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Zwei junge Menschen, die in A Song of Wraiths and Ruin ihre eigene Agenda verfolgen: Der mittellose Malik, der seine Schwester aus den Fängen eines Geistes befreien möchte, und die junge Königin Karina, die ihre Mutter aus dem Totenreich zurückholen will. Beide müssen zum Erreichen ihres Ziels eine Bedingung erfüllen.

Alle zehn Jahre finden im Reich Sonande die Spiele von Solstasia statt. Sieben Champions treten an, um diesen Wettkampf unter sich auszumachen. Als ein sowohl unerbittlicher als auch listiger Geist die Schwester des Geflüchteten Malik entführt und ihre Rettung an eine Bedingung knüpft, tritt Malik als Champion in das Turnier ein. Die ihm gestellte Aufgabe, die junge Königin Karina zu töten, hat auf diese Weise die besten Erfolgsaussichten: Malik kann als Sieger der Spiele der Königin ganz nahekommen.

Die Königin wiederum möchte ihre Mutter, die bei einem Anschlag tödlich verwundet wurde, von den Toten zurückholen. Eine Zutat, die sie hierfür benötigt, ist das Herz eines Königs. Kurzerhand ruft sie ihre Hand als zusätzlichen Preis für den siegreichen Champion des Turniers aus. So nehmen die Ereignisse in A Song of Wraiths and Ruin ihren Lauf und entführen die Leserschaft in das überbordende Leben in der Hauptstadt des Reiches Sonande zur Zeit der Spiele von Solstasia.

Story

Die Ausgangslage der Geschichte verspricht ein spannendes Lesevergnügen: Die Lesenden fiebern mit den beiden Protagonist*innen mit und bangen, ob es einem*einer gelingt, das Ziel, das den (eventuellen) Tod des*der anderen zur Folge hätte, zu erreichen.

Für Malik ist die Zielperson klar: Der Tod von Karina wird eindeutig durch den Geist, der Maliks kleine Schwester in seiner Gewalt hat, gefordert. Deswegen muss er als Champion die Gelegenheit nutzen, der Königin näher zu kommen. Die besten Chancen rechnet er sich durch den Sieg des Turniers aus. Doch auch die anderen Champions haben ihre Verbindungen zum Königshaus und ihre ganz eigenen Vorstellungen von einem optimalen Ausgang des Wettstreits. Zudem muss Malik sich mit seiner Angststörung auseinandersetzen, die ihm wohl seit längerer Zeit zu schaffen macht und die durch die Fluchterfahrung, die ihn und seine Schwestern in die Hauptstadt bringt, noch intensiviert wurde. Als er Karina schließlich begegnet, kommt noch eine Herausforderung mehr auf ihn zu.

A Song of Wraiths and Ruin ist zudem als Coming-of-Age-Geschichte einzuordnen.

Karina hingegen muss den nicht lange zurückliegenden Mord an ihrer Mutter verkraften und sich zudem mit ihrer neuen Rolle als Königin anfreunden. Dass es im Rat des Reiches zudem rumort und die Führung der langjährigen Oberhäupter der verschiedenen Adelsfamilien für das junge Mädchen eine Herausforderung darstellt, kommt als Schwierigkeit hinzu. Der Tod ihrer Mutter soll der Bevölkerung verschwiegen und die Spiele wie geplant durchgeführt werden. Karina erhofft sich von der Totenbeschwörung ihrer Mutter eine Rückkehr in ihr altes Leben. Doch welcher Champion soll geopfert werden? Die junge Königin muss lernen, intrigant zu handeln, um ihr Ziel zu erreichen und den Champion, den sie als Opfer auserkoren hat, zum*zur Gewinner*in der Spiele zu machen.

Da die gesamte Erzählung in die Festivitäten und den Solstasia-Wettbewerb eingebettet ist, ergibt sich eine natürliche Dynamik, die in einem aufregenden Finale gipfelt. Leider wird den Aufgaben nicht der Platz in der Geschichte eingeräumt, den es gebraucht hätte, um wirklich mitzufiebern. Vor allem die erste Aufgabe wird derart zufällig gelöst, dass klar wird, dass hierauf nicht das Hauptaugenmerk liegt. Auch die anderen Champions werden größtenteils sehr blass beschrieben. Hier wird leider Potenzial verschenkt.

