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Wer gemeinsam actiongeladene Kampfszenen, hitzige Wortgefechte und spannende Rätsel erlebt, der teilt möglicherweise bald auch Laken und Schwüre miteinander. Liebe im Rollenspiel stellt Charaktere und ihre Spieler gleichermaßen vor eine Herausforderung der besonderen Art. Mit Würfeln im Beutel und Schmetterlingen im Bauch darf diese nicht nur angegangen, sondern gemeistert werden.

Glaubt man der Bedeutungsübersicht des Dudens, so ist Liebe ein „starkes Gefühl des Hingezogenseins; starke, im Gefühl begründete Zuneigung zu einem [nahestehenden] Menschen“ oder auch lediglich eine Bezeichnung für sexuellen Kontakt bzw. Verkehr. Dass das Spektrum dieser Wortdefinition ein weites ist, steht damit außer Frage. Während Liebe vielerorts primär durch die Partnerschaft zweier (oder mehrere Menschen) oder aber durch die Liebe von Eltern zu ihren Kindern in Erscheinung tritt, lässt sie sich doch nicht auf dieses beschränken: Liebe verspüren Freunde füreinander, verspüren Menschen für ihre Haustiere und natürlich auch für ihre Hobbies.

Davon ausgehend, dass das Pen & Paper-Rollenspiel das Ausfüllen einer Rolle in einem Setting (zumeist) jenseits unserer realweltlichen Umgebung zum Inhalt hat, sind es tatsächlich nicht nur die Teilnehmer einer Spielrunde, sondern auch die Gefühle, die hier eine Rolle spielen.

Vor allem die körperliche Liebe und ihre Darstellungsformen ist ein häufig debattiertes und umstrittenes Thema. Dies innerhalb der Deutschen Rollenspielszene aktuell befeuert durch die Veröffentlichung der DSA-Spielhilfe Wege der Vereinigungen. In Ergänzung und Erweiterung des Artikels Liebe, Sex und Zärtlichkeit im Rollenspiel wird im Nachfolgenden ein Blick vor allem auf Liebe als Emotion auf der Spielebene geworfen.

Liebe am Spieltisch – Braucht man das wirklich?

Eine Frage, die sich sowohl schnell als auch einfach beantworten lässt: Nein. Dies einerseits, weil die möglichen Abenteuer und Erlebnisse im Pen & Paper-Rollenspiel derartig breit gefächert sind, dass auch ohne die Erweiterung um diese zusätzliche Emotionsebene keine Langeweile aufkommt, und andererseits, weil die SC untereinander, aber auch gegenüber wichtigen NSC mithilfe anderer Gefühle verbunden sind: Loyalität, Freundschaft, Zugehörigkeit.

Was der Aspekt der Liebe miteinbringt, ist ein weiteres Feld von Möglichkeiten, das Rollenspiel interessant zu gestalten. Die besondere Form der zwischenmenschlichen Bindung kann Charaktere in emotionale Zwiespalte und soziale Abhängigkeiten bringen sowie ihren moralischen Kompass beeinflussen – dies wohl positiv als auch negativ. Darüber hinaus trägt Liebe im Rollenspiel dazu bei, dass ein Charakter an (noch) mehr Tiefe gewinnt. Dies wiederum spricht die Kreativität des betroffenen Spielers an und sorgt im Idealfall dafür, dass dieser eine engere Bindung mit seinem Charakter eingeht bzw. die Identifikation mit diesem gestärkt wird und ein emotionales Involvement entsteht. Ein SC nämlich, der ein facettenreiches Feld von Emotionen aufweist, verfügt über Lebendigkeit und Realitätsnähe.

DSA widmet Liebe und Sexualität ein eigenes Werk © Ulisses Spiele, Wege der Vereinigungen

Welche Formen sind denkbar?

Vor allem in längerfristigen Kampagnen verbringen die SC viel ihrer Lebenszeit miteinander. Oftmals folgen sie nicht nur einem gemeinsamen Ziel, sondern verfügen über eigene Motivationen, die sie vorantreiben und auch mit ihren Begleitern teilen. Dass im Laufe der Zeit ein freundschaftliches Band – mindestens aber eine professionelle Basis der Zusammenarbeit – entsteht, ist nur menschlich.

Ein solches Band kann sich aber auch anders gestalten, sodass eine Liebesbeziehung zwischen zwei (oder mehreren) SC entsteht. Hierfür ist das Einverständnis beider bzw. aller von dieser Beziehung betroffener Spieler entscheidend. Eine einfache Probe in Richtung Betören/Überzeugen sollte niemals einen Charakter in eine derartig wichtige und einschneidende Entwicklung hineinstoßen.

Neben der Möglichkeit der Spieler, zueinander zu finden, besteht natürlich auch die Option, dass ein Spieler mit einem NSC zusammenfindet. Vor allem dann, wenn der Spielleiter wiederkehrende NSC einbindet, die mit der Haupt- oder mit Nebenhandlungen verflochten sind, ist eine solche Kombination denkbar. Kurzfristige Liaisons für flirtfreudige SC stehen auf einem anderen Blatt; hier ist keine ausgefeiltes Charakterkonzept notwendig – weder in der Ausgangssituation, noch in der späteren Entwicklung.

Natürlich können auch NSC untereinander liiert sein. Dies ist keinesfalls eine Seltenheit; Spieler treffen auf Könige mit ihren Königinnen, Bauern mit ihren Bäuerinnen und junge Verliebte am Straßenrand. Hier wird nicht groß von “Liebe” gesprochen – sie wird lediglich impliziert. Sollte eine solche NSC-Partnerschaft jedoch Plotrelevanz erlangen, beispielsweise, weil die Spieler zur Aufgabe haben, ein Zusammenkommen den Widerständen (Standesunterschiede, Entfernung, uvm.) zum Trotze zu ermöglichen, rückt das Thema der Schmetterlinge im Bauch mehr und mehr ins Rampenlicht. Dass jedoch keine allzu umfangreiche Diskussion der Gefühlslage erfolgt, liegt im Charakter der NSC begründet und darin, dass die Spieler im Regelfall nicht Zuschauer sein, sondern aktiv handeln wollen. Liebe im Rollenspiel begegnet den Spielern demnach auch dann, wenn sie sich selbst nicht unmittelbar involvieren.

Liebe in Shadowrun? Wieso denn nicht - es hängt an den Spielern ® Pegasus Spiele
Liebe in Shadowrun? Wieso denn nicht – es hängt an den Spielern © Pegasus Spiele

Die richtige Darstellung oder Warum weniger mehr ist

Obgleich es Gruppen, Systeme und Kontexte gibt, in welchen die körperliche oder emotionale Liebe im Mittelpunkt steht, so ist dies klassischerweise am Spieltisch nicht der Fall. Sie ist nur ein Aspekt von vielen – ein Umstand, der sowohl in Fantasy- aber auch in moderneren Settings zutrifft. Weil es darüber hinaus auch im Interesse der anderen Spielteilnehmer ist, nicht den Fokus auf das Zusammenfinden und Beieinandersein zweier SC oder anderer spielinterner Liebschaften zu legen, sollte dies seitens der Spieler und des Spielleiters vermieden werden. Vor allem explizite Szenen sexueller Natur sind zu umgehen, führen sie doch oft zum Entstehen eines Unwohlgefühls bei anderen (unbeteiligten) Spielern. Das Ausspielen einer Liebschaft sollte niemals dem eigentlichen Ziel der Runde entgegenstehen oder dies in den Hintergrund drängen. Die Gruppeninteressen (Erfüllung gegebener Aufgaben, Verfolgung persönlicher Interessen usw.) sind essentiell.

Während sich in der Theorie viel über emotionale Bande am Spieltisch erklären lässt, tritt beim ein oder anderen vielleicht die Frage auf, wie so ein Liebesverhältnis zwischen SC oder SC und NSC denn tatsächlich aussehen kann. Die nachfolgenden Beispiele sind zum einen allesamt seitens der Autorin selbst aktiv als involvierte Spielerin oder passiv als begleitende Spielerin bzw. Spielleiterin erlebt und erlauben zum anderen eine Vorstellung, wie derartige Beziehungen in den Alltag eines SC passen:

  1. In einer früheren Runde Das Schwarze Auge, dritte Edition, entschied sich eine Spielerin dafür, einen NSC, mithin ein junges magiebegabtes Mädchen, zu einem SC umzuwandeln. Dies, nachdem der Magier der Gruppe diese als Schülerin aufnahm. Die Gruppe wurde mehrere Jahre über gespielt; im Spiel selbst verging deutlich mehr Zeit. Als das Mädchen zur Reife gelang, fand sie mit ihrem Lehrmeister zusammen. Der Prozess vollzog sich in vielen kleinen Schritten und stets parallel zu den Abenteuern, die die Gruppe regulär zu bewältigen hatte. Die involvierten Spieler haben sich außerhalb des Spieltisches beieinander rückversichert, dass dies beidseitig gewünscht ist.
  1. In Shadowrun können Millisekunden über Leben und Tod entscheiden. Professionelle Teammitglieder sind aus diesem Grund unabdingbar. Stand man schon mehrfach Rücken an Rücken und hat sich den Weg freigekämpft, ist für den ein oder anderen der Pfad dafür geebnet, auch spaßigere Zeitvertreibe miteinander zu teilen: In einer aktuellen Shadowrun 5-Runde haben sich zwei SC dafür entschieden, ihren Alltag und die wilden Nächte Chicagos gemeinsam zu bewältigen. Dies geschah im Gegensatz zum vorherigen Beispiel ohne eine Form der Absprache, wurde aber stetig reflektiert. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass die betroffenen Spieler sich wohl mit der Entwicklung fühlen.
  1. Das dritte Beispiel führt zurück nach Aventurien. Der Spielleiter wählte für die Gruppe, die noch aus recht unerfahrenen Rollenspielern wie Charakteren bestand, einen NSC aus, der ihr in schwierigen Situationen Beistand leistete. Die Motivation, die diesen vorantrieb, waren zarte Gefühle für einen der Charaktere. Ein besonders schöner Aspekt hieran war, dass sowohl der Charakter wie auch die dahinterstehende Spielerin diese Beweggründe erst spät durchblickten, wohingegen die übrigen Teile der Gruppe zu einer schnellen Einsicht gelangten. Die Spielerin stand in keinerlei Verpflichtung, auf diesen Umstand einzugehen; die Entscheidung über die Entwicklung ihres Charakters lag stets in ihrer Hand.

