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Im letzten Teil unserer Powered by the Apocalypse (PbtA)-Systemvorstellung stellen wir euch Apocalypse World, Monsterhearts, The Sword, the Crown, and the Unspeakable Power und Urban Shadows vor. Wir fühlen dem Originalsetting auf den Zahn und erklären euch, was das dreckige Endzeitsetting so beliebt macht, dass es gleich mehrere Preise gewonnen hat. Außerdem stellen wir euch zwei Gegenentwürfe zu Urban Fantasy vor – Urban Shadows und Monsterhearts. Schlüpft in die Rolle eines mächtigen, übernatürlichen Wesens und stürzt euch in ein Nest politischer Intrigen; oder erlebt, wie es ist, zur Highschool zu gehen und Schmetterlinge im Bauch zu haben, wenn ihr euch nachts in einen Werwolf verwandelt.

Apocalypse World

Apocalypse World ist das Setting, für welches die PbtA-Engine entwickelt wurde. Apokalypse World spielt 50 Jahre nach der Apokalypse. Niemand weiß, wodurch die Apokalypse ausgelöst und wie die Menschheit fast ausgelöscht wurde, und Überlebende aus der Zeit vor der Katastrophe lassen sich kaum noch finden. Einzig Benzin und Waffen gibt es noch in rohen Mengen und zu allem Überfluss zerrt ein heulender, psychischer Mahlstrom – eine Masse reiner, chaotischer Energie – an der geistigen Gesundheit der Überlebenden.

Apocalypse World 2nd EdElf Charakterklassen mit spezifischen Moves stehen zur Auswahl: Angel (Arzt), Battlebabe (charismatischer Kämpfer), Brainer (durchgeknalltes Medium), Chopper (Anführer einer Motorrad-Gang), Driver (Fahrer), Gunlugger (Waffenhändler), Hardholder („Herrscher“ über ein Gebiet), Hocus (Anführer eines religiösen Kultes), Operator (opportunistischer Handlanger), Savvyhead (Techniker) und Skinner (charismatischer Künstler). Jede dieser Charakterklassen hat einen eigenen Schwerpunkt im Spiel und mit einigen werden zusätzliche Regeln in Spiel eingeführt. So bringt das Battlebabe Regeln für schwere Waffen ins Spiel ein, der Hardholder würfelt zu Beginn jedes Spielabends über den Zustand seiner Gemeinschaft, der Chopper und der Hocus müssen Regeln für ihr Gefolge berücksichtigen, usw. … Insgesamt sind die Charaktere sehr durchgeknallt, heiß, brutal, gnadenlos: Die Bakersche Postapokalypse ist kein angenehmer Ort; sie ist ein Ort, an dem man schwitzt, blutet, fickt und leidet; und das spiegelt sich deutlich in den Charakteren und ihren Moves wieder.

An dieser Stelle sollten wir auch einmal über Sex Moves reden, da sie sicherlich einer der umstrittensten Bestandteile des Systems sind(siehe diese mehrseitige Diskussion). Jede Klasse hat einen eigenen Sex Move, der besagt, dass irgendetwas Besonderes geschieht, wenn ein Charakter Sex mit einer anderen Person hat. Oft gewinnt der Charakter dann in irgendeiner Form Einfluss über diese Person oder kann einen Gefallen von ihr einfordern. Die Meinungen, ob Rollenspielelemente wie Beziehungen oder Sexualität in Regelform gegossen werden sollten, gehen weit auseinander. Ein Autor, der Sexualität einen Regelmechanismus zuweist, will gezielt fördern, dass Sexualität im Spiel vorkommt und thematisiert wird. Für mich passt dies sehr gut in eine postapokalyptische Welt und in die Thematik von Niedergang, Verfall, Kampf ums Überleben, Hedonismus, Hoffnung und Maßlosigkeit. Sexualität als explizites Spielelement zu behandeln erfordert aber sicherlich sehr erwachsene Spieler und kann in Spielgruppen, die daran keinen Gefallen finden, auch ohne große Probleme ausgelassen werden.

