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Was vor über 11 Jahren oder inneraventurisch im Jahr 1028 BF begann, hat nun auch in die Zeit und Regeln von DSA5 gefunden. Mit Schrecken aus der Tiefe wurde ein ehemals 14-seitiges Abenteuer von 2006 neu aufgelegt und um mehr als das Doppelte erweitert. Aber, bringt das auch doppelten Spielspaß?

Der Nebel ist die schönste Form der Verschleierung.
– Klaus Ender (dt.-österr. Autor) –

In Aventurien hat man bereits das Jahr 1040 BF hinter sich gelassen und seit den Ereignissen des vorliegenden Abenteuers ist viel Wasser den Großen Fluss hinuntergeflossen und dennoch lassen sich die Auswirkungen dieser Geschichte bis in die heutige Zeit spüren.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass der nachfolgende Artikel Spoiler und wichtige Informationen zur „lebendigen Geschichte“ Aventuriens enthält.

Inhalt

Während heute vor allem der Sternenfall und die schwindende Macht der Götter eine große Rolle in Aventurien spielen, war im Jahre 1028 BF der innenpolitische Konflikt und Bürgerkrieg zwischen den Nordmarken und dem heutigen Fürstentum Albernia ein auftrabendes Thema. Den Menschen in Havena, der Hauptstadt des Fürstentums, ging es schlecht und viele verloren ihren Glauben an das Gute. Den Abfall von Moral und Glaube nutzten viele Kulte, um ihre eigenen Reihen zu stärken.

Die Hafenstadt Havena, welche schon immer Tür und Tor zur Welt war, immerhin ist sie die zweitgrößte Stadt des Mittelreiches, scheint dabei besonders den Widersachern des Meeresgottes Efferd eine Heimat zu bieten. In den Nebeln der überfluteten Unterstadt sind Schmuggler noch das kleinste Übel, aber genau mit diesen beginnt das Abenteuer, das die Spieler und ihre Helden in einen gefährlichen Strudel aus Ereignissen reißt.

Kapitel I – Schmugglerjagd

In kaum einer anderen Stadt wird derart viel Schmuggel betrieben, wie in Havena und in kaum einer Stadt wird ebenso wenig dagegen unternommen. Die Garde ist meistens überfordert oder wurde entsprechend bestochen, damit sie ein Auge zudrückt. Da wundert es nicht, dass eine Kaufmannstochter ihr Glück selbst in die Hand nimmt und die Helden anwirbt, um einer Schmugglerbande auf die Schliche zu kommen, die eine Gefahr für das Kontor ihrer Eltern darstellt. Keine ganz leichte Aufgabe, denn erst einmal gilt es die Schmuggler zu finden. Spurensuche ist angesagt.
Das Abenteuer wartet hier zum einen mit einer Fokusregel der Stufe I für das „Herumfragen“ auf, zum anderen wird der Leser aber auch mit Informationen geradezu überhäuft.

Dem Spielleiter werden diverse Anlaufstellen an die Hand gegeben, inklusive deren Verortung in der Stadtspielhilfe (SSH) Havena – Versunkene Geheimnisse, mit denen er den Spielern wichtige Hinweise zu den Schmugglern liefern kann. Hierzu gehören nicht nur die bedeutsamen Tempel des Meeresgottes Efferd und die Hafenmeisterei, sondern auch die „Druckerei der Havener Fanfare“ (inneraventurische Zeitung) sowie die beliebte Taverne „Schatzinsel“. Ein paar ausgewählte Zitate lassen die beschriebenen Orte erfreulicherweise sehr lebendig wirken und den Spielern wird durch das Spurensuche-Element die Möglichkeit gegeben Havena zu erkunden. Diese Erkundungstouren geben den Spielern zwar einige Bewegungsmöglichkeiten, aber stehen im Widerspruch zu den eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten der nachfolgenden Kapitel.

Kapitel II – Suche nach den Kultisten

Kaum haben die Helden die Schmuggler auch schon ausfindig gemacht, kommt es im wahrsten Sinne des Wortes Schlag auf Schlag, und vor allem anders als man denkt. Die Stadtgarde taucht auf und nimmt die Helden als angebliche Schmuggler in Gewahrsam. Diese Wendung wird bestimmt nicht jedem Spieler gefallen und so geht auch das Abenteuer auf den Umstand ein, dass es für einen Spielleiter viel Fingerspitzengefühl braucht, um diese Situation zu bewerkstelligen.

Die Planung des Ausbruches ist dann zwar nicht explizit Bestandteil des Abenteuers, aber durchaus förderlich, um die Spieler nicht zur Untätigkeit zu verdammen.

Egal, ob die Helden von sich aus fliehen oder mit Hilfe der Justiz, hier hilft ein weiterer „plot twist“, letztendlich gelten sie ab nun als geflohene Verbrecher. Aber es wären nicht Helden und es wäre ein schlechtes Abenteuer, wenn die Autoren keine Lösung für das Dilemma parat hätten.

