • Autoren: Mikael Bergström et al.
  • Erscheinungsjahr: 2017
  • Sprache: Englisch
  • Format: Hardcover / PDF
  • Seitenanzahl: 104
  • ISBN: 978-91-87222-93-1
  • Preis: 28,99 EUR (Hardcover) / ca. 17,99 EUR (PDF)
  • BezugsquelleDriveThruRPG, Sphärenmeister

 

Fazit

Der erste Abenteuerband für Tales from the Loop ist ein bunter Strauß schöner Abenteuerideen, der nur selten ins dröge Mittelmaß abstürzt. Wer mag, kann mit dieser Kompilation ganze Jahre in der aufregenden Dekade der 80er füllen. Schön ist, dass in manche Szenarien auch der Schulalltag mit all seinen Höhen und Tiefen eingebunden wird. Manchmal wirkt der Einstieg in die Szenarien jedoch etwas erzwungen. In diesem Punkt haben die Autoren wohl oft darauf gebaut, dass die reine Neugier der Kids diese tiefer ins Mysterium treibt. Insgesamt hat jedes Szenario mindestens eine kleine Macke, aber fast alle fangen auf charmante Art und Weise das gewünschte kindlich-abenteuerliche Ambiente der 80er ein – oder zumindest die Klischees, die wir damit verbinden. Wer bereits Fan von Tales from the Loop ist, sollte sich diesen Band zulegen, falls er ihn nicht ohnehin schon unterm Weihnachtsbaum liegen hatte.

 

 

Artikelbilder: © SIMON STÅLENHAG AND FRIA LIGAN AB
Dieses Produkt wurde kostenlos als PDF zur Verfügung gestellt.

 

1 Kommentar

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein