Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Nationen lösen ihre Konflikte auf die unterschiedlichsten Arten. Diese reichen von Diplomatie über Handel bis hin zu Krieg. Die sich gegenüberstehenden Kontrahenten der Graphic Novel Mechanica Caelestium gehen einen komplett anderen Weg: Sie lösen ihre Streitfrage durch einen Wettkampf, der stark an Völkerball mit einigen Überraschungen erinnert.

Manche Graphic Novel überrascht auf eine positive Weise. Das kann beispielsweise durch eine ungewöhnliche Inszenierung, einzigartige Atmosphäre oder die gelungene Kombination unterschiedlicher Genre-Stereotypen erfolgen.

Mechanica Caelestium fällt in die letztgenannte Kategorie. Der erste Eindruck lässt eine klassische Endzeitgeschichte erwarten. Prinzipiell ist es nicht falsch, Mechanica Caelestium als solche zu bezeichnen. Doch würde man damit diesem Werk des französischen Schöpfers Merwan Chabane nicht gerecht. Vielmehr schafft es seine Graphic Novel, ein Endzeitszenario mit einer Geschichte über das Erwachsenwerden, Verantwortung und Zusammenarbeit zu verbinden.

In dieser Hinsicht erinnert Mechanica Caelestium an die dystopische Romanreihe Die Tribute von Panem. Im Gegensatz zu Suzanne Collins‘ Bestseller lebt die Graphic Novel aus Frankreich stark von ihrem Humor und Leichherzigkeit.

Handlung & Charaktere

Wir schreiben das Jahr 2068. Nach einer unbekannten Katastrophe hat sich die alte Weltordnung aufgelöst. Irgendwo im ehemaligen Frankreich befindet sich die kleine Bauernsiedlung Pan. Neben den generellen Problemen dieser Zeit haben es deren Bewohner auch mit umherschweifenden Piraten zu tun. Als wäre dem nicht genug, taucht eines Tages ein Vertreter des mächtigen Nachbarn Fortuna auf.

Dessen Forderung ist einfach: Pan soll sich dem Reich anschließen und im Gegenzug ein Viertel seiner Ernte abgeben. Weigern sich die Vertreter der Siedlung, werden die Waffen sprechen. Eine schwierige Entscheidung für den höchsten Volksvertreter von Pan. In Panik geraten verlangt er eine Lösung des Streits mit Hilfe der Mechanica Caelestium.

Doch dummerweise wissen die Bewohner von Pan nicht mal, worum es sich dabei handelt. Glücklicherweise stehen sie nicht alleine da. Ein lang verschwundener Bewohner von Pan ist zurückgekehrt und bereit ein Team zu formen. Wofür? Für die Mechanica Caelestia natürlich! Denn dabei handelt es sich um nichts anderes als um Völkerball auf Steroiden. Welches Team am Ende zwei von drei Spielen gewinnt, erringt den Sieg für seine Heimat.

Zugegeben kam die Enthüllung der Natur der Mechanica Caelestia für mich unerwartet. Noch überraschender ist, welch eine packende Handlung man aus diesem Szenario gestalten kann. Die Auseinandersetzungen zwischen Pan und Fortuna sind geprägt von Dramatik, Humor, Emotionen und Spannung. Gleichzeitig wirkt die Handlung über die gesamten 208 Seiten hinweg erfrischend leichtherzig. Zwar steht viel auf dem Spiel, doch glücklicherweise gehen die Kontrahenten mit Bällen anstelle von Waffen aufeinander los. Wobei auch in dieser Hinsicht das Spiel einige Überraschungen aufweisen kann.

Ein kleiner Schwachpunkt des Bandes sind die Charaktere. Im Fokus stehen einige Spieler der Mannschaft von Pan, allen voran die vorlaute Aster. Da das Hauptaugenmerk auf den Matches liegt, sind die meisten Figuren lediglich oberflächlich gestaltet. An einigen Stellen unternimmt Merwan Chabane den Versuch der Vertiefung, lässt diesen aber schnell wieder fallen. Das beste Beispiel hierfür ist die Frage nach Asters Herkunft.