Mit Hilfe einiger Unterlagen (Fallakten) und Informationen, welche die Helden mittlerweile in der Hand haben, können sie sich sicher sein, dass mehr als nur Schmuggel hinter den aufgedeckten Machenschaften liegt. Ein bösartiger Kult ist am Werke und wartet nur darauf, dass ein paar dahergelaufene Helden ihm das Handwerk legen. Hierzu müssen die Helden lediglich erneut Spurensuche betreiben, was die Arbeit der örtlichen Justiz in Frage stellt. Vermutlich hat die Garde nur die falschen Leute befragt, die falschen Fragen gestellt oder wurde, wie so häufig und hier tatsächlich, geschmiert und unterwandert.

Die Fallakte, nach welcher die Helden ihre Informationssuche abarbeiten, wirkt dabei eher wie ein typischer Questgeber aus einem Computerspiel: „Löse erst die zwei Nebenquests, dann kommst du in der Hauptquest voran!“ Der Vorteil daran ist, dass es nicht langweilig wird und das Abenteuer sogar mit romantischer Schurke-liebt-heimlich-ein-Mädchen-Szenerie aufwarten kann. Und wenn die Helden dann nicht mehr weiter wissen und mit ihrer Informationssuche in der sprichwörtlichen Sackgasse gelandet sind, taucht ganz unverhofft der Wink-mit-dem-Zaunpfahl-Typ auf und verplappert sich. Was für eine meisterhafte Wendung (Achtung, Sarkasmus!). Man kann sich das Abenteuer sehr gut wie ein kleines Labyrinth vorstellen, in dem die Helden auf der Suche nach Spuren umherirren und an dessen Kreuzungen sie meinen freie Entscheidungen zu treffen. Letzten Endes führt sie aber jeder Schritt nur in eine weitere Sackgasse, und erst wenn die Helden aufgeben, kommen sie ans eigentliche Ziel. Das ist keine sehr schöne Struktur, denn Aufgeben gehört in den meisten Fällen nicht zum Repertoire von Helden.

Kapitel III – Unterwegs in der Unterstadt

Endlich haben die Helden den fehlenden Hinweis und das letzte Kapitel führt sie, wie wäre es anders zu erwarten gewesen, in die nebelverhangene Unterstadt Havenas. Hier können die Helden aber nicht nur den geheimen Versammlungsort der Kultisten ausfindig machen und ein Kultopfer retten, sondern auch der Schlange den Kopf abschlagen oder vielmehr dem Oberhaupt des Kultes. Dass sie damit anderen Parteien dieses Schauplatzes zu sehr viel Macht verholfen haben wird Spielern und Helden vielleicht etwas später bewusst, vermutlich aber nie.

Da sie ihren Endkampf nicht gewinnen können und ihnen vermutlich nur die Flucht bleibt, ist es aber nicht weiter verwunderlich, dass zumindest die Helden sich am Ende des Abenteuers wenig Gedanken über die Auswirkungen ihrer Taten machen, denn mehr über ihr eigenes Schicksal. Welche Auswirkungen das Abenteuer auf die aventurische Geschichte hat, wird ausführlich im Roman In den Nebeln Havenas von Daniel Jödemann beschrieben. Wer also den Ausgang der Story erleben möchte, der kommt an dem Roman nicht vorbei. Wer sich nichts vorwegnehmen möchte, sollte den Roman aber erst nach dem Abenteuer lesen.

Anhänge und Anhänger

Neben einer hervorragenden Charakterbeschreibung der Antagonisten und Laiendarsteller des Abenteuers, welche neben Zitaten auch Hinweise auf „Darstellung“ und „Fortbewegung in der Unterstadt“ bietet, werden im Anhang auch alle relevanten Werte der Gegner abgebildet. Hierzu gehören natürlich die Schmuggler und Anhänger des Kultes, aber in diesem Fall auch die Gardisten der Hafenstadt.

Wenngleich das Abenteuer in seiner Komplexität für Spieler und Spielleiter mit mittlerer Erfahrung gedacht ist, kann man mit wenig Aufwand die Werte der Gegner anpassen und auch weniger erfahrene oder weniger kampflastigen Gruppen das Spielen ermöglichen. Gerade die Gefangennahme durch die Garde oder der fast aussichtslose Endkampf, bieten auch Nicht-Kriegern den Einsatz ihrer Fähigkeiten – selbst wenn es vielleicht nur die Flucht ist.

Ingame-Texte im handgeschriebenen Stil, welche als Kopiervorlage dienen können, sowie ein Auszug aus der „Havener Fanfare“ mit Artikeln zu den beschriebenen Vorfällen, runden das gute Gesamtbild des Abenteuers ab.

Erscheinungsbild

Das düstere Cover mit Krakenmolch von Luisa Preißler und Klaus Scherwinski passt zwar inhaltlich nicht hundertprozentig zum Abenteuer, fängt aber die Stimmung und Atmosphäre der Unterstadtszenen zu hundert Prozent ein. Und auch ansonsten kann der Abenteuerband mit seinen Illustrationen punkten. 