Apocalypse World verwendet vier Charaktereigenschaften: Cool (Gelassenheit in Stresssituationen), Hard (emotionale und körperliche Härte), Sharp (Wahrnehmunsfähigkeit), Hot (Attraktivität und Charisma) und Weird (Affinität für Übersinnliches). Für jeden Move werden 2W6 gewürfelt und die passende Eigenschaft dazu addiert. Darüber hinaus spiegelt Hx (History/Geschichte) Beziehungen zwischen den Charakteren wider und kann eingesetzt werden, um Proben zu verbessern oder zu erschweren.

Fazit: Der lachende, tanzende Abschaum der Welt

Daumen5weiblichNeuIch mag Apocalypse World sehr, weil es die menschlichen Abgründe einer postapokalyptischen Welt in Regeln gegossen hat und spielbar macht. Die Charaktere sind abgedreht und brutal und doch ringen sie in ihrem Innersten nur darum, sich ein neues Leben aufzubauen und der gnadenlosen Ödnis eine Bedeutung für ihr Leben abzuringen. Mir gefällt der nihilistische Geist, den das Setting wie kein anderes postapokalyptisches Rollenspiel ausstrahlt.

Schön finde ich auch, dass die Welt gemeinsam mit der gesamten Gruppe erschaffen wird und somit alle ihre Vorstellungen von einem postapokalyptischen Setting in Spiel einbringen können. Apocalypse World ist aber auch kein familienfreundliches Spiel und für manche Spielgruppen könnten andere postapokalyptische Szenarien, die zwar ähnlich abgedreht, aber weniger nah an menschlichen Konflikten und Bedürfnissen angelehnt sind, schließlich doch die bessere Wahl darstellen.

 

Monsterhearts

Monsterhearts (geschrieben von Avery Alder McDaldno) dreht sich um das chaotische Leben von Tennager-Monstern. Unnahbare Vampire, unsichere Hexen, starke Werwölfe und vom Fremden faszinierte Sterbliche streben nach Anerkennung, Freundschaft und Liebe und versuchen, die seltsamen Veränderungen in sich und ihre Andersartigkeit zu begreifen.

Jedes Playbook (hier „Skin“ genannt), jedes Monster ist eine Allegorie auf einen bestimmten Typ von Teenagern, der sich mit bestimmten Problemen auseinandersetzt. Der Geist, der schwer traumatisiert wurde, sich versteckt hält und dabei unsichtbar fühlt. Die Werwölfin, die Angst vor der unberechenbaren Macht in sich hat. Der manipulative Vampir, der einfach nicht aufhören kann, andere zu benutzen. Die fixierte Sterbliche, welche der Verführung durch die Dunkelheit erlegen ist. Die Fee, die fürchterliche Rache übt, wenn jemand sein Wort nicht hält. Der Ghul, dessen Hunger unstillbar ist, weil er sich endlich wieder lebendig fühlen will. Es ist erstaunlich, wie gut sich die Monster aus dem Volksglauben als Allegorien für die Bedürfnisse von Teenagern nutzen lassen. Zugleich sind sie in Monsterhearts aber nicht nur Allegorien: Die Spieler spielen Teenager-Monster, die gemeinsam zur Highschool gehen und mit den Sorgen und Nöten des Teenagerlebens ringen.

MonsterhearsEin besonderer Move ist das „dunkelste Selbst“, das für jeden Skin unter bestimmten Bedingungen – meist in Stresssituationen – ausgelöst wird. Wenn dies geschieht, lebt der Charakter seine Gefühle oder monströsen Bedürfnissen ohne Rücksicht auf andere aus; so, wie es Teenager eben manchmal tun, auch wenn es vielleicht nicht die reife oder erwachsene Antwort auf ein Problem ist.

