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Das Cover ziert der Schriftzug „Trauma²“ und diese hochgestellte 2 ist tatsächlich sinnbildlich für das gesamte Buch. Trauma ist ein Universalrollenspiel, das heißt, man kann es für jedes beliebige Setting verwenden. Aber Trauma bietet auch Regeln oder zumindest Regelansätze für sehr viele Situationen und ist damit also auch für verschiedenste Kampagnen und Abenteuer geeignet. Bei „Regeln für sehr viele Situationen“ hat es vielleicht der eine oder andere von Euch schon geahnt: Trauma ist vorwiegend für Simulationisten gedacht, auch wenn es anpassbar ist. Trauma versucht möglichst realitätsnahe Regeln zu bieten.

Es ist nicht unbedingt mein Spezialgebiet (wie Ihr in der neuen Autorenvorstellung im Menü oben lesen könnt) aber ich werde versuchen, Trauma aus Sicht eines Simulationisten zu betrachten.

Der Autor von Trauma
Der Autor von Trauma

Das Regelwerk selbst zeichnet sich durch zwei weitere Dinge aus: Zum einen ist da der Humor. Schon das Bild des Autors in der Einleitung zeigt das sehr gut. Dort posiert er mit einem irren Gesichtsausdruck, Filzhut, Felljacke und Vorderlader-Pistole. Ich habe einmal eine Rollenspielrunde mit ihm gespielt und sein Spielstil war sehr detailreich und lustig. Das schimmert nicht nur in den Texten des Buches durch, sondern hier und da auch in den Regeln. So gibt es zum Beispiel die Fertigkeit Geschlechtsverkehr, die in den neuen Sozialregeln so beschrieben ist, dass jede Anwendung direkt nach der ersten nur noch halb so viele positive Punkte auf das Konto der sozialen Beziehung gibt. Es ist realistisch, aber diese Regel aufzustellen zeugt schon von einem gesunden Humor.

Die sehr umfangreichen Regeln von Trauma bieten unter Umständen mehr Details, als man möchte. Daher sollte man sie als Baukasten verstehen und nur die Teile heraus picken, die man tatsächlich braucht kann.

Erscheinungsbild

Trauma_CoverTrauma kommt im geklebten Paperback, ist aber stabil genug und beim Rezensionslesen und wiederholten Nachschlagen und Aufbiegen litt das Buch bisher gar nicht. Allerdings beginnt die Schutzfolie des Covers sich etwas abzulösen, vermutlich durch das wiederholte Schieben in die Plastikhülle und den andauernden Transport in der S-Bahn. Es ist tatsächlich das erste Buch, welches ich in der Hand halte, das abgerundete Ecken hat. Sehr schick, wie ich finde und es liegt auch gut in der Hand. Auch die Seiten fühlen sich sehr wertig an. Das Cover ziert das schicke Farbfoto eines tätowierten weiblichen Gesichts.

Der Innenteil ist vollständig schwarz-weiß, was ich nicht als störend empfinde. Im Gegenteil, ich persönlich schätze die Kosteneinsparung mehr als die Farben. Die Illustrationen selbst sind von sehr unterschiedlicher Qualität. Manche sind doch relativ simpel und offenbaren Schwächen, andere sind gut gelungen und ab und zu auch witzig. Das Buch hat insgesamt vier verschiedene Illustratoren, das merkt man.

Die Seiten werden in jedem Kapitel einzeln gezählt, was ich etwas irritierend fand, aber am Ende macht es eigentlich keinen Unterschied. Allerdings fehlt ein Index, was bei einem so komplexen Regelwerk für einen kleinen Verlag wie Flying Games zwar durchaus verständlich ist, die Handhabung aber spürbar vereinfachen würde. Das Inhaltsverzeichnis ist dafür relativ gut, so dass man das Meiste über dieses finden kann. Die Lesbarkeit ist optisch durchweg gut, ich hatte an keiner Stelle Probleme. Durch die unheimliche Informationsdichte des Buches sollte man es aber nicht „mal eben nebenbei“ lesen, sondern muss eine gewisse Konzentration aufbringen. Dementsprechend bekommt man aber auch wirklich durchdachte Texte für sein Geld.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Flying Games
  • Autor: Markus Still
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Sprache: Deutsch
  • Format: DIN A4
  • Seitenanzahl: 164
  • ISBN: –
  • Preis: 24,80€
  • Bezugsquelle: Flying Games (Klick)

Die Spielwelt

Trauma kommt ohne eigenes Setting daher. Es ist ein Universalrollenspiel und als solches für eine Vielzahl von Welten gedacht. Dementsprechend gibt es ein „Welten“-Kapitel, in dem darauf eingegangen wird, worauf man bei einer Welt achten sollte. Zudem werden die drei Parameter erklärt, die jede Welt haben sollte: sozialer Entwicklungsgrad, magischer Entwicklungsgrad und technischer Entwicklungsgrad. Es gibt Beispiele, was bestimmte Werte für die Parameter bedeuten und worauf man bei der Erschaffung einer Welt achten sollte. So werden für die soziale Entwicklung mögliche zugehörige Regierungsformen angegeben. Insgesamt ein gelungenes Kapitel, dass viele wichtige Dinge anspricht, die in anderen Büchern auch hier und da mal vergessen werden.

Die Regeln

Trauma basiert auf einem w100-System. Das heißt, Fertigkeiten steigen von 0 bis über 100 und man würfelt mit einem w100 darunter. Im Falle von Erschwernissen sinkt der zu unterwürfelnde Wert, bzw. erhöht er sich, wenn man einfache Dinge tut. Es ist fertigkeitsbasiert, das heißt es gibt keine Klassen und auch keine Stufen. Es gibt allerdings einen Punktwert, der der Anzahl Erfahrungspunkte entspricht, die man verbraucht hätte, um den Charakter zu seinen jetzigen Werten zu steigern.

Dieser gibt damit einen Richtwert, wie erfahren der Charakter ist. Da Trauma fertigkeitsbasiert ist, man also genauso Einhandaxt wie Agrarwirtschaft lernt, gibt dieser Wert keinerlei Aufschluss über die Kampffähigkeiten der Figur. Allerdings kann Kampf schnell übel ausgehen, daher sollte man sich genau überlegen, ob man sich darauf einlässt.

Jeder Charakter ist durch bis zu 15 Attribute definiert, die ausgewürfelt werden oder auf die man Punkte verteilen kann. 15 klingt erst einmal nach einer ganzen Menge, doch man kann Trauma auch mit drei Attributen spielen. Trauma spricht von Haupteigenschaften statt Attributen und diese teilen sich in drei Fünfergruppen auf: Körper, Geist und Wahrnehmung. Man legt dann einfach nur einen Wert für die Gruppe fest und überall, wo eine der Haupteigenschaften zum Tragen kommt, wird der Wert für die Gruppe benutzt.

Wem 15 Haupteigenschaften zu wenig sind, der kann auch viele Haupteigenschaften noch einmal in zwei Unterwerte aufsplitten. Auch die Fertigkeitsliste von Trauma ist sehr lang und erhebt keinen Anspruch auch Vollständigkeit. Wie man an Einhandaxt weiter oben schon sehen konnte. ist Trauma sehr feingranular und man kann an sehr vielen Schräubchen drehen und hat gerade bei der Charaktergestaltung unheimlich viele Möglichkeiten eine wirklich genau abgerundete individuelle Figur zu schaffen.

Bei den vielen Regeln erwarten sicher einige von euch ein sehr aufwändiges Spiel. Dem begegnet Trauma mit der Maßgabe, die Komplexität vom Spieltisch weg zu holen, indem man gerade bei den Charakteren bei Aufstiegen viel zu tun hat – und diese kann man zwischen den Spielrunden erledigen. Die Grundregeln sind damit recht einfach. Man muss nicht mehr viel berechnen, sondern kann mit dem fertigen Wert vom Bogen würfeln. Beim Steigern aber muss man dann die Boni durch die Haupteigenschaften herausrechnen, wenn man die Steigerungskosten bestimmen will, wozu auch eine Tabelle für die entsprechenden Steigerungsfaktoren nutzt.

Auch erhöhen verwandte Fertigkeiten den Wert, den man in einer ungelernten Fertigkeit hat. Der Faktor ist je nach Verwandtschaftsgrad der Fertigkeiten unterschiedlich. Faustkampf und Faustklingen sind sich mit 90% zum Beispiel sehr ähnlich, aber Faustkampf und Einhandklingen sind mit 50% nicht so stark verwandt. Hat man nun in Faustkampf einen Wert von 70%, dann hat man in Faustklingen automatisch 63% und in Einhandklingen 35%. Lernt man später diese Fertigkeiten, dann muss man sie auch erst ab diesem Wert steigern. Eine besondere Fertigkeit ist Allgemeinwissen, die automatisch nach jeder Spielsitzung Erfahrungspunkte bekommt.

Trauma bietet neben der Verbesserung von Charakteren auch die Verschlechterung. Alternde Charaktere können in ihren Fertigkeiten und Haupteigenschaften schlechter werden. Generell gibt es auch Regeln für erfahrenere bzw. ältere Charaktere. Wer also schon immer einmal den alten, grummeligen Kriegsveteranen spielen wollte, der findet bei Trauma alles Nötige dafür.

Des weiteren gibt es viele weitere Subregeln, die man benutzen kann, aber nicht muss. Bei diesen wird es dann auch umfangreicher, so dass alle nötigen Details abgebildet werden können. Darum will ich Euch auch nur eine Liste einiger Subregelsets geben. Alle zu nennen oder sie sogar zu erklären würde zu weit führen.

Es gibt detaillierte Regeln für Fallschaden, Bewegungsgeschwindigkeit, Lernzeiten, Lernen aus Büchern, körperliche und geistige Besonderheiten (verursacht durch zu niedrige Attributswerte), beidhändigen Kampf, verschiedene Schadensarten (Hieb, Stich, Feuer, …), Heilung und Medizin, Drogensucht, Blutungen, Amputationen, Krankheiten, Parasiten, Stress und Psychotraumata, Trefferzonen bis hin zum linken Ohr und dem Kinn, Lernen durch besondere Erfolge und Fehlschläge, Rüstschutz gegen verschiedene Schadenarten, Waffenreichweiten (Fern- und Nahkampf), Schäden an Rüstungen, automatische Waffen, Boxkämpfe und Schlachten bzw. Kämpfe mit größeren Gruppen. Was auch immer Ihr spielen wollt, Trauma hat sehr wahrscheinlich Regeln oder zumindest einen sinnvollen Regelansatz dafür.

Die größte Neuerung von der zweiten Edition von Trauma gegenüber der ersten ist das Sozialsystem. Dieses dient dazu Beziehungen zwischen Charakteren ein objektives Maß zu verleihen, im Gegensatz zum Beispiel zum „Das Lied von Eis und Feuer“-Rollenspiel, das „sozialtaktische Manöver“ bietet. Bei Trauma kann man mit bestimmten Aktionen das Verhältnis zu einem anderen Charakter mit Punkten „aufladen“ und derjenige, der mehr Punkte auf dem „Beziehungskonto“ hat, kann den Gegenüber damit sogar zu einem Gefallen zwingen. Das ist auch zwischen Spielercharakteren möglich, was ich sehr interessant finde (Stichwort „böse gesinnte Gruppe“?).

Verletzungen können bei Trauma sehr detailliert dargestellt werden. Es gibt „Gesamtlebenspunkte“, die Blut bzw. dessen Verlust darstellen. Zusätzlich hat jedes Körperteil einen eigenen LP-Wert, der die „strukturelle Intaktheit“ desselben repräsentiert. Je nachdem welchen Schaden man wie erhält werden diese Werte reduziert und man verblutet oder verliert zunächst die Funktion einzelner Körperteile. Die LP der sieben Haupttrefferzonen basieren auf den Gesamt-LP, welche wiederum auf den Haupteigenschaften Stärke und Statur basieren. Die LP können sich also im Laufe des Abenteurerlebens etwas verändern.

Magie ist in Trauma an den magischen Entwicklungsgrad der Welt gekoppelt. Magier können nicht mehr magische Kraft (Psipunkte) erhalten als den Entwicklungsgrad. Eine Fantasywelt liegt dabei im Bereich von 100 Punkten, wobei die Magie in Trauma einem moderaten Niveau entspricht, also zwischen der „conanschen“ Low-Fantasy und der High-Fantasy eines D&D. Magie wird in Schulen von einem Meister an seinen Schüler weitergegeben. Es gibt keine verschiedenen Arten, Magie zu wirken – etwa wie bei D&D mit dem Memorieren von Zaubern bei einer Rast gegenüber den Spontanzauberern, die aus einer kurzen Liste direkt beim Zaubern wählen können. Bei Trauma wird die magische „Kapazität“ durch die Psipunkte begrenzt und mittels eines Fertigkeitswurfs ausgeführt. Dies ist immer gleich, egal welcher magischen Schule man angehört. Von diesen gibt es ganze 24 Stück. Hat sich der Magieschüler für nur seine Schule entscheiden, lernt er normalerweise nur Zauber aus dieser Schule. Will und kann er mal einen Zauber aus einer anderen Schule lernen, dann ist dies wie das Nutzen einer verwandten Fertigkeit. Die größte Schwierigkeit ist jedoch das Finden eines Meisters, der einem einen „fremden“ Zauber lehren will.

Ich habe jetzt sehr viel darüber gesprochen, welche Details Trauma darstellen kann. Doch da Trauma sehr modular aufgebaut ist, kann man das auch ins Gegenteil verkehren und das System soweit zusammenstreichen, wie es nur geht. Das ergäbe dann ein Spiel, indem die Charaktere drei Attribute (Körper, Geist, Wahrnehmung) haben, viele Fertigkeiten, einen Wert für Gesamt-LP und evtl. noch magische Fähigkeiten haben. Es sind keine Regeln für Sucht, Fallschaden, Blutungen und Trefferzonen im Spiel, man würfelt immer seinen w100 und das war’s. Aber wenn man einmal mehr Details braucht, so hat man ein ganzes Arsenal zur Auswahl. Die Charakterentwicklung außerhalb der Spielsitzung ist zwar etwas aufwändiger als man gewohnt ist, aber dennoch hat man so ein ziemlich schlankes System.

Abschließend bleibt zu den Regeln noch zu sagen, dass sie wirklich sehr viel enthalten und das Buch auch wirklich dicht gepackt mit Informationen ist. Trotzdem reicht der Platz nicht aus, alle Regeln vollständig auszuführen. Dies kann vor allem dann nervig sein, wenn man erst bei der Anwendung einer Regel merkt, dass etwas fehlt und sich dann schnell ein „Ruling“ ausdenken muss. Bei andren Subregeln sind bewusst nur Regelansätze gegeben, auf Grund derer man dann weiter basteln kann und muss, was zumindest von vorneherein klar stellt, was man vor sich hat. Natürlich wäre es nicht möglich wirklich alles im Detail bis zum Ende auszuführen, außer man möchte den Lexikonserien aus der „Prä-Wikipedia-Zeit“ Konkurrenz machen. Eine etwas klarere Linie wäre hier aber wünschenswert.

Charaktererschaffung

Die Charaktererschaffung wird bei Trauma in einem separaten Kapitel behandelt. Das Kapitel ist so aufgebaut, dass man beim ersten Lesen direkt einen Charakter bauen kann. Für die erste Runde Trauma wird allerdings empfohlen einen der vorgefertigten Charaktere aus dem Buch zu verwenden, da die Charakterentwicklung sehr komplex ist. Gerade, wenn man beim Bau des Charakters immer wieder an den Werten drehen will, wie es ja oft der Fall ist, kann das zu viel Rechnerei führen. Ein vorgefertigter Charakter ist ja definitiv eine Option, vor allem, wenn man Trauma einfach einmal ausprobieren möchte.

Das Kapitel macht die Charaktererstellung auf jeden Fall leichter. Es gibt, wie schon erwähnt, sehr viele Stellschrauben und man kann einiges anpassen, so dass man sich etwas Zeit nehmen sollte. Zudem ist einiges der Komplexität und des Realismus‘ des Systems in der Charakterentwicklung gekapselt. Es sind daher einige Berechnungen nötig. Dafür bekommt man einen abgerundeten Charakter, bei dem jeweils zwei Haupteigenschaften einen Grundbonus auf eine Fertigkeit geben und verwandte Fertigkeiten sich gegenseitig Boni geben, so dass man z.B. nicht unbedingt Einhandklinge und Zweihandklinge vollständig bezahlen muss, um nicht einen unrealistischen Charakter zu haben.

Zusätzlich bietet Trauma die Option vom Start weg, ältere Charaktere zu spielen. Dies wird zum einen dadurch symbolisiert, dass der Charakter mehr Entwicklungspunkte zur Verfügung hat. Gleichzeitig muss er aber auch mehr Punkte für „Besonderheiten“ ausgeben, die eher negative, aber vor allem interessante Eigenschaften sind. Während die zu vergebenden Punkte bei den Besonderheiten fast immer linear ansteigen, spiegelt der Anstieg der Entwicklungspunkte die sich im Laufe des Lebens veränderte Lernfähigkeit wieder. Junge Charaktere lernen pro Jahr mehr als Alte.

Wie lange eine Charaktererschaffung tatsächlich dauert habe ich nicht ausprobiert, allerdings wird es sich zwischen einem Trauma-Neuling und einem alten Hasen stark unterscheiden. Trotz allem wird sie sicher länger dauern als in vielen anderen Systemen. Die eine oder andere Stunde wird man einplanen müssen. Das Konzept, die aufwändigeren Schritte zwischen den Runden zu halten, spiegelt sich ganz gut darin wieder, dass der Charakterbogen trotzdem nur die üblichen zwei Seiten umfasst. Alle Werte können durch das Ausgeben von Entwicklungspunkten bestimmt werden. Die Haupteigenschaften können allerdings auch ausgewürfelt werden. Das übliche „wenn die Summe unterhalb einer bestimmten Schwelle liegt, dann würfle noch einmal“ sorgt für eine gewisse Ausgewogenheit.

Der Powerlevel der frisch erstellen Charaktere hängt ganz entscheidend davon ab, wie viele Entwicklungspunkte man ihnen gibt. Mit den üblichen Werten dürften die Charaktere etwas aus der Masse hervorstechen, aber die großen Überhelden sind sie definitiv nicht. Aber da sich Trauma vielfältig anpassen lässt, ist eine eindeutige Einstufung nicht möglich. Bei der Charakterentwicklung ist dies jedoch anders: Charaktere werden im Laufe der Zeit nicht von heute auf morgen deutlich mächtiger. Sie verbessern sich langsam, aber spürbar. Vom Gefühl her würde ich sagen, dass Trauma für langfristige Kampagnen angelegt ist, so dass sie dann tatsächlich neue Wertebereiche erschließen können, denn die Regeln sehen auch Werte jenseits der 100% vor.

Spielbarkeit aus Spielleitersicht

Da der SL meist derjenige ist, der zumindest in den ersten Runden die Regelkenntnis mit an den Tisch bringen muss, hat er sich viel zu merken. Die Anpassbarkeit und der hohe Realismus fordern hier ihren Tribut. Daher ist es definitiv ratsam, sich zunächst auf die wichtigen Regeln zu beschränken und weitere Teile nach und nach dort ins Spiel zu bringen, wo sie sinnvoll sind. Dann sollte es gut machbar sein, da die Grundregeln relativ leicht zu lernen sind. Es hilft auch, sich vorab über die Kampagneninhalte Gedanken zu machen, so dass man evtl. für die Kampagne unwichtige Regelteile von vorneherein erst einmal ignoriert.

Wenn man mit diesen Grundregeln ausreichend ausgestattet ist, ist regelmäßiges Nachblättern im Buch nicht nötig. Will man aber den vollen Umfang der Regeln nutzen, dann wird man darum nicht herum kommen. Trotzdem stehen die Regeln einem erzählerischen, atmosphärischen Spiel nicht im Weg. Trauma eignet sich nur wenig für heldenhafte pulpige oder hochmagische Kampagnen, sondern eben für bodenständige, realistische Welten. Dort sollte es aber gut funktionieren, auch weil man dank des realitätsnahen Systems mit etwas Erfahrung ganz gut Werte improvisieren können sollte. Ich glaube auch, dass Trauma trotz seiner Komplexität relativ gut für Neulinge bzw. unerfahrene SLs geeignet ist, da es sehr erklärend geschrieben ist und nicht viel voraus setzt.

Zudem bietet es ein, wie ich finde, echtes Highlight beim Spielleiter-Kapitel. Ich habe noch kein besseres in einem Regelwerk gelesen. Es weicht zum Beispiel von dem, was man von D&D oder Pathfinder kennt deutlich ab. Es geht nur sehr am Rande um Dinge wie „Wer bringt die Chips mit?“, denn das sind Dinge, die beim sozialen Zusammenleben zwischen Menschen jedem nicht ganz fremd sein sollten. Es geht darum, wie man ein Spiel gut leitet. Es geht darum, warum man überhaupt leitet, wie man auftreten sollte, wie man NSCs darstellt, dass man mit Handouts und Props (Gegenstände aus dem Spiel tatsächlich auf den Tisch legen, „haptisches Spiel“ sozusagen) viel erreichen kann und so weiter. Sollte man wirklich gelesen haben.

Für NSCs gelten bei Trauma dieselben Regeln wie für SCs, so dass es hier keine Vereinfachung für SLs gibt, was sich gut in den simulationistischen Kontext einfügt. Man kann aber natürlich die zuvor erwähnten Vereinfachungen der Haupteigenschaften nutzen, um sich das Leben etwas leichter zu machen. Der übliche Stil für einen Trauma-SL wird aber wohl sein, seine NSCs zu improvisieren, vor allem, wenn sie keinen zentralen Figuren für den Plot sind. So wird es auch im SL-Kapitel vorgeschlagen. Mit diesem Vorgehen muss man zwar etwas mehr notieren, aber ansonsten dürfte es gut funktionieren.

Spielbarkeit aus Spielersicht

Als Spieler kann man sich nach Herzenslust an seinem Charakter austoben. Es gibt so viel Stellschrauben und vor allem sehr viel Fertigkeiten bzw. man erfindet die passende im Zweifel einfach hinzu. So kann man am Ende einen nahezu perfekt angepassten Charakter bauen. Nach wie vor faszinierend finde ich die Möglichkeit, alternde Veteranen zu spielen bzw. dass Charaktere über die Zeit einmal gelernte Fähigkeiten auch wieder verlernen können. Sogar Haupteigenschaften sind von der Degeneration betroffen. Auch die Option einen erfahrenen, nach Zahlen besseren Charakter neben einem Jungspund zu spielen, kann für atmosphärisch spielende Runden eine sehr interessante Option sein. Da es auch Regeln für den natürlichen Tod gibt, bietet diese Variante sehr interessante Möglichkeiten.

Die Komplexität der Charaktererschaffung ist, wie schon öfter erwähnt, auf die Zeiten abseits des Spieltisches konzentriert, so dass die Charaktere trotz des umfangreichen Systems sehr gut zu spielen sein sollten.

Preis-/Leistungsverhältnis

Trauma ist ein Werk vollgepackt mit Regeln, Ideen und Gedanken, die alle einen hohen Reifegrad haben, auch wenn sie lange nicht überall vollständig sind. Man bekommt viele Anregungen, Ideen und Regeln bzw. Regelvorschläge auf über 150 Seiten geboten. Alles in allem ist Trauma sein Geld wert.

Fazit

Simulationismus ist eigentlich nicht mein Hauptspielstil, ich habe es eher mit Taktik. Gerade die Taktik im Kampf ist bei Trauma jedoch nicht sehr ausgeprägt. Darum war es anfangs auch etwas schwierig für mich, mit dem System warm zu werden. Doch je weiter ich im Buch kam, umso besser wurde es.

Ich habe viel Anregungen und Ideen darüber, wie man etwas durch Regeln abdecken kann, mitgenommen. Außerdem findet man viel Interessantes über Sichtweisen auf das Rollenspiel und wertvolle Betrachtungen. Besonders erwähnen will ich noch einmal das SL-Kapitel, das mir wirklich gut gefiel. Also auch wenn man kein Simulationist ist, ist Trauma die Lesezeit wert.

Ich habe versucht Trauma für diese Rezension durch die Augen eines Simulationisten zu sehen, denn nur so kann man die Regeln bewerten. Will man viel Taktik oder ein leichtgewichtiges erzählerisches System, dann ist man bei Trauma nicht richtig. Will man aber eine realitätsnahes System mit detaillierten Regeln für viele Situationen und hat keine Angst vor dem großen Regelumfang, der damit einher geht, dann wird man mit Trauma sicherlich ein gutes System finden.

Trotz des Umfanges macht es einen relativ „leichtgewichtigen“ Eindruck und hat man den einen oder anderen Spieler in der Gruppe, der es lieber weniger realitätsnah hat, dann gibt es Optionen, wie nur sein Charakter etwas einfachere Regeln bekommen kann. Für ein kleines System zu einem günstigen Preis eine wirklich gute Gesamtleistung.

Daumen4Maennlich

Artikelbilder: Trauma, mit Genehmigung des Autoren

 

 

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