Auf den 50 Seiten (inklusive Innencover) der Publikation werden wichtige Informationen, wie mittlerweile gewohnt, deutlich sichtbar hervorgehoben und bieten dem Spielleiter einen schnellen Überblick. Ebenso sind Vorlesetexte und Anmerkungen gut sichtbar eingebunden und unterstützen die unterschiedlichen Situationen hervorragend.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Ulisses Spiele GmbH
  • Autor(en): Daniel Jödemann, Olaf Michel, Sebastian Thurau
  • Erscheinungsjahr: 2018
  • Sprache: Deutsch
  • Format: DIN A4
  • Seitenanzahl: 48 Seiten
  • ISBN: 978-3-95752-941-1
  • Preis: 12,95 EUR
  • Bezugsquelle: derzeit nur im F-Shop erhältlich (bzw. über den Kickstarter zur SSH Havena – Versunkene Geheimnisse erhältlich gewesen)

Bonus/Downloadcontent

Es ist kein Bonuscontent enthalten.

Fazit

Alles in Allem schaffen es die Autoren um Sebastian Thurau, Olaf Michel und Daniel Jödemann, der auch schon den passenden Roman (In den Nebeln Havenas) zum Abenteuer schrieb, die düstere Stimmung einer von Schmuggel, Verbrechen und Kultistenwerk durchzogenen Hafenstadt, perfekt einzufangen. Ergänzt durch Illustrationen, welche die Atmosphäre am Spieltisch unterstützen und vielen kleinen Details, die Vorlesetexte und Spielleiterinformationen lebendig machen, ist ein tolles Abenteuer entstanden. Das Abenteuer bietet vielleicht nicht doppelt so viel Spielspaß, wie der Vorgänger von 2006, aber ist (Doppel-)mordsmäßig spannend. Neben überraschenden Wendungen bietet die Story zudem auch viele Hintergrundinformationen zu den Grundsteinen der Götter-ungefälligen Kulte in Havena und stellt Spieler und Helden vor einige, nicht leicht zu überwindende, Hindernisse.

Wenngleich versucht wird für viele Probleme schon im Ansatz Lösungen mitzuliefern, so werden doch sehr häufig die Handlungsfreiheiten der Spieler (beziehungsweise ihrer Helden) beschnitten.

Spätestens ab dem zweiten Kapitel werden die Helden in einen Handlungsstrang gepresst, der eher zum klassischen Hauptquest-Nebenquest-Hauptquest-Ablauf von Computerspielen passt. Wer mit seinen Spielern aber auch Mal unkonventionelle Wege einschlagen möchte, gerne nicht-ganz-rechtschaffende Helden auf Spurensuche schickt und als Spielleiter das gewisse Fingerspitzengefühl für brenzlige Situationen mitbringt, für den ist dieses Abenteuer ein absolutes Muss.

mit Tendenz nach oben

 

Artikelbild: © Ulisses Spiele GmbH, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur
Dieses Produkt wurde privat finanziert.

 

2 Kommentare

  1. Die Rezension schildert eindrucksvoll, dass das Abenteuer die Spieler gängelt und eine Auswirkung ihrer Entscheidungen nur fadenscheinig vortäuscht. Zudem werden offenbar viele Klischees bemüht, weil wohl originellere Ideen gefehlt haben.

    Wie kann man nach so einer vernichtenden Beschreibung von einem „tollen Abenteuer“ sprechen, das bisweilen ein „absolutes Muss“ sei?

  2. Zunächst einmal vielen Dank für deinen Kommentar Adelheidt.

    Die Rezension schildert in der Tat, dass die Spieler ab dem zweiten Kapitel in einem straffen Handlungsstrang-Korsett gefangen sind oder besser in ein Labyrinth ohne ersichtlichen Ausgang gezwungen werden. Dies tut aber weder der Spielbarkeit Abbruch, noch mindert es die Spannung des Abenteuers. Es ist lediglich eine etwas unkonventionelle Methode.
    Wenn man Abenteuer auf diese Weise betrachtet, dann wird auffallen, dass mehr als die Hälfte aller Abenteuer die Spieler unbewusst gängelt. Hier fällt es halt durch die „Sackgassen“ deutlicher auf. Die zugrundeliegende Hauptquest-Nebenquest-Mentalität ist dabei aber eher von Vorteil, da sie meherer kleine Handlungsstränge ins Spiel bringt und auch das „gängeln“ ist erträglich, sofern man einen Spielleiter hat, der mit genug Fingerspitzengefühl an die Sache herangeht.

    Und genauso steht es auch in der Rezension geschrieben: Das Abenteuer ist für diejenigen ein Muss, die mit unkonventioneller Struktur und spielleiterischem Fingespitzengefühl klarkommen.

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