Die Charaktereigenschaften in Monsterhearts sind hot (heiß), cold (kalt), volatile (unbeständig) und dark (düster). Auch die Moves sind für das Setting passend eingefärbt, jeder Charakter kann beispielsweise eine andere Person anmachen oder sie zurückweisen. „Gaze into the Abyss“ ist ein Move, der es den Charakteren erlaubt, in die dunklen Ecken ihrer Seelen zu schauen – sei es, indem sie als Kultanführer einem düsteren Dämon opfern, oder sei es, indem sie als Sterbliche in nur einer Stunde einen ganzen Schokokuchen verdrücken. Bei Charakterprogression können die Charaktere erwachsenere Moves erlernen, wie dafür zu sorgen, dass sich eine andere Person schön fühlt, oder die negativen Absichten anderer Personen zu durchschauen.

Monsterhearts schafft auch Raum für Homosexualität: Wovon die Charaktere angemacht werden entscheiden weder sie noch ihre Spieler, sondern diejenigen Charaktere, die den Anmachen-Move nutzen. Wenn der sehnige Vampir nach dem Football-Spiel mit freiem Oberkörper in die Männerumkleide kommt, kann der Werwolf von seinen Gefühlen völlig überrumpelt werden. Der Geist besitzt sogar einen eigenen Move, um andere Charaktere dadurch anzuturnen, dass er von seinem Tod erzählt. Diese Elemente stehen in Zentrum des Settings: Die Charaktere werden von verwirrenden Gefühlen übermannt und haben das Gefühl, damit allein auf der Welt zu sein.

Natürlich spielen Sex-Moves auch eine wichtige Rolle in Monsterhearts, waren aber zumindest in meinen Spielrunden bislang nicht so zentral, wie es angesichts der Thematik auf den ersten Blick erscheinen kann. Oft führt Sex dazu, dass sich die Beziehung auch mechanisch neu definiert, was durch „Strings“ wiedergespiegelt wird. Strings definieren die Beziehungen der Charaktere untereinander und spiegeln Gefühle, Verletzlichkeit und Versprechen, aber auch Macht und dreckige Geheimnisse wider. Sie können beispielsweise ausgegeben werden, um (physische oder verbale) Angriffe gegen diese Personen wirksamer zu machen oder sie besser überreden zu können.

Fazit: Eine überspitzte und dramatische Sicht aufs Erwachsenwerden

Daumen5weiblichNeuIch liebe Monsterhearts – und ich liebe es deshalb, weil ich mich als emotional gefestigte Erwachsene für das Gefühlschaos der Teenager-Monster begeistern kann. Als Teenager hätte ich das Setting wohl hochnotpeinlich gefunden. Letztlich geht es in Monsterhearts darum, noch einmal die Highschool zu überleben, mit erschreckenden Emotionen und Gedanken umzugehen und die verwirrenden Veränderungen des eigenen Körpers zu akzeptieren. Normale Teenager fühlen sich von ihrem eigenen Körper und ihren eigenen Gedanken verraten; im Leben von Teenager-Monstern ist dieses Gefühl darauf zugespitzt, dass sie von den anderen isoliert zu etwas gänzlich Andersartigem werden und niemand (außer vielleicht der eigenen Familie, aber welcher Teenager möchte sich schon mit den Eltern identifizieren?) so ist wie sie. Das zu erreichen schafft Monsterhearts meiner Meinung nach hervorragend.

 

The Sword, the Crown, and the Unspeakable Power

The Sword, The Crown, and The Unspeakable Power (SCUP) ist ein powered by the apocalypse Fantasy-Setting. Wer jetzt an das Plündern von Schwarzmagiertürmen, das Retten von Adelssprösslingen vor habgierigen Drachen und ein Wetttrinken mit Zwergen denkt, denkt falsch. Die beiden Autoren Thomas J. und Todd N. wollten eine Fantasywelt erleben, in der die Geschichten nicht von Quests, sondern von Politik handeln. Inspiration für die Erfinder waren nach eigenen Aussagen Buchreihen wie George R.R. Martins A Song of Ice and Fire sowie Joe Abercrombies The First Law-Serie.

