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Das Meltdown in der Kölner Südstadt hat ein einfaches Konzept: mit Freunden Computerspiele zocken und dabei in gemütlicher, nerdiger Atmosphäre ein Kaltgetränk genießen. Aber auch analog wird gedaddelt: Brettspiel-, Werwölfe von Düsterwald– oder eben Tischrollenspielabende werden angeboten. Wir haben letzteres besucht – und jede Menge Spaß gehabt.

Die durchschnittliche Pen & Paper-Runde wird in ruhiger Atmosphäre gespielt, im Freundes- oder zumindest Bekanntenkreis, geht über mehrere Abende und dauert oft bis tief in die Nacht. Das klingt nicht gerade nach etwas, was in einer Bar in der Kölner Südstadt funktionieren kann. Was das Meltdown überhaupt ist, wie ein Spieleabend dort abläuft und warum man sich definitiv darauf einlassen sollte, verraten die nächsten Zeilen.

Das Meltdown – Bar und Spiele(n)

Das Meltdown am Kölner Barbarossaplatz ist ein Platz, der alle möglichen Gamer zusammenbringen möchte. Über die Grenzen von eSports-Titeln und Spieleplattformen hinweg, eint die Bar ihre Kundschaft vor allem in einem: Zocken in entspannter Atmosphäre.

Andreas, der Inhaber, ist Anfang 30 und begrüßt uns mit einem warmen Lächeln. Er hat sich für uns an diesem Abend Zeit genommen und erzählt, wie es überhaupt zu der Idee einer Gaming-Bar kam. Andreas hat vor einigen Jahren damit begonnen, sogenannte „BarCrafts“ zu veranstalten: Abende, an denen man gemeinsam mit anderen Gamern in einer Kölner Bar eSports-Übertragungen des Strategiespiels StarCraft II anschauen konnte. Aus diesem Gedanken und dieser Community heraus ging schließlich das Meltdown hervor, in dem der geneigte Gast natürlich auch selber Videospiele zocken kann.

Bei einem Publikum mit einer solchen Spieleaffinität stellte sich rasch heraus, dass auch analoge Spiele und Aktivitäten gern gesehen sind. So werden über den Monat verteilt verschiedene Dinge angeboten: Werwolf-Abende, Brettspielrunden und vor allem das sogenannte „Nerdquiz“ stoßen auf große Resonanz. Organisiert werden solche Abende gemeinsam mit Mitgliedern der Meltdown-Community, also den Gästen. Andreas verrät uns, dass er sich grundsätzlich darüber freut, wenn Stammgäste eigene Ideen zur Abendgestaltung einbringen möchten, aber dass es leider oft bei dem rasch gemachten Angebot bleibe. Dann stellt er Johannes vor, den eigentlichen Organisator des Pen & Paper-Events.

Johannes, keine 30 Jahre alt, ist ein langjähriger Gast des Meltdowns und die treibende Kraft nicht nur hinter dem Pen & Paper-Abend, sondern auch hinter dem erwähnten Nerdquiz. Er ist es, der Monat für Monat die verschiedenen Spielleiter und ihre Systeme koordiniert und den logistischen Teil der Arbeit ableistet. Er habe grundsätzlich Spaß daran, Dinge zu organisieren, antwortet er zunächst zögerlich auf unsere Frage nach seiner Motivation. Dann erzählt er uns von der Begeisterung der Spieler, von der hohen Kreativität der Spielleiter und schlicht von der Faszination, die das Eintauchen in Fantasiewelten in uns allen auslöst. Die Begeisterung ist ihm anzumerken.