A Song of Wraiths and Ruin ist zudem als Coming-of-Age-Geschichte einzuordnen. Malik und Karina werden beide durch plötzlich eintretende Ereignisse gezwungen, einen großen Entwicklungsschritt zu vollziehen und auf einmal Entscheidungen zu treffen, die weitreichende Folgen haben können. Vor allem Karina rebelliert anfangs enorm gegen diesen Zwang, verständlicherweise, führte sie doch bis zum Mord an ihrer Mutter ein zum größten Teil sorgloses Leben im Palast. Doch auch Malik hadert stellenweise mit seinem Schicksal als Retter der Familie.

Die Nebenrollen sind teilweise gut und glaubhaft ausgestaltet. Allen voran ist hier der Palastaufseher Farid zu nennen, der schon als Kind unter die Fittiche der Königin genommen wurde und somit das letzte verbleibende Familienteil für Karina darstellt, nachdem ihr Vater und ihre Schwester schon vor langer Zeit unter tragischen Umständen verschieden. Farid und Karina pflegen eine gut erzählte Geschwisterbeziehung, die sowohl von Nähe als auch von Konflikten charakterisiert ist. Grundsätzlich anders ist die Beziehung zwischen Malik und seiner großen Schwester Leila. Leila hatte für Malik lange Zeit eine mütterliche Rolle inne, doch die jüngsten Ereignisse zerreißen dieses Machtgefüge. Beide müssen sich in der neuen Situation zurechtfinden und ihre Beziehung zueinander neu ordnen. Leider sind sowohl die anderen Champions als auch die Ratsmitglieder eher schablonenhaft beschrieben.

Schreibstil

Roseanne A. Brown entführt die Lesenden in A Song of Wraiths and Ruin in das große, von westafrikanischer Folklore inspirierte Reich Sonande. Die Macht über das Reich konzentriert sich auf den Stadtstaat Ziran, wo auch der Palast der König*innen zu finden ist. Der Einschlag Westafrikas findet sich in verschiedenen Ebenen und zieht sich konsequent durch den ganzen Roman. So wird beispielsweise die Macht der Geschichtenerzähler*innen von Anfang an deutlich. Auch die Auswahl und Beschreibung der Mahlzeiten zeigen den erzählerischen Hintergrund dieser Welt. Für durch westliche Phantastik geprägte Leser*innen mag einiges am Anfang ungewohnt wirken, doch Brown schildert gut zugänglich, und schon bald wird Ziran vertraut.

Magie ist in dieser Welt zwar vorhanden, wird aber von den Menschen sorgenvoll betrachtet, verleugnet oder abgelehnt. Malik als magiebegabter Mensch muss diese unterdrücken. Trotzdem bahnt die Magie sich ihren Weg an die Oberfläche auf die eine oder andere Weise.

Geprägt ist das Reich Sonande zudem von einer grundlegenden Hierarchie unter den Bevölkerungsgruppen, und auch Fluchtbewegungen aufgrund von bewaffneten Konflikten werden thematisiert. Malik kommt ebenfalls als Geflüchteter in die Stadt. Allerdings gelingt ihm dies nur durch eine List, denn Ziran ist streng abgeriegelt.

Kapitelweise wechselt die Autorin zwischen Malik und Karina als Protagonist*in. Dies ist an den Stellen, an denen die beiden sich begegnen, besonders reizvoll. Ansonsten ist diese Form der Erzählperspektive gelungen, da die Lesenden so jederzeit informiert sind, aber gleichzeitig sich gedulden müssen, um eine vollumfassende Sicht auf die beiden Hauptfiguren zu haben.

Die Autorin

Roseanne A. Brown wurde 1995 in Kumasi in Ghana geboren und emigrierte als Dreijährige gemeinsam mit ihren Eltern in die USA. Sie lebt aktuell in der Nähe von Washington, D.C.  A Song of Wraiths and Ruin ist der erste Band der Dilogie um Karina und Malik und Browns erster Roman. Sie schreibt zudem für Marvel und Star Wars. Nähere Informationen können auf der Homepage der Autorin unter Roseanne A. Brown (roseanneabrown.com) eingesehen werden.