Das bedeutet, dass bei SCUP die Adelssprösslinge nicht hilflos dem Drachen ausgeliefert sind, sondern vielmehr die Bedrohung durch Riesenechsen für politische Agitation und Ränkespiele missbrauchen. Die Erforschung schwarzer Magie wird nicht in der Einsamkeit des eigenen Turms vollzogen. Stattdessen wird die dunkle Macht am besten gleich an ganzen Menschenmengen ausprobiert um den eigenen Einfluss zu stärken. Das Wettrinken mit den bärtigen Freunden … Das bleibt! Wie schon im Original-Setting Apocalypse World bekommt der Hedonismus einen hohen Stellenwert eingeräumt. Während der Fokus der Post-Apokalypse allerdings eher auf dem Auskosten der letzten schönen Dinge in einer zerstörten Welt liegt, zelebriert SCUP schlicht die Überlegenheit der Elite.

cropped-the-wheel-tree-no-text1Das Streben der Spielercharaktere richtet sich stets danach, in die Elite aufzusteigen oder sich dort zu halten. Dazu bedienen sie sich direkt oder indirekt entweder des Schwertes (The Sword), der Krone (The Crown) oder der Unaussprechlichen Macht (Unspeakable Power). Aber welche finstere Kraft haben sich Thomas und Todd für SCUP ausgedacht? Gar keine, denn es wird in die Hände der Spielgruppe gelegt sich eine eigene Spielwelt auszudenken. Man steht aber nicht alleine da, sondern kann sich von bereitgestellten Versatzstücken inspirieren lassen. Am Ende besitzt die eigene Spielwelt eine eigene Mythologie, Geschichten über die Götter und Heldensagen usw. Dazu gehört dann auch etwas Unaussprechliches: vielleicht ein verstorbener Magier, dessen Name nicht genannt werden darf; vielleicht ein Auge über einem Vulkan, das gierig über das Land blickt; vielleicht ein roter Komet, der langsam über den Himmel zieht und in dessen Schweif die unerklärlichsten Dinge und Zufälle geschehen.

Das Streben nach Einfluss wird während der Charaktererschaffung noch weiter zementiert. Jede Spielfigur muss Teil einer Fraktion sein. Das kann zum Beispiel das Adelsgeschlecht des Charakters sein, aber auch ein loses Kollektiv von Künstlern. In jedem Fall dient die Fraktion aber als Antrieb für Drama, denn sie bietet der Spielleitung weitere Anspielpunkte für jede einzelne Figur. Die Autoren schreiben, dass die Welt von SCUP „episch und außergewöhnlich“ sein soll und dass „die Leben der Spielfiguren mit Intrige und Drama gefüllt“ werden sollen.

Apropos Spielfiguren – auch SCUP wartet mit 11 Charakterklassen auf: Adept (zieht magische Kraft aus der Unaussprechlichen Macht), Beloved (Propheten und Kultanführer), Black Hood (Meuchelmörder und Diebe), Bloodletter (Arzt mit fragwürdigen Methoden), Crown (Herrscher über ein Gebiet), Gauntlet (Kämpfer), Hex (Heckenzauberer), Lyre (Künstler), Screw (Folterer), Spur (Führer einer Miliz), Voice (die Person, die dem Herrschenden ins Ohr flüstert). Dem Thema von SCUP folgend, dass die Charaktere einen Eindruck in der Welt hinterlassen sollen, bringen viele dieser Figuren neben ihren obligatorischen Fraktionszugehörigkeiten noch weitere Anknüpfungspunkte mit. The Crown muss sich mit dem Gebiet auseinandersitzen, das beherrscht wird. The Spur kann die eigene Miliz dazu benutzen Macht auszuüben, aber muss sich auch mit Konflikten innerhalb der Truppe beschäftigen. The Beloved hat ähnliche Sorgen mit der Anhängerschaft. Aber auch Figuren wie z.B. The Bloodletter oder The Lyre können sich weiter verankern, indem sie sich einen Patron anlachen. Das verspricht mehr Ressourcen und Ansehen, aber bringt Verpflichtungen mit sich.

Dieses Wechselspiel von Geben und Nehmen im Streben nach Macht bestreiten die Charaktere mit den fünf Eigenschaften Fierce (Durchsetzungsstärke), Steady (Abgebrühtheit), Wily (Verschlagenheit), Sly (Cleverness) und Arcane (die Verbindung zur Unaussprechlichen Macht). Das sind hauptsächlich Umbenennungen aus Apocalypse World. Und auch die Sex-Moves kommen wieder. Jede Spielgruppe kann aber auch hier für sich selbst entscheiden, ob eine Welt voller Intrigen, Abhängigkeit und Genusssucht der Sexualität bedarf oder ob man sie lieber ausblendet.