Zehn Systeme, ein Abend, ein Abenteuer

Das Konzept, das Johannes erdacht hat, ist solide und simpel. Interessierte Spielleiter melden sich im Vorfeld der Veranstaltung wahlweise an der Theke oder direkt bei Johannes. Gemeinsam wird dann koordiniert, wer welches System anbietet. In der Regel finden bis zu zehn Runden an einem solchen Abend statt, in denen sechs bis acht verschiedene Systeme angeboten werden. An dem Abend, an dem die Teilzeithelden mitspielen, werden sowohl Klassiker wie Shadowrun, Call of Cthulu und DSA, aber auch Eigenkreationen wie Savage Fallout, ein System nach Savage Worlds, im Setting von Fallout aus dem Hause Bethesda, angeboten.

Zeit zur Anmeldung gibt es reichlich, zwischen der Baröffnung um 18:00 Uhr und dem Beginn der Abenteuer um 19:00 Uhr hat man Gelegenheit, sich einen Einblick in die jeweiligen Systeme zu verschaffen, die potenziellen Mitspieler kennenzulernen und sich anzuschauen, wo in der Bar man denn spielt. Ein gut gemeinter Ratschlag: Auch, wenn die Sofas bequem sind, für eine Pen & Paper-Runde sollte man doch lieber den Tisch mit den normalen Stühlen nutzen. Euer Rücken wird’s euch danken.

Hat man sich eine Runde ausgeguckt, trägt man sich in eine entsprechende Liste ein. Die meisten Runden bieten vier oder fünf Spielerplätze, aber man ist flexibel. Mal wird ein sechster Spieler hinzugefügt, der das System noch unbedingt spielen möchte, mal wird ein fünfter Platz gestrichen und die Runde zu viert begonnen. Eine sympathische Flexibilität, die ohne Druck dafür sorgt, dass jeder Spieler dort landet, wo er hinmöchte.

Entscheidung für ein Spiel-System

Ich selbst entscheide mich für eine DSA-Runde, in der fünften Edition. In der Sofaecke erwarten mich Gabriel, der Spielleiter meiner Runde sowie Joe, ein absoluter Anfänger, Chris, selbst erfahrener Spielleiter, aber diesmal als Spieler dabei, und Jürgen, der nach langer Pause erstmals wieder spielt. Gabriel beginnt mit erkennbarer Routine, die Charakterbögen zu erklären und schafft es, das an und für sich würfelintensive Regelwerk des Schwarzen Auges in kurzer Zeit plausibel zu erklären. Auswürfeln müssen wir nichts, Lebenspunkte oder andere Werte kalkulieren ebenso wenig. Wir spielen mit vorgefertigten Charakteren, ein Umstand, der allen Abenteuern an diesen Abenden gemein ist, schließlich schließt das Meltdown um 01:00 Uhr morgens seine Tore. Da bleibt keine Zeit für aufwändiges Charakterbauen.

Und so beginnt das Abenteuer: Ich bin Flavius, ein Zuckerbäcker aus dem Horasreich, der in einem Dorf im Bronland lebt und dort dem ein oder anderen Höhergestellten die ein oder andere Leckerei an die Tafel liefert. Aus demselben Dorf stammt Anja, die Schmiedin, und Jana, eine Halbelfe, die Ärztin des Dorfes – gern gesehen ob ihrer medizinischen Fertigkeiten, gefürchtet aufgrund ihres Daseins als Zahnärztin.

Die Geschichte entfaltet sich

Dann ist da noch Rudi, der Wirt des Dorfes. Gemeinsam sitzen wir in der Zelle, in die wir verbracht wurden. Warum das mit uns geschehen ist und was mit dem eigentlich beliebten und gütigen Bronnjar los ist, der lange verschwunden war und sich seit seiner Rückkehr äußerst seltsam verhält, wahllos Dorfbewohner in den Kerker werfen lässt und sich ganz allgemein sehr unbeliebt macht, das erfahren wir in den nächsten Stunden des Abends.

Aufwändiges Charakterbauen entfällt aufgrund der zeitlich begrenzten Rahmenbedingungen in allen Systemen.