Erscheinungsbild

Den Einband ziert das Gesicht einer jungen Frau auf der Vorderseite, in Grüntönen gehalten, und das Gesicht eines jungen Mannes auf der Rückseite, in Rottönen. Dies bildet auf gekonnte Weise die unterschiedlichen Lebenswelten und die verschiedenen kulturellen Hintergründe von Karina und Malik ab. Verbindend wirken verschnörkelte goldene Kreismuster, die sich auch auf dem grünfarbigen Buchschnitt fortsetzen. Besonders mit diesem ungewöhnlich gestalteten Buchschnitt macht es Spaß, das Buch in die Hand zu nehmen. In Anbetracht der großen Rolle, die sowohl die beiden Hauptfiguren als auch die Folklore einnehmen, passt das von Alexander Kopainski gestaltete Cover sehr gut zum Inhalt.

Erfreulich ist außerdem, dass auf der Rückseite der Inhalt beschrieben wird und trotz Bestseller-Status darauf verzichtet wurde, allzu viele Zitate aus Rezensionen unterzubringen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Knaur
  • Autor*in: Roseanne A. Brown
  • Erscheinungsdatum: 01.04.2022
  • Sprache: Deutsch (Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Diana Bürgel)
  • Format: Paperback
  • Seitenanzahl: 512 Seiten
  • ISBN: 978-3-426-52814-3
  • Preis: 16,99 EUR (Print) + 14,99 EUR (E-Book)
  • Bezugsquelle Fachhandel, Amazon (Deutsch und Englisch), idealo

 

Bonus/Downloadcontent

Dem Roman sind eine Widmung, Content Notes und eine grobe Karte des Reiches Sonande vorangestellt. Die Widmung gehört zu den schönsten, die ich je in einem Buch gelesen habe und deshalb möchte ich sie an dieser Stelle nicht vorenthalten:

Für Mom und Dad und für jedes Schwarze Kind, das sich jemals gefragt hat, ob es gut genug ist – ja, das bist du.

Die Content Notes weisen vor Beginn der Lektüre darauf hin, dass im Buch potenziell belastete Themen angesprochen werden und Menschen, die diese als triggernd empfinden könnten, besondere Vorsicht walten lassen sollten: milde Formen von selbstverletzendem Verhalten, Gewaltfantasien, emotionaler und körperlicher Missbrauch, Angstzustände und Panikattacken, der Tod von Eltern und der Tod von Tieren.

Ein Glossar und eine Dramatis Personae fehlen leider gänzlich. Aufgrund der Vielzahl der auftretenden Personen und neu eingeführten Begriffe im Reich Sonande wären diese sicherlich hilfreich gewesen.

Fazit

In A Song of Wraiths and Ruin müssen die Prinzessin Karina und der mittellose Geflüchtete Malik ein schweres Opfer bringen: Karina möchte ihre ermordete Mutter in das Reich der Lebenden zurückholen und benötigt dazu das Herz eines Königs, während Malik seine Schwester aus den Fängen eines rachsüchtigen Geistes befreien muss. Der stellt die Ermordung Karinas als Bedingung. Diese an sich schon spannende Konstellation nimmt während der Spiele von Solstasia und den dazugehörigen Feierlichkeiten ihren Lauf. Malik muss als Champion daran teilnehmen, um eine Chance zu haben, an die junge Adlige heranzukommen.

Die interessante Prämisse und die Einbettung der Geschichte in ein phantastisches Reich, das an westafrikanische Folklore angelegt ist, machen diesen ersten Band einer Dilogie zu etwas Besonderem. Die Vielzahl der Themen, die aufgegriffen werden, sind klug in den Gesamtkontext eingewebt. Leider kommen einige Motive, unter anderem der Wettbewerb der Champions, etwas zu kurz, und Möglichkeiten zum Nachschlagen der neu eingeführten Begriffe und Personen hätten dem Buch ebenfalls gutgetan. Trotzdem entführt das Buch in eine außergewöhnliche Welt, in der man sich als Leser*in gerne aufhält und dessen Geschehnisse während der Spiele von Solstasia spannend und mitreißend erzählt werden.

  • Faszinierender Weltenbau
  • Konfliktreiche, spannende Ausgangssituation
  • Gekonnte Einbindung vielfältiger aktueller Themen
 

  • Fehlende Nachschlageoptionen
  • Einige Themen zu kurz angerissen

 

Artikelbilder: © Knaur
Layout und Satz: Roger Lewin
Lektorat: Rick Davids
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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