Was allen Beispielen gemein ist, ist der Umstand der Wahl beziehungsweise der Absprache. Es ist fundamental, dass eine Entwicklung, die so emotional tiefgreifend für den gespielten Charakter ist, nicht forciert wird. Soll die Liebe im Rollenspiel aufgenommen werden, dann stets ungezwungen und als Ergänzung, nicht aber als alleinige Handlungsbasis.

Bleeding – ein „Ausbluten“ zwischen Spieler und Charakter und anders herum

Probleme jenseits des Spieltisches

So schön die Liebe am Spieltisch auch sein kann, so sehr kann sie auch zu Problemen zwischen den Spielern führen. Besonders prägnant tritt der Aspekt der Eifersucht hervor. So können zwei turtelnde Charaktere schnell dafür sorgen, dass am Spieltisch Frust herrscht – dies vor allem, wenn Paare oder Teile von ihnen der Spielgruppe zugehörig sind.

Eine weitere mögliche Problematik wären unerwiderte Gefühle eines Mitspielers für einen anderen. Kommt es im Spiel zum Austausch von zarten Worten, fällt die Abtrennung zwischen Spieler und SC entsprechend schwer. Dies führt zu emotionalem Ballast.

Diese Problemsituationen entstehen dann, wenn Spieler sich außerstande sehen, die emotionale Ebene ihres Charakters von ihrer eigenen persönlichen abzugrenzen. Hier wird vom sogenannten „Bleed“ gesprochen. Dieser beschreibt die Beeinflussung des Spielers durch die Emotionen seines Charakters. Wenn das Spiel einen hohen Immersionsgrad besitzt, geschieht dieses recht häufig: Eine niederschmetternde Spielsituation kann zu einem üblen Nachgeschmack auch nach Ende der Spielsitzung führen. Gleiches gilt für humoristische Inhalte – und für Liebesdinge.

Hier ist es zum einen unabdingbar, zu jeder Zeit eine Grenze zu ziehen und offen über auftretende Problemsituationen zu kommunizieren. Es muss nicht nur der- oder diejenige an sich arbeiten, der oder die mit negativen Gefühlen aus der Situation hervorgeht. Auch die anderen, die hier als Sender gegenüber dem Empfänger funktionieren, müssen ihre gesandten Signale prüfen.

Zum anderen ist möglicherweise eine Ausleitung sinnvoll, die z. B. eine Reflexion der Geschehnisse, einen Ausblick auf die kommende Sitzung und abschließend das Besprechen einiger realweltlicher Aspekte beinhalten kann, um erfolgreich aus dem Charakter „auszusteigen“.

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Liebe am Spieltisch kein Muss ist. Ergibt sie sich jedoch mit dem Einverständnis aller Beteiligten, kann sie das Spiel um eine emotionale Ebene erweitern. Dieser Umstand ermöglicht eine breitere Fächerung zur Charakterentwicklung und kann für den Spielleiter fruchtbarer Boden für so manche abenteuerliche Idee sein. Dies unabhängig davon, ob zwei SC oder auch NSC involviert sind. Aus Verbindungen dieser Art lassen sich persönliche Motivationen ziehen, es bieten sich aber auch die Grundlagen für Manipulation der Interessen eines SC.

Wird die Darstellung in einem Rahmen gehalten, der die übrigen Spieler sowie die Handlung nicht einschränkt, kann sie positiv zur Immersion beitragen. Hierbei ist es vor allem wichtig, eventuelle entstehende Problematiken nicht vom Spieltisch mit in den Alltag zu nehmen, sondern stets eine klare Grenze zu definieren.

Das Spiel mit den ganz großen Gefühlen ist nicht nur eine Herausforderung, es ist eine Chance für neue Facetten des Rollenspiels. Sind die richtigen Voraussetzungen geschaffen, darf Cupidos Pfeil gerne fliegen und treffen, denn „[a]lles, worauf die Liebe wartet, ist die Gelegenheit“ (Miguel de Cervantes Saavedra (1547 -1616)).

Artikelbilder: despoitphotos, Ulisses Spiele, Pegasus Spiele, WizKids

 

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