Geübt und erfahren führt Gabriel uns durch ein immersives Abenteuer, das größtenteils von Erzählung und tatsächlichem Rollenspiel und kaum von tatsächlichem Würfeln lebt. Mir fällt auf, wie geschickt er Joe, den Anfänger, mit den anderen ins Spiel bringt, allen Spielern den gleichen Platz einräumt und geschickt Anregungen im Spiel platziert, ohne dabei ins Railroading abzurutschen. Die Bedienung der Bar ist aufmerksam und rücksichtsvoll, Getränke werden im richtigen Moment gebracht. Auch das Ambiente der Bar passt sich dem Anlass an. Die LED-Lampen sind gedimmt und werfen weiches Licht auf die dunklen Wände, und über die allgegenwärtigen Bildschirme, die sonst eSports-Übertragungen zeigen, flackert ein warmes Kaminfeuer. Über dem Visuellen liegt unaufdringliche, rollenspieltaugliche Musik.

Wenig Störendes

Das einzige, was an diesem Abend ein wenig stört und daran erinnert, dass wir uns in einer Bar befinden, ist die Runde am Nebentisch. Die spielen zwar im selben Setting wie wir (ebenfalls DSA, allerdings 4.1), erleben aber ein ganz anders geartetes Abenteuer: Während wir in einer düsteren, gefährlichen Situation stecken und eher Allerweltsleute darstellen, die noch auf dem Weg dazu sind, Helden zu werden, findet dort ein zünftiges Saufgelage statt. Die Recken aus der Nachbarschaft zechen und messen sich in Spielen und Wettkämpfen, die Runde ist entsprechend laut. Aber unser Unmut wird bemerkt, und schnell passt sich die Lautstärke an.

Den Helden zieht es in die Taverne

Im Verlauf unseres Abenteuers begegnet uns so manche Widrigkeit, und die Situation spitzt sich so weit zu, dass der feine Herr Zuckerbäcker aus dem Horasreich selbstlos anbietet, Hilfe zu holen. Dank seiner Schnelligkeit schafft er es tatsächlich, sich abzusetzen, und ich nutze die Tatsache, dass mein Charakter aus dem Spielgeschehen herausgerutscht ist, um mich einmal umzusehen. Um mich herum sind die einzelnen Runden in ihre Erlebnisse vertieft, an der Theke sitzen einige Gäste und genießen den Abend. Ein ganz normaler, geselliger Abend in einer Kölner Kneipe, sollte man meinen – wären da nicht überall die in das Fantasiegeschehen vertieften Gesichter.

Das Abenteuer, in das Anja, Jana, Rudi und Flavius verstrickt sind, geht am Ende gut aus, unsere Helden sind der übermächtig scheinenden Bedrohung gewachsen. Wir atmen auf, bedanken uns bei Gabriel für die getane Arbeit und quatschen noch eine Weile miteinander. Das intensive, spannende Erlebnis wird verarbeitet, wir tauschen uns über das Abenteuer aus und ich nutze die Gelegenheit, meine Mitspieler noch etwas besser kennenzulernen: So, wie die vier Helden der grade erlebten Geschichte nun wahrscheinlich bei einem Bier sitzen und aufeinander anstoßen.

Und zum Schluss

Offen gesagt hatte ich meine Zweifel, ob eine Pen & Paper-Runde in einer Bar funktionieren würde. Ein unvorbereiteter Meister, besoffene Gäste, aufdringliche Thekenkräfte, schlimmes Ambiente, eine übermäßige, störende Geräuschkulisse; ich habe jede Menge schlimme Dinge erwartet. Aber nichts davon hat sich bewahrheitet. Stattdessen hat mich eine schön hergerichtete Location willkommen geheißen, freundliches Personal hat mich versorgt, ein großartiger Meister hat mich durch ein spannendes Abenteuer geführt, und ich habe viele interessante Menschen kennengelernt.

Als ich mich schließlich verabschiede, steht für mich persönlich fest: Ich komme wieder.

Artikelbilder: © Meltdown Cologne, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur

 

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