Fazit: Der machtgierige, skrupellose Abschaum der Welt

Daumen5weiblichNeuDie Rohheit der Anarchie aus Apocalypse World wurden in The Sword, The Crown and The Unspeakable Power gegen die Gnadenlosigkeit von Herrschaftsstrukturen getauscht. Dadurch erlebt man andere Geschichten, die den Spielern aber dasselbe Gefühl von Freiheit lassen. Die mittelalterliche Welt liegt den Spielercharakteren zu Füßen und es liegt an ihren Idealen, Vorstellungen und Ambitionen, was sie mit ihrer Macht anstellen.

Ähnlich wie Apocalypse World ist auch SCUP eher für eine erwachsene Spielerschaft geeignet. Gerade einen Folterer als Spielercharakter einzuführen ist sicherlich ein schwieriges Thema, über das die Gruppe gemeinsam nachdenken sollte. Auch sollte vorher besprochen werden, wie detailliert Elemente des täglichen Geschäfts der Charaktere – vor allem des Arztes und des Folteres – ausgespielt werden. Hat eine Spielgruppe aber Lust darauf, einmal in die verrohte Welt eines Grimdark-Settings abzutauchen, bietet SCUP dazu hervorragende regeltechnische Möglichkeiten.

Ein tolles actual play findet sich im Magic Missiles-Podcast.

  • Bezugsquelle: SCUP soll nach Angabe der Autoren im Laufe des Jahres erscheinen.

 

Urban Shadows

Urban Shadows ist ein politisches Urban Fantasy Setting, geschrieben von Andrew Medeiros und Mark Diaz Truman, das von Serien und Romanreihen wie Supernatural, True Blood und Dresden Files inspiriert wurde.

Urban ShadowsVier Fraktionen ringen in einer von der Spielrunde gemeinsam gestalteten Stadt um weltliche und übernatürliche Macht: Sterbliche versuchen sich gemeinsam gegen Monster zu behaupten, deren Absonderlichkeit sie kaum begreifen. Die Fraktion der Macht umfasst Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten wie Magier oder Medien, die durch ihren bloßen Willen die Realität verändern können. Kreaturen der Nacht sind die Monster, welche die Straße der Stadt unsicher machen – Vampire, Werwölfe, Geister. Schließlich gibt es noch die Fraktion der Wilden, die verschiedene ausgestoßene Kreaturen umfasst wie Feen aus Arcadia oder Menschen, die ihre Seele einem Dämon verkauft haben. Jeder Charakter beginnt das Spiel als Teil einer der vier Fraktionen, kann diese aber im Laufe des Spiels verlassen und Teil einer anderen Fraktion werden.

Eine interessante neue Mechanik ist Korruption. Die Korruptionsleiste spiegelt wider, wie häufig ein Charakter seiner dunklen Natur nachgibt oder sich dunklen Mächten öffnet, um an mehr Macht zu gelangen. Jedes Playbook verfügt über einige Korruptions-Moves, die es den Charakteren ermöglichen, recht schnell recht viel Macht zu erlangen. Wen ein Magier beispielsweise schwarze Magie nutzt, ein Vampir problemlos einen Sterblichen jagt oder ein Sterblicher selbst übernatürliche Kräfte erwirbt, um im großen politischen Spiel eine Chance zu haben, schreitet ihre Korruption weiter voran. Je mehr Korruption ein Charakter angesammelt hat, desto mächtigere Möglichkeiten stehen ihm zur Verfügung, aber desto eher wird er auch zu einem Teil des echten Bösen, das in der Stadt lauert.

Darüber hinaus haben die Autoren das Beziehungssystem weiter ausdefiniert und zu einem noch zentraleren Bestandteil des Spiels gemacht. Beziehungen werden in Urban Shadows durch Schulden definiert, die jeder Charakter bei anderen Charakteren und Fraktionen hat. Diese Schulden können beispielsweise genutzt werden, um Würfelwürfe zu verbessern, Antworten zu bekommen oder Gefallen einzufordern. An das Schuldensystem sind verschiedene Moves gebunden, die abbilden, dass eine Schuld eingefordert wird, dass sich jemand weigert, eine Schuld zu begleichen, dass ein Gefallen getan wird oder dass jemand in einer Auseinandersetzung einen Namen fallen lässt. Das Schuldensystem passt sehr schön zu den korrupten, intriganten Ränkespielen der Fraktionen und ich bin sehr neugierig darauf, wie sie sich im Spiel machen.

Fazit: Politisches Intrigenspiel in der Welt des Übernatürlichen

Daumen3weiblichNeuMir gefällt die Idee von Urban Shadows gut, auch wenn sie mich nicht so begeistert wie die anderen PbtA-Systeme. Das liegt vor allem daran, dass in den literarischen Vorlagen meist Teile einer Fraktion – also Jäger, Magier, Vampire – gemeinsam gegen die Anhänger anderer Fraktionen vorgehen und dabei in Intrigen und Korruption verwickelt werden. In Supernatural lassen sich die Winchester-Brüder natürlich immer wieder auf einen Handel mit dem buchstäblichen Teufel ein und haben zweifelhafte Verbündete an ihrer Seite; im Zentrum der Geschichte steht aber immer der gemeinsame Kampf der Jäger gegen eine monströse Bedrohung. In Dresden Files gibt es Werwolfs-Gangs und Feenhöfe, im Zentrum stehen aber immer Harry Dresdens Ermittlungen und damit nur die Ausschnitte, welche der Protagonist von diesen Welten wahrnimmt. Ich bin mir nicht sicher, wie sich eine solche Geschichte stattdessen mit mehreren Protagonisten und damit mehreren Einzelinteressen spielt. Da ich Urban Shadows aber bislang noch nicht selbst ausprobiert habe, kann ich dazu noch kein fundiertes Urteil fassen. Es wird aber sicherlich schwieriger als bei anderen PbtA-Settings sein, gleich von Anfang an einen gemeinsamen Vorstellungsraum zu entwickeln.

Sehr gut gefällt mir der Korruptions-Mechanismus, der vor allen den von Anfang an weniger Korrumpierten – den Sterblichen und menschlichen Magiern – Gelegenheit gibt, in eine düstere Spirale von Macht, Verführung und Verzweiflung zu stürzen. Ich kann mir vorstellen, dass dadurch eine schöne spieltechnische Balance zwischen den verschiedenen Gruppierungen geschaffen wird. Ein Vampir, der seiner Blutlust nachgibt, ist schließlich weniger dramatisch als ein alter, idealistischer Jäger, der nach Jahren doch einen Handel mit einem Dämon eingeht, um seine Liebsten zu retten.

Urban Shadows wurde nach einem Spieltest um eine volle Note abgewertet.

 

Artikelbilder: Genannte Verlage

 

 

4 Kommentare

  1. Schöne Rezis.
    Die Kritik an US kann ich nicht so ganz nachvollziehen, da diese sich ja ausschließlich mit persönlichem Geschmack begründet.

  2. Die Kritik an Urban Shadows kann ich auch nicht so wirklich nachvollziehen.

    Mir scheint, dass man sich hier zu stark an einseitige mediale Vorlagen festgehalten hat.
    5 Zimmer Küche Sarg oder True Blood oder das, was Vampire: the Masquerade immer versprochen hat und nie eigehalten, scheinen mir jedenfalls die viel passenderen Referenzen als Dresden Files oder Supernatural.

    Eingedenk des Spielbeispiels im Buch, das ich recht hilfreich fand, eigener Spiellektüre und nach den dokumentierten Spielerfahrungen anderer, scheinen mir die Schwierigkeiten beim Lesen und noch mehr im konkreten Spiel durch hineingelegte Erwartung, die mit den Spielregeln wenig kompatibel sind, ausgelöst worden zu sein.

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