Damit lässt Mechanica Caelestium Potential liegen. Jedoch sind die Spiele des Turniers die eigentlichen Stars des Bandes. Jede Runde ist dramaturgisch hervorragend ausgearbeitet und auf ihre eigene Art und Weise mitreißend. Die oberflächlichen Charaktere kann man deswegen gut verkraften.

Zeichnungen & Kolorierung

Merwan Chabane setzt auf einen semi-realistischen Zeichenstil. Die Charaktere sind überzeichnet, aber wirken nicht karikaturartig. Besonders bei emotionsgeladenen Szenen macht sich dies bemerkbar. Merwan versteht sich auf den Einsatz von Gestik und Mimik zur Untermalung der Gefühle seiner Figuren.

Darüber hinaus verleiht die Überzeichnung den Wettkämpfen zusätzliche Dynamik. Man kann als Leser*in förmlich die Wucht spüren, mit der ein Spieler den Ball auf seine Gegenspieler wirft. Gleichzeitig beweist der Zeichner ein feines Gespür für den Spannungsaufbau durch die Anordnung der Szenen. Während stellenweise mehrere Minuten zwischen den Panels vergehen, reduziert sich der Abstand bei spannungsgeladenen Momenten auf Sekunden. Somit hat es fast den Anschein, als würde man bei einer Live-Übertragung mitfiebern.

Die Kolorierung im Wasserfarben-Stil sorgt für einen farbenfrohen, verwaschenen Stil. Merwan setzt bei seiner Farbwahl auf ungesättigte Farben, wodurch die gesamte Graphic Novel hell und freundlich wirkt. Dennoch kommt der Dramatik dadurch nichts abhanden. Vielmehr trägt die Kolorierung ebenfalls zur Schaffung des leichtherzigen Eindrucks bei.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Schreiber & Leser
  • Autor: Merwan Chabane
  • Zeichner: Merwan Chabane
  • Sprache: Deutsch
  • Seitenanzahl: 208
  • Preis: 32,80 EUR
  • Bezugsquelle: Fachhandel, Amazon, idealo

 

Fazit

Mechanica Caelestium beginnt unscheinbar, um nach einem Viertel seiner Handlung zu überraschen. Die kuriosen Völkerball-Duelle zwischen den beiden Kontrahenten Pan und Fortuna sind originell, packend und bravourös umgesetzt. Als Fan der Mannschaft von Pan habe ich auf jeder Seite mitgefiebert und konnte die Graphic Novel kaum zur Seite legen.

Lediglich abseits vom Spielfeld hat die Handlung mit Problemen zu kämpfen. Die Charaktere sind oberflächlich, ebenso wie der angedeutete Gedanke der Revolution des kleinen Pan gegen das mächtige Fortuna. Vermehrt werden neue Themen angedeutet, die allerdings schnell wieder fallen gelassen werden.

Umso mehr Spaß hat man abschließend bei den eigentlichen Stars von Mechanica Caelestium, den einzelnen Runden des titelgebenden Wettbewerbs. Dank der visuellen Inszenierung sind diese dynamisch und actionreich dargestellt. Stellenweise hat man das Gefühl, der Live-Übertragung eines echten Sportereignisses beizuwohnen. Kombiniert mit dem atmosphärischen Wasserfarbenstil ergibt das eine visuelle sehr ansehnliche Graphic Novel.

Überraschungen wie Mechanica Caelestium sehe ich zugegeben immer seltener. Nicht nur deswegen kann ich allen Interessierten nur empfehlen, diese ungewöhnliche Graphic Novel nicht zu verpassen.

mit Tendenz nach unten

Artikelbilder: ©Schreiber & Leser
Layout und Satz: Verena Bach
Lektorat: Nina Horbelt
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein