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Eine durch und durch überraschende und fesselnde Lektüre wurde mir da von Catalyst präsentiert. Die einleitenden Worte von FastJack, in denen er kurz auf die folgenden zweihundert Seiten eingeht, berichten von gefallenen Freunden, großen Veränderungen und enden mit der Bitte, man möge am Leben bleiben. Wie sehr er mit der Ansage Recht hatte, konnte ich gleich darauf lesen, als es um und in den Krieg von Amazonien gegen Aztlan ging. 

Aus der Sicht eines Shadowrunners lässt Stormfront einen epischen Eindruck zurück und führt dazu, dass die Aktivitäten und die scheinbar große Macht eines Spielercharakters plötzlich nur noch winzig wirken.

Inhalt

Die bekannten Gestalten aus dem Shadownet/Jackpoint, allen voran FastJack und Sunshine, liefern eine Zusammenfassung von verschiedensten Daten und ausgebuddelten Fakten zu den größten Ereignissen der Weltgeschichte. Dabei wird auf unterschiedliche und teilweise auch schon mehrere Editionen laufende Plots eingegangen. Einige sehr wichtige Charaktere und sogar ganze Städte finden im Zuge der Umwälzungen ihr Ende. Es reicht von Attentaten über orbital gesteuerte Angriffe, bis hin zu spontanem Selbstmord.

Alles in allem eine schockierende Mischung aus altbekannten Verschwörungen und deren brutale Auswirkungen auf die Bevölkerung. Die Macht der Drachen und deren Einfluss auf die sechste Welt werden mehr als deutlich hervorgehoben und eindrucksvoll aus unterschiedlichsten Blickwinkeln dargestellt. Viele Info-Schnipsel, Diskussionen und Erzählungen von Augenzeugen wichtiger Ereignisse, liefern einen detaillierten Blick hinter den Vorhang. Diese werden im letzten Kapitel: Game Information, abgerundet durch Abenteuer-Ideen in Form von Aufträgen, die sogar mit einer vorgeschlagenen Bezahlung versehen wurden. Auch werden die Spielwerte von wichtigen Personen dort gezeigt – sogar die des großen Drachen Sirrurg selbst!

The Triumph of Aztlan

Stormfront behandelt der Reihe nach zunächst die Geschehnisse im vierjährigen Krieg zwischen Amazonien und Aztlan. Die mächtige südamerikanische Nation und einer der größten Konzerne des Planeten: Aztechnology verbünden sich und stürzen sich in einen Guerilla-Konflikt. Die politischen Taktiken und unfassbar mächtigen Verbündeten Amazoniens verlangen Aztlan alles ab, was sie ins Feld führen können. Diese epische Schlacht zwischen Sirrurg und dem aztlanischen Militär ist definitiv atemberaubend. Die Erzählart des Buches macht Lust auf mehr. Nach dem Lesen der voran gestellten und kursiv gedruckten Kurzgeschichte, ist man sehr gespannt deren Hintergründe zu erfahren. Die Art wie diese präsentiert wurden, überzeugt durch ihre Vielfalt.

Mal als Topstory einer – vermutlich durchgeknallten – Reporterin, mal als Zusammenfassung eines aufgestiegenen Fixers. Immer wieder unterbrochen von den chattenden Verschwörungstheoretikern und Hackern im „Chatkanal“. Positiv sind zudem auch die abweichenden Schreibarten der einzelnen Charaktere, die den Eindruck unterschiedlicher Individuen noch einmal unterstreichen und authentisch wirken. Die zahlreichen Autoren des Werks haben an dieser Stelle hervorragend zusammen gearbeitet.

Weiterhin befasst sich Stormfront mit dem Bürgerkrieg der Drachen und vermittelt das Gefühl, dass die Menschheit nur knapp einer weltweiten Drachendiktatur entkommen ist. Die Geschehnisse im italienischen GeMiTo Sprawl, in denen der Drache Alamais und seine Anhänger die ganze Stadt zum Futterplatz erklärten, triefen nur so vor Horror und Ausweglosigkeit. Dazu werden die Ansichten der unterschiedlichen Drachen und deren Beweggründe beleuchtet. Als Lofwyr, der amtierender Loremaster, am Ende gezwungen wird einzugreifen, entbrennt ein weiterer epischer Konflikt, bei dem beinahe hunderttausend Metamenschen und ein großer Drache ihr Ende finden.

Seattle shakes

In diesem Kapitel wechselt das Geschehen von einem Kriegsschauplatz zu den gewohnten politischen Ränkespielen der Mega-Metropole. Im Vergleich zu einem derartigen Schauplatz wirkt es daher, trotz seiner Brisanz, eher profan. Im Mittelpunkt der Geschehnisse in Seattle steht der amtierende Gouverneur Brackhaven. Seine anti-metamenschliche Kampagne sowie sein versuchter Wahlbetrug wirbeln viel Staub auf und kosten auch einigen wichtigen Charakteren das Leben. Als er jedoch versucht den kompletten Stab seiner Konkurrenz ermorden zu lassen kommt er ins Straucheln, da sein Komplott nicht ganz aufgeht.

Die Überlebende Dana Oaks schafft es dann mit Hilfe der Knight Errand Polizei und dem Schattenvolk nicht nur Brackhavens Karriere und die seines Pressesprechers Edmund Jeffries zu beenden, sondern darüber hinaus sogar die Proklamation 23 zum Gesetz werden zu lassen. Das bedeutet nichts weniger, als dass der berüchtigte Ork-Untergrund letztendlich zu einem Distrikt der Stadt Seattle erklärt wird. Diese unerwartete Wendung bietet den Stoff für mannigfaltige Folge-Geschichten.

Lightning in Denver

Dieses Kapitel behandelt die Geschehnisse in Denver und die Schläge gegen den großen Drachen Ghostwalker. Diese Erzählung ist noch intensiver geschildert als die vorherigen und ist ebenso episch wie der Drachen-Bürgerkrieg. Der Grund dafür ist, dass der Nexus, also das Herz des Shadownet, welches in Denver steht, direkt betroffen ist. Die Charaktere, welche die Geschichten bisher nur berichtet haben und immer die Distanz der Matrix zu den Geschehnissen hatten, sind nun plötzlich selbst im Fadenkreuz. Man fühlt sich direkt betroffen, wenn Ghostwalker den Stecker zieht und die Logout-Meldungen der Netrunner zu sehen sind.

Denver wird von verschiedenen Hacker-Gruppen angegriffen und der persönliche Datenspeicher des Drachen wird veröffentlicht. Gleichzeitig gibt es gewaltsame Proteste gegen die Herrschaft des Drachen, das Verkehrsleitsystem für Boden- und Luftverkehr wird zerstört, ein Flugzeug stürzt in die Stadt und es naht ein doppelter Schneesturm heran. Ghostwalker wird also von allen Ecken und Enden angegriffen, bis er letztendlich physisch herausgefordert wird. Niemand geringerer als Harlekin, der letzte Ritter der weinenden Zinne selbst steht ihm gegenüber, in der Rüstung von Richard Löwenherz und bewaffnet mit dem Schwert Excalibur. Harlekin ist ein unsterblicher Elf der in der vierten Welt vor über siebentausend Jahren geboren wurde. Dem langjährigen Verfolger der Geschichten um den Elfenritter wird an dieser Stelle die epische Konklusion einer lange angekündigten Rache geliefert. Zebulon, der zusammengefügte Geist Denvers und Ehran der Gelehrte tauchen am Ende ebenfalls auf und lösen Drachen und Ritter aus ihrem Kampf, um schlimmeres zu verhindern.

Ares trembles

Die Kontinente und Städte werden erschüttert, die politische Bühne empfängt neue Darsteller und der Vorhang senkt sich über einigen alten. Die nächste Erschütterung trifft den allseits beliebten und wahrscheinlich bestbekannten AAA-Konzern des Shadowrun-Universums: Ares.

Ares Trembles ist definitiv das langweiligste Kapitel des Buches, aber dennoch randvoll mit Andeutungen, die eine Idee zum Shadowrun geradezu herausschreien. Dennoch wirken die Erklärungen und Spekulationen lang gezogen und wenn man mehr auf die Rolle von Ares im Kampf gegen die Insektengeister eingegangen wäre, hätte es interessanter werden können. Im Prinzip handelt es davon, dass Ares das Release eines Sturmgewehrs namens Excalibur phänomenal in den Sand setzt und ein furchtbar fehlerhaftes Produkt auf den Markt bringt, das so einigen Kunden ihr Leben – oder Körperteile – kostet. Der PR-Schaden ist dadurch so heftig, dass die Aktien und der Umsatz ins Bodenlose sinken. Unsere lieben Netrunner diskutieren darüber wer sich dafür verantwortlich zeichnet und warum ein nur fehlerhaftes Produkt so großen Schaden anrichten kann. Das interessanteste an dem Kapitel ist der spontane Tod von Nikolas Aurelius durch einen Sprung aus zehntausend Fuß Höhe – ohne Fallschirm und ohne Ankündigung. Nikolas Aurelius ist direktes Mitglied des vereinten Konzern Konzils und somit einer der wichtigsten Figuren in der AAA-Konzernebene.

Shadow Network – First among equals

Nun folgen kleinere Abschnitte über verschiedene Fraktionen, wie zum Beispiel die Elfennation Tír Tairngire und ihre Wahlen. Selbstverständlich liefern sich die Prinzen und Ratsmitglieder keinen normalen Wahlkampf, sondern eher eine Reihe von sündhaft teuren Kampagnen, Intrigen und Versuchen sich gegenseitig auszuschalten.

The artful dodger

Ein weiterer Abschnitt handelt von Dodger, einem bekannten Netrunner aus zahlreichen Romanen und eine wichtige Figur im Zusammenhang mit der Matrix und den künstlichen Intelligenzen. Seine Wege und Taten der letzten Jahre werden hier grob nachgezeichnet und als fleißiger Romanleser wird man so einige Andeutungen wiedererkennen. Seine Jagd nach Lady Morgana – eine KI und seine große Liebe – treibt ihn auch weiterhin an und hat ihn zu einer Legende werden lassen.

Sleeping with the enemy

Auch die „Untoten“ werden nicht vergessen. Die Metamenschen mit dem Vampirvirus haben Schwierigkeiten, da ihre leichte Sonnenallergie nun allmählich schwere Ausmaße annimmt und auch ihr Hunger auf Menschenfleisch um ein Vielfaches stärker wird. Eine coole Episode beschreibt wie Martin De Vries auf einer seiner Buchlesungen angegriffen wird und somit öffentlich bekannt wurde, dass der berüchtigte Vampirjäger und Autor selbst ein Vampir ist. Eine Tatsache die in den Schatten bereits länger bekannt war.

Escaping the ghost decade

Auch an Japan sind die Geschehnisse der letzten Jahre nicht spurlos vorüber gegangen. Wenn früher fünf von acht der großen AAA-Konzerne aus Japan kamen sind es heute weit weniger. Viele der Großen haben Rückschläge erlitten oder wurden schlicht und einfach von der Konkurrenz übertrumpft. Shiawase allerdings hat seine Karten gut gespielt und sich mit der Familie des Kaisers liiert. Nach außen hin arbeiten die japanischen Konzerne nun mehr zusammen als je zuvor, wenn sie sich in Japan auch trotzdem noch streiten mögen. Auch eine langsame Wiedergeburt von Renraku kündigt sich an. Totgeglaubte leben tatsächlich länger.

Fractures – The cracks inside

Im letzten erzählerischen Abschnitt behandelt Stormfront die „neue“ Matrix. Eine Initiative der Matrix-Sicherheit GridOverwatchDivision [GOD], die eine Umstrukturierung des kompletten Grids vorsieht. Die Geschichten werden jetzt persönlicher und die JackPoint-Mitglieder tragen alle ihren Teil dazu bei. Die Umstrukturierung verpasst der Matrix ein altes und zentralisiertes Gewand. GOD wacht über alles und jeder große Konzern sitzt mit im Boot. Finstere Zeiten also für die Netrunner. Doch damit nicht genug, eine wahrhaft chaotische Ansammlung von Andeutungen, Posts, abgefangenen Mails und Ähnlichem, deutet eine reichhaltige fünfte Edition an! Vieles davon ist nur schwer zusammenzufassen, aber das Wichtigste dürfte der Kampf von FastJack gegen sich selbst sein. Alles was er erdulden musste und eine mysteriöse Software sorgen dafür, dass er langsam den Verstand verliert. Doch bevor er endgültig den Kampf verliert, gibt der alte Mann seine Rechte und Pflichten beim Jackpoint an drei seiner Kollegen ab und zieht sich zurück.

Game information

Danach folgen die Spielwerte der wichtigsten Charaktere und einige sehr gute Abenteueransätze. Dabei handelt es sich aber nur um einige wenige Sätze aus denen sich, mit Hilfe der reichhaltigen Infos aus den vorherigen Kapiteln und etwas Arbeit, dann doch sehr gute Abenteuer stricken lassen. Die Spielwerte von Harlekin und Sirrurg sind beispielsweise schön anzusehen, aber fallen für mich nicht wirklich ins Gewicht. Wenn ein Spielercharakter mit einer solchen Legende konfrontiert wird, haben Würfel meines Erachtens nach dort nichts verloren.

Preis-/Leistungsverhältnis

Die zahllosen Ideen, die gute Aufmachung und die schönen Geschichten sorgen dafür, dass man die fünfundzwanzig Euro, die das Werk in PDF-Form derzeit kostet auf keinen Fall bereut. Vielleicht ärgern sich die Käufer verschiedener Abenteuer darüber, dass Material wiederverwendet wurde, aber in einer derartigen Zusammenfassung bleibt das wohl nicht aus.

Erscheinungsbild

Storm Front CoverDie Grafiken und das Layout sind von guter Qualität und nur auf meinem Nexus 7 (grouper) mit dem Moon+ Reader App gab es bei dem farbigen Einband ein paar Grafikfehler. Da diese aber nirgendwo sonst auftraten, kann man dies dem PDF wohl kaum anlasten. Die Aufmachung ist natürlich, wie bei den meisten Quellenbüchern üblich, auf DINA4 Größe optimiert und deshalb muss man auf kleineren Readern oder Tablets heranzoomen, um ordentlich lesen zu können.

Die Auflösung der Texte und auch der Grafiken machen dies jedoch problemlos mit. Das Schriftbild wird immer wieder durch Illustrationen guter Qualität aufgelockert und ist gut lesbar. Außerdem sorgt das Design der meisten Passagen als Chatfenster sowie die eingeschobenen „Infodateien“ dafür, dass dem Auge nicht langweilig wird, ohne aber zu viel abzulenken.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Catalyst Gamelabs
  • Autor(en): Patrick Goodman et al
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Sprache: Englisch
  • Format: DINA4
  • Seitenanzahl: 202
  • ISBN: 9781936876501
  • Preis: 25 USD (PDF), 24,99 EUR bis 29,99 EUR (Druck)
  • Bezugsquelle: DriveThruRPG.com (PDF), Amazon (Druck), Sphärenmeisters Spiele (Druck)

 

Fazit

Stormfront begeistert durch seine Schreibweise, die klassische Aufmachung und die epischen Geschichten. Für die meisten wichtigen Geschichten der vierten Edition werden Abschlüsse gefunden und mögliche Einflüsse aufgezeigt. Der Schreibstil ist aufgrund der zahlreichen Autoren sehr gemischt, was aber zu dem Konglomerat aus zusammengetragenen Informationen im JackPoint-Stil sehr gut passt. Besonders aufgefallen sind vor allem zwei Stilblüten die anscheinend unter allen Autoren extrem beliebt waren: „The shit hits the fan“ und „to add insult to injury“. Es ließ mich einige Male lächeln das immer wieder zu lesen, aber es hat dem Gesamtwerk keinen Abbruch getan.

Auch wenn man über die Art der Abschlüsse geteilter Meinung sein kann, so ist doch die Art der Darstellung in Stormfront sehr gut. Fesselnd an den richtigen Stellen, aber durchaus auch manchmal zu nüchtern an anderen. Eine achtzehn Seiten lange Abhandlung über Ares‘ Fehlproduktion war nicht ganz so interessant und doch hat mich jeder zweite Satz gedanklich einen Shadowrun sehen lassen, der für die eine oder andere Situation verantwortlich gewesen sein könnte.

Auch ist es eine gute Entscheidung die Matrix der vergangenen Tage wieder heraufzubeschwören und die Hacker von der heimischen Toilette zu scheuchen. Alles in allem eine zufriedenstellende Lektüre, die einem Verfolger des Plots nur empfohlen werden kann. Für alle Neueinsteiger ist es empfehlenswert, um Hintergründe aus vergangenen Zeiten zu erfahren. Auch wenn einige Personen oder Orte nachgeschlagen werden müssen ist das Buch insgesamt eine aufschlussreiche Lektüre.

Daumen5maennlich

Artikelbilder: Catalyst Game Labs